288 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

IV. Gerichtsstand des Wohnortes. For du domicile.

41. Arieil vom 5. april 1906 in Sachen Mathigegen géneflmaW-gnathts.

Persönliche Ansprache: Klage aus Kaufe-ertrag auf Anteil (me

Mehrerlöse des W eiteresserkasieefes einer Liegenschaft, die den Nachlass
des ursprünglichen Verkäufers gebildet hat. K lage obligatimwm'echt-licher
oder erbrecietlicher Nee-tur .?

A. Durch Kaufvertrag vom 12. April, gefertigt am 26. April

1889, verkaufte Hans Mathis, Vater, in Zizers seinem Sohne-

Johann Mathis in Luzern, dem Rekurrenten, sein Heimwesen zum Bild in
Zizers zum Preise von 10,000 Fr. Der Käuser hatte die aus der Liegenschast
haftenden Schulden im Betrage von 6167 Fr. 75 Cis. zu übernehmen; der
Kausrest war nicht zu bezahlen, sondern der Vertrag bestimmte diessalls,
dass beim Weiterverkauf des Heimwesens durch den Rekurrenten ein sich
ergebender Mehrerlös und Überschuss über die zur Zeit noch aus dem
Heimwesen lastenden Hypothekarschulden und der vom Käuser

daran geleisteten Zahlungen mit Zustimmung des Käufers unteralle seine
Geschwister gleichmässig verteilt werden soll. Der Vater

Mathis starb noch im Jahre 1889. Mit Vertrag vom 12. Januar 1898 verkaufte
der Rekurrent das Heimwesen zum Bild

in Zizers an Johann Friedrich Felix daselbst zum Preise von

12,000 Fr. Der Käufer hatte die erste Hypothek von 5500 Fr.
zu übernehmen, 2000 Fr. dem Rekurrenten bar zu bezahlen und

den Rest von 4500 Fr. aus das Kaufsobjekt hypothekarisch

sicherzusiellen und zunächst an die Mutter des Rekurrenten, Frau

Margaretha Mathis, und nach deren Ableben an den Rekurrenten

zu verzinsen.

Am 8. Oktober 1905 liess die Rekursbeklagte Frau Schnell-mann-Mathis
in Rapperswil, eine Schwester des Rekurrenten, diesen, der
unbestrittenermassen in Luzern wohnt und aufrechtstehend ist, aus den
13. Oktober vor Vermittleramt V Dörser nach Trimani? laden betrefsend
Forderung aus einem Kauf-pertrag." Gemeint war der Anspruch der
Rekursbeklagten aus ihrenlV. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 41. 289

Anteil an dem vom Rekurrenten beim Wiederverkaus des Heimwesens zum Bild
erzielten Mehrerlös gemäss dem Kausvertrag vom Jahre 1889 zwischen dem
Vater Mathis und dem Rekruxenten. Nachdem der Rekurrent der Vorladung
keine Folge gegeben hatte, liess ihn die Rekursbeklagte in der bewussten
Streitsacheii am 15. Oktober neuerdings auf den 18. Oktober laden, Unter
der Androhung, dass bei Richterscheinen ohne weiteres der Leitschein
ausgestellt werde.

B. Mit Rekursschrift vom 18. Oktober 1905 hat der Rekurrent beim
Bundesgericht sich über die genannten Ladungen als Art. 59 VV verletzend
beschwert und beantragt, sie seien samt dem eventuell ausgestellt-en
Leitschein aufzuheben Zur Begründung wird vorgebracht, dass es sich bei
dem Anspruch, den vie Rekursbeklagte gerichtlich geltend machen wolle,
um eine persönliche Ansprache handle, für die der Rekurrent an seinem
Wohnort Luzern zu suchen sei.

C. Die Rekursbeklagte hat auf Abweisung des Rekurses angetragen und
ausgeführt: Es handle sich nicht um eine rein persönliche, sondern
um eine Ansprache erbrechtlicher Natur. Das dem Rekurrenten verkaufte
Heimwesen zum Bild sei einziger Bestandteil des väterlichen Vermögens
gewesen. Der Mehrerlös des Rekurrenten beim Weiterverkauf habe daher
die reine väteriiche Verlassenschaft gebildet, die laut Kausvertrag vom
Jahre 1889 unter den Geschwistern als Erben gleichmässig zu verteilen
sei. Alle bisherigen Versuche, zu einer gütlichen Teilung der väterlichen
Erbschaft zu gelangen, seien erfolglos gewesen, weshalb sich die
Rekursbeklagte genötigt gesehen habe, für ihren Teil gerichtliche Teilung
zu verlangen. Das für den Sühneversuch bereit gehaltene Rechtsbegehren
laute aus Anerkennung des Anteilrechts der Rekursbeklagten an der
väterlichen Erbschaft, her-rührend aus dem Verkauf des Heimwesens zum Vil
vom 12. Januar 1898 an Johann Friedrich Felix. Wegen ihrer erbrechtlichen
Natur falle die vorliegende Streitigkeit nicht unter die Garantie des
Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV, sondern sei nach Art. 27
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 27 Ansprüche der unverheirateten Mutter - Für Ansprüche der unverheirateten Mutter ist das Gericht am Wohnsitz einer der Parteien zwingend zuständig.
der bündnerischen ZPO am letzten
Wohnsitz des Erblassers zu Beurteilen. Eventuell habe man es mit einem
Anspruch aus einem im Streitfalle dem forum ss rei sitæ unterliegenden
Anspruch aus einein Liegenschaitskaus zu iun. Ferner laste der streitige
Betrag bis zur Höhe von 4500 Fr. auf der Liegenschast zum Bild. Bezüglich
der Hypothek in diesem

290 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Betrage bestehe ein, vom Rekurrenten allerdings bestrittenes Recht der
Geschwister Mathis auf Miteigentum.

D. Zn der Replik hat der sRekurrent verneint, dass es sich um eine
erbrechtliche Streitigkeit handle. Beansprucht von der Rekursbeklagten
werde nicht die Teilung einer Erbschaft, sondern ein Anteil am Mehrerlös
aus der Liegenschaft laut Kaufvertrag vom Jahre 1889. Eventuell habe
man es mit einem Abwehnungsstreit zu tun, für den der ordentliche
Wohnsitz-Gerichtsstand des Rekurrenten gelte. Sodann wird darauf
verwiesen, dass Forderungen aus Liegenschaftskäufen nicht dinglicher,
sondern persönlicher Natur seien. Endlich wird bestritten, dass der
Anspruch dev' Rekursbetlagten auf der Liegenschaft versichert sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Da der Rekurrent sein festes Domizil in Luzern hat und aufrechtstehend
ist ist er für persönliche Ansprachen gemäss derin Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV enthaltenen
Garantie des Wohnsitz-Gerichtsstandes daselbst zu suchen. Fragt es
sich daher, ob der von der Rekursbeklagten vor Vermittler-nun V Dörfer
gegen den Rekurrenten geltend gemachte Anspruch auf ihren Anteil an
dem Mehrerlös,den der Rekurrent beim Wiederverkauf der Liegenschaft
zum Bild erzielt hat, eine persönliche Forderung im Sinne jener
Verfassungsbestimmung ist, oder aber, wie die Rekursbeklagte geltend
macht, erbrechtlichen oder dinglichen Charakter hat, so kommt in Betracht:
Durch den Kaufvertrag vom Jahre 1889, vermittelst dessen der Vater Mathis
dem Rekurrenten sein Heimwesen nach dem Wortlaut des Vertrages zum Preise
von 10,000 {gr., in Wirklichkeit aber, wie es scheint, gegen Übernahme der
Hypothekenschulden von 6167 Fr. 75 Ets. adgetreten und ihn verpflichtet
hat, den bei einem künftigen Wiederverkaus erzielten Mehrerlös mit seinen
Geschwistern zu teilen, ist allein Anschein nach der künftige Nachlass
des Vaters Mathis schon bei Lebzeiten des Erblassers liquidiert worden,
indem die den Nachlass bildende Liegenschast demRekurrenten überlassen
und dessen Geschwistern an Stelle ihres Anteils an der Liegenschaft durch
Vertragsbestimmmung zu Gunsten Dritter ein Anspruch an den Rekurrenten
auf Teilung deskünftigen Mehreriöses eingeräumt worden ist. Wenn die
Nenn-sbeklagte nun (16 Jahre nach dem Tode des Erblassers) diesen,
nicht etwa mit dem Tode des Erblassers, sondern mit dem durch

IV. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 4-1. 29}

Verkauf der Liegenschaft im Jahre 1898 wirksam gewordenen Anspruch
gerichtlich geltend macht, so klagt sie nicht auf Teilung eines
Nachlasses kraft Erbrecht, sondern aus dem Vertrag vom Jahre 1889 auf
Ausrichtung eines Betrages, eventuell auf Rechnungsstellung und Zahlung
eines sich ergebenden Betrages Der Berpftichtnngsgrund des erhobenen
Anspruches liegt, wie sich auch aus der Formulierung des Anspruchs in der
friedensrichterlichen Ladung ergibt, nicht im Erbrecht, das allerdings
Motiv für den Abschluss des eben genannten, die Teilung der Erbschaft
ersetzenden Vertrags war, sondern ausschliesslich in diesem Vertrag,
d. h. in einem obligationenrechtlicheu Verhältnis-. Danach ist die
in Frage stehende Streitigkeit jedenfalls nicht erbrechtlicher Natur.
2. Zu den persönlichen Ansprachen im Sinne des Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV gehören nach
bekannter, ständiger Praxis des Bundesgerichts auch solche auf Erfüllung
eines Liegenschaftenkaufes. Um so mehr muss dies gelten, wenn es sich, wie
vorliegend, nicht um die Haupwerpslichtnng des Verkäusers auf Übertragung
der Liegenschaft, sondern um die Ausführung einer Nebenklausel zu Gunsten
Dritter aus Zahlung einer Geldsumme handelt. Dass für diese Forderung ein
Pfandrecht (im Bezirk V Dörser) bestehe, wird von der Rekursbeklagten
offenbar mit Recht nicht behauptet, und auch soweit der Anspruch der
Rekursbeklagten dahin zu verstehen wäre, dass ein Anteil an der vom
Käufer Felix dem Re-

* kurrenten für die Kaufpreisrestanz von 4500 Fr. auf die Liegen-

schaft zum Bild in Zizers bestellten Hypothek verlangt wird, wäre er
sowenig wie ein vertraglicher Anspruch aus Abtretung eines Teils einer
Liegenschaft oder Einräumung eines Miteigentumsrechts daran dinglicher
Natur. Da nach dem gesagten der Anspruch der Reknrsbetlagten an den
Rekurrenten persönlicher Natur ist, muss der Rekurs gutgeheissen werden. '

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und es werden demgemäss die Ladungen des
Vermittleramtes V Dörser auf den 13. und 19; Oktober 1905, sowie ein
allfällig ausgestellter Leitschein als ungültig erklärt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 32 I 288
Date : 05. April 1906
Published : 31. Dezember 1907
Source : Bundesgericht
Status : 32 I 288
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 288 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. IV. Gerichtsstand


Legislation register
BV: 59
ZPO: 27
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