12 Civilrechtspflege.

II. Civilstand und Ehe. Etat civil et mariage.

2. guten vom 29. gum 1904 in Sachen J., Kl. u. Ber.-Kl., gegen ,g.,
Veil. u. Ber.-Vekl.

Scheidmagsge'sszinde des Art. 46 Hit. b Bundesgesetz betreffend
Givilsta-nd und Ehe: Nacàstelèemg nach dem Leben; schwere M
irrte-entklungen ; tiefe Ehrenkreinlcmegen. Verzeihung. Bedeutung von
beleidigt-reckten Vorbringen im Scheidungsprozesse. Art, 47 end., tiefe
law-intangder Ehe. Alkoholismees des (beklagten) Ekemaemes. Gänzliche
Scheidung, oder Trennung zum Tisch und Betz? ? Rückweisurng an die Var-_
instanz öetrefi'end Kinderzuéeilung meri Alimeeetatianspflécht des
(allein sckuldigen) Beklagten.

A. Mit Urteil vom 27. Februar 1904 hat das Obergericht des Kantons
Zug erkannt:

Es sei in Abweisung der klägerischen Appellation das erstmstanzliche
Urteil in allen Teilen bestätigt.

Das Urteil des Kantonsgerichtes Zug vom 5. Dezember 1903 lautet:

1. Es sei die Ehe der Litiganten vorläufig nur auf zwei Jahre von Tisch
und Bett geschieden.

2. Es seien die aus der Ehe entsprossenen Kinder, Wilhelm, Clasina (Jna),
Kurt Und Lilly L. dem Beklagten in Verbindung mit dem Bürgerwaisenamte
Zug zur Erziehung, Pflege und Unterhalt und behufs Unterbringung derselben
in entsprechende Erziehungsanstalten auf Kosten des Beklagten überlassen.

3. Es sei auf die Fragen über die ökonomischen Verhältnisse der
Litiganten, des zugebrachten Frauengutes, sowie bezüglich Alimentation
und Deponierung der fraglichen Kassette und übrigen Hochzeitsgeschenke
heute nicht näher einzutreten-

B. Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Klägerin rechtzeitig und
in richtiger Form die Berufung ans Bundesgericht erklärt mit folgenden
Anträgen:

ss i. Es sei die Ehe der Litiganten des gänzlichen zu trennen.

2. Es seien die aus der Ehe entsprossenen Kinder Willy, Ina, Kurt
und Lilly der Klägerin zur Erziehung, Pflege und Unterhait zu
belassen.ll. Givilstand und Ehe. N° 2. ' 13

3. Es sei der Beklagte als schuldiger Teil pflichtig, an die Klägerin
für Unterhalt, Pflege und Erziehungskosten der Kinder ein vom Richter
zu bestirnmendes Firum zu bezahlen.

C. In der heutigen Verhandlung vor Bundesgericht hat der Vertreter der
Klägerin diese Berufungsanträge wiederholt und begründet Der Vertreter des
Beklagten hat auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen
Urteils angetragen.

Das Bundesgericht zieht, unter Hinweis auf die im Urteil des
Kantonsgerichtes enthaltene Sachdarftellung, in Erwägung:

1. Die Klägerin hat ihre Scheidungsklage in erster Linie auf Art. 46
litt. b des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe Nachstellung nach
dem Leben, schwere Misshandlungen und tiefe Ehrenkränkungen -gestützt
Eine Nachstellung nach ihrem Leben erblickt sie in dem Vorfall
vom 26. September 1902, der zur Trennung geführt hat und bei dem der
Beklagte zugegebenermassen einen Revolverschuss im Garten abgegeben hat
und die Klägerin vorher mit einem Tranchiermesser bedroht haben soll.
Allein nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die, weil nicht
aktenwidrig, für das Bundesgericht verbindlich sind, ist die letztere
Behauptung der Klägerin ohne Beweis geblieben, und beim Revolverschuss
hat der Ve·klagte, wie feststeht, weder auf die Klägerin noch auf sonst
jemanden gezielt. Wenn nun auch aus gewissen Äusserungen des Beklagten
-er werde die ganze Gesellschaft über den Hauer schiessen sowie aus dem
damaligen Verhalten der Klägerin, die polizeiliche Hilfe in Anspruch
genommen und am folgenden Tag den Beklagten definitiv verlassen hat,
geschlossen werden musz, dass der Vorfall etwas ernsthafterer Natur
war, als der Beklagte ihn darstellt und die Vorinstanzen annehmen,
und insbesondere nichts dafür vorliegt, dass die Klägerin, wie heute
behauptet worden ist, die Sache ausgebauscht habe, um einen Vorwand zur
Trennung von dem angeblich zur Zeit mittellosen Beklagten zu haben, so
ist doch immerhin nicht erstellt, dass der Beklagte seiner Ehefrau nach
dem Leben getrachtet habe. Was sodann den Vorwurf schwerer Misshandlungen
anbetriffi, so hat der Beklagte nicht nur, wie die Vorinstanzen an-führen,
anerkannt, der Klägerin einmal eine Ohrfeige gegeben,

14 Civilrechtspflege.

sondern ausserdem, ihr einmal absichtlich das Kleid zerrissen undsie ein
anderes Mal derart gestossen zu haben, dass sie über ein Nachttischchen
fiel und äussere Spuren von diesem Fall davontrag. Die näheren
Verutnständungen bei diesen Tätlichkeiten sind jedoch jeweilen nicht
aufgeklärt; als schwere Misshandlungen im Sinne des Gesetzes können sie
kaum betrachtet werden, und wenn auch die Klägerin seiner Zeit sie als
solche empfunden haben sollte, so liegen sie doch zeitlich weit zurück,
und es darf aus verschiedenen, bei den Akten liegenden Brieer der Klagerin
an den Beklagten, die in sehr herzlichem Tone gehalten find, geschlossen
werden, dass die Klägerin dem Beklagten in dieser Beziehung verziehen
hat, aus welchem Grunde jene Tätlichkeiten auch nicht mehr als tiefe
Ehrenkränkungen in Betracht fallen können. Im übrigen ist nur bewiesen,
dass bei der Klägerin wiederholt Kontusionen im Gesicht bemerkt wurden,
die sie jeweilen auf Misshandlungen durch den Beklagten zurückgeführt
hat, und wenn nun bei dieser Sachlage die Vorinsianzen den Nachweis, dass
die behaupteten Misshandlungen stattgefunden haben, nicht als erbracht
betrachten, so lässt sich gegen diese, dem Inhalt der Akten nicht
widersprechende tatsächliche Feststellung nichts einwenden. Als tiefe
Ehrverletzungeu endlich könnten, nachdem die tätlichen Beschimpfungen
zum Teil als verziehen, zum Teil als nicht erwiesen zu gelten haben, nur
die Anschuldigungen in Frage kommen, die der Beklagte im Prozess gegen
die Klägerin erhoben hat: sie habe sich wegen einer Geschlechtskrankheit
behandeln lassen und sei zu einer Reihe von Männern und auch zu einer Frau
K. in unsittlichen Beziehungen gestanden. Diese schweren Verdächtigungen,
von denen die erstere in der Duplik fallen gelassen worden ist und die
letzteren, wie noch auszuführen sein wird, ohne Beweis geblieben sind,
fallen jedoch einerseits-, zumal in der tief kränkenden Form, in der
sie vorgebracht worden sind, offenbar nicht sowohl dem Beklagten,
als seinem damaligen Anwalt zur Last, und anderseits haben fie, weil
erst im Scheidungsprozess geltend gemacht, an der Zerrüttung der Ehe
der Litiganten keinen Anteil gehabt, wenn sie auch für die Kenntnis der
ehelichen Gesinnung des Beklagten, der sich ja der defini- tiven Scheidung
in der angeblichen Hoffnung auf eine spätere Versöhnung widersetzt,
nicht ohne Bedeutung find. Diese An-II. sscivixstand und Ehe. N° 2. 15

schuldigungen können daher nicht als tiefe Ehrenkränkungen im Sinne des
Gesetzes gelten.

2. Wenn nun auch der Klägerin der in Anspruch genommene bestimmte
Scheidungsgrund nicht zugesprochen werden kann, so ist doch den
Vorinstanzen darin ohne weiteres beizupflichten, dass die Ehe der
Litiganten tief zerrüttet und die Voraussetzung einer Scheidung
nach Art. 47 sei es für immer, sei es auf Tisch und Bett gegeben
ist. Die Zerriittung wird von den Vormstanzen im wesentlichen auf den
Alkoholismus des Beklagten zurückgeführt. In der Tat lassen die Akten
keinen Zweifel zu, dass der Beklagte seit Jahren dem Alkohol verfallen
ist und geradezu an chronischer Trunksucht leidet. So steht fest, dass
der Beklagte schon in Königswinter, wo die Litiganten vom Jahre 1892 an
wohnten, getrunken hat, und zwar damals mehr im Wirtshaus, während er
später mehr zu Haufe trank. Die Stellung sodann, die der Beklagte im
Geschäfte des Schwiegervaters im HW einnehmen follie, wurde, wie sich
aus einembei den Akten liegenden Briefe des Schwiegervater-s ergibt,
nach kurzer Zeit unhaltbar, weil der Beklagte vom Trinken nicht lassen
konnte. Als die Litiganten nachher in Zug wohnten, war die Lebensführung
des Beklagten, wofür insbesondere auf die Zeugnisse Mors, Sulzer und
Bosshardt zu verweier ist, keine andere. Im Jahre 1901 hielt der als
ärztlicher Rat wegen der Trunksucht des Beklagten beigezogene Dr. Rumpf
in Köln eine Anstaltsbehandlung für notwendig, der sich der Beklagte
jedoch nicht unterzog. Dass aus demselben Grunde im April 1901 auch
Professor Eichhorst in Zürich konsultiert wurde, ist nicht bestritten.
Bezeichnend ist ferner, dass sich der Beklagte einer Expertise über
seinen Zustand nicht hat unterwerfen wollenund dass er auch die Ärzte
Eichhorst und Dr. Arnold in Zug, die das Zeugnis unter Hinweis auf ihr
Berufsgeheimnis verweigert haben, zu dessen Ablegung nicht ermächtigt
hat. Endlich sind beim Beklagten auch ohne Expertise die Symptome von
chronischem Alkohplismus . Schlafund Appetitlosigkeit, Mangel an Energie,
Uberreizthett festgestellt. ss

Der Beklagte bestreitet denn auch gar nicht, dass er dem Alto: hol im
Übermasse ergeben gewesen sei; er macht jedoch die Klagerin für diesen
Zustand verantwortlich, indem er sich namentlich

16 Civilrechtspflege.

auf ein Zeugnis des Dr. Arnold in Zug vom 12. Oktober 1903 beruft, wonach
der Beklagte auf Verordnung dieses Arztes seit circa 1 2 Jahren anstatt
Wein und andern stärkern Alkoholika nunmehr fast ausschliesslich Bier
trinke, was eine erhebliche Besserung des Gesundheitszustandes zur Folge
gehabt habe. Aus dieser seit der Trennung der Litiganten eingetretenen
Besserung soll sich ergeben, dass der Beklagte früher lediglich aus
Unmut über das Verhalten der Klägerin, d. h, über ihre unstatthaften
Beziehungen zu andern Männern und einer Frau K. und ihre Unfähigkeit im
Hauswesen, sich dein Alkohol hingegeben habe. Allein diese Entschuldigung
hat sich als durchaus unstichhaltig erwiesen. Wie die Vorinstanzen in für
das Bundesgericht Verdindlicher Weise feststellen, ist nicht dargeian,
dass die Klägerin mit irgend jemandem ein unsittliches Verhältnis gehabt
habe, wenn sie auch mit einzelnen Personen einen etwas weitgehenden
sreundschaftlichen Verkehr gepflegt haben mag. Falls der Beklagte
an diesem Verkehr zuweilen Anstoss nahm, so lag es nur an ihm, durch
energisches Einschreiten demselben ein Ende zu machen, wie denn auch
die Klägerin auf Vorstellungen hin die Beziehungen zu einem gewissen
Castro und zur Frau K. sofort abgebrochen oder doch abzubrechen sich
bereit erklärt hat Ebenso liegt nichts dafür vor, dass die Klägerin ihren
Hausfrauenpflichien nicht gewachsen gewesen sei oder sie vernachlässigt
habe. Die Trunksucht des Beklagten kann daher durch das Verhalten der
Klägerin nicht einmal erklärt, geschweige denn entschuldigt werden.

Es kann nicht ausfallen, dass ein derart fortgeschrittener Akkoholismus,
wie er beim Beklagten vorlag, auf die Entwickelung des ehelichen
Verhältnisses von unheilvollstem Einflusse war und zu einer tiefen
Zerrüttung der Ehe geführt hat. Er erklärt die Untätigkeit des Beklagten,
der abgesehen von der kurzen Stellung in Königswinter und von dem Versuch
einer Betätigung im H...., nie regelmässiger Beschäftigung oblag und
zu geordneter Arbeit offenbar unfähig geworden ist; er gibt auch den
Schlüssel zu den wiederholten heftigen Auftritten, die zwischen den
Litiganten stattgefunden haben, speziell auch zu dem letzten Vorfall,
der die Klägerin zur Anrufung polizeilichen Schutzes und zur Trennung
veranlasst hat, und macht die heute unbestrittenermassen bestehende tiefe
Entfremdung der Litiganten erklärlich.Il. Stillstand und Ehe. N° ä. 17

Auch leuchtet ein, dass der Beklagte für diese Folgen seines Verhaltens
die Verantwortung trägt, auch wenn, was allerdings anzunehmen ist,
der aus einer Schwäche zum Laster und zur Krankheit gewordene Hang zum
Tranke schliesslich unabhängig von seinem Willen bestand.

Die Klägerin ist unter diesen Umständen berechtigt, die Scheidung
einseitig aus Verschulden des Beklagten zu verlangen, falls sie nicht
selbst an der Ehezerrüttung eine mindestens gleich grosse Schuld
trägt. In dieser Beziehung ist jedoch bereits hervorgehoben worden,
dass die Anschuldigung, die Klägerin habe mit verschiedenen Personen
nacheinander in unsittlichen Beziehungen gestanden, sich als haltlos
erwiesen hat. Auch dafür sind keine Anhaltspunkte gegeben, dass sie in
ihrem Verkehr mit Bekannten auch nur die Grenzen des konventionellen
Anstandes überschritten habe. Aus dem blossen Umstande aber, dass die
Klägerin in ihrem freundschaftlichen Verkehr vielleicht manchmal etwas
weit gegangen isf, kann ihr gewiss kein Vorwurf gemacht werden; denn
bei der Lebensweise und den Gewohnheiten des Beklagten, der ja zu Hause
oder im Wirtshause trank, ist es begreiflich, dass sie ein Bedürfnis
nach Ablenkung und Unterhaltung empfand. Ebensowenig sind die weitern
Vorwürfe des Beklagten was die Vorinstanzen festzustellen unterlassen
haben _ durch das Beweisverfahren bestätigt worden. Es sind keine
Momente dafür vorhanden, dass die Klägerin ihre Pflichten als Hausfrau
nicht ernst genommen und zur Leitung des Hauswesens unfähig gewesen sei,
oder dass sie sich nicht der Erziehung der Kinder angenommen habe. Dass
die Klägerin im Sommer 1890 ihren in Düsseldorf kranken ältesten Knaben
nicht besucht hat, kann nicht ausfallen, da sie kurz vorher mit dem
zweiten Kinde niedergekommen war. Endlich ist auch nicht erstellt,
dass die Klägerin gegen den Willen des Beklagten lange von zu Hause
abwesend gewesen sei; aus mehreren bei den Akten liegenden Briefen ist in
verschiedenen solchen Fällen vielmehr direkt auf das Einverständnis des
Beklagten zu schliessen. Gehen aber dergestalt die gegen die Klägerin
erhabenen Anschuldigungen insgesamt fehl, so ist die ausschliessliche
Schuld an der Zerrüttung der Ehe dem Beklagten zuzumessen.

xxx, 2. 1904 2

18 Civilrechtspflege.

3. Die Vorinftanzen haben nicht die gänzliche Scheidung, sondern nur die
Trennung von Tisch und Bett auf die Dauer von zwei Jahren ausgesprochen,
indem sie annahmen, dass die von Dr. Ariiold konstatierte Besserung im
Zustand des Beklagten, sowie die Anhänglichkeit der Kinder an beide
Eltern mit einiger Zuversicht eine Wiedervereinigung der Litiganten
erwarten fanfic, so dass es gegen das wohlverstandene Jnteresse der
Kinder ware, jetzt schon die Ehe gänzlich zu scheiden. Dieser Auffassung
kann nicht beigetreten werden. Eine Scheidung auf Zeit lässt sich nur
dann rechtfertigen, wenn begründete Aussicht vorhanden ist: dass die
Verhältnisse sich ändern und der Scheidungsgrund wegfallen merde. Sonst
wird dadurch lediglich der Scheidungsprozess, dessen rasche Erledigung
im Interesse aller Beteiligten liegt, ungebührlich hinausgezogen. Jene
Aussicht fehlt hier aber gänzlich. Einmal sind sich die Litiganten durch
die Verhältnisse, die zuin Scheidung-Zprozess geführt haben und durch
den letztern, sowie infolge der nun 11/2 Jahre andauernden faktischen
Trennung zweifellos völlig entfreindet, so dass eine Hoffnung auf
Wiedervereinigung selbst dann nicht bestehen würde, wenn der Beklagte
vom Alkohol lassen könnte und würde Hiefür spricht auch nnt aller
Deutlichkeit die Tatsache, dass der Vertreter des Beklagten heute
zwar auf Bestätigung des obergerichtlichen Urteil-ss angetragen, sich
dann aber doch auch mit der gänzlichenScheidung einverstanden erklärt
hat. Zudem besteht aber in Wirklichkeit nicht die geringste Hoffnung,
dass der Beklagte innerhalb zwei Jahrendoin Alkoholisinus geheilt sein
werde; denn es ist Erfahrungstatsache, dass ein Zustand chroiiischer
Trunksucht, wie er beimaBeklagten konstatiert ist, sich durch den blossen
Willen des Betroffenen zur Mässigkeit nicht dauernd beseitigen lässt;
hier wäre vielniehr eine eigentliche Kur in einer geeigneten Heilaiistalt
mit oollstam diger Abstineiiz erforderlich Wenn der Beklagte überhaupt
geneigt ware, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen, so hatte
er nun seit der faktischen Trennung der Litiganten hinlänglich Zeit und
Gelegenheit gehabt, seinen guten Willen an den Tag zu legen. Aber gerade
der Umstand, dass er sicl)·sos energisch gegen eine ärztliche Expertise
gewehrt hat, zeigt, dass eiihin mit der Bekämpfung des Übels nicht ernst
ist. Auch das Zeugnis desus Civilstand und Ehe. N° e. · 19

Dr, Arnold ist nicht geeignet, eine andere Auffassung über die Mögiichkeit
einer Besserung des Beklagteii zu begründen; denn es ergibt sich daraus
nur, dass der Zustand des letztern, der nun auch noch Vier trinke,
im Oktober 1908 besser war als vorher. Allein solche Schwankungen
sind bei Alkoholikern häufig; zudem ist in keiner Weise festgestellt,
dass der Beklagte neben dein Vier nicht auch noch stärkeren Getränken
nach wie vor zuspreche, und vollends lässt sich aus dem Zeugnis nicht
schliessen, dass auch nur nach der Ansicht jenes Arztes eine dauernde
Heilung anders ais durch geeignete Behandlung mit völliger Enthaltung zu
erzielen sei. Erscheint aber nach dein Gesagten eine Wiederhereinigung der
Litiganten mit Rücksicht auf die vorhandene Entfremdung und den Zustand
des Beklagten als höchst unwahrscheinlich, so ist auch nicht ersichtlich,
wieso der Einfluss der Kinder hieran sollte etwas ändern können. Man
hätte allerdings erwarten dürfen, dass der Beklagte gerade der Kinder
wegen die Quelle alles Übels-, die Trunksucht, ernstlich und energisch
bekämpfen wiirde; dass die-Z nicht geschehen ist, zeigt deutlich,
dass auch vom Einfluss der Kinder keine Änderung der Verhältnisse zu
erhoffen wäre. Endlich lässt sich die temporäre Scheidung auch nicht
damit rechtfertigen, dass sie im Interesse der Kinder liege. Einmal sind
die Erfordernisse der Scheidung in erster Linie nach den Verhältnissen
der Ehegatten zu beurteilen, und es kann, wenn die Voraussetzungen in der
Person der letztern erfüllt sinddie Scheidung auch nicht im Interesse der
Kinder verweigert werden, und sodann bedarf es keiner Begründung, dass
ein solches Hinausschieben der definitiven Scheidung um zwei Jahre und
der dadurch geschaffene ungesunde Zustand der Unsicherheit für das Gemüt
der Kinder, die nicht wissen, von welchem Elternteile sie schliesslich
abhängen werden und ihren Gefühlen keinen freien Lan lassen können,
von schwerem Schaden ist. Auch kann nicht gesagt werden, dass die Art
und Weise, wie die Vorinstanzen für die Dauer der Teinporalscheidung die
Frage der Zitteilung der Kinder gelöst haben, im Interesse der letztern
liege: entweder sind sie mehr oder weniger dein Beklagten ausgeliefert,
der als Alkoholiker zur Erziehung zweifellos nicht geeignet ist, oder
sie werden in Anstalten erzogen, während doch die mütterliche Pflege

20 Civilrechtspflege.

und Erziehung der Anstaltserziehung weit vorzuziehen ware, zumal gegen
die Befähigung und den guten Willen der Klägerin zur richtigen Erziehung
ihrer Kinder, wie schon oben bemerkt worden ist, nichts vorliegt.

Aus all diesen Gründen ift heute schon die definitive Scheidung der
Litiganten, gestützt auf Art. 47 des Bandes-gesetzes über Civilstand
und Ehe, und zwar wegen ausschliesslichen Verschuldens des Beklagten,
auszusprechen.

4. Was die Anträge der Klägerin betreffend die Kindes-guteilung und die
Alimentationspslicht des Beklagten in Bezug auf die Kinder anbetrisft,
so sind die Akten an die Vorinsianz zur Beurteilung dieser Begehren
zurückzuweisen. Die kantonalen Gerichte haben nämlich die Kinder
lediglich mit Rücksicht auf die Temporalscheidung dem Beklagten (in
Verbindung mit dem Bürgerwaisenamte Bug) zugesprochen und ohne sich
mit der Vorschrift des § 44 des zugerischen privatrechtl. Gesetzbuches
auseinanderzusetzen, der bei der Kinderzuleilung in erster Linie auf
die Lösung der Schuldfrage abstellL Nachdem nun jene Voraussetzung
dahingefallen ist und das Bundesgerichr zudem in schärferer Weise,
als die kantonalen Jnstanzen', das Verschulden an der Ehezerrüttung
ausschliesslich dem Beklagten beigemessen hat, bedürfen daher die
erwähnten Fragen einer erneuten Prüfung und Entscheidung durch den
kautonalen Richter auf der Grundlage des bundesgerichtlichen Urteils.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

1. In Gutheissung der Berufung der Klägerin, und unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Urteils, werden die Eheleute L. auf Grund von Art. 47
des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe gänzlich geschieden.

2. Zum Entscheid über die Frage der Zuteilung der Kinder und der
Alimentationspslicht des Beklagten in Bezug auf die Kinder werden
die Akten an das Obergericht Zug zurückgewiesen.lll. Haftpflicht der
Eisenbahnen bei Tölungen und Verletzungen. N° 3. 21

III. Haftpflicht der Eisenbahnen u. s. w. bei Tötungen und
Verletzungen. Responsabilité des entreprises de chemins de fer, etc.
en cas d'accident entrainant mort d'homme ou lésions corporelles.

3. Arrèt du 28 janvier 1904, dans la cause Compagnie genevoise
des tramways électriques, def., rec. gas-mc., contre Boch, elem.,
rec. p. 1). de junction.

Accident d'un manoeuvre-poseur: perte de la main droite. _Montani;
de I'indemnité en cas de lésions corpo:-elles. Art.. 5, al. S, loi
féd., resp. oh. de fer. Faute légère de le. Vlctlme. Reduction pour
allocation d'un capital. Négligence grave de la part de la Compagnie,
art. 7 1. o. Libre appreciation du juge.

A. Le 16 juillet 1901, la Compagnie genevoise des tramways électriques
transportait sur le lieu de leurs travaux, _. au simoyen d'un train
qui s'était formé sur le Cours de R1ve, a s_'xenève, et se composait de
wagons de l'ancienne Compagnie des chemins de fer à voie étroite, les
ouvriers qu'elle employait à la construction, soit au prolongement de la
hgne de Vésenaz à. Hel-mance; en certains endroits à. partir de Vésenaz,
le parcours ne laissait pas que d'offrir quelque danger par Ie fait que
la voie longeait la ligne des poteaux télégraphiques ou téléphoniques
et que ceux-ci étaient si raoproohés qu'ils fròlaîent les wagons à,
leur passage ou entraxent méme en frottement avec eux de telle maniere
que quelques-uns de ces poteaux s'en tro'uvaient fortement entamés
ou endommagés. Aussi la Compagnie genevoise des tramofays électriques
a-t-elle prétendu au cours du procès, ce qm a été admis par divers témoins
et contesté par d'autres, qu'elle avait donné à son personnel les ordres
de serche nécessaires pour que, durant le transport, les feuètres des
wagend restassent fermées; dans un bureau portatif que la compagme avait
établi à proximité de I'emplacement des travaux et qui se déplagait au
fur et à mesure de I'avance-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 30 II 12
Datum : 29. Januar 1904
Publiziert : 31. Dezember 1904
Quelle : Bundesgericht
Status : 30 II 12
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 12 Civilrechtspflege. II. Civilstand und Ehe. Etat civil et mariage. 2. guten vom


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • ehe • vorinstanz • bundesgericht • wille • frage • verhalten • alkoholismus • leben • weiler • dauer • kantonsgericht • bewilligung oder genehmigung • beendigung • richtigkeit • scheidungsgrund • arzt • brief • tag • kenntnis
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