88 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

Frage der Taxierung der Hofwälder präjudiziell sein werde, offenbar in
der Meinung, dass eine Taxierung zu Gunsten dersGememde ausgeschlossen
sei, falls das Eigentum an den Hoswaldern den Höer zugesprochen wird. Der
angesochtene Entscheid beruht jedoch demgegenüber auf der Auffassung, dass
die Hofwalderk als Gut öffentlicher Korporationen unter allen Umstanden
jener Taxierung unterliegen, mag das Bundesgericht sie nun den Hoer oder
der Gemeinde zuweisen, Von welchem Standpunkt aus selbstverständlich der
Grosse Rat, trotz des zu erwartenden vhundeng richtlichen Urteils-, den
angefochtenen Beschluss ·fassen und damit die Auflage des Kleinen Rates
an die Gemeinde betreffend die Taxierung des Hofwaldnutzens bestätigen
konnte, ohne sich deshalb einer Rechtsverweigerung schuldig zu machen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewieseni. Staatsvertrag mit Frankreich über
civili-echt]. Verhältnisse. N° 14. 81

Vierter Abschnitt. _ Quatriéme section. Staatsverträge der Schweiz mit
dem Ausland. Traités

de la Suisse avec l'étranger.I. Staatsverträg'e über civilrechtliche
Verhältnisse. Traités concernant les rapports de droit civil.

Vertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869. Traité avec la France du 15
juin 1889.

14. Urteil vom 2. März 1904 in Sachen Konkursmasse der Caisse Générale
des Familles gegen _ Konkursmasse Ziplitt und Genossen.

Gesuch um Erteilung des Exequatur für ein en Frankreich ergangenen
Konkursurtei] Wer eine französische Ve rs-ich-erungsgesellschaft.
Art. 6 mad 16 Gerichtsstandsvertmg. Behauptete Rechtsverweigerung.
Unzeädsségkeit eines Separatkonkurses in der Schweiz über die Kaution der
Versicheru-ngsgesellschaft. Unwirksamkeit eine-s angeblichen Unterwerfung
des Gemeinschuldners unter den schweizerischen Gerichtsstand für die
Gläubiger. Verwertung der Massegegenstdnde am Orte der gelegen-m Sache;
Art. 6 Abs. 3 Gerichässtmadsvertmg. Rechtsweg für An...spru'cha ern
die zur Xo'nvku'rsmasse gehörende Knection. Arzt. 7 cod.

A. Die Lebensversicherungsgefellschast La Caisse Générale des Familles
in Paris erhielt im Jahre 1878 vom Regierungsrat-: des Kantons Luzern
die Konzession zum Geschäftsbetrieb in

xxx, 1. 1904 6

82 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

diesem Kanton für die Dauer von 6 Jahren, wobei sie eine Kaution
von 10,000 Fr. in Wertpapieren zu leisten hatte. Im Konzessionsakt
wird die Gesellschaft dabei behaftet, dass sie erklärt habe, sich
allen luzernischen Gesetzen, Verordnungen und Regierungsbeschlüssen
zu unterwerfen, und für Beurteilung der aus ihrem herwärtigen
Geschäftsbetrieb entstehenden Rechtsverhaltnisse und Streitigkeiten
den luzernischen Gerichtsstand anzuerkennen. Jtn Jahre 1884 wurde
die Konzession auf weitere 6 Jahre erneuert. Als im Jahre 1885 das
Bundesgesetz betreffend die Be-v aufsichtigung der Privatunternehmungen
im Gebiete des Versicherungswesens in Kraft trat, unterliess es die
Gesellschaft, beim Bundesrate die Bewilligung zum Geschäftsbetrieb in der
Schweiz nachzusuchen und beschränkte sich somit auf die Abwicklung der
daselbst bereits abgeschlossenen Versicherungsverträge. Die Kautionvon
10,000 Fr. biieb beim Regierungs-rate von Luzern hinterlegt.

Durch Urteil des Handelsgerichts des Seinedepartements in Paris vom
11. Juki 1902 wurde über die Caisse Générale des Familles der Konkurs
eröffnet. Ein Luzerner Versicherter, der Rekursbeklagte E. Muller,
machte, wie es scheint, beim Regierungsrate von Luzern Ansprüche an
die von der Gesellschaft seinerzeit geleistete Kaution geltend, worauf
der Regierungsrat die Kaution beim Gerichtspräsidenten von Luzern
gemäss § 93 des Gesetzes betr. das Civilrechtsverfahren (gerichtliche
Hinterlegung einer Sache zu Gunsten mehrerer ftreitender Ansprecher)
hinterlegte. Beim Gerichtspräsidenten stellte Müller das Gesuch,
es seien die Interessierten zur Anmeldung ihrer Ansprüche an die
Kaution öffentlich aufzufordern und es sei alsdann dem Konkursverwalter
Gelegenheit zur Prüfung und allfälligen gerichtlichen Anfechtung der
angemeldeten Ansprüche zu geben. Der Konkursverwalter proteftierte
hiegegen, indem er unter Hinweis auf den sranzbsischschweizerischen
Gerichtsstandsvertrag die Kompetean des Gerichtspräsidenten zu irgend
welchen Verfügungen bestritt und geltend machte, es sei die Kaution in
die Konkurstnasse mach Paris abzuliefern und dort nach Massgabe der
französischen Gesetze zu liquidieren. Der Gerichtspräsident erklärte
durch Entschetd vom 3. August 1903 das Begehren des Müller als drinziptell
berechtigt und eröffnete da es einfacher erscheine, die Liquidatton nach
dem SchKG durch die Gerichtskanzlei vornehmen zu lassenI. Staatsvertrag
mit Frankreich über civilrechrl. Verhältnisse. No 14 83

Über die Kaution von 10,000 Fr. der Caisse Générale des Familles nach
Massgabe der Vorschriften des eidgen. SchKG einen Separat-Konkurs,
resp. Liquidation. Hiebei wurde gegenüber der Anrnfung des
Staatsvertrages durch den Konkursverwalter darauf abgestellt, dass sich
die Gesellschaft bei der Konzessionserteilung für alle Rechtsverhältnisse
und Streitigkeiten aus ihrem Geschäftsbetrieb im Kanton dem Luzerner
Gerichts-stand unterworfen habe. Dieses Konknrserkenntnis zog der
Konkursverwalter an die Schuldbetreibungs und Konkurskammer des
Obergerichts (die auch kantonale Berufungsitistanz gegen Entscheide
des Gerichtspräsidenten im Schuldbetreibungs und Konkursverfahren ist)
weiter, welcher Berufung aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde (Art. 174
Ziff. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 174 - 1 Der Entscheid des Konkursgerichtes kann innert zehn Tagen mit Beschwerde nach der ZPO344 angefochten werden. Die Parteien können dabei neue Tatsachen geltend machen, wenn diese vor dem erstinstanzlichen Entscheid eingetreten sind.
1    Der Entscheid des Konkursgerichtes kann innert zehn Tagen mit Beschwerde nach der ZPO344 angefochten werden. Die Parteien können dabei neue Tatsachen geltend machen, wenn diese vor dem erstinstanzlichen Entscheid eingetreten sind.
2    Die Rechtsmittelinstanz kann die Konkurseröffnung aufheben, wenn der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit glaubhaft macht und durch Urkunden beweist, dass inzwischen:
1  die Schuld, einschliesslich der Zinsen und Kosten, getilgt ist;
2  der geschuldete Betrag beim oberen Gericht zuhanden des Gläubigers hinterlegt ist; oder
3  der Gläubiger auf die Durchführung des Konkurses verzichtet.
3    Gewährt sie der Beschwerde aufschiebende Wirkung, so trifft sie gleichzeitig die zum Schutz der Gläubiger notwendigen vorsorglichen Massnahmen.
SchKG).

Mittlerweile hatte der Konkursverwalter beim Qbergericht des Kantons
Luzern folgendes Geluch gestellt: 1. Es sei das Konkursurteil
des Handelsgerichts in Paris nach Massgabe der Art. 6 und 16 des
Gerichtsstandsvertrages als für das Kantonsgebiet vollstreckbar zu
erklären; 2. (fällt hier ausser Betracht); 3. dem Gerichtspräsidenten
und dem Konkursatnte Luzern, wie überhaupt allen luzernischen
Gerichts-behörden, sei die Kompetenz abzusprechen, über die Aushändigung
bezw. Verteilung der Kaution von 10,000 Fr. an einzelne Gläubiger der
Gesellschaft irgendwelche Verfügungen zu treffen; 4. der Gerichtspräsident
von Luzern sei zu verhalten, die Kaution nebst Zinsen dem Konkursverwalter
auszuhigen Das Obergericht fand (Metin 4), dass die Voraussetzungen
der Erteilung des Erequatur für das französische Konkursurteil nach
Art. 16 des Staatsvertrages gegeben seien und hiess demnach mit Entscheid
vom 26. September (der Rekurrentin zugeftellt am 27. Oktober) 1903 das
erste Begehren gut (vorliegende Eingabe sei hinsichtlich Begehren 1
im Sinn von Motiv 4 beschieden). Begehren 3 und 4 wurden abgewiesen,
wiederum mit der Begründung, dass die Gesellschaft seinerzeit für alle
Streitigkeiten aus ihrem Geschäftsbetrieb im Kanton die Kompetenz der
Luzerner Gerichte anerkannt habe.

Die Schuldbetreibungs und Konkurskammer sodann wies am 8. Oktober 1903 die
Berufung des Konkursverwalters gegen den Entscheid des Gerichtspräsidenten
von Luzern betreffend Eröffnung eines Separat-Konkurses ab. In der
Begründung wird ausge-

84 A. Siaatsrechfliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertràge.

führt, es sei zwar fraglich, ob der Gerichtspräsident, ohne dass ein
Konkursbegehren gestellt worden sei, als Konknrsgericht habe in Funktion
treten formen. Jnt Hinblick jedoch aus den Eutscheid des Obergerichts
vom 26. September 1903 und weil die Gesellschaft in Paris ihre Zahlungen
eingestellt habe und somit die Voraussetzungen einer Konkurseröffnung
ohne vorgängige Betreibung nach Art. 190
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 190 - 1 Ein Gläubiger kann ohne vorgängige Betreibung beim Gerichte die Konkurseröffnung verlangen:
1    Ein Gläubiger kann ohne vorgängige Betreibung beim Gerichte die Konkurseröffnung verlangen:
1  gegen jeden Schuldner, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist oder der die Flucht ergriffen hat, um sich seinen Verbindlichkeiten zu entziehen, oder der betrügerische Handlungen zum Nachteile der Gläubiger begangen oder zu begehen versucht oder bei einer Betreibung auf Pfändung Bestandteile seines Vermögens verheimlicht hat;
2  gegen einen der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner, der seine Zahlungen eingestellt hat;
3  ...
2    Der Schuldner wird, wenn er in der Schweiz wohnt oder in der Schweiz einen Vertreter hat, mit Ansetzung einer kurzen Frist vor Gericht geladen und einvernommen.
Biff. 3 SchKG gegeben seien, so
erscheine das Vorgehen des Gerichtspräsidenten als gerechtfertigtzumal nun
auch noch nachträglich ein Gläubiger ein Konkursbegehren gestellt habe.

Die Eröffnnng des Separatkonkurses über die Caisse Générale des Familles
hinsichtlich der Kaution von 10,000 Fr. ist im Luzerner Amtsblatt vom
3. Dezember 1903 publiziert. Als Datum der Konkurseröfsnung ist der
26. November 1908 angegeben. Am Verfahren vor den kantonalen Behörden
war als Partei ausser dem Rekursbeklagten Müller auch die Konkursmasse
Ziplitt in Luzern, die gleichfalls Ansprüche an der Kaution erhoben
hatte, beteiligt.

B. Gegen die Entscheide des Obergerichts und der Schuldbetreibungs und
Konkurskammer hat der Konkursverwalter der Caisse Générale des Familie-s
innerhalb der 60tägigen Rekursfrist staatsrechtliche Beschwerde ans
Bundesgericht ergriffen wegen Verletzung des Gerichtsstandsdertrages mit
Frankreich Über den obergerichtlichen Entscheid wird ausserdem noch wegen
Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV Beschwerde geführt, weil das Dispositio: Begehren
î sei im Sinn von Motiv 4 beschieden keine Entscheidung über das Begehren
um Erteilung des Exequatur flir das Konkursurteil enthalte, welcher
formelle Mangel sich als Rechtsverweigerung darstelle. Eventuell, falls
das Begehren als abgewiesen zu gelten habe, wird auch in dieser Beziehung
eine Verletzung des Staatsvertrags gezeigt, ba die Voraussetzungen
der Erteilung des Exequatur nach Art. 6 und 16 zweifellos vorhanden
gewesen seien. Zin übrigen wird zu beiden Entscheiden ausgeführt: Der
Gerichtsstandsvertrag stelle in Art. 6 im Verhältnis der Vertragsstaaten
den Grundsatz der Einheit und Attraktivkraft des Konkurses auf, und
zwar gelte dies nach der Praxis auch dann, wenn der Konkurs über einen
Franzosen in Frankreich, der in der Schweiz Vermögen habe, eröffnet
wordenI. Staatsvertrag mit Frankreich über civili-com!. Verhältnisse. N°
14. 85

sei. Hieraus folge aber, dass vorliegend ein Separatkonkurs in Bezug aus
die von der Caisse Générale des Familles in Luzern seinerzeit geleistete
Kaution nicht zulässig, sondern dass die Kantion in die Konkursmasse nach
Paris abzuliefern sei und dass die Luzerner Versicherten allfcillige
Vorzugsrechte auf den Erlös im Konkurse in Paris geltend zu machen
hätten. In beiden angefochtenen Entscheiden werde ohne Grund angenommen,
dass ein Verzicht auf den einheitlicheu Konkursgerichtsstand in Paris
vorliege. Ganz abgesehen davon, dass sich die von der Gesellschaft bei
der Konzessionserteilung ausgesprochene Gerichtsstandsanerkennung nur
auf Streitigkeiten aus den abzuschliessenden Versicherungsverträgen und
nicht auf den Fall eines Konkurses beziehe, habe die Gesellschaft durch
eine solche Erklärung nur sich und nicht eine künftige Konkursmasse
verpflichten können. Gestützt hieraus wird beantragt: 1. Es seien die
angefochtenen Entscheide aufzuheben; 2. es sei die Exequierbarkeit des
Konkursurteils im Kantou Luzern, und 3. die Admassierung der Kaution
von 10,000 Fr. nebst Zins in die Konkursmasse der Caisse Générale des
Familles in Paris zu verfügen-

G. Das Obergericht des Kantons Luzern (zugleich für die Schuldbetreibungs
und Konkurskammer), sowie E. Müller und die Konkursmasse Ziplitt
als Rekursbeklagte haben aus Abweisnng der Beschwerde angetragen und
zwar im wesentlichen aus den in den angefochtenen Entscheiden selbst
angeführten Gründen. In einer weitern Vernehmlassung des Obergerichts
wird u. a. bemerkt: Das Gericht sei im Entscheide vom 26. September 1903
auf die Begehren 3 und 4 der Rekurrenten nur in dem Sinn eingetreten,
dass erklärt worden sei, die Luzerner Behörden seien zur Vornahme der
bestrittenen Funktionen grundsätzlich nicht nnzusiändig, womit jedoch
ein materieller Entscheid über jene Begehren unter Umgehung der in erster
Linie zuständigen untern Jnstanzen nicht habe getroffen werden wollen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

î. Durch den angefochtenen Entscheid des Obergerichts ist das Begehren
der Rekurrentin um Erteilung des Exequaturs für das in Paris ergangene
Konkursurteil im Sinn von Motiv 4 beschieden worden. Da nun in Motiv
4 ausgeführt wird, dass vorliegend die Voraussetzungen der Erteilung
einer Vollziehungs-

86 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. N. Aoschnitt. Staaisverträge.

bewilligung nach Art. 16 des Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich
gegeben seien, so kann schlechterdings kein Zweifel bestehen, dass
das Gericht das Begehren gutgeheissen und damit das Konkursurteil als
für den Kanton Luzern vollstreckbar erklärt hat. Die Beschwerde der
Rekurrentin wegen Rechtsverweigerung, weil über jenes Begehren nicht
entschieden worden fei, ist daher unverständlich. Damit ist auch die
von der Rekurrentin eventuell erhobene materielle Beschwerde wegen
Verweigerung des Erequaturs (Rekursbegehren 2) erledigt.

Jm übrigen kommt dem obergerichtlichen Entscheid für die Frage,
ob der über die Caisse Générale des Familie-s in Luzern eröffnete
Separatkonkurs sich mit den Bestimmungen des Gerichtsstandsvertrags
verträgt, neben dem ebenfalls angefochtenen Urteil der Schuldbetreibungs
und Konkurskammer keine selbständige Bedeutung zu. Es scheint zwar,
dass das Qbergericht, indem es das auf Berneinung der Zuständigkeit des
Gerichtspräsidenten von Luzern zur Konkurseröffnung gehende Begehren der
Rekurrentin abwies, diese Zuständigkeit habe bejahen wollen. Allein die
Frageob der Gerichtspräsident sachlich und örtlich zur Konkurseröffnnng
kompetent war, oder ob der Gerichtsstandsvertrag dem entgegenstand,
konnte (an kantonalem Boden) nur dadurch zum Austrag gebracht werden,
dass die Rekurreutin das Konkursdekret des Gerichtspräsidenten an die
zuftändige Berufungsiustanz weiterzog, was auch geschehen i. Ebenso
kann im Verfahren vor Bundesgericht das Schicksal des Separatkonkurses
lediglich davon abhängen, ob der Entscheid der SchnldbetreibnngsUnd
Konkurskammer aufgehoben wird oder nicht. Je nachdem besteht oder fällt
der Separatkonkurs, ohne dass der obergerichtliche Entscheid hieran
etwas ändern könnte. Auch in dieser Beziehung erweist sich somit die
Beschwerde über das obergerichtliche Urteil als gegenstandslos

2. Die Zulässigkeit des in Luzern eröffneten Separatkonkurses ist vom
Bundesgericht gemäss dem einzigen Beschwerdegrund der Rekurrentin nur
vom Standpunkte des Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich und nicht etwa
auch von demjenigen des SchKG aus zu prüfen. Hiebei mag Vorerst bemerkt
werden, dass die Erwägungen, die im Falle der heutigen Rekurrentin
gegen den Regierungsrat des Kantons Bern (Urteil des BundesgerichtsL
Staatsvertrag mit Frankreich über civilrechfl. Verhältnisse. N° M, 87

Vom 16. Oktober 1903 *) zur Abweisnng der Beschwerde geführt haben, hier
nicht zutreffen. In jenem Fall wurde das Begehren des Konkursverwalters
um Herausgabe einer ähnlichen, noch im Besitz des Regierungsrates
von Bern befindlichen Kaution verworfen, weil das zwischen dem
Regierungsrate und der Gesellschaft in Bezug auf die Kaution bestehende
Rechtsverhältnis dem öffentäichen Recht angehöre und der Regierungsrat
sich aus publizistischen Gründen im Besitz der Kaution befinde und
deren Herausgabe aus dem nämlichen Grunde verweigere, und weil der
Gerichtsstandsvertrag nur auf privatrechtliche und nicht auch auf
öffentlich-rechtliche Verhältnisse wirken könne. Wenn nun auch zwischen
der Gesellschaft und dem Regierungs-rate von Luzern hinsichtlich der dort
geleisteten Kaution ein analoges Rechtsverhältnis bestand, so ist doch,
indem der Regierungsrat durch gerichtliche Hinterlegnng der Kaution sich
des Besitzes begeben und hiedurch darauf verzichtet hat, Ansprüche von
Staats wegen an sie zu erheben, zweifellos jenes öffentlich-rechtliche
Verhältnis dahingefallen und eventuell nur ein civilistisches, auf dem
Wege der Privatrechtspflege zu liquidierendes Verhältnis zwischen den
Versicherten und der Gesellschaft in Bezug auf die Kaution geblieben,
so dass also vorliegend die Bestimmungen des Gerichtsstandsvertrages
san sich Anwendung finden können. .

Es steht in der bundesgerichtlichen Praxis (s. Amii. Samml., XXI, S. 57
ff.) fest, dass der schweizerisch-französische Gerichtsstandsvertrag im
Rechtsverkehr der beiden Vertragsstaaten die Einheit und Allgemeinheit
des Konkurses als allgemeines Prinzip aufstellt und nicht nur
für den in Art. 6 Abs· 1 besonders hervor-gehobenen Fall, dass ein
Schweizer, der in Frankreich; oder ein Franzose, der in der Schweiz ein
Handelsgeschäst betreibt, in Konkurs fällt. Desgleichen ist anerkannt,
dass nicht nur physische, sondern auch juristische Personen und speziell
Aktiengesellschaften unter die Vorschriften des Staatsvertrages fallen
(Amii. Sannnl., XV, S. 578, Erw. 2). Borliegend ist auch für das
Konkurserkenntnis des Handelsgerichts in Paris als dem Sitz der Caisse
Générale des Familles die Voraussetzung erfüllt, unter der nach dem
Vertrag ein Urteil im andern Vertrags-

* Amtl. Samml., XXIX, 1, Nr. 104, S. 500 {T.

88 A. Staats-rechtliche Entscheidungen. Vi. Abschnitt. Staatsverträge.

staat exequiert werden kann: es ist gemäss Art. 16 vom Obergericht
Luzern für das Gebiet des Kantons vollstreckbar erklärt worden. Dass
dies erst nach dein Konkursdekret des Gerichtspräsidenteu von Luzern
immerhin während noch das Berufungsverfahren anhänng war geschehen ist,
kann nicht von Bedeutung sein; denn aus dem Prinzip der Universaiität des
Konkurses würde folgen, dass sogar ein im andern Vertragsstaat bereits
rechtskräftig eröffneter Separatkonkurs damit dahinfallen müsste,
dass der Konkursverwalter das mit der Vollstreckungsklausel versehene
Konkurserkenntnis des Wohnsitzrichters produziert (s. auch Curti, der
Gerichtsstandsvertrag, S. 133). Übrigens bedarf es wohl nach richtiger
Auslegung des Staatsvertrages zur Geliendmachung des Konkurserkenninisses
durch blosse Einrede, also auch gegenüber einem Begehren um Eröffnung
des Separatkonkurses, im Gegensatz zu den eigentlichen positiven
Vollstreckungshandlungen des Massaverwalters noch keiner vorgängigen
Vollziehungsbewilligung (Antil. Samml., XXIX, î. Teil,S. 342 f.).

Nach dem Staats-vertrag umfasst also der in Paris über die Caisse
Générale des Famflles eröffnete Konkurs prinzipiell das gesamte im
Gebiet der Vertragsstaaten befindliche Vermögen der Gemeinschuldnerin
und wirkt allen dort wohnhaften Beteiligten gegenüber. Dass mit diesem
System des Vertrags ein Separatkonkurs in der Schweiz über gewisse
Vermögensbestandteile, d. h. deren besondere von der Massaverwaltung
unabhängige Liquidation im Konkursverfahren durch eine Gruppe von
Gläubigern und ausschliesslich zu Gunsten dieser, sich nicht verträgt, ist
ohne weiteres klar; denn der Vertrag legt grundsätzlich die Liquidation
des gesamten Vermögens in die Hände des Massaverwalters und will, dass
der Erlös unter alle Gläubiger Vorzugsrechte natürlich vorbehalten
gleichmässig verteilt werde. Der einzige im angefochtenen Entscheid
für die Zulässigkeit des Separatkonkurses und die Nichtanwendung des
Gerichtsstandsvertrages angeführte Grund, dass nämlich die Gesellschaft
seinerzeit sich allgemein dem Luzerner Gerichtsstand unterworfen habe,
erscheint als unzutreffend. Das Recht der Konkursgläubiger am Vermögen
des Gemeinschuldners (Beschlagsrecht) entsteht durch Richterspruch
nach Massgabe des Gesetzes (hier in Verbindung mit dem Staatsvertrag)
unabhängig vom Willen des Gemeinschuldners und istI. Staatsvertrag mit
Frankreich über civîlrechtl. Verhältnisse. N° 14, 89

kein vom letztern abgeleitetes Recht. Es kann daher auch nicht durch
Verfügungen des Gemeinschuldners beeinträchtigt und zu Gunsten einzelner
Gläubiger für gewisse Vermögensstücke ausgeschlossen oder beschränkt
werden. Schon aus diesem Grunde konnte die Gesellschaft zwar die
Kompetenz der Luzerner Gerichte zum voraus anerkennen, für den Fall,
dass sie aus ihrem Geschäftsbetrieb im Kanton belangt werden follie,
dagegen durch die bei der Konzessionserteilung abgegebene Erklärung, auch
wenn sie in diesem Sinn zu verstehen sein sollte, den dortigen Richter
zur allfälligen Eröffnung eines Konkurses neben dem Wohnsitzrichter
nicht zuständig machen, ganz abgesehen davon, dass die Bestimmungen von
Gesetzen und Staatsverirägen über den Konkursgerichtssiand der Disposition
des Genkeinschuldners überhaupt entzogen find. Der Rekurs erscheint
nach diesen Ausführungen infoweit begründet, als in Gutheissung des
1. Rekursbegehrens der Emscheid der Schuldbetreibungs und Konkurskammer
und damit das Konknrserkenntnis des Gerichtspräsidenten von Luzern
wegen Verletzung des schweigerisch-französischen Gerichtsstandsvertrages
aufzuheben ist.

3. Die Rekurrentin scheint es als eine Konsequenz der Unzuläfsigkeit des
Separatkoukurses zu betrachten, dass die Kaution vom Gerichtspräsidenten
von Luzern, bei dem sie hinterlegt ist, ohne weiteres an die
Konkursmasse in Paris abzuliefern ist, um daselbst nach Massgabe der
französischen Gesetze verwertet zu werden, wobei diejenigen Personen,
die vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös der Kaution verlangen, diesen
Anspruch im Konkurfe geltend zu machen halten. Sie ficht daher mit dem
3. Rekursbegehren den Entscheid des Obergerichts Luzern vom 26. September
1903 auch insofern an, als damit ein solches Begehren abgewiesen worden
ist. Diese Auffassung der Rekurrentin ist jedoch in doppelter Hinsicht
unrichtig. Einmal kann nach dem Gerichtsstandsvertrage der Masfaverwalter
die im andern Vertragsstaat befindlichen Mobilien und Immobilien nur am
Orte, wo sie sind, verwerten und nur den Erlös zur .Masse ziehen. Dies
ergibt sich zwingend aus der Vorschrift in Art. 6 Abs. 3, wonach beim
Verkaufe der Mobilien und Immobilien die Gesetze des Ortes der gelegenen
Sache zu beobachten sind ( il [le syndic] poursuivra également, en se
conformant aux lois du

90 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. {V. Abschnitt. Staatsverträge.

pays de leur Situation, la vente des biens meubles et immeubles
appartenant au failli ), was, da es sich hiebei um Vorschriften über
das Verfahren handelt, am Orte der Konkursmasse nicht möglich i. Und
ferner könnte die Rekurrentin nur dann zur Liquidation der Kaution
in Luzern schreiten, wenn sie in deren Besitz wäre. Nun ist aber die
Kaution vom Regierungsrate beim Gerichtspräsidenten von Luzern (dem sie
vom Konkursmi nunmehr zurückzustellen ist) zu Gunsten der streitenden
Ansprecher hinterlegt worden. Die Herausgabe an die Rekurrentin könnte
also nur erfolgen, wenn die Rekursbeklagten und allfällige weitere
luzernische Versicherte, die Ansprüche an die Kaution erheben, dazu
ihre Zustimmung geben würden Da dies nicht der Fall ist, sondern die
luzernischen Versicherten offenbar ein eigenes dingliches Recht daran in
Anspruch nehmen, so kann sich die Rekurrentin auf keinen andern Weg in
den Besitz der Kaution setzen, als indem sie beim ordentlichen Richter in
Luzern gegen dies andern Ansprecher auf deren Herausgabe klagt, in welchem
Prozess dann festzustellen sein wird, ob und welche Rechte den Ansprechern
als Versicherten an der Kaution zustehen. Auch das Obergericht gibt ja
nunmehr zu, dass hierüber nur der Richter im ordentlichen Verfahren,
dessen Entscheid das obergerichtliche Urteil nicht habe vorgreier wollen,
erkennen kann. Dass eine solche Klage der Konkursmasse am Domizil der
Beklagten (bezw. am Orte des Sequesters) anzubringen ist, folgt auch aus
Art. 7 des Staatsoertrags, der im Verhältnis der beiden Länder alle von
der Konkursmasse gegen Gläubiger oder Dritte angehobenen Klagen, die nicht
dingliche Rechte an Immobilien betreffen, vor den Wohnsitzrichter der
Beklagten verweist. Erst wenn dergestalt durch Richterspruch Vorzugsrechte
der Versicherten an die Kaution bejaht sind, wird die Frage zu lösen sein,
in welcher Weise diese Rechte bei der Liquidation zu berücksichtigen find,
ob die Berechtigten ihre Befriedigung in der gemeinsamen Masse suchen
müssen, oder ob sie nicht vielmehr selber auf dem Wege der Pfandverwertung
vorgehen können, wobei nur ein allfälliger Überschuss in die Masse fallen
würde, welch' letzteres Verfahren bei der Aquidation eines auswärtigen,
mit dinglichen Rechten behafteten Vermögensteils natürlich keineswegs mit
dem als unzulässig bezeichneten Separatkonkurs identisch wäre (s. Curti,
a. a. Q, S. 137).Il. Uebereinkuni't mit Württemberg. N° 15. 91

Für die Abweisung des 3. Rekursbegehrens genügt es hier, festgestellt zu
haben, dass die Rekurrentin, so lange sie die erwähnte Klage gegen die
andern Ansprecher nicht durchgeführt hat, sich unter keinen Umständen
über die Verweigerte Auslieferung der Kaution (behufs Liquidation in
Luzern) beschweren fanti.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Entscher der Schuldbetreibungs und Konkurskammer des Obergerichts
des Kantons Luzern vom 8. Oktober 1903 wird aufgehoben und demnach die
Konkurseröffnung des Gerichtspräsidenten von Luzern vom 3. August 1903
kassiert. Im übrigen wird der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

II. Übereinkunft zwischen der Schweiz und Württemberg vom Jahre 1825/1826.
Convention entre 1a Confédération et Wurtemberg, de Pan 18251826.

15. Urteil vom 10. Februar 1904 in Sachen Kohler gegen Teifel und Bundschu

Uebcreinkuetft zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Krone Württemberg bet-reffe-nd die Ko-nlcusirsvessrhciltnisse etc. vom
12. Dezember 1825333. Mai 1826. Fortdauea rede Geiltrgkeit dieser
Uebeminîeunft. Prinzip riet alllgemeinhee'z und Einheit des Konliu-2395.
Tragweite des Perboeîes der Arresflegung. Legitimation zur Beschsiwe-rde
gegen Arrestlegzmg. Deutsche KO § i (Umfang der Konkursmasse}.

Das Bundesgericht hat, da sich ergeben:

A. Dem Rekurrenten, über den am LT. März 1903 durch das königliche
Amtsgericht zu Aalen (Württemberg) Konkurs eröffnet worden isf, fiel am
29. Mai 1903 eine Erbschaft in Basel an. Die Rekursbeklagten erwirkten
am 3. August 1903 beim Civilgerichtspräsidenten HI Baselstadt für eine
Regressfor-
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 30 I 81
Date : 02. März 1904
Published : 31. Dezember 1904
Source : Bundesgericht
Status : 30 I 81
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 88 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen. Frage


Legislation register
BV: 4
SchKG: 174  190
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france • treaty • assets • receivership • federal court • cantonal council • hamlet • commercial court • granting of a license • measure • question • decision • prosecution demand • family • bankruptcy proceeding • interest • municipality • function • intention • defendant
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