318 A. Staatsrechtliche Entscheidungen l. Abschnitt. Bundesverfassung.

Vergl. noch, betr. materielle Rechtsverweigerung: Nr. 50 Erw. .2, Nr. 59
Erw. 2 Abs. 2 und Erw. 7, Nr. 63 Erw. 4, Nr. 70 (Erw. 2, Nr. 72 Ecm. 1 3.

II. Doppelbesteuerung-. Double imposition.

55. gute vom 12. guat 1909 in Sachen Zith gegen HchWyz "Hd ZW-

Besteuerung eines erntesixaktesrtäctter Gewalt stehenden Minderjährigen
zugleich durch den Wah-nsitzkanton des Vate-rs amd durch den Kemten-,
in welchem. das Vermò'gezz des Sola nes waisenamtlich (jedoch aime dass
eine Voz'mundschaft bestünde) verwaltet wird. Les-Jungdes Konflilflîes
zuGunsten. des erstem (ie? beiden Kantone. - Irr-Trompetenz des
Bundesgerichts in Bezug aus die Rückforderung der vom. nicfitberechtigten
Kanton. bereits bezogfflen Steuer.

A. Der Rekurrent und sein minderjähriger Sohn aus erster Ehe, Josef Röhr,
wohnten seit Juni 1905 in Gersau (Schwyz), woselbst der Rekurrent einen
Gasthof betreibt. Nach dem Tode seiner Ehefrau, deren letzter Wohnort
Altdorf gewesen war, hatte der Rekurrent das seinem Sohne aus dem Nachlass
derselben zufallende Vermögen in die Waisenlade von Altdorf deponiert
Dieses Vermögen wurde während der Jahre 1905-1907 in Altdorf versteuert,
und zwar für die Jahre 1905 und 1906 zum Kapitalbetrage von 27,000 Fr.,
für das Jahr 1907 zum Kapitalbetrage von 29,000 Fr.

Am 8. Januar 1908 stellte der Bezirksrat Gersau beim Regierungsrat
des Kantons Schwyz das Gesuch, es sei vom Gemeinderat Altdorf durch
Vermittlung des Regierungsrates des Kantons Uri das Vermögen des Josef
Rbhr herauszuverlangen und zur vormundschaftlichen Verwaltung an die
Wohngemeinde Gersau abzuliefern ss

Diesem Begehren entsprach der Regierungsrat am
18. JanuarII. Doppelbesteuerung. N° 55. 319

1908, indem er den Regierungsrat des Kantons Uri ersuchte, er möchte den
Gemeinderat Altdorf anhalten, die vormundschastliche Vermögensverwaltung
an den Bezirksrat Gersan abzutreten. Dabei berief er sich auf Art. 10
BG betr. zivilr. V. d. N. u. A.

Der Regierungsrat des Kantons Uri teilte dieses Gesuch dem Gemeinderat
Altdorf zur Vernehmlassung mit. Derselbe beschloss, das Vermögen des
Sohnes Josef Röhr nicht an den Bezirksrat Gersau auszuhändigen, wobei
er sich in der Hauptsache aus folgende Erwägungen stützte:

1. Das Vormundschaftsgesetz vom 1. Mai 1892 kennt zwei Arten
von Vormundschaft, die ordentliche und die ausserordentliche. Die
ordentliche Vormundschaft schliesst die väterliche Vormundschaft aus,
welche zu umgehen ungerechtfertigt ware, und zn ausserordentlicher
Vormundschaft für den Sohn Josef Röhr ist auch kein Grund vorhanden,
weshalb von Vormundschaft im .Sinne des Art. 10 BG vom 25. Juni 1891
betr. zivilr. V. d. N. u. A. nicht die Rede sein kann.

2. Das Vermögen des Knaben Josef Röhr ist in der Ver,waltung des
Regierungsrates Altdorf ebensogut sicher-gestellt wie in derjenigen von
Gersau, weshalb das Hauptinteresse des Bezirksrates von Gersau dahinfällt.

3. Der Vater des Knaben Jofef Röhr, Herr Fidel Röhr, heisser wünscht,
dass das Vermögen in bisheriger Verwaltung Bleibe/'

Seinen Beschluss teilte der Gemeinderat Altdorf sodann am 11. März 1908
dem Regierungsrat des Kantons Uri mit, worauf dieser seinerseits dem
Regierungsrate des Kantons Schwyz davon Mitteilung machte.

Am 23. Mai 1908 beschloss hierauf der Regierungsrat des Kantons Schwyz:

I. Das Begehren um Übertragung der Vormundschaft über Joses Röhr wird
fallen gelassen.

II. Der Bezirksrat Gersau wird beauftragt, Josef Röhr mit 29,000 Fr.,
eventuell mit dem genau ausgewiesenen Vermögensbetrage, steuerpflichtig
vom Kapital vom 1. Juli 1905 an zu besteuern.

III. Mitteilung an den Bezirksrat Gersau, den Regierungs-

320 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

rat des Kantons Uri in besonderem Schreiben an das Finanzund
Erziehungsdepartement.

Dispositiv I dieses Beschlusses wurde damit begründet, dass es
beim Nichtbestehen einer Vormundschaft in Altdorf die schwyzerischen
Behörden nicht weiter berühre, wo das Vermögen des Jofef Röhr verwaltet
werde. Dispositiv II wurde damit begründet, dass, vom Augenblick
an, wo keine Vormundschaft bestehe, Josef Röhr nach Art. 4 Abs. 2 BG
betr. zivilr. V. d. N. u. A. seinen gesetzlichen Wohnsitz in (Hex fan,
dem Wohnorte seines Vaters, habe.

Am 20. Juli 1908 stellte der Rekurrent beim Regierungsrat des Kantons
Uri das Begehren, es sei ihm die in Uri bereits bezahlte Steuer von
dem Vermögen seines Sohnes Josef Röhr von 29,000 Fr. pro 1905, 1906
und 1907 zurückzuzahlen, da er durch Regierungsratsbeschluss von Schwyz
vom 23. Mai d. J verhalten worden sei, diese Steuer an den Fiskns des
Kantons Schwyz zu entrichten.

Dieses Gesuch wurde vom Regierungsrat des Kantons Uri am 1. August 1908
abgewiesen mit folgender Begründung:

dass das Vermögen des Sohnes Josef Röhr im Betrage von 29,000 Fr. in den
Jahren 1905, 1906 und 1907 unbestrit tenermassen im Einverständnis des
Vaters Fidel Röhr, sich in der Waisenlade der Gemeinde Altdorf befand
und dort verwaltet wurde;

dass gemäss Art. 16 des kantonalen Steuergesetzes vorn 2. Mai 1886 das
fteuerpflichtige Vermögen in derjenigen Gemeinde zu versteuern ist,
wo die Verwaltung desselben besorgt wird.

B. Gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons Schwyz vom
23. Mai 1908 hat Fidel Röhr für sich und seinen Sohn rechtzeitig und
formrichtig den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen
mit dem Begehren:

Es sei genannter Beschluss aufzuheben und Josef Röhr von der Stenerpflicht
im Kanton Schwyz zu befreien; eventuell: es sei die zuständige Behörde
des Kantons Uri pflichtig zu erklärendie dort seit dem Aufenthalt des
Rekurrenten in Gersau erhobenen Steuerbeträge demselben zurückzubezahlen,
unter Kosten-

"fDIgs-u. Doppeihesgeuerung. N° 55, 321

Ausserdem enthält die Rekursschrift noch das Gesuch, es sei nicht nur
der Rekurrent bezüglich des schwyzerischen Taxationsbeschlusses für die
partielle Steuerrevision 1908 künftig vor Doppelbesteuerung zu schützen,
sondern auch bezüglich der Wiedererstattung der nnberechtigt erhobenen
Steuerbeträge Beschluss zu fassen bezw. für die Rückforderung derselben
der Weg zu bahnen-I

Aus den Ausführungen der Rekursschrist ist hervorzuheben: Es seien zwei
Steuerangelegenheiten auseinderzuhalten, diejenige des Vaters Fidel Röhr
und die des Sohnes Josef Röhr. Mit der erstern befasse sich ein Entscheid
des Regierungsrates vom 6. Juni 1908, gegen welchen ein Prozess bei
den schwyzerischen Gerichten eingeleitet sei; die andere beschlage den
regierungsrättichen Entscheid vom 23. Mai 1908; nur letzterer Entscheid
bilde den Gegenstand des vorliegenden staatsrechtlichen Rekurses. Von der
irrigen Voraussetzung ausgehend, das Vermögen des Sohnes Josef werde in
Altdorf nicht mehr besteuert, habe Vater Röhr für sich und seinen Sohn
zusammen in Gersau ein steuerbares Vermögen von 24,000 Fr. angemeldet Es
sei somit das Vermögen des Sohnes tatsächlich bereits doppelt versteuert
worden, und es handle sich also, wenn der Beschluss des Regierungsrates
vom 723. Mai 1908 zur Ausführung komme, eigentlich um eine dreifache
Besteuerung desselben Vermögens

C. In seiner Vernehmlafsnng hat der Regierungsrat des Kantons Schwyz
beantragt, es sei der Kanton Schwyz berechtigt zu erklären, das in der
Waisenlade Altdorf deponierte Vermögen des Josef Röhr zu besteuern.

D. Der Regierungsrat des Kantons Uri, dem der Rekurs ebenfalls zur
Vernehmlassung zugestellt wurde, hat beantragt, es sei auf das eventuelle
Begehren des Reknrrenten (betreffend Rückerstattung der im Kanton Uri
bezahlten Steuern) nicht einzutreten.

E. Der Vernehmlassung des Regierungsrates von Uri liegt ein vom 6. Juli
1908 datiertes Aktenstück bei, demzufolge Josef Röhr am 16. Juni 1908,
gestützt auf Art. 2 litt. b des kaumnalen Vormundschaftsgesetzes, der
waisenamtlichen ausserordentlichen Vormundschaft unterstellt worden ist.

F. Die einschlägigen Bestimmungen der urnerischen Gesetzgebung lauten:

322 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Art. 2 litt. b des Vormnudschaftsgesetzes vom 1. Mai 1892: Die
ausserordentliche Vormundschaft tritt ein:

(b) wenn das Vermögen minderjähriger Kinder ausgeschieden "werden muss,
z. B. bei Wiederverheiratung des Vaters oder der Mutter-J-

Art. 16 Abs. 1 des Steuergesetzes vom 2. Mai 1886: Jeder ist pflichtig,
seiner Steuerpslicht in derjenigen Gemeinde Genüge zu leisten, in welcher
er den grössten Teil des Jahres wohnt, bezw. sein Geschäft betreibt,
oder die Verwaltung des steuerpflichtigen Vermögens besorgt wird.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das Bundesgericht ist insoweit zur Behandlung des Rekurses fompeient,
als es sich fragt, ob die Besteuerung des Josef Röhr durch den Kanton
Schwyz bezw. die Gemeinde Gersan einen bundesrechtlich unzulässigen
Eingriff in die Steuerhoheit des Kantons Uri bezw. der Gemeinde Altdorf
bedeute. Dagegen kann im Falle der Verneinung dieser Frage keine Rede
davon sein, den Kanton Uri zur Rückerstattuug der in Altdorf bezogenen
Steuern pflichtig zu erklären, wie eventuell beantragt wird; denn, unter
welchen Voraussetzungen und ob überhaupt eine Rückerstattung bezahlter
und nicht nichtgeschnldeter Steuern stattfinde, ist (vergl. BGE 25 I
S. 193
und S. 195, 33 II S. 704) eine ausschliesslich dem kantonalen
Rechte unterstehende Frage. Endlich ist das Bundesgericht auch nicht
fompetent, einen Entscheid darüber zu fallen, ob der Kanton Schwyz
eventuell (d. h. wenn die Steuerhoheit des Kantons Uri verneint wird)
berechtigt sei, das gesamte in Altdorf deponierte Vermögen des Josef
Röhr zu besteuern, oder ob er davon die vom Rekurrenten im Kanton
Schwyz deklarierten und, wie es scheint, auch versteuerten 24,000 Fr.,
oder einen Teil dieser Summe, in Abzug zu bringen verpflichtet fei.
Auch dies ist eine Frage des kantonalen Steuer-rechtes bezw. eine reine
Taxationsfragez letzteres insofern, als es sich dabei zunächst srägt,
ob wirklich in obigen 24,000 Fr. ein Teil des in Altdorf deponierten
Vermögens inbegriffen war.

2. Was nun die vom Bundesgerichte einzig zu entscheidende interkantonale
Doppelbesteuerungsfrage betrifft, so ist in tatsächlicher Beziehung davon
auszugehen, dass nach dem bei den Aktenll. Doppelbesteuerung. N° 55. 323

liegenden Veschlusse des Gemeinderates Altdorf, der dem Regierungsrate
von Uri am 11. März 1908 und sodann durch diesen dem Regierung-state
von Schwyz mitgeteilt wurde, Josef Röhr damals in Altdorf nicht unter
Vormundschaft stand; denn in den Erwägungen jenes Beschlnsses wurde
ausdrücklich erklärt, die ordentliche Vormundschaft schliesse die
väterliche Vormundschaft aus, und zur Bestellung einer ausserordentlichen
Vormundschaft sei auch kein Grund vorhanden-C weshalb von Vormundschaft
im Sinne des Art. 10 BG betr. zivilr. V. d. N. u. A. keine Rede sein
könne. Bestand aber demnach in jenem Zeitpunkte im Kanton Uri keine
Vormundschaft über Josef Röhr, sofhatte derselbe als Minderjähriger
sein steuerrechtliches Domizil in Gersau, dem Wohnorte seines Vaters,
und unterstand somit der Steuerhoheit des Kantons Schsz Denn gegenüber
dem bundesrechtlichen Grundsatz, dass das bewegliche Vermögen im
Wohnsitzkanton zu versteuern ist, kann selbstverständlich Art. 16 des
Steuergesetzes von Uri, falls diese Bestimmung überhaupt den Sinn hat den
ihm der Regierungsrat des Kantons Uri in seinem Entscheide vom 1. August
1908 beilegt, nicht angerufen werden.

3. Bei dieser Sachlage braucht nicht untersucht zu werden, sob die
am 19. Juni 1908 vom Gemeinderate Altdorf verfügte Unterstellung des
Josef Röhr unter die ausserordentliche Vormundschaft (Art. 2 iitt. b
des kantonalen VormundschaftsgesetzesJ an sich zulässig war; denn selbst
im letztern Falle könnte durch diese nachträgliche Bevormundung an der
Tatsache nichts geändert werden, dass Joses Röhr mindestens bis zum
23. Mai 1908 sein steuerrechtliches Domizil im Kanton Schwuz gehabt hat
und dass daher der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Schwyz
d. d. 23. Mai 1908 keinen Eingriff in die Steuerhoheit des Kantons
Uri bedeutet.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 35 I 318
Datum : 12. Januar 1909
Publiziert : 31. Dezember 1909
Quelle : Bundesgericht
Status : 35 I 318
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 318 A. Staatsrechtliche Entscheidungen l. Abschnitt. Bundesverfassung. Vergl. noch,


BGE Register
25-I-191
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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