706 Civilrechtspflege.

Experten festgestellte natürliche Zung neuer Fische ausser Acht
gelassen. Der Abschluss der fraglichen Strecken der Reuss zwischen
Bremgarten und Vierwaldstättersee ist kein Vollständiger· Die Experten
verkennen, dass speziell, was sie selber anführen, die Forellen im Sommer
bei Hochwasser die Hemmnisse bei Bremgarten zu überwinden vermögen und
dass auch ein geringer Zung aus der Lorze stattfindet. Namentlich ist
aber der Umstand nicht genügend berücksichtigt, dass in einigen Jahren
wie schon näher ausgeführt eine Erholung des Fischbesiandes stattgefunden
haben wird. Sodann ist zweitens zu berücksichtigen, dass, wie die Erperten
betonen, das ganze Quantum der dem Fluss entzogenen Fische nach und nach
gefangen und so nutzbar gemacht werden konnte. Der sich auf eine lange
Reihe von Jahren verteilende Schaden ist daher auf die Zeit der Schädigung
zurückzndiskontieren; eine Berechnung der Entschädigung ohne Rücksicht
auf diesen Reduktionsgrund ist irrtümlich. Welcher Abzug mit Rücksicht
auf diese Faktoren stattzufinden hat, ist wiederum Sache der Schätzung;
eine Rückweisung zur Vornahme derselben würde sich als unnütze Weiterung
darstellen. Wird berücksichtigt, dass speziell die Forellen, die sich
auch am raschesten erholt haben, nach der Expertise im Strafprozess etwa
15 8/0 der getöteten Fische ausmachen, dass aber auch an Forellen durch
die Verzögerung der Erholung ein erheblicher Schaden entsteht, die 15
O/sisi also nur zum Teil und aus den andern sich erholenden Fischarten
ein Teil abzuziehen sind, und wird bei der Rückdiskontierung ein starker
Prozentsatz zu Grunde gelegt, so erscheint ein Abzug von zirka 20 0/0 als
angemessen, wodurch der Schadenersatzbetrag auf rund 4000 Fr. festgestellt
wird. Eine weitere Reduktion empfiehlt sich nicht aus den von der
Vorinstanz angeführten Gründen: dass die (Experten in der Schätzung des
Quantums der getöteten Fische eher zu niedrig als zu hoch gegriffen haben,
und dass der Beklagten ein schweres Verschulden zur Last fällt, wobei auch
zu berücksichtigen ist, dass die Organe der Beklagien die Untersuchung
möglichst erschwert haben. Aus der andern Seite hat schon die Vorinstanz
mit Recht ausgeführt, dass es nicht angeht, die Auswendungen des Klägers
für die Vermehrung des Fischbestandes besonders in Anrechnung zu bringen;
wie die Expertise zutreffendIV. Ohligationenrecht. N° 90. 70?

bemerkt, sind diese Aufwendungen bei der Berechnungsweise der Erperten
schon berücksichtigt. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung der Beklagten wird in dem Sinne als begründet erklärt
und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 17, März 1905
dahin abgeändert, dass die dem Kläger von der Beklagten zu zahlende
Entschädigung auf 4000 Fr. (nebst Zins zu 5 9/0 seit 12. Januar 1899)
herabgesetzt wird.

90. guten vom 15. Dezember 1905 in Sachen Société coopérative des
pharmacies populaires de Genève, Kl. u. Ber.-Kl., gegen Hund-citat findie
Interessen der Hchweizettnheu Yharmacta Bekl. u. Ber.-Bekl.

Klage aus uneräaubéer Handlung, gerichtet gegen eine Genossenschaft.
Deliktsfàhigkeit der juristischen Personen (Genossenschaften). -Art.
39
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 39 - 1 Wird die Genehmigung ausdrücklich oder stillschweigend abgelehnt, so kann derjenige, der als Stellvertreter gehandelt hat, auf Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens belangt werden, sofern er nicht nachweist, dass der andere den Mangel der Vollmacht kannte oder hätte kennen sollen.
1    Wird die Genehmigung ausdrücklich oder stillschweigend abgelehnt, so kann derjenige, der als Stellvertreter gehandelt hat, auf Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens belangt werden, sofern er nicht nachweist, dass der andere den Mangel der Vollmacht kannte oder hätte kennen sollen.
2    Bei Verschulden des Vertreters kann der Richter, wo es der Billigkeit entspricht, auf Ersatz weitern Schadens erkennen.
3    In allen Fällen bleibt die Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung vorbehalten.
, 62
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 62 - 1 Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.
1    Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.
2    Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat.
, 115
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 115 - Eine Forderung kann durch Übereinkunft ganz oder zum Teil auch dann formlos aufgehoben werden, wenn zur Eingehung der Verbindlichkeit eine Form erforderlich oder von den Vertragschliessenden gewählt war.
, 6
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 6 - Ist wegen der besonderen Natur des Geschäftes oder nach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten, so gilt der Vertrag als abgeschlossen, wenn der Antrag nicht binnen angemessener Frist abgelehnt wird.
.95 ff. OR.

A. Durch Urteil vom 21. September 1905 hat das Kautions-

gericht des Kantons St. Gallen über die Rechtsfrage der Klägerin :
Ist nicht gerichtlich zu erkennen:

1. Es habe die Beklagte der Klägerin 12,000 Fr., eventuell die nach
richterlichem Ermessen festgestellte Summe, sowie 50/0 ging seit
28. Dezember 1903 anzuerkennen und zu bezahlen;

2. es sei die Klägerin berechtigt erklärt, auf Kosten der Beklagten
das in dieser Angelegenheit gefällte Gerichisurteil in der
,,Schweiz. Wochenschrift für Chemie und Pharmaeie und weiteren vom
Gerichte bezeichneten drei schweizerischen Zeitungenzu publizieren ?
und die Gegenrechtsfrage der Beklagten:

Ist nicht die Klage in allen Teilen abzuweisen ?"

erkannt : Die Klage ist mangels Passivlegitimation abgewiesen

708 Civilrechlspflege.

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig und formrichtig die
Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag aus Gutheissung
der Klage.

C. In der heutigen Verhandlung in der vom Präsidenten eröffnet worden
isf, es sei nur über die Frage der Passivlegitimation zu verhandeln hat
der Vertreter der Klägerin seinen Bernsungsantrag erneuert und dabei
speziell auf Aufhebung des angesochtenen Urteils und Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz angetragen. -

Der Vertreter der Beklagten hat den Antrag auf Abweisung der Berufung
gestellt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Klägerin ist eine in Gens niedergelassene Genossenschaft im
Sinne des 27. Titels des schweizerischen Obligationenrechts, die aus den
sociétés de secours mntueis en cas de maladies besteht und zum Zwecke hat:
de fouruir aux socié tés de secours mutneis ainsi qu'à ieurs membres et
au public en général, des médicaments dans les meilleures conditions
de qualité et de prix . Mitglied der Genossenschaft kann auch jede
société philanthropique fein. Zn Gens selbst wurden seit dem Jahre
1891 von der Klägerin fünf Volksapotheken ( Pharmaeies populaires )
gegründet und in Betrieb gesetzt; in den Jahren 1901 und 1902 wurden
auch in Schaffhaufen und Chaux-de-Fonds solche von der Klägerin ins Leben
gerufen. Im Jahre 1902 wurde nun das beklagte Syndikat, das ebenfalls eine
Genossenschaft mit Ausschluss der persönlichen Haftbarkeit der Mitglieder
isf, gegründet. Dieses Syndikat verfolgt den allgemeinen Zweck, diejenigen
Vorkehren zu treffen, die zur Wahrung der Interessen der schweizerischen
Pharmacie geeignet find. Es hat folgende besondere Zwecke:

1. Die organische Ordnung der Beziehungen zwischen den schweizerischen
Apothekern und ihren Lieferanten und den Erlass von Vorschriften,
welche die Syndikatsmitglieder im Verkehre zu beobachten haben
(Syndikatsreglement);

2. Die sachgemässe Jntervention bei Gründung solcher neuer Apotheken
und verwandter Geschäfte, für die kein lokales Be-

dürfnts besteht im besondern, und bei Handändernngen derartiger Geschäste
überhaupt;IV. Ohligaiionenrecht. N° 90. 709

3. Die Ausarbeitung und periodische Kompletierung einer Statistit über
das in der Schweiz tätige diplomierte Apothekerpersonal;

4. die Ausarbeitung allgemein gültiger Tarise für die Abgabe der
Medikamente an gemeinnützige Anstalten und an Krankenfuffa";

. Die Bekämpfung unrationeller Verkaufspreise;

8. Die Einrichtung eines zentralen Jnformationsbureaus zum Zwecke der
Plazierung des Apothekerpersonals, sowie zum Zwecke der Vermittlung des
Anund Verkaufes von Apotheken und verwandter Geschäfte. (Art. 2 der
Statuten vom 13. Nov. 1904).

Laut Art. 4 der Statuten steht der Beitritt zum Syndikat offen den
in der Schweiz praktizierenden Apothekern, ihren Lieferanten, den in
der Schweiz bestehenden Apothekervereinen und sonstigen Jnteressenten
der Pharmaeie. Das Syndikat hat seinen Sitz am Wohnorte des jeweiligen
Präsidenten des Vorstandes (Art. 1 Abs. 2). Das Reglement der Beklagten
enthält folgende hier erheblichen Beimmungen: § 8. Die Mitglieder des
Syndikates verpflichten sich, weder direkte noch wissentlich indirekte
geschäft'liche Verbindung mit bestehenden oder in Gründung begriffeneu
Genossenschaftsapotheken anzuknüpsen oder zu unterhalten § 9. Die
Mitglieder verpflichten sich, dem Vorstand und speziell dem Verwalter
die für die Syndikatsinteressen nötigen Auskunft-e über Personalien,
Verhältnisse und Vorkommnisse zu geben, sowie von sich aus Meldung zn
machen über Mutationen im diplomierten Personal der Geschäftsleitung oder
Vorkommnisse, die zu kennen dem Syndikat von Nutzen sein könnten. § 10.
Die Mitglieder der Apothekerbranche verpflichten sich, keine Bezüge bei
solchen Lieferanten zu machen, welche sich geweigert haben, dem Syndikat
beizutreten, oder keine formelle, vom Vorstand als genügend erachtete
Erklärung abgegeben haben, an die bestehenden oder in Gründung begriffenen
Genossenschaftsapotheken weder direkt noch wissentlich indirekt zu liefern
...... % 11. Die diplomierten Apotheker des Syndikates verpflichten sich,
keine Verwalteroder sonstigen Stellen in einer Genossenschaftsapotheke
anzunehmen, sowie ihre Apotheken keiner Genossenschaft oder deren
Strohmänner zu verkaufen, ohne imFalle einer Existenzfrage die Beihülse
des Syndikates nachgesncht

710 Civilrechtspflege.

zu haben ..... § 12. Die Mitglieder des Syndikates, welche Jnhaber oder
Verwalter einer Apotheke sind, verpflichten sich keine Assistenten oder
Verwalter anzustellen, welche in einer (He; nossenschastsapotheke Stellung
angenommen und versehen haben wenn nicht der Vorstand aus besondern
Gründen über jeden einzelnen Fall entscheidet. Die Klägerin erblickt nun
in dieser Gründung des beklagten Syndikates in Verbindung mit dem von
diesem ihr gegenüber aus-geübten Boykott eine widerrechtliche Handlung
im Sinne der Art. 50 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
. OR und hat die Bekagte auf Schadenersatz mit
den aus Fakt. A ersichtlichen Rechtsbegehren belangt. Die erste Instanz
(das Bezirksgericht St. Gallen) hat die Klage abgewiesen, weil es an den
Requisiten der Widerrechtltchkeit und des Schadens fehle. Das eingangs
wieder-gegebene Urteil der II. Instanz dagegen vor welcher der Vertreter
der Beklagten aus Besragung ausdrücklich deren Deliktssähigkeit bestritten
hatte beruht aus der Auffassung, die Beklagte sei als juristische Person,
nicht deliktssähig: einzig diese Frage ist, von der Vorinstanz entschieden
Hiegegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

'27 Das angesochtene Urteil unterliegt der Prüfung des Bundesgerichtes,
weil die Klage definitiv abgewiesen ist, es sich also um ein Haupturteil
im Sinne des Art. 58 OS handelt. Wenn die rKliigerin heute hat vortragen
lassen, die Beklagte habe die Deliktsfähigkeit vor der I. kantonalen
Instanz überhaupt nicht [Istrittem so ist das unerheblich, nachdem
die Il. Instanz diese Truge behandelt und entschieden hat; denn es ist
offenbar eine Frage des kantonalen Prozessrechtes, ob die Vorinstanz
die Beklagte durch Parteibesragung zur speziellen Bestreitung ihrer
Deliktssahigkeit und damit ihrer Passivlegitimation veranlassen durfte
Und eine Verletzung von Bundesrecht, aus welche einzig die Be: rusungm
gestützt werden kann (Art. 57
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OG), liegt hierin nicht.

alan der Sache selbst ist zunächst aus den Statuten und dem Reglemente
des beklagten Syndikates ohne weiteres ersichtlich dass es einzig oder
doch vornehmlich zu dem Zwecke gegründet worden ist, die Klägerin im
wirtschaftlichen Konkurrenzkampfe durch das Kampsmittel des Boykotts zu
schwächen und womöglich zu vernichten Die Schädigung ist also, sofern das
beklagte Syridikat willensfähig ist, von ihm gewollt und beabsichtigt;
es han-

iiIV. Obligationenrceht. N° 90, 711

delt sich nicht um ein ausserkontraktliches Verschulden der Ange-

stellten oder des Vorstandes des beklagten Syndikates, sondern zum
Klagesuudanient werden Handlungen dieses Syudikates selbst gemachth die
Konstituierung des Syndikates, dessen Verfassung, das in Ausführung der
Statuien erlassene Reglement und die Ausführung des Reglementes bilden
die Rechtsatte, aus die die Klage gestützt wird. Es fragt sich nnn, ob für
diese Rechtshandlangen das Syndikat selber belangt werden kann, oder aber
nur dessen Mitglieder oder allsällig die Vorstandsmitglieder einzeln. Wird
nun diese Frage zunächst abgesehen von den positiven Bestimmungen des OR
ans der Natur der juristischen Personen dass die beklagte Genossenschaft
eine solche ist, steht ausser Zweifel und aus den Rechtsbeziehungen, in
denen dte Beklagte insbesondere steht, beantwortet, so ist zu sagen: Nach
der früher auch im Civilrecht nahezu unbestritten herrschenden Theorie,
wonach die juristische Person als fingierte Persönlichkeit anzusehen ist,
kann ihr Handlungsund damit Deliktssähigkeit nicht zugesprochen werden;
für Schädigiingen, die eine juristische Person ausübt, können nur deren
Vertreter belangt werden, und die juristische Person selbst nur aus Grund
des Stellvertretungsverhältnisses, aus dem Gesichtspunkte der Haftung für
fremdes Verschulden, soweit dieses gesetzlich oder aus Grund des gemeinen
Rechts anerkannt ist, wozu vorab gehört, dass der Vertreter im Rahmen
seiner Vertretungsbefugnis gehandelt hat; aus letzterem aber folgt, dass
der Vertreter in den meisten Fällen nur persönlich haften wird, da seine
Vollmacht selten auf eine unerlaubte Handlung gerichtet sein wird. Dieser
Theorie ist die Organ: oder Körperschaftstheorie gegenübergetreten,
wie sie namentlich von Gieffe begründet worden ist. Nach dieser Theorie
ist die juristische Person keine Fiktion, kein blosses Gedankengebilde,
sondern ein real existierendes Wesen, das handelt mittelst seiner Organe;
die Handlungen der Organe sind Handlungen derselben nicht innerhalb ihrer
Jndividualsphäre, sondern innerhalb ihrer Sozialsphäre, und verpflichten
daher nicht (oder nicht ausschliesslich) die Organe als Einzelne,
sondern die Gesamtheit, den Verband. (Vergl. hierüber jetzt erschöpfend:
E. Hafter, Die Deliktsund Strassähigkeit der Personenverbände, Berlin,
1903.) Nur die letzte Theorie beruht aus einer richtigen Erfassung des
Wesens der

712 Civilrechespflegc.

juristischen Person und zeigt sich den Erscheinungen des Lebens gegenüber
gewachsen und zureichend. Das ist denn auch die Auffassung, die schon
dem Vorentwurf des eidgenöfsischen JustizdeZartementes zum Schweiz
ZGB zu Grunde gelegt wurde ( Art. 1.4 und 7o) und die nun auch in den
zur Zeit von beiden eidgenössischen Räten schon behandelten Entwurf des
Bundesrates der Sache noch unverändert übergegangen ist (Art. 65 und 66);
Huber begründet in seinen Erläuterungen zum Vorentwurf i. Heft, S. 58 f.,
diese Regelung treffend folgendermassen: Sie (die Jurisiischen Personen)
handeln durch ihre Organe, die Licht als.Vertreter oder Vorinünder
aufgefasst werden dürfen, sondern in ihrer Organstellung den Willen der
Person direkt ausdrücken und also auch Handlungen der juristischen Person
selber vollgeben.. Diese Auffassung hat ihre praktische Bedeutung Fasst
man die Organe nämlich nicht als solche, sondern als Vertreter auf,
so ergibt sich daraus die Folge, dass unerlaubte Handlungen von den
juristischen Personen niemals begangen werden können. Die Vollmacht wird
in gültiger Weise niemals auf eine unerlaubte Handlung geben. Juristische
Personen mit rechtswidrigem Zwecke sind überall und von vornherein nichtig
Würde aber von den Organen etwas Unerlaubtes beschlossen oder verübt

"ohne Vollmacht, so könnte dieses nur die handelnden Einzelper:
sonen selber angeben. Man kann sich denken, wie wenig diese Ordnung
zu befriedigen vermöchte: Die juristischen Personen wurden auch mit
Hinsicht auf die vermögensrechtlichen Folgen aus unerlaubten Handlungen
ihrer Organe jederzeit nnbehelligt bleiben, und nur die Einzelpersonen
hätten zu haften. Ganz an-

ders bei der vom Entwurf vertretenen Auffassung Jst das Organ wirklich
als solches ein Teil der Persönlichkeit,so entsteht m ihm die Handlung
als eine solche dieser Persönlichkeit

sobald es als Organ handelt, ob innerhalb seiner Befugnisse

c-der unter deren Uberschreitung, ist gleichgültig Sobald eine
Rechisverletzung von dem Organe als solchem ausgeht, so kommt es nicht
daraus an, ob die haudelnde Person mit Vollmacht ge-

handelt habe oder nicht, sondern darauf, ob sie als Organ oder

nccht als Organ tätig gewesen fei. Jst ersteres der Fall so

ergibt sich daraus ohne weiteres auch die Verpflichtung der Per-

sönlichkeit. Die Art des Geschäftes oder die Art des
AuftretensI'v'. Obligauonenrecht. N° 90. ' 713

des Organs wird hiebei regelmässig darüber Aufschluss geben, wie es
sich mit der Handlung als Organ verhalte. Und in den Beratungen der
eidgenössischen Räte ist diese ausdrücklich hervorgehobene Auffassung
stillschweigend gebilligt worden; vergl. Stenographisches Bulletin, S. 476
und 928. Gerade der vorliegende Fall ist denn auch ein typisches Beispiel
von der Unzulänglichkeit der Fiktionstheorie und der Notwendigkeit, eine
Deliktsfähigkeit der juristischen Personen selber anzunehmen; nach dem
Entscheide der Vorinftanz wäre die Klägerin gezwungen, die einzelnen
Vorstandsmitglieder der Beklagten oder gar alle Mitglieder überhaupt
zu belangen, ein Zustand, der mit unerträglichen Unzukömmlichteiten
und Kosten verbunden wäre und naher einer Eliechtsverweigerung
gleichkänie. Der vorliegende Fall zeigt aber auch deutlich, dass bei
den hier zum Klagefundament gemachten Handlungen schlechterdings nicht
von Handlungen von Vertretern gesprochen werden kann, sondern dass
Organhandlungen, Handlungen der Organe der Beklagten, Gegenstand der
Klage bilden, das; es also solche Handlungen gibt, woraus folgt, dass die
Beklagte, als juristische Person, für sie als für ihre eigenen Handlungen
unmittelbar haftbar ist. Der Wille, der in den eingeklagteu Handlungen
der Beklagien in die Erscheinung tritt, ist nicht ein Judividualwille
der Mitglieder oder der Vorstandsmitglieder, er ist auch nicht ein
Vertreterwille der letztern, sondern er ist der Qrgauwille, und damit
der Wille der beklagten juristischen Person selbst. Dieser Wille kann
aber civilrechtlich wenigstens (die strafrechtliche Deliktsfähigkeit
und insbesondere die Straffähigkeit der juristischen Personen, die
sehr energisch von Hafter, a. a. O., vertreten wird, ist hier nicht zu
erörtern ) ebenso schiildhast und widerrechtlich fein, wie der Wille
einer physischen Person, d. h. die juristische Person kann durch ihre
Handlungen vorsätzlich und fahrlässig so gut Rechte und Rechtsgüter,
rechtlich geschätzte Interessen Dritter verletzen, wie die physische
Person. Zu dieser Annahme der civilrechtlichen Deliktsfähigkeit der
juristischen Personen drängt endlich auch die Konsequenz des Urteils
des Bundesgerichts vom î i. April 1905 i. S. Lendi gegen Börlin & Cie.,
A. S., Bd. XXXI, 2, S. 242 ff., spez. 246 f. Erw. 4, bin, worin das
Bundesgerichi die Rechtsund Handlungsfähigkeit der juristischen Personen
anerkannt und ausdrücklich

714 Civilrechtspflege.

die Fiktionstheorie zurückgetriesen hat: es dürfte wohl (trotz der vom
Vertreter der Beklagten im heutigen Vortrage hiegegen erhobenen Bedenken)
eine logische Folge jenes Entscheides sein, nun auch die civilrechtliche
Deliktsfähigkeit der juristischen Personen anzuerkennen

4. Jst so die civilrechtliche Deliktssähigkeit der juristischen Personen
als Postulat des modernen Verkehrsund Rechtslebens anzuerkennen und folgt
sie aus der richtigen Erfassung der Natur der gedachten Rechtssubjekte,
so dürfte sie dennoch nicht auf die Beklagte angewendet werden, wenn,
wie deren Vertreter heute insbesondere eingehend darzutun versucht hat,
das schweiz. OR der Annahme der civilrechtlichen Deliktsfähigkeit der
juristischen Personen positiv entgegenftündez dieser Standpunkt ist
daher nunmehr noch zu erörtern. Angerusen werden in dieser Hinsicht
die Bestimmungen des ON über Stellvertretung, speziell Art· 39, sodann
Art. 62 und 115 ON; endlich die Vorschriften des OR über die Organe
der Genossenschaften Was nun zunächst Art. 62
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 62 - 1 Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.
1    Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.
2    Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat.
OR betrifft, so hat
das Bundesgericht allerdings in seinem Urteile vom 20. Dezember 1890
i. S. Liechti gegen Vlirgergemeinde Aarberg (A. S., Bd. XVI, S. 814
Erw. 3) ausgeführt, die juristischen Personen seien delittsunsähig; eine
gesetzliche Verantwortlichkeit für Delikte ihrer Organe, gemäss am. 62
OR, treffe sie nur dann, wenn sie ein Gewerbe betreiben. Allein Art. 62
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 62 - 1 Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.
1    Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.
2    Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat.

OR handelt nur von der Haftung für Angestellte und Arbeiter, lässt aber
die Stellung der Organe ganz ausser Betracht; zu der Frage, ob Handlungen
der Organe als Handlungen der juristischen Personen selber zu betrachten
seien, nimmt er gar keine Stellung. Es ist auch zu beachten, dass in
allen Fällen, die das Bundesgericht bisher zu beurteilen hatte, eine
deliktische Handlung eines Angestellten oder Vertreters in Frage stand,
die nicht als Organhandlung zu betrachten war; vergl. spez. bntidesg
(Smith., XXI, S. 566; XX, S. 1121 f. Erw. 4. Im vorliegenden Falle
aber handelt es sich ganz zweifellos um Organhandlungen, da hier
auch Handlungen der Generalversammlung der Betlagten selber mit zum
Klagesundatnent gemacht werden. Für Handlungen, wie sie den Gegenstand
des heutigen Prozesses bilden, würde aber sogar die Vertretungstheorie,
d. h. diejenige Theorie, die zwar die[V. Obligatssionenrecht. N° 90. 715

e is er önlichkeit der juristischen Personen anerkennt, ihnen aber
gieckgakidlsungsfähigkeit abspricht und sie nur durch Vertreter handzln
lässt (ng. Hafter , a. a. Q, S. 3? f. sub 111),zurFHaftnng retBeklagten
gelangen müssen: Denn auch nach dieser eheorie muss der Vertretene
haften, soweit der Vertreter innerhalb seiner Vollmacht gehandelt hat;
nun ist aber gar nicht-behauptet (und offenbar mit Recht nicht), dass
die eingeklagten Handlungen, soweit sie Handlungen der Vertreter
sind, nicht im Umsang der von der Beklagten erteilten Vollmacht
erfolgt seien. (Vergl. auch Entsch. d. Reichs-g in (Uniti., Bd. XXXL
S. 246.) Damit sind auch die übrigen Einwendungen der Beklagten erledigt,
denn es kann dann nicht aus dem Gegensatze des Wortlautes in ?lrt. 6? und
115 PER gesolgert werden, das Gesetz habe eine Haftung juristischer
Xersonen für ihre Vertreter nur bei kontraktlichen Verhaltnissen
statuieren wollen. Auch die gesetzliche Stellung der Vorstandsmitglieder
der Genossenschaft steht übrigens der Annahme-der Korperschaftstheorie
nicht entgegen, und Art. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 3 - 1 Wer einem andern den Antrag zum Abschlusse eines Vertrages stellt und für die Annahme eine Frist setzt, bleibt bis zu deren Ablauf an den Antrag gebunden.
1    Wer einem andern den Antrag zum Abschlusse eines Vertrages stellt und für die Annahme eine Frist setzt, bleibt bis zu deren Ablauf an den Antrag gebunden.
2    Er wird wieder frei, wenn eine Annahmeerklärung nicht vor Ablauf dieser Frist bei ihm eingetroffen ist.
? OR verweistu gergide auf diese Stellung,
kann also nicht angerufen werden dasur, ass das OR nicht Organe sondern
nur Vertretufeline. Endlich ist zu sagen, dass dies nicht ein fonti-drer,
sondern nur ein kontra' " er (He en ar ist. ' · ' dikxfigst demgnacg Sim
Gegensatz zum angefochtenen Urteile die Deliktssähigkeit der Beklagten für
die zum Gegenstand des Pro: zesses gemachten Handlungen und damit ihre
Varici: uzid Pro: zesssähigkeit anzuerkennen, so ist das angesochtene
llrtei ailifzdw heben und der Streit, da über die Sache selbst kein
Urtei Îr letzten kantonalen Instanz vorliegt, die Sache also nicht zum
En entscheide reif ist, an diese Instanz zuruckzuwetsen. Demnach hat
das- Bundesgericht erkannt: kl" _ B si, ie Berti un; wird in dem Sinne
als begründet er art, da das Urteil der gKantonsgerichtes des Kantons
St· Gallen Zorn 21. September 1905 aufgehoben und die Sache zur neuen
sntscheidung an diese Instanz zurückgewieseu wird.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 31 II 707
Date : 17. März 1905
Published : 31. Dezember 1905
Source : Bundesgericht
Status : 31 II 707
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 706 Civilrechtspflege. Experten festgestellte natürliche Zung neuer Fische ausser


Legislation register
OG: 57
OR: 3  6  39  50  62  115
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