138 A. Siaatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

einmal hat sich der Kleine Rat schon seit den 80 er Jahren bemüht (Krteil
vom 17. März 1904) die Rechte der Gesamtgemeinde Safien in Ansehung der
Hofwälder zur Verwirklichung zu bringen. Und sodann kann die Tatsache,
dass ein Rechtszustand aus irgendwelchen Gründen während bestimmter,
längerer Zeit im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Grundsätzen von
Verfassung Und Gesetz bestanden hat, kein Privileg auf weitere Fortdauer
begründen.

5. Jst nach dem Gesagten die Beschwerde aus Art. 9 Abs. 4, sowie auch
diejenige aus Art. 40 Abs. 5 KV zu verwerfen, so folgt daraus ohne
weiteres, dass der Rekurrent dem angefochtenen Erlass gegenüber sich
auch nicht auf Art. 40 Abs. 2 und die dortige Garantie jdes Eigentums
gegenüber den Gemeindeordnungen berufen farm.

& Auch die Beschwerde des Rekurrenten wegen Verletzung der
Rechtsgleirhheit ist unbegründet. Die blosse Tatsache, dass der
Zustand, gegen den der Kleine Rat in Sasien ankämpr vielleicht auch
noch anderwärts im Kanton besteht, vermag einen solchen Vorwurf nicht
zu stützen. Abgesehen davon, dass die fraglichen Verhältnisse in der
Rekursschrift in keiner Weise näher dar-gelegt find, ist es sehr wohl
möglich, dass der Kleine Rat ausvnicht zu beanstandenden sachlichen
Gründen, mangels eines Rekurses usw., bis jetzt keine Veranlassung
hatte, sich mit den betreffenden andern Fällen zu befassen. Von
nngleicher Behandlung könnte erst gesprochen werden, wenn der Kleine
Rat ohne sachliche Motive vorliegend anders entschieden hätte, als
bisher, oder wenn er wiederum ohne sachliche Gründe bei gleichen
tatsächlichen Verhältnissen im einen Falle einschreiten würde, im
andern Falle nicht. Weder das eine noch das andere ist vom Rekurrenten
dargetan, ja im Grunde nicht einmal behauptet. Aus den Akten und frühern
Rekursfällen ergibt sich vielmehr, dass der Kleine Rat als Aufsichts-
behörde auch bei andern Gemeinden darnach strebt, dass öffentliches Gut,
speziell Fraktionsgut, nicht rein privaten Charakter annimmt oder dass
es die Eigenschaft als öffentliches Gut, soweit sie ihm gebührt, wieder
zurückerhält (siehe z. B. Schmid, Rekurspraxis des Kleinen Rates von
Graubünden, S. 54 ff.; Urteil des Bundesgerichts vom 2. Juni 1897 in
Sachen der Korporation Ratitsch-IV. Unverletzlichkeit des Eigentum. N°
24. 139

Sauren, und vom 26. September 1907 betreffend die Gemeinde Luzein, AS 33 I
Nr. 97). Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der seem wird abgewiesen.

24. gv,-teu vom 17. März 1909 in Sachen geraunwalbssassu-{éereumaft
gegen Regierung-rat des glaan Gram-.

Verletzung der Eigentumsgarantie durch eine der gesetzlichen
Grundlage entbehren-le Verfügung des Regierungsrates, dahe'ngeàend,
es sei ein bestimmter Stacheleîrahtzaun innert 1% Irr-irren zu
beseitigen. _-Verletzamg des Pein-ins der Gewaltentrennung durch
regte-unge- rätliche Verantwertlicherklärung des Zaunbesitzers für
allfälligen Viehschaden. Lieber-griff in Kompetenzen rouBundesbekò'rdm
(insbesondee'e des Bundesmtes) durch die erwähnte Verfügung betr. Be-
seitigung des Stacheldrahtzaunes, wenn der Z au-nbesitzer eine
Eisenbahngesellschaft is!?

A. Die Rekurrentin hat längs ihrer Linie eine Einfriedigung mit
Stacheldraht erstellt. Mit Schreiben vom 2. März 1908 legte sie den
Plan der Einsriedigung dem eidgenössischen Eisenbahndepartemente zur
Genehmigung vor. Am 14. April 1908 schrieb das Eisenbahndepartement
an den Verwaltungsrat der Braunwaldbahn, dass die Vorlage über die
Einfriedigung weder ihm noch der Kantonsregierung Veranlassung zu
Einwendungen gebe. Von einer formellen Genehmigung der Planauflage
müsse das Eisenbahndepartement dagegen absehen, da laut dem Berichte
des Kontrollingenieurs die Einfriedigung bereits zum Teil erstellt sei.

Am Z. Juni 1908 reklamierte ein Joh. Heiz im untern Lochberg bei Braunwald
beim Präsidenten des Verwaltung-states der Braunwaldbahn, A. Bebiez-Hefti,
wegen der Erstellung des Drahtzaunes längs seiner Liegenschaft, da
die Viehversicherungsgesellschast Rüti-Braunwald die Haftpflicht für
allen Schaden ablehne, der dem Vieh aus dieser Stacheldrahteinzäunung
entstehen könnte.

140 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

Diesen Standpunkt bestätigte der Präsident der
Viehversicherungsgesellschaft Rüti-Braunwald in einem an den Präsidenten
der Braunwaldbahn gerichteten Schreiben vom 22. Juni 1908.

Am 23. Juni 1908 ersuchte die Rekurrentin in einem pr.
Braunwaldbahn-Gesellschaft: G.Zweifel unterzeichneten Schreiben den
Regierungsrat des Kantons Glarus um einen Entscheid in Sachen.

Der Regierungsrat wies die Angelegenheit an seine Baudirektion, und
diese ordnete einen Augenschein auf den 6. August 1908 an, zu welchem
n. a. eine Vertretung der Braunwaldbahn eingeladen wurde. Als solche
nahmen der Präsident und der Vizepräsk dent des Verwaltungsrates am
Augenscheine teil.

Die Stellungnahme der verschiedenen Interessenten bei diesem Augenscheine
war nach der Berichterstattung der kantonalen Baudirektiou an den
Regierungsrat vom 24. November 1908 folgende: Joh. Heiz erklärte, dass er
schon bei Beginn der Friederstellung den Fried als ungenügend und für das
Vieh bei der Ätzung als gefährlich bezeichnet habe. Es sei aber seinem
mündlichen Begehren, einen höhern Holzzaun oder doch wenigstens einen
Zaun ohne Drahtspitzen anzubringen, mit dem Hinweis auf den behördlich
genehmigten Plan keine Folge gegeben worden. Sein Begehren werde auch
von andern Besitzern an die Braunwaldbahn anstossender Liegenschaften
unterstützt Die beteiligten Anstösser müssten verlangen, dass entweder die
Bahngesellschaft oder die Viehoersicherungsgesellsrhaft für diejenigen
Schädigungen die Ersatzpslicht übernehme, die durch den beanstandeten
Fried längs der Braunwaldbahn entstehen sollten. Der Vertreter der
Viehversicherungsgesellschaft Rüti-Braunwald bestätigte demgegenüber die
der Braunwaldbahngesellschaft und dem Liegenschaftsbesitzer schriftlich
gemachte Eröffnung, dass die Viehversicherungskasse für Verletzungen
des Viehes an Stacheldrahtzäunen keine Vergütung leisten könne. Der
Vertreter der Braunwaldbahngesellschast erachtete die Einfriedigung des
Bahnareals als hinreichend und mit keinen besondern Gefahren für das Vieh
verbunden Da keine gesetzliche Vorschrift bestehe, die die Anbringung
von Stacheldrahtzäunen verböte, müsse es die Bahngesellschaft ablehnen,
den bestehenden Stacheldrahtfried durch einen andern Fried zu ersetzen.IV
Unverletzlichkeit des Eigentums. N° 24. 141

Sie verlange, dass der Regierungsrat die Zulässigkeit dieser Friedart
und die Haftbarkett der Viehverstcherung für Schädigungen ausspreche, die
auf den Bestand des Friedes zurückzuführen seien. Der Gemeindevertreter
von Rüti wies darauf hin, dass der Gemeinderat Rüti bei Vorlage des
Friedprojektes zur Vernehmlassung nur zu prüfen gehabt habe, ob gegen
das Projekt vom Standpunkte der Offentlichkett aus Einwendungen zu
erheben seien.

Jm weitern ist dem Berichte der Baudirektion folgendes zu entnehmen:
Die Kompetenz des Regierungsrates zum Entscheid in der Sache
ergehe sich ans § 24 der Normalstatuten für die obligatorischen
Viehversicherungsgesellschaften. Auf der Grundlage dieses Paragraphen
habe der Regierungsrat wiederholt alle mit der Schadensvergütung
seitens der Viehversicherung direkt und indirekt im Zusammenhang
stehenden Streitigkeiten als seiner endgültigen Entscheidungsbefugnis
unterstehend erklärt-A Hiebei wird ausgeführt, dass die Nichteinsprache
von Regierungsrat und Gemeinden bei Anlass der Planvorlage für die
Einfriedignng (Art. 14 Abs. 2 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember
1872) weder die dein Regierungs-rate als Vollziehungsbehörde im
Viehversicherungsgesetze und in den bezüglichen Normalstatnten
eingeräumten Befugnisse, noch die Rechte der Anstösser, Viehbesitzer
und Viehversicherer habe präjudizieren können. In der Sache selbst,
wird fortgefahren, fehle es zwar an bestimmten gesetzlichen Vorschriften
über die zulässige Friedart. Es gebe lediglich Einschränkungen in Bezug
aus die Höhe von Manent, Holzwänden und Grünhägen (§ 42 BGB und § 38,
letzter Absatz, des Strassengesetzes). Ein Verbot der Anbringung von
Stacheldrahteinzäunungen existiere dagegen nicht; immerhin habe der
Regierungsrat in Anwendung der §§ i und 53 des Strassengesetzes schon
wiederholt solche Einsriedigungen an Landstrassen und öffentlichen
Verkehrswegen verboten. Grundsätzlich sei auch die Verwahrung der
Viehversicherungsgesellschaft MitiBraunwald gegenüber Schädigungen durch
die Einfriedigung der Braunwaldbahn mit Stacheldraht gerechtfertigt;
nur gehe es nicht an, den Viehbesitzer für die gegen seinen Willen
erstellte nachteilige körperliche Vorrichtnng eines Dritten (der
Braunwaldbahngesellschaft) verantwortlich zu machen. Es müsse vielmehr
in einein

142 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. W. Abschnitt. Kantonsverfassungen

solchen Falle der Biehbesitzer bei seinem Rechte gegenüber der
Versicherungskasse geschützt bleiben und der Friedbesitzer zur Ab-
wendung der Gefahr veranlasst bezw. für die Schädigung durch den Fried
haftbar erklärt werden. Das Richtigste werde daher die Beseitigung der
Drahtspitzeu sein.

Der Bericht der Baudirektion schliesst folgendermassen:

Kraft der dem Regierungsrate durch das Gesetz betreffend die
obligatorische Viehverstcherung vom 11. März 1902 und die zudienenden
Normalstatuten (erlassen vom Regierungs-rate am 21. November 1902),
speziell durch § 24 der letztern, zustehenden Kompetenzen beantragen
wir Ihnen den Erlass folgender Verfiigungî _ _

I. Die mit Eisendrahtspitzen versehenen Bestandteile des Friedes "langs
der Braunwaldbahn sind bis spätestens am 1. Mai 1910 vollständig
zu. beseitigen und durch einen andern, für die Viehätzung und
Bewirtschaftung der anstossenden Liegenschaften ungefährlichen Fried
zu ersetzen.

H. Für allfällige inzwischen nachweisbar infolge des bestehenden
Stacheldrahtzaunes entstehende Schäden ist die Brauuwaldbahngesellschaft
verantwortlich und haftbar. In diesem Sinne bildet der Bestand
des Stacheldrahtzaunes für die Besitzer oder Bewerber der an die
Vraunwaldbahn anstossenden Liegenschasteu keinen Grund zum Ausschluss
von der Viehversicherung für solche Schädiguugen, die auf diesen zu
beseitigenden Fried zurückzuführen find.

B. Durch Entscheid vom 26. November 1908 erhob der Regierungsrat diese
Anträge der Baudirektion zum Beschlusse.

(}. Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates ergriff
die Braunwaldbahngesellschaft rechtzeitig und formrichtig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung
desselben.

Jn tatsächlicher Richtung führt die Rekurrentin an, dass sie vom
Regierungsrate keinen materiellen Entscheid in der Sache verlangt habe,
sondern lediglich Ausschluss (Bescheid) darüber, ob im Kanton Glarus
gesetzliche Bestimmungen über Einfriedigungen mit Stacheldraht bestehen
und, wenn ja, wie dieselben lauten. Der Schreiber der Anfrage an den
Regierungsrat vomIV. Unverletzlîchkeit des Eigentums. N° 24. 143

23. Juni 1908 (G. Zweifel) sei auch lediglich ein Bureauangestellter im
kaufmännischen Geschäft des Verwaltungsratspräsidenten A. Bebie-Hefti und
habe keinerlei Vertretungsbefugnis für die Braunwaldbahn. (Bei den Akten
liegt ein Auszug aus dem Handelsregister, wonach nur Albert Bebie-Hefti,
F. Hefti-Jenny und Direktor Russenberger, und zwar hinsichtlich der
Unterschrift kollektiv je zu zweien, die Vertretungsbefugnis für die
Gesellschaft haben.)

Bei dem Angenscheine vom 6. August 1908, wird weiter behauptet, sei von
den Vertretern der Bahngesellschaft dagegen protestiert werben, dass der
Regierungsrat materiell in der Streitangelegenheit entscheide. (Es liegt
eine bezügliche Erklärung der Vertreter der Braunwaldbahn bei den Akten.)

Jn rechtlicher Beziehung erblickt die Rekurrentin in dem angefochtenen
Beschlusse zunächst eine Verletzung der in Art. 8 KV gewährleisteten
Eigentumsgarantie. Der Inhalt des Eigentums könne nur durch das objektive
Recht bestimmt und daher eine Beschränkung der im Eigentum liegenden
Befugnisse nicht durch blosse Verwaltungsanordnung, sondern nur durch
eine auf gesetzlicher Grundlage beruhende allgemein verbindliche Norm
verfügt werden. Im Kanten Glarus fehle nun zugestandenermassen jede
gesetzliche Vorschrift über den Stacheldrahtfried.

Jn zweiter Linie, führt der Rekurs aus, enthalte der angefochtene
Beschluss eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung und
damit zugleich eine Verletzung der Abgrenzung des Kompetenzbereiches
der Bundesgewalt und der Kantonalgewalt, wie solche in den Art. 1,
6, 14. u. ff. des Eisenbahngesetzes undArt. 25 des eidgenbssischen
Expropriationsgesetzes für derartige Streitigkeiten eisenbahnrechtlicher
Natur zu Gunsten der administrativen eidgenössischen Instanz
(Eifenbahndepartement) festgesetzt sei. Die öffentlich-rechtliche Seite
der Angelegenheit, d. h. die Frage, ob im Interesse der Allgemeinheit die
Braunwaldbahn zur Ersteiluug des streitigen Stacheldrahtzaunes befugt
sei, sei im Wenge: nehmigungsverfahreu zu erledigen gewesen, das mit
der stillschweigenden Departementalgenehmigung vom 14. April 1908 seinen

endgültigen Abschluss gefunden habe. Daran könne der Regierungsrat des
Kantons Glarus nicht mehr zurückkommen. Uber

144 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

privatrechtliche Ansprüche sodann eines Anstössers an die Bahnlinie
auf Beseitigung oder Änderung einer bestehenden Einsriedignug auf
Bahngebiet und auf Schadenersatz usw. habe nicht der Regierungsrat
zu entscheiden, sondern der ordentliche Richter, bezw. der Richter im
Erpropriationsderfahren. Endlich enthalte der angefochtene Entscheid
eine Verletzung des in Art. 5 Abs. 3 der glarnerischen Kantonsverfassung
ausgesprochenen Grundsatzes, dass niemand seinem ordentlichen Richter
entzogen werden dürfe.

D. Der Regierungsrat des Kantons Glarus beantragt die Abweisung des
Rekurses, unter Kostenund Entschädigungsfolge. Er macht in der Hauptsache
folgendes geltend:

Das Eisenbahndepartement habe eine formelle Genehmigung der
Planvorlage nicht ausgesprochen. Zugegeben werde allerdings, dass der
Regierungsrat gegenüber dem Friedprojekt in seiner Vernehm.Iassung
an das Eisenbahndepartement keine Einwendung erhoben habe. Diessei
aber bedeutungslos, da sich damals der Regierungsrat nur vom
öffentlich-rechtlichen Standpunkte aus (Art. 142 des BG über den Bau
und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872) über das Projekt
ausgesprochen habe. Die Frage des Nachbar-rechts sei dadurch in
keiner Weise berührt werden. Die Braunwaldbahn habe in Sachen einen
Entscheid und nicht bloss einen Bescheid, eine Ansichtsäusserung, des
Regierungsrates verlangt-. Auf die Einladung des Regierungsrat-es zum
Augenscheinworin bemerkt gewesen, dass die Braunwaldbahn den Eutscheid
des Regierungsrates in der Streitangelegenheit anrufe, habe sich die
Rekurrentin auch vertreten lassen, und es werde bestritten, dass ihre
Abordnung beim Augenscheine die Kompetenz des Regierungsrates angefochten
habe. Auch nachträglich, in einem Schreiben vom 13. Oktober 1908 an den
Regierungsrat, habe die Braunwaldbahngesellschaft es aus materiellen
Gründen abgelehnt, den Stacheldrahthag durch einen andern zu ersetzen,
sich also wiederum materiell vor dem Regierungsrate in die Sache
eingelassen und in keiner Weise dessen Kompetenz in Sachen bestritten.

(Das betreffende Schreiben lautet: Auf den Augenschein vom 6. August
a. c. betreffend Stacheldrahtzäuuung höflichst Bezug nehmend, teilen
wir Ihnen mit, dass es der Verwaltungsrat in seiner Sitzung vom
20. crt. ablehnie, den bestehenden Stachel-IV. Unverletzlichkeit des
Eigentums. N° 24. 145

drahtzaun durch einen andern Zaun zu ersetzen, indem anderorts Im Kamen
Glarus gegen aus Stacheldraht erstellte Friede von der Behörde keine
Einsprache erhoben wurde.)

In rechtlicher Beziehung stellt sich der Regierungsrat vorerst aufden
Standpunkt, die Rekurrentin habe die Kompetenz des Regierungsrates zum
angefochtenen Entscheide förmlich anerkannt und könne diese Kompetenz
nachträglich nicht mehr bestreiten Eventuell stützt der Regierungsrat
seine Kompetenz auf Gewohn; heitsrecht, indem er sich daran berufî, dass
er schon in einer Anzahl von Präzedenzfällen, wo es sich um Grundstücke
handelte die an die öffentliche Strasse stiessen, über die Zulässigkeit
von Stacheldrahtzäunen entschieden, d. h. solche verboten habe. Natürlich
erscheine daher der Regierungsrat befugt, auch über weitere Spezialfälle
zu befinden, und ein solcher liege heute vor. Auch seine Verletzung der
Abgrenzung des Kompetenzbereiches der Bundesgewalt und der Kantonsgewalt
liege nicht vor. Das Eisenbahngesetz regle die Rechte der Anstösser
nicht, und Beschränkungen aus Gründen des Nachbarrechts oder auch aus
öffentlichen Rücksichten seien durchaus zulässig.

E. Aus dem kantonalen Gesetz betre end die oin atori e ' versicherung,
vom 11. Mai 1902, sindfffolgende BEstimmFigeerilezhu zitterten: Art. 1:
Die Viehversicherung gegen den Verlust von Rindvieh durch Unfälle oder
Krankheiten ist im Sinne dieses Gesetzes obligatorisch Art. 2 Satz 1: Für
die obligatorische Viehverstcherung werden Versicherungskreise gebildet,
welche in der Regel mit den Wahlgemeinden zusammenfallen. Art. 11: Der
Regierungsrat stellt ein Norwalsiatut als Anleitung sür die zu bildenden
Versicherungskreise auf. Art. 16: Der Regierungsrat ist mit dem. Vollng
dieses Gesetzes beauftragt ' Die in Art. 11 vorgesehenen Normalstatuten,
welche der Regierungsrat am St. November 1902 erlassen hat, enthalten
in § 24 die Bestimmung: Uber alle Streitigkeiten, welche bezüglich
der Emschätzung und Schadensvergütung (Kap. II und III) ziuischen dem
Gesellschaftsoorstande und einzelnen Gesellschaftsmitgliedern entstehen,
entscheidet die Sanitätsund Landwirt- schaftsdirektion bezw. der
Regierungsrat auf Grund eines Expertengutachtens endgültith

AS 35 I _ 1909 10

146 A Staatsrechtliche Entscheidungen W. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung: R

es der Sinn des am Z. Juni 1908 namens der ekurtrenkäelckn den
Regierungsrat gerichteten Schreibens war, ob insbesondere darin ein
Entscheid, worauf der Wortlaut hindeuiet, oder nur ein Bescheid verlangt
wurde, und ob der Sschreiber Tes Briefes (der Angestellte Zweifel) zur
Vertretung derlliekurrten tin in dieser Angelegenheit bevollmächtigt war,
braucht hier nich en: schieden zu werden. Selbst wenn diese und die
damit zusamme;ihängenden Fragen (betrefsend Protest der Rekurrentin
gegen t; materielle Behandlung der Sache durch den Regieruräggrat
untbetreffend Bedeutung des Briefes vom 13. Okwber il) )I samt-i
lich im Sinne der regierungsrätlichen Auffassung ecm ärgere würden,
so könnte doch nicht anerkannt werden, dass derK egie: rungsrat deshalb
berechtigt gewesen sei, sich weitergehendev 'omplî: tenzen beizulegen,
als die ihm verfassungsund gesxtzmaszsgI z l; stehenden, und dabei
verfassungsmässige Rechte der Re urren n zverletzen. Ein Verzicht auf die
in der Kantonsverfassung gar-nîntierte Unverletzlichkeit des Eigentums
war von der Rektctlrrlenm jedenfalls nicht ausgesprochen worden; dem
ofseutlich-;e)t1chet: Grundsatze der Gewaltentrennung aber konnte weder
urckî'oîîaîeinseitige Erklärung der Rekurrentin, noch durch eine proroga
irdenähnliche Vereinbarung aller Interessenten Abbruch getan we ss:
2. Was nun zunächst das Prinzip der Gewaltentrennung e-

' " ' ' Verletzung ' m Art. 3 KV enthalten nt, so liegt erne' .
mfo welches ' fern vor, als die Rekurrentin in Dispo-

lben 'eden alls ins _ss ' · . Tatker dels arkgefochtenen Entscheides
fur allfgllige nachweisbax infolge des bestehenden Stacheldrahtzaunes
entstehende Schaden

ti' und a tbar erklärt wurde; denn mit dieser Hast{ÎÎÎÎeÎÎ-ÎÎIÎJ clkat
der hRfegierungsrarZinT offensichtlich ins Gebiet ivilre ts e örende
Frage ent] ie en. _ · . ' desDHss derchReggiekungsrat durch das Gesetz
betreffend Tievolssigx torische Viehversichernng, vom 11. Mai 1.902, und
die eziägdzck Normalstatutents speziell durch Art. ib des Gesetzes un )
g 24 der Normalstatuten (nergl. oben Fakt. B}) zur Egits reein dung von
Zivilstreitigkeiten zwischen den Viehbesihem un skichs-en Nachbarn oder
zwischen den letztern und den Baucheng Willermächtigt worden sei, kann
nicht anerkannt werden- teIV. Unverletzlichkeit des Eigentums. N° 24. 147

ziehung des Viehversicherungsgesetzes, mit welcher der Regierungsrat
in Art. 16 dieses Gesetzes allerdings betraut worden ist, kann
selbstverständlich nicht in ein Gebiet übergreifen, welches im Gesetze
selber gar nicht behandelt wurde. Das Gesetz bezieht sich aber, wie schon
seine Überschrift bezeugt, lediglich auf die Bildung obligatorischer
Viehversicherungskassen und auf die Rechtsverhältnisse zwischen diesen
öffentlich-rechtlichen Instituten und ihren Mitgliedern. Demgemäss
enthält denn auch § 24 der Normalstatuten bloss eine Bestimmung über die
Erledigung von Streitigkeiten zwischen dem Gesellschaftsvorstande und
einzelnen Gesellschaftsmitgliedern, nicht aber auch von Streitigkeiten
zwischen Gesellschaftsmitgliedern und Dritten, oder zwischen solchen
Dritten einerseits und der Gesellschaft anderseits. Dabei mag übrigens
noch bemerkt werden, dass jene Normalstatuten als solche Überhaupt keine
Rechts-quelle darstellen, sondern, wie schon ihr Name zeigt, lediglich
dazu bestimmt sind, bei der Dekretierung konkreter Gesellschaftsstatuten
als Vorbild zu dienen.

Z. Entbehrt somit die in Dispositiv II des angesochtenen Entscheides
enthaltene Haftbarerklärung der Rekurrentin jeder verfassungsund
gesetzmässigen Grundlage, und bedeutet sie daher einen unzulässigen
Übergriff in das Gebiet der richterlichen Gewalt, so wird anderseits
gegenüber Dis-positiv I mit Recht der in Art. 8 KV aufgestellte Grundsatz
der Unverletzlichkeit des Eigentums angerufen.

Wie die Rekurrentin zutreffend ausführl, hat das Bundesgericht die in
den meisten Kantonsverfassungen, und so auch in derjenigen des Kantons
Glarus, enthaltene Eigentumsgarantie in ständiger Praxis dahin erläutert,
dass der Inhalt des Eigentums nur durch das objektive Recht bestimmt
werden kann, und dass daher eine Beschränkung der im Eigentum liegenden
Befugnisse nicht durch blosse Verwaltungsanordnung, sondern nur durch
eine auf gesetzlicher Grundlage ruhende allgemein verbindliche Norm
zulässig ist. Vergl. VGE 30 I S. 65 s. Nach den eigenen Ausführungen des
Regierung-states im augesochtenen Entscheide existiert nun aber im Kamen
Glarus keine gesetzliche Norm, wonach das Anbringen von Stacheldrahtzäunen
überhaupt oder speziell zur Abgrenzung von Grundstücke-n gegenüber
Viehroeiden, verboten wäre, sondern

148 A. Staatsrechtfiche Entscheidungen. W. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

nur ein Gewohnheitsrecht", welches sich indessen lediglich auf die
Abgrenzung des Privateigentums gegenüber öffentlichen Strassen bezieht
und daher schon aus diesem Grunde hier ausser Betracht fällt. Wenn nun
auch zuzugeben ist, dass unter Umständen Gründe der Sicherheitspolizei
eine die Ausübung des Eigentums beschränkende, gesetzlich nicht
vorgesehene Massregel zu rechtfertigen vermögen (vergl. BGE 20 S. 796
f. Erw. 2), so ist dies doch jedenfalls nur in Fällen unmittelbarer
Gefahr anzunehmen (ganz abgesehen von der Frage, ob nicht auch eine
Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen erforderlich
wäre). Dass nun aber im vorliegenden Falle von einer unmittelbaren Gefahr
nicht gesprochen werden kann, ergibt sich sowohl daraus, dass gegen die
Stacheldrahteinfriedigung ursprünglich weder von den Gemeindebehörden,
noch von der Kantonsregierung, noch endlich vorn eidgenbssischen
Eisenbahndepartement Einwendungen erhoben worden waren, als auch
namentlich daraus, dass der Regierungsrat im angesochtenen Entscheide
selber nicht die s ofortige Beseitigung des Stacheldrahtzaunes verfügt,
sondern der Rekurrentin hier eine Frist von anderthalb Jahren eingeräumt
hat.

4. Jst nach dem Gesagten der Rekurs wegen Verletzung der Eigentumsgarantie
jedensalls insoweit begründet, als er sich gegen Dispositiv I des
regierungsrätlichen Entscheides richtet, und ist er anderseits, wie in
Emy. 2 ausgeführt, wegen Verletzung des Prinzips der Gewaltentrennung
auch insoweit begründet, als er sich gegen Dispositiv II Satz 1 richtet,
so braucht weder untersucht zu werden, ob ausserdem Dispositiv II
Satz î auch eine Verletzung der Eigentumsgarantie, noch ob umgekehrt
Dis-positiv I auch eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung
enthalte. Nicht einzutreten ist ferner bei dieser Sachlage auf den
nebenbei geltend gemachten Rekursgrund der Verletzung von Art. 5 Abs. 3
KV (wonach niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden darf);
und endlich kann auch die Frage unentschieden bleiben, ob Dis-positiv I
einen Übergriff in die Kompetenzen Von Bundesbehörden, insbesondere des
Bundesrates, enthalte und ob das Bundesgericht von diesem Gesichtspunkte
aus zur Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheides kompetent wäre
(vergl. hierüber Stu-Mi, Koinpetenzausscheidung zwischen Bund und
KantonenIV. Unverletzlichkeît des Eigentums. h 24. 149

auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, S. 147, und Salis, Bundesrecht
(zweite AuslageJ II Nr. 327 S. 61).

5. Was endlich Dispositiv II Satz 2 des angefochtenen Entscheides
betrifft, so könnte es zunächst fraglich erscheinen, ob die Rekurrentin
zur Anfechtung dieses Teils der regierungsrätlichen Schlussnahme überhaupt
legitimiert sei; denn aus den ersten Blick scheint es sich hier lediglich
um die Regelung eines Rechtsverhältnisses zwischen den Besitzern oder
Bewerbern (sollte wohl heissen Erwerbern) der an die Vraunwaldbahu
anstossenden Liegenschasten einerseits und der Viehversicherungskasse
anderseits zu handeln. Abgesehen davon jedoch, dass der Regierungsrat in
seiner Reknrsantwort die Legitimation der Braunwaldbahn zum Rekurse nicht
bestritten hat, ist zu bemerken, dass durch die Worte Ja diesem Sinne,
mit welchen Dispositiv II Satz 2 eingeleitet wird, die rekursbeklagte
Behörde den Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teile von
Dispositiv II selber hergestellt hat.

Diese Verquickung der Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen der
Versicherungskasse und ihren Mitgliedern mit der Regelung des zwischen
der Rekurrentin und dem Anwänder Heiz entstandenen Streites, sowie
mit dem Rechtsverhältnis zwischen der Rekurrentin einerseits und der
Versicherungskasse anderseits-, rechtfertigt es, die Rekurrentin als
zur Anfechtung des ganzen regierungsrätlichen Entscheides legitimiert
zu betrachten, und lässt es auch materiell angezeigt erscheinen,
den angesochtenen Entscheid in globo aufzuheben, womit jedoch nicht
etwa gesagt sein soll, dass der Regierungsrat gegebenen Falles zur
Entscheidung von Streitigkeiten zwischen der Versicherungskasse und
einzelnen Versicherten über die Vergütung von Schaden, der durch den
Stacheldrahtzaun verursacht werden könnte, nicht kompelent ware.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird begründet erklärt und der Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Glarus vom 26. November 1908 aufgehoben
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 35 I 139
Datum : 17. März 1909
Publiziert : 31. Dezember 1909
Quelle : Bundesgericht
Status : 35 I 139
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 138 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen. einmal


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • eigentum • frieden • kantonsverfassung • einfriedung • bundesgericht • frage • gewaltentrennung • eigentumsgarantie • kv • augenschein • vieh • schaden • einwendung • ersetzung • verwaltungsrat • gemeinde • norm • zweifel • eisenbahngesetz
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