190 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

gestützt auf sehr wenig schlüssige Jndizien und ohne genügendeUntersuchung
des Sachverhatts, dass nicht rechtzeitig Recht vorgeschlagen worden
sei. Über die rechtliche Seite der Sache dagegen, d. h. darüber-, ob,
inwieweit und aus welchen Gründen dem

unbestritten gebliebenen Zahlungsbefehl eine Bedeutung für das-

materielle Rechtsverhältnis beizumessen sei, fehlt jegliche Ausführung.
Hierin liegt eine Lücke in den Urteilen der kantonalen

Instanzen, die schon an sich zu ihrer Aufhebung fuhren müsste,

da es als eine Rechtsverweigerung bezeichnet werden muss, wenn ein Urteil
nicht zu Ende geführt und in wesentlichen Punkten

Unvollständig ist. Dazu fammi, dass die Urner Gerichte, wenn sie-

der sich bietenden Rechtsfrage näher getreten waren, ohne Verletzung
klaren Rechts nicht zu ihrem Urteil hätten gelangen kön-

nen. In der That hat ja der Umstand, dass der Schuldner gegen ·

einen Zahlungsbefehl nicht rechtzeitig Widerspruch erhebt, nur zur
Folge, dass die Betreibung fortgesetzt werden fanti, während in jener
Säumnis allein eine Anerkennung der Schultz, oder der Thatbeftand für
die Entstehung eines neuen Anspruchs nicht erblickt werden kann. Es
ergiebt sich dies klar daraus, dass dem Schuldner, der den Rechtsvorschlag
unterlassen hat oder dessen Rechtsvorschlag durch Rechtsöffnung beseitigt
worden ist, und welcherinfolgedessen eine Nichtschuld bezahlte, das
Recht der Rückforderung innerhalb eines Jahres nach erfolgter Zahlung
zusteht (s. Art. 86 des eidg. Betreib.-Ges.). Dieses ihm durch das
Gesetz garantierten Rechts ginge der Schuldner verlustig, wenn die
blosse Thatsache der Nichterhebung oder der verspäteten Erhebung eines
Rechtsvorschlages als Anerkennung der Schuld angesehen werden wollte. Auch
aus diesem Grunde kann das angefochtene Urteil nicht aufrecht erhalten
werden. Die Aufhebung ergreift natürlich das Urteil in seiner Gesamtheit;
eine Scheidung nach der formellen und materiellen Seite hin ist nicht
möglich. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil des

Obergerichts Uri vom 12. Januar 1899 aufgehoben.II. Doppelbesteuerung. N°
33. 191;

II. Doppelbesteuerung-. Double imposition.

33. Urteil vom 19. April 1899 in Sachen Kopp gegen Thurgau.

Rückforderung bezahlter Séeuern kann nicht auf dem TV.-agedes
staatsrechtlichen Rekurses vee'langt werden.

A. Jakob Kopp, Buchhalter in Olten, hat, als er im Jahre1892 aus
seinem Heimatkanton Thurgau wegzog, sein 14,000 Fr betragendes Vermögen
einer Tante von ihm, Lisette Hess in Uttweil (Thurgau), in Verwahrung
gegeben. Letztere bezahlte seither für dieses Vermögen bis und mit dem
Jahre 1897 derGemeinde Uttweil und dem Kanton Thurgau Steuern im Ge-:
samtbetrage von 449 Fr. 40 Ets. Hievon entfallen 137 Fr20 Ets. auf die
Jahre 1892 und 1893, während welcher sich Kopp in Bern aufhielt, ohne hier
besteuert worden zu sein, und 312 Fr. 50 Cis-. für die Zeit auf ti. Januar
1894, von wo an Rekurrent sein Domizil in Olten hatte. Anlässlicb seiner
im: Oktober 1898 stattgefundenen Verehelichung bekam die Steuer-s behörde
Olten Kenntnis von seinem Vermögensbesitze und verlangte nun von ihm
die Steuer von obgenanntem Zeitpunkte seiner Niederlassung an.

B. Kopp, welcher diese Steuerforderung der Gemeinde Olten: als begründet
anerkennt, verlangte nunmehr von seiner Heimatgemeinde Uttweil die
Rückzahlung des oberwähnten Betrages von 312 Fr. 50 Cts., wurde aber
mit seinem Begehren unterm 9. Dezember 1898 abgewiesen, immerhin mit
der Bemerkung, dass er vom Tage seiner Beschwerdeführung an von jeder
weitern Steuer entlastet sei. Auf erhobene Beschwerde hin entschied
auchder Regierungsrat des Kantons Thurgau unterm 27. Januar 1899 sein
Gesuch in abweisendem Sinne, indem er zur Begründung ausführt:

Es könne im vorliegenden Falle von Doppelbesteuerung aus dem Grunde nicht
gesprochen werden, weil die Steuer von dem Reknrrenten in Uttweil nicht
gefordert worden, sondern er sich-

äIZ A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

het Besteuerung dortselbst freiwillig unterzogen habe, während es in
seinem Belieben gelegen hatte, dieses Steuerverhältnis jederzeit zu
ändern. Dass Rekurrent auch an seinem Wohnort steuerpflichtig sei,
wäre ihm ohne Zweifel bekannt gewesen. Wenn er nun, vielleicht um das
betreffende Vermögen her, möglicherweise intensivern Besteuerung am
Domizil zu entziehen, dasselbe anderswo versteuert und die bezüglichen
Steuern, ohne dass seinerseits ein Irrtum über die Steuerpslicht
obgewaltet hatte, während mehreren Jahren bezahlt habe, so könne von
einer Rückforderung dieser Beträge, da ein eigenes Verschulden des
Rekurrenten vorliege, keine Rede mehr sein; ganz abgesehen davon,
dass die Zulassung eines Rückforderungsrechtes in solchen Fällen im
Rechnungswesen der Gemeinden zu Wirrwarr führen müsse.

C. Gegen diesen Entscheid ergriff Jakob Kopp mit Eingabe vom 1. März
1899 den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht. Er macht geltend:

Der Umstand, dass man ihm für die Zeit seines Aufenthaltes .in Berti
keine Steuern verlangte, bestimme ihn, seine Rücksorderung aus die von der
Gemeinde Olten in Ansatz genommene Zeitdauer zu beschränken. Er bestreite
des bestimmtesten, dass er sich der Steuerpslicht in Uttweil freiwillig
unterzogen habe. Die Bezahlung der Steuern sei vielmehr aus saurer
Unkenntnis der Steuerpflicht erfolgt, weil seine Tante und er meinten,
die Steuer gehöre dorthin, wo die Wertpapiere in Verwahrung liegen.
Das ergebe sich deutlich daraus, dass die Steuer laut eingelangten Belegen
für ihn in Uttweil eine höhere sei als in Olten. Letztere Gemeinde
verlange übrigens die Steuer in völlig richtiger und gesetzlicher
Weise. Die Berufung aus einen möglichen Wirrwarr im Rechnungswesen der
Gemeinden sei völlig unstichhaltig Rekurrent schliesst mit dem Begehren,
der Rekurs sei begründet zu erklären und die Regierung des Kantons
Thurgau bezw. die Gemeinde Uttweil zur Rückerstattung des oberwähnten
Steuerbetrages von 312 Fr. 50 Cis-. zu veranlassen

D. In seiner Vernehmlassung vom 16. März 1899 trägt der Regierungsrat
des Kantons Thurgau auf Abweisung der Beschwerde an. Ausser den bereits
in seinem Entscheide vorgebrachten Gründen macht er im wesentlichen noch
geltend, das BundesgerichtIL Dappeihesteuerung. N° 33. 193

Hei in Sachen nicht kompetent, da es sich um Rückzahlung von Steuern
handle.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Nicht nur der Rekurrent, sondern der Regierungsrat des Kantons Thurgau
selbst geht von der Annahme aus, dass die Steuergsorderung welche die
Gemeinde Olten dem erstern gegenüber für die Zeit seiner dortigen
Niederlassung geltend macht, eine gerechtfertigte sei. Aus dieser
bundesrechtlich ohne Zweifel richtigen Annahme (vgl. z. B. Ath Samml
Bd. XX, S. 3 Erw. 2) .folgt, dass wenn im Falle des Rekurrenten ein
Steuerkonslikt zwischen den Kantonen Thurgau .(Gemeinde Uttweil) und
Solothurn (Gemeinde Olten) bestände, derselbe zu Gunsten des letztern
Kantons entschieden werden mùîzte.

Nun handelt es sich aber in casu lediglich um die Rückforiderung
bezahlter Steuerbeträge. Nach konstanter bundesgerichtlicher Praxis
(s. z. B. Amtl. Samml Bd. X, S. 453 Erw. 3 und Bd. XII, S. 351 Erw. 5)
hat über das Begehren aus Rück-erstattung nicht das Bundesgericht,
sondern die hiefür kompetente Behörde des Kantons zu entscheiden, in
welchem die Steuer bezahlt wurde. Freilich darf die kantonale Behörde
ihren Entscheid nicht von rechtlichen Erwägungen abhängig machen, die der
Einsgangs ausgesprochenen Auffassung des staatsrechtlichen Verhältnisses
widersprechen würden, ansonst dagegen der Rekurs an das Bundesgericht
als Staatsgerichtshos geöffnet wäre.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Auf den Rekurs wird nicht
eingetreten.

XXV, 1. 1899 13
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 25 I 191
Datum : 12. Januar 1899
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 I 191
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 190 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. gestützt


Stichwortregister
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gemeinde • thurgau • olten • bundesgericht • rechtsvorschlag • doppelbesteuerung • schuldner • regierungsrat • rückerstattung • richtigkeit • zweifel • weiler • zahlungsbefehl • bundesverfassung • kenntnis • rückübertragung • einsprache • wohnsitz • entscheid • aufhebung
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