Zivîlgerichtsinstanz.
handen, dass dabei nicht auch eine dem Art. 7 des EHG von 1875
entsprechende Bestimmung Platz greifen sollte. Statt die Vorschriften des
EHG zu reproduzieren oder darauf zu verweisem lag es nahe, für den Umfang
der Haftung auf das seit Erlass des erstern Gesetzes ins Leben getretene
Schadenersatzrecht des OR abzustellen, das dann in dieser Beziehung
auch als Grundlage des neuen EHG von 1905 gedient hat. Und dieser Weg
wurde mit dem Hinweis auf das OR in Art. 36 Abs. 1 eingeschlagen, ohne
Frage in der Meinung, dass dadurch die Haftpflicht wesentlich wie bei
den Eisenbahnen und jedenfalls für den Verechtigten nicht ungünstiger
als dort geregelt, und insbesondere auch der gerade dem Art. 7 des
EHG von 1875 nachgebildete Art. 54
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 54 - 1 Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
|
1 | Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
2 | Hat jemand vorübergehend die Urteilsfähigkeit verloren und in diesem Zustand Schaden angerichtet, so ist er hierfür ersatzpflichtig, wenn er nicht nachweist, dass dieser Zustand ohne sein Verschulden eingetreten ist. |
(s. Botschaft S. 31, Stenogr. BW. 1900 S. 661 und 380). Es wäre in der
Tat eine befremdliche Anomatie, für die keine Rechtfertigung ersichtlich
ist, wenn der schon im alten EHG für besondere Fälle vorgesehene und im
neuen Gesetz (Art. 8) in feinem Anwendungsgebiet noch erweiterte Ersatz
des sogenannten immateriellen Schadens (Genugtuungsfuntme) nicht auch
für die nach Grund und Zweck der Eisenbahnhaftpflicht durchaus verwandte
Haftpflicht des Inhabers elektrischer Stromanlagen (gegenüber Dritten)
gelten und wenn in dieser Hinsicht die letztgenannte Institution sogar
hinter dem gemeinen Recht (Art. 54
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 54 - 1 Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
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1 | Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
2 | Hat jemand vorübergehend die Urteilsfähigkeit verloren und in diesem Zustand Schaden angerichtet, so ist er hierfür ersatzpflichtig, wenn er nicht nachweist, dass dieser Zustand ohne sein Verschulden eingetreten ist. |
Bemessnng der Entschädigung darf daher nicht enge im Sinne der Festsetzung
des erstattungsfähigen ökonomischen Schadens verstanden werden, sondern
es ist ihm nach Entstehungsgeschichte und ratio des Gesetzes die weitere
Bedeutung beizulegen, dass er sich auch auf die Genugtuungssumme nach
Art. 54
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 54 - 1 Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
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1 | Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
2 | Hat jemand vorübergehend die Urteilsfähigkeit verloren und in diesem Zustand Schaden angerichtet, so ist er hierfür ersatzpflichtig, wenn er nicht nachweist, dass dieser Zustand ohne sein Verschulden eingetreten ist. |
Unterart unter den allgemeinen Schadens-begriff fällt.
6. Jst Art.54
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 54 - 1 Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
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1 | Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teilweisem oder vollständigem Ersatze verurteilen. |
2 | Hat jemand vorübergehend die Urteilsfähigkeit verloren und in diesem Zustand Schaden angerichtet, so ist er hierfür ersatzpflichtig, wenn er nicht nachweist, dass dieser Zustand ohne sein Verschulden eingetreten ist. |
sein, dass die Voraussetzungen für die Zusprache einer angemessenen
Geldsumtne neben dem Ersatz des erweislichen Schadens im vorliegenden Fall
gegeben sind. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz muss mit dieser ein Verschulden des Personals der Beklagten
in der Herbeiführung des Unfalles, für das die letztere nach Art. 34
Abf. 1V. Obligafionenrecht. N° 72. 623
leg. cit. etnzustehen hat, und zwar ein erhebliches, grobes Verschulden,
bejaht werden. Es genügt, wenn in dieser Beziehung auf die durchaus
zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen wird. Die Höhe der
Genugtuungssumme ist unter Berücksichtigung aller Verhältnisse -Grösse des
Verschuldens der Beklagten, Schwere des Verlustes für die Eltern auf je
1500 Fr. fur jeden Elternteil zu bestimmen Die gesamte Unfallentschädigung
ist daher auf 3500 Fr. lohne die nicht mehr streitigen Beerdigungs-·
kosten) zu erhöhen, in welchem Sinne die Hauptberusung des Klägers
teilweise gutzuheissen ist. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Die Hauptberufung des Klägers wird dahin teilweise gingeheissen, dass
unter Abänderung des Urteils des Obergerichts Obwalden die Entschädigung,
welche die Beilagte dem Kläger (ausser den Beerdigungskosten von 236
Fr. 50 Cts.) zu bezahlen hat, auf 3500 Fr., nebst 5 0/0 Zins seit
31. Oktober 1905, erhöht wird. Die-Anschlussberufung der Beklagten
ist abgewiesen.
V. Oblig-ationenrecht. Droit des obligations.
72. gute vom 16. Oktober 1908 in Sachen ,Mani, Kl. u. Ber.-Kl., gegen
Erben Fraglia, Bekl. u. Anschl.-Ber.-Kl.
Abgeurteiiie Sache. Stelitmg ties Bundesgerichts ais Berufungsinstanz.
Nichtidentitd't der einem freigesprochenen Angeklagten van Staates
wegen (i. c. 1471.36? bei-n. StrV) zugesprochen-ne Entschädigung mit dem
Ansprechs aus Art-. 50 seen-i 55 OR gegen den Dennunze'anten. -Schuldhafte
und widerrechtliche Strafanzeige ? Entschädigung aus einer solchen.
A. Durch Urteil vom 16. Mai 1908 hat der Appellationsund Kassationshof
des Kantons Bern (II. Abteilung) über das Rechts-begehren :
AS 34 It 1908 ' 41
624 A. Entscheidungen des Bundesgerichis als oberster Zivilgerichtsinstanz
Der Beklagte sei schuldig und zu verurteilen, dem Kläger angemessene
Entschädigung zu bezahlen; es sei die Entschädigungssumme durch das
Gericht aus 3000 Fr. zu bestimmen und vom 30. August 1905 an zu 50/0
verzinsbar zu erklären,
egkannn
Dem Kläger ist sein Klagsbegehren zugesprochen in dem Sinne, dass
die Entschädigung, welche ihm die beklagte Partei zu bezahlen hat,
festgesetzt wird auf 200 Fr. nebst Zins à 50/0 seit 15, Juni 1906;
soweit das Klagsbegehren weiter geht, istder Kläger damit abgewiesen.
B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig und formrichtig die
Berufung an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag auf Zuspruch
der Klage in vollem Umfange. Die Beklagten haben sich der Berufung
rechtzeitig und formrichtig angeschlossen mit dem Begehren aus Abweisung
der Klage. Eventuell haben die Beklagten Bestätigung des angefochtenen
Urteils beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Am 3. Dezember 1904 wurde Giovanni Battista Traglio, der
Rechtsvorgänger der Beklagten, das Opfer eines von zwei unbekannten
Männern verübten Mordoersuches, bei welchem er 15 Messerstiche
erhielt. Unmittelbar nach dein Vorfall erklärte er, die Urheber des
Attentates seien zwei ihm völlig unbekannte Männer gewesen.
Jm Laufe des Monates Februar 1905 machte Traglio, der längere Zeit an
seinen Verletzungen darniedergelegen, einem Polizeidiener die Mitteilung,
er habe einen der Täter in der Strasse gesehen und denselben sofort
als solchen wiedererkanntz es handelte sich dabei um den später mit
dem heutigen Kläger Giuseppe Airoldi in Untersuchung gezogenen Marco
Rezzonico.
Am 26. Februar 1905 fand in einer Wirtschaft eine Steigerung statt,
an welcher sich nebst Traglio auch mehrere Berufsgenossen desselben
einfanden. Es traten nun auch Marco Mezzo: nico und Giuseppe Airoldi
in die Wirtschafi, worauf Traglio sich darnach erkundigte, wer sie
seien. Er erhielt die Antwort, es seien Schreiner, welche bei einem
gewissen Besozzi in Arbeit stünden. Am darauffolgenden Tage machte
Traglio den Behörden Mitteilung, dass er in Airoldi und Rezzonico die
Urheber jenes Atten-V. Obligationenreeht. N° 72. 625
tates wiedererkannt habe. Mit Airoldi konfrontiert, gab er seiner
Uberzeugung von der Täterschaft desselben in einer Weise Ausdeu-Î, dass,
wie die Vorinstanz erklärt, die Anwesenden nicht daran zweifeln konnten,
dass er in bester Treue den Airoldi als einen der Urheber des Uberfalles
vom 3. Dezember 1904 betrachte.
Daraufhin wurden Airoldi und Rezzonieo verhaftet, und zwar Airoldi
am 27. Februar 1905. Am 15.Juli 1905 wurden beide durch Beschluss der
Anklagekammer den Assisen des IV. Geschwornenbezirks Überwiesen unter
Anklage auf Raub.
Die Assisenverhandlung fand am 8. und Q.. August 1905 statt und
endigte, insbesondere mit Rücksicht auf den gelungenen Alibi: beweis,
mit der Freisprechung der beiden Angeklagten. Im Anschluss an dieses
freisprechende Urteil erkannte die Kriininalkammer in Anwendung von
Art. 365, 368 und 367 des Gesetzbuches uber das Verfahren in Strafsachen:
1) Die Kosten des Verfahrens, bestimmt auf 844 Fr., werden dem Staate
auferlegt.
2) Die Zivilpartei G Traglio wird mit ihrem Entschädigungsbegehren
abgewiesen und zu den Verteidigungskosten der freigesprochenen
Angeschuldigten Airoldi und Rezzonico verurteilt, welche bestimmt werden
für jeden derselben auf 100 Fr. ss
3) Einem jeden der freigesprochenen Angeschuldigten wird eine
Entschädigung zugesprochen, bestimmt auf 300 Fr., auszurichten durch
den Staat.
4) Der Kläger und Zivilpartei Traglio wird haftbar erklärt stir die vom
Staate an die freigesprochenen Angeschuldigten Airoldi und Rezzonico zu
zahlenden Entschädigungen von zusammen 600 Fr.
Art. 36? StrV lautet:
Der Angeschuldigte kann nur gegen den Staat Entschädigungsansprüche
erheben.
Die Anzeiger und Klager, wenn sie nicht Angestellte der gerichtlichen
Polizei sind, haften jedoch für die von dem Staate nad; Mitgabe dieses
Artikel-s gezahlten Entschädigungen, wenn es sich aus den Umständen
ergibt, dass sie leichtsinnig oder gefährdevoll gehandelt haben.
Gestützt auf diese Tatsachen erfolgte die vorliegende Klage mit dem oben
sub A wiedergegebenen Rechts-begehren
626 A.. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster
Zivilgerichtsinstanz.
2. In rechtlicher Beziehung ist vor allem zu untersuchen, ob der
Beurteilung des vorliegenden Anspruches der Umstand entgegenstehe,
dass dem Kläger bereits durch das Urteil der Kriminal: kammer eine
Entschädigung zugesprochen wurde. Zwar ist die Einrede der abgeurteilten
Sache von den Beklagten vor Bundesgericht nicht mehr erhoben worden;
da es sich indessen um den Grundsatz ne bis in idem handelt, so ist die
obige Frage von Amtes wegen zu prüfen.
Dabei ist davon auszugehen, dass die Einrede der abgeurteilten Sache
insofern materiellrechtlicher Natur ist, als es sich darum handelt,
ob die beiden in Frage stehenden Ansprüche identisch seien und ob auch
Identität der Parteien vorliege, während es dagegen allerdings eine
prozessrechtliche Frage ist, ob das Urteil, aus welchem die Einrede
hergeleitet wird, in Rechtskraft erwachsen sei, oder nicht. Vergl. AS 16
S. 768 Erw. Z; 17 S. 327 f, Erw. 2; 30 II S. 543; 31 II S. 164 f. Erw. 5,
sowie Urteil des Bundesgerichts vom 23. Februar 1907 i. S. Sigrist und
Jsenegger gegen Steffen. Da nun das sub 1 hievor wiedergegebene Urteil
der Kriminalkammer feststehendermaszen in Rechtskraft erwachsen ist, so
handelt es sich bei der Einrede der abgeurteiltett Sache im vorliegenden
Falle nur um obige beiden materiellrechtlichen Fragen (betreffend
Jdentität des Anspruchs und betreffend Jdentität der Parteien). Und
da derjenige Anspruch, welchem die Einrede der abgeurteilten Sache
entgegengestellt wurde, ein solcher des eidgenössischen Rechtes ist,
so ist das Bundesgericht zur Prüfung jener beiden Fragen kompetent.
Was nun zunächst die Jdentität des Anspruchs betrifft, so beruht
der heute erhobene Anspruch auf Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. |
|
1 | Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. |
2 | Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt. |
3 | Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30 |
|
1 | Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30 |
2 | Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist. |
Kriminalkammer behandelte dagegen aus Art. 367 Abs. 1 der kantonalen
Strafprozessordnung. Diese beiden Normen sind nicht nur äusserlich,
sondern auch ihrer innern Natur nach verschieden Denn während Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. |
|
1 | Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. |
2 | Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt. |
3 | Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat. |
und 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30 |
|
1 | Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30 |
2 | Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist. |
voranssetzen, ist in obiger Bestimmung der bernischen Strafprozessordnung
von Verschulden nicht die Rede; aus Abs. 2 desselben Artikels ist sogar
ersichtlich, dass der Staat auch dann haftet, wenn die gegen einen
Unschuldigen vorgenommene Strafuntersuchung nicht auf ein Verschulden
der staatlichen Organe, sondern auf ein Verschulden des
oV. Ohligationenrecht. N° 72. 62?
Anzeigers oder Strafklägers zurückzuführen ist. Handelt es sich also
bei der in Art. 367 Abs. 1 StrV vorgesehenen Haftung des Staates nicht
um eine Haftung ans Verschulden, so liegt hier offenbar nicht nur eine
abweichende Vorschrift- im Sinne von Art. 64
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 64 - Die Rückerstattung kann insoweit nicht gefordert werden, als der Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, es sei denn, dass er sich der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder doch mit der Rückerstattung rechnen musste. |
die Regelung eines öffentlichrechtlichen Ansprnches
Wie dem jedoch sei, jedenfalls kann von res judicata im vorliegenden
Falle schon deshalb nicht gesprochen werden, weil durch das Urteil
der Kriminalkammer nur dem Staat eine Entschädigungspflicht auferlegt
wurde, der heute streitige Anspruch aber gegen die Erben des Anzeigers
oder Strafklägers gerichtet ist, sodass es also auf alle Fälle an
dem Erfordernis der Jdentität der Parteien fehlt. Jst somit jener im
Urteil der Kriminalkammer enthaltene Zuspruch einer Entschädigung von
300 Fr. kein Grund, aus die Beurteilung des vorliegenden Anspruches
nicht einzutreten, so wird dagegen allerdings gegebenen Falles bei der
Bemessung der dem Kläger noch zuzusprechenden Summe der ihm bereits früher
zugesprochene Betrag zu berücksichtigen sein; denn wenn gleich der heute
geltend gemachte und jener frühere Anspruch rechtlich verschiedener
Natur sind, so ist ihr Gegenstand doch der Ersatz eines und desselben
Schadens; mehr als dieser Schaden beträgt, darf aber im ganzen nicht
zugesprochen werden.
3. In der Sache selbst ist zunächst als feststehend zu betrachten, dass
der heutige Kläger an dem gegen den Rechtsvorgänger der Beklagten verübten
Attentate unbeteiligt war; denn abgesehen davon, dass die Beklagten
selber eine gegenteilige Behauptung im vorwürsigen Zivilprozesse nicht
aufgestellt haben, liegt in dieser Beziehung eine nichts weniger als
aktenwidrige tatsächliche Feststellung des kantonalen Richters vor.
Steht somit die Unschuld des Klägers an dem ihm s. Z. von
_ Traglio zur Last gelegten Verbrechen fest, so fragt es sich mm,
ob jene Anklage dem Rechtsvorgänger der Beklagten zum Verschulden
anzurechnen sei, d. h. ob Traglio nach den Umständen, unter welchen er
die Anzeige erstattete, hinreichenden Grund für sein Vorgehen hatte, ob er
gewusst habe oder bei der ihm zuzumutenden Aufmerksamkeit und Überlegung
habe wissen müssen, dass seine Behauptungen unstichhaltig seien.
4. In dieser Beziehung ist nun mit der Vorinstanz vorerst als
628 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster
Zivilgerichtsinstanz.
auffallend zu bezeichnen, dass Traglio anfänglich erklärt hatte,
die beiden Urheber des Raubmordversuches seien ihm völlig unbekannt,
während er seit der am 27. Februar 1905 erfolgten Konstitutation mit
Airoldi darauf beharrte, dieser und Rezzonico seien die Täter gewesen,
und am 3. März 1905 sogar erklärte, er habe sofort den einen sowohl
als den andern als Arbeiter erkannt, die er etwa zwei Jahre vorher
dei Besozzi gesehen habe. Auffallend ist auch die Verschiedenheit der
Gründe, welche Traglio für dieses widerspruchsvolle Verhalten angabx
das eine Mal behauptete er, es sei ihm erst lange nach der Tat wieder
in den Sinn gekommen, dass er die beiden früher bei Besozzi gesehen;
das andere Mal aber erklärte er, er habe die Täter zwar bereits erkannt,
als kurz nach dem Attentat Polizeidiener sich bei ihm einfanden, habe
aber nichts gesagt, weil er glaubte, die beiden seien schon längst aus
dem Bereiche der Justiz. Auffällig ist sodann auch das Benehmen Traglios
in dein Momente, wo er, wie er nachher behauptete, Airoldi und Rezzonico
wiedererkanntez höchst auffällig endlich der Umstand, dass Traglio sich
bei dem Signalement der beiden beständig in Widersprüche verwickelte. Wenn
auch mit der Vorinstanz anzunehmen ist, dass die Handlungsweise Traglios
insofern keine dolose war, als ihm die Absicht ferne lag, Unschuldige
auf die Anklagebank zu bringen, so ist doch die Vermutung nicht von
vorneherein zurückzuweisen, dass Traglio, nachdem er einmal glaubte,
es mit den wirklichen Tätern zu tun zu haben, in feiner Leiden-
schaft sich dazu hinreissen lieg, über einzelne Punkte sogar sub
jektiv unwahre Angaben zu machen, wie denn anch die Vorinstanz
konstatiert, dass Traglio während der Assisenverhandlung nicht einmal
überall bei der Wahrheit- blieb, sodass sich der Assisenpräsident
zu einer bezüglichen Bemerkung veranlasst sah. Im übrigen beruht die
Ansicht der Vorinstanz, dass Traglio fahrlässig gehandelt habe, auf
einem umfangreichen und sorgfältig zusammengestellten Beweismaterial,
insbesondere auf den Zeugenaussagen zahlreicher Magistrate und Beamten,
welche das Verhalten Traglios während des Assisenprozesses sowohl
als während der Voruntersuchung aus unmittelbarer Nähe zu beobachten
Gelegenheit hatten. Es macht daher das von der Vorinstanz auf Grund
dieses Prozessstosfes gewonnene Resultat einen durchaus überzeugenden
EindruckV. Ohiigationenrecht. N° 72. 629
5. Aus dem gesagten ergibt sich, dass die Beklagten als Rechtsnachfolger
Traglios dem Kläger gegenüber für den demselben zugefügten moralischen
und materiellen Schaden aufzukommen haben. Dabei ist, entgegen einer
Bemerkung in der Berufungsschrift des Klägers, als Schadensfaktor der
Umstand anszuschalteu, dass sich Traglio im Strafprozess als Zivilpartei
konstituiert hatte. Nicht nur lag hierin keine unerlaubte Handlung,
wie der Kläger annimmt, sondern es sind die Folgen dieses prozessualen
Verhaltens durch Zuspruch einer Entschädigung für die Verteidigungskosten
Airoldis bereits ausgeglichen
Was zunächst den materiellen Schaden betrifft, so ist derselbe von
der Vorinstanz mit Recht auf den mutmasslichen Verdienstausfall
des Klägers während der Dauer der Untersuchungshaft, unter
Abzug eines mässigen Betrages (70 Cis per Tag) für Verpflegung
festgesetzt worden. Klägerischerseits ist diese Rechnung mit der
Motivierung angefochten worden, es habe der mit der Feststellung
des Verdienstausfalles betraute Experte bei der Ermittlung des
durchschnittlichen Verdienstes des Klägers die Sonnund Festtage abzuziehen
unterlassen. Allein hierin könnte nur dann ein Fehler erblickt werden,
wenn anderseits bei der Berechnung der Anzahl Tage, für welche dem Kläger
eine Entschädigung für Verdienstausfall gebührt, die Sonnund Festtage
in Abzug gebracht worden waren; dies ist jedoch nicht der Fall. Der
Kläger hat sodann geltend gemacht, es hätte nicht der mutmassliche,
sondern der mögliche Verdienstausfall vergütet werden sollen, maW es
hätte nicht darauf Rücksicht genommen werden sollen, dass der Kläger
tatsächlich bei weitem nicht alle Werktage zur Arbeit zu benutzen pflegte;
denn es gebühre dem Kläger auch für den Entzug der Freiheit an den Tagen,
an denen er nicht gearbeitet hatte, eine Entschädigung Demgegenüber ist
zu bemerken, dass das letztere Moment, der Freiheitsentzug, für sich
genommen, bei der Entschädigung für tori, moral zu berücksichtigen sein
wird. Endlich ist, sowohl was die beiden erwähnten, als auch was die
übrigen Aussetzungen des Klägers am Gutachten des Ersperten betrifft,
darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Akten ergibt, die Parteien
am 11. Juni 1907, nachdem sie den Expertenbericht eingesehen hatten,
übereinstimmend erklärt haben, es werde dieser Bericht genehmigt,
obschon er im einseitigen Auftrag der einen
630 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster
Zivilgerichtsinstanz.
Partei (übrigens des Klägers) und ohne Beiziehung der andern Partei
abgefasst worden sei.
Bei dieser Sachlage ist mit der Vorinstanz der dem Kläger erwachsene
materielle Schaden ans 391 Fr. zu beziffern.
6. Was die Entschädigung für tori: moral betrifft, so ist, wie bereits
angedeutet, hier die vom Kläger erlittene mehr als fünfmonatliche
Untersuchungshaft insofern zu berücksichtigen, als sie für den Kläger,
ausser dem durch sie bewirkten Verdienstausfall, auch noch eine bedeutende
moralische Schädigung zur Folge hatte. Musste der Kläger diese Haft schon
an sich, als Freiheitsentzug, schmerzhaft empfinden, so gestaltete sich
dieselbe deshalb zu einer ganz besonders ernstlichen Verletzung seiner
persönlichen Verhältnisse, weil sie mit der Anklage auf Raubmordversuch
verbunden war und der Kläger also vor aller Welt als ein gemeiner und
gefährlicher Verbrecher hingestellt wurde. Wenn auch in der Folge dem
Kläger der Beweis feiner Unschuld gelang, so bleibt er doch nach dem
Erfahrungssatz semper aliquid haeret zeitlebens moralisch geschädigt,
dies um so mehr, als die wahren Urheber jenes Attentates bis heute noch
nicht entdeckt werden konnten. Was aber den seelischen Schmerz betrifft,
welchen der Kläger während des Strafverfahrens empfunden haben muss, so
darf derselbe namentlich auch deshalb nicht unter-schätzt werden, weil,
wie die Vorinstanz feststellt, dem Kläger der Alibibeweis, ohne den er bei
den so überaus belastenden Aussage-n Traglios möglicherweise trotz seiner
faktischen Unschuld verurteilt worden ware, erst in einem relativ späten
Stadium des Prozesses gelang, sodass der Klager also offenbar längere Zeit
von dem Gedanken gequält sein musste, unschuldig verurteilt zu werden.
Liegt somit hier eine der denkbar grössten moralischen Schädigungen
vor, so ist anderseits allerdings auch der Zustand der Erregung zu
berücksichtigen, in welchem sich Traglio nach dem auf ihn verübteu
Mordverfuch befunden haben muss, ganz abgesehen davon, dass er durch die
erhaltenen 15 Messerstiche möglicherweise nicht nur körperlich, sondern
auch geistig geschwächt worden war. Dagegen darf bei der Bemessung der
Entschädigung nicht darauf abgestellt werden, dass der Kläger infolge
seines etwa-Z leichten Charakters für die ihm zugefügte Unbill offenbar
wenigerV. Obligationenrecht. N° 72. 631
empfindlich gewesen sei. Solche Erwägungen können allenfalls bei geringen
Ehrverletzungen gerechtfertigt sein; wo aber, wie hier, ein Unschuldiger
des Raubmordversuches, akfo eines der schwersten Verbrechen, die es
überhaupt gibt, beschuldigt und unter dieser Anschuldigung monatelang
in Untersuchungshaft gehalten und dann den Assisen überwiesen wurde, da
ist das empfundene seelische Leid derart gross, dass es nicht zulässig
erscheint, die Entschädigung mit Rücksicht auf allfällige Charaktersehler
des Opfers zu kürzen.
Nun hat die Vorinstanz allerdings erklärt, sie betrachte die moralischen
Defekte des Klägers als nicht geeignet, die ihm zugefügte Unbill in einem
wesentlich milderen Lichte erscheinen zu lassen. Trotzdem hat sie aber dem
Kläger zu den früher erhaltenen 300 Fr. nur noch 200 Fi. als Entschädigung
zuerkannt, sodass der Kläger insgesamt nicht mehr als 500 Fr. erhalten
würde, und also, da der materielle Schaden 391 Fr. beträgt, für tort
moral nur 109 Fr. Dass dies eine mit der erlittenen Unbill in gar keinem
Verhältnis stehende Entschädigung ist, bedarf keiner weitern Ausführung
Selbst in Fällen, in welchen eine Anschuldigung keine Untersuchungshast
zur Folge hatte, wurden bis jetzt stets, sofern es sich, wie hier, um
Anschuldigungen wegen eines angeblich verübten Verbrechen-Z handelte,
bedeutend höhere Entschädigungen zugesprochen. Die im vorliegenden Falle
zuerkannte Entschädigung ist daher beträchtlich zu erhöhen,und zwar
erscheint es als angemessen, die dem Kläger noch (d. h. über die bereits
erhaltenen 300 Fr. hinaus) zu bezahlende Entschädigung aus insgesamt
(inklusive materiellen Schaden) 800 Fr. festzusetzen.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Jn teilweiser Gutheissung der Hauptberusung und in Abweisung der
Anschlnssberufung wird das Urteil des Appellationsund Kasfationshofes
des Kantons Bern (H. Abteilung) vom 16. Mai 1908 dahin abgeändert, dass
die dem Kläger von den Beklagten noch zu bezahlende Entschädigung auf
800 Fr. festgesetzt wird.