280 A, Staatsrechtlifihe Entscheidungen. IH, Abschnitt. Staatsvertràge.

samte französische Civilgesetzgebung in Elsass-Lothringen nach dessen
Angliederung an das Deutsche Reich weiter gegolten habe, soweit sie
nicht hinterher durch besondere förmliche Gesetzgebungsakte aufgehoben
worden fei. Wenn man nämlich die auf einem Staatsvertrage beruhenden
Bestimmungen den Normen der innerstaatlichen Gesetzgebung in Bezug auf die
vorwürfige Frage ihrer weitern Fortdauer nach erfolgter Gebietsabtretung
ohne weiteres gleichstellen wollte, so wäre doch zu sagen, dass Art. 1
des Gerichtsstandsvertrages vom 15. Juni 1869, soweit dadurch eine
Arrestnahme ausgeschlossen wird, durch die deutsche Reichsgesetzgebung
für Elsass-Lothringen ausser Kraft gesetzt worden sei. Denn nach § 919
(alt 799) der deutschen C.-P.-O. ist für die Anordnung eines Arrestes
neben dem Gerichte der Hauptsache auch dasAmtsgericht zuständig, in
dessen Bezirk der mit Arrest zu belegende Gegenstand sich befindet, und
§ 917 bezeichnet ferner den Umstand als einen zureichenden Arrestgrund,
dass das Urteil im Ausland vollsireckt werden müsse. Angesichts dieser
Bestimmungen der deutschen Reichs-Civilprozessordnung erscheint es
ohne weiteres als ausgeschlossen, dass ein Schweizer gegen einen in
Elsass-Lothringen gegen ihn ausgewirkten Arrest den Gerichtssiandsvertrag
vom Jahre 1869 anrufen könnte, und es lässt sich hiernach auch unmöglich
annehmen, dass etwa eine Fortsetzung des Gerichts-steinwvertrages durch
den neuen Souoerän stillschweigend stattgefunden habe. Demnach hat das
Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesenB. Entscheidungen der
Schuldbetreibungs und Konkurskammer.

Arréts de la Chambre des poursuites

et des faillites.

62. Entscheid vom 11. Juli 1902 in Sachen Bea.

Aufnahme einer Retentiansurkunde, Art. 283
Sch.u. Is.-Ges. Kompetenzstücke. Dem Schuldner notwendige
Berufswerkzeuge, etc., Art. 92 Zijî'. 3 Sch.u. K.-Ges. Tatseîchlicàe
Feststellung der (obem) kantonalen Aufsichtsbehöräe. Geltendmachung der
Unpfändbarkeit durch eine Drittperson und Dritteigentümerin: Zulässigkeit
des Beschwerdeveo'fakrens ; Verhältnis zum Widerspruchsverfahrm nas};
Art. 106/109 Safe.u. K. Ges.

]. Der Rekurrent, M. Bea, liess für rückständigen Mietzins bei
(EUR. Stephan, Photograph in Zurich, eine Retentionsurkunde
aufnehmen. Daraufhin erhoben einerseits der Schuldner Stephan und
anderseits seine Haushalterim Witwe Luise Ryssel, Beschwerde, erster-er
mit dem Begehren, es seien ihm die retinierten Nr. 11

und 14 19 als zur Ausübung seines Beruer nötige Instru-

mente zu überlassen, letztere mit dem Antrage, ihr die Retentionsnummern
1, 3, 4, 8, 12 und 13 (welche Objekte festgestelltermassen in ihrem
Eigentum stehen) als ihr zukommende Kompetenzstücke freizugeben

xxvm, !. 1902 18

262 B. Entscheidungen der Schuldhetreibungs-

Die erste Instanz hiess die Beschwerde Stephane? bezüglich der Nr. 1419
und diejenige der Frau Ryffel bezüglich der am. 1, 3, 4 und 8 gut.

II. Hiegegen ergriff der Gläubiger Bea die Weiterziehung,. indem er, auf
unveränderte Bestätigung der vorgenommenen Retention antragend, geltend
machte: Die von Stephan beanspruchten Objekte seien für diesen nicht
Kompetenzstücke, weil er seinen Beruf als Photograph schon längst nicht
mehr selbständig ausübe, sondern bei Julius Braun in Zürich I in Condition
stehe und in dieser Stellung keine eigenen Werkzeuge und Instrumente
halten müsse. Die Beschwerde der Frau Rysfel sodann müsse schon deshalb
dahin fallen, weil sie Eigentümerin der betreffenden Gegenstände sei,
während als Kompetenzstücke nur dem Schuldner gehörige Objekte in Frage
kommen können. Soweit Gegenstände Dritter gepfändet oder retiniert
werden, haben diese den Weg der gerichtlichen Klage nach Art. iOS/109
B.-G. zu betreten und sei eine Beschwerde nach Art. 17 B.-G überhaupt
ausgeschlossen. Das gelte auch, wenn, wie z. B. im vorliegenden Falle,
beim Einzug in die Wohnung dem Hauskneisier das Eigentumsrecht nicht
angezeigt worden sei, so dass der gesetzlich vorgeschriebeneWeg zum
vornherein als erfolglos erscheine Es gelte ferner für Familienglieder
des Schuldners so gut als für andere PersonenÜbrigens gehöre Frau Ryfsel
nicht im Sinne von Art. 92 V.-G. zur Familie des Reteutionsschuldners

III. Die kantonale Aufsichtsbehörde wies den Rekurs unterm î9. April
1902 ab, wobei sie ausführte:

Die dem Stephan erstinstanzlich belassenen Objekte seien anerkanntermassen
zur Ausübung des Beruer eines Photographien unentbehrlich Stephan sei
gelernter Photograph und habe bis dahin auch eine Art Atelier besessen. Er
betreibe zur Stunde keinen andern Beruf und wenn er für Braun arbeite,
so beweise dies nicht, dass ihm dieser die nötigen Instrumente zur
Verfügung gestellt habe. Zeitweilige Arbeitslosigkeit eines Haudwerkers
bilde noch keinen Grund, ihm das Handwerkszeug als pfändbar wegzunehmen;
dies sei erst zulässig, wenn sich der Handwerker für längere Zeit in ein
Dienstverhältnis begebe oder seinen Beruf wechsle Die der Frau Rysfel
zuerkannten Kompetenzstücke an-

und Konkurskammer. N° 62. 263

langend, genüge eine Verweisung aus Art. 294 O.-R, wonach die laut dem
Schuldbetreibungsgesetz der Exekution entzogenen Sachen von der Retention
ausgenommen seien. Den Ausschluss der Kompetenzstücke könne sowohl der
Mieter als ein Dritteigentümer beanspruchen.

IV. Junert nützlicher Frist erneuerte Bea sein Rekursbegehren vor
Bundesgericht, indem er sich im wesentlichen auf die bereits vor
kantonaler Instanz geltend gemachten Rekursgründe stützte.

Die Schuldbetreibungs und Konkurskammer zieht in Erwägung:

1. Hinsichtlich der dem Schuldner Stephan nach Art. 92 Ziff. 3 B.-G. als
unpsändbar belassenen Objekte sieht die Vorinstanz den Beweis nicht
als erbracht an, dass Stephan, wenn er auch die selbständige Ausübung
seines Beruer aufgebe und dauernd in ein Anstellungsverhältnis trete,
die fraglichen Gegenstände nicht mehr notwendig habe. Es handelt sich
hiebei um eine Würdigung des konkreten Falles, die weder auf einer
Aktenwidrigkeit beruht, noch eine offenbar unzutresfende Beurteilung der
Verhältnisse der in Frage stehenden Berufsbranche in sich schliesst. Zu
einer Abänderung des Vorentscheides liegt bei dieser Sachlage kein Grund
vor, um so weniger als es der Rekurrent an einem ernsthaften Versuche,
den Standpunkt der kantonalen Aufsichtsbehörde zu widerlegen, hat fehlen
lassen. Nach dem Gesagten braucht sodann nicht mehr geprüft zu werden,
ob die Vorinstanz ebenfalls mit Recht angenommen habe, dass Stephan
die streitigen Gegenstände auch zum Zwecke einer ferneren selbständigen
Ausübung seines Berufes als unpfändbar beanspruchen forme.

2. Die Retentionsobjekte, an welchen die kantonalen Jnstanzen
der Frau Ryffel das Kompetenzprivileg zuerkannten, befinden sich
laut ausdrücklicher Anerkennung des Rekurrenten im Eigentum dieser
Ansprecherin. Jst aber das Eigentum der Frau Ryffel an diesen Objekten
unbestritten, so muss sie auch auf Grund hievon im Beschwerdeversahren
sich persönlich auf deren Uupfändbarkeit berufen können. Daran vermag
der Umstand nichts zu ändern, dass die Gegenstände in eine Retention
einbezogen wurden, die sich nicht gegen sie als Schuldnerin richtet,

284 B. Entscheidungen der Schuldbetreibungs-

sondern bei der sie als Dritteigentümerin auftritt. Damit fällt die
Behauptung, das Verfahren nach Art. 106/109 sei das einzige, welches der
Frau Ryffel für die Wahrung ihrer Rechte offen stehe, als unzutreffend
dahin. Materiell sodann lässt sich die Frage der Kompetenzqualität
dieser Gegenstände nach der Aktenlage ebenfalls nicht abweichend von
der Vorinstanz beantworten. Der Rekurrent hat nämlich lediglich darauf
abgestellt, dass Frau Ryfsel nicht zur Familie des Schuldners Stephan
gehöre. Nun macht aber an den fraglichen Objekten nicht etwa Stephan,
für sich und für Frau Rhffel als Familienangehörige, deren Unter-halt ihm
obliege, Kompetenzqualität geltend; es ist vielmehr Frau Ryffel persönlich
und kraft ihres Eigentumsrechtes, welche die Gegenstände als für sie
unpfändbar beansprucht. Dass aber die erforderlichen Voraussetzungen
für Unpfändbarkeit in diesem Sinne nicht gegeben seien, d. h. dass Frau
Ryffel die Objekte für ihren persönlichen Unterhalt entbehren könne,
hat der Rekurrent nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen.
Demnach hat die Schuldbetreibungs und Konkurskammer erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.

63. Entscheid vom 11. Juli 1902 in Sachen Moser.

Anschlusspfändung der Ehefrau, Art. 111 Sols es. K .-Ges. Bestreitung
derselben. Gerichtliches, nicht Beschwerdeverfahren.

I. Frau Binder-Wiest in Basel verlangte für eine Frauengutsforderung von
1936 Fr. 75 Cts. ohne vorherige Betreibung Anschluss an eine am 12. April
1902 gegen ihren Ehemann vollzogene Pfändung. Das Betreibungsamt entsprach
diesem Anschlussbegehren. Mit Eingabe vom 3. Mai 1902 erhob darauf
der betreibende Gläubiger, H. Moser, Beschwerde, indem er anbrachte:
Die Ehegatten Binder leben seit dem frühem Konkurse des Ehemannes in
Gütertrennung Es sei daher der Frau eine Anschlusspfändung nur noch auf
Grund einer rechtskräftigen Be-und Konkurskammer. N° 63. ' 265

treibung während der 30tägigen Anschlussfrist gestattet. Nur unter
diesen Bedingungen räume Art. 12 a, des baselstädtischen Gesetzes
über das eheliche Güterrecht der in Gütertrennung lebenden Ehefrau
das Recht ein, den bei einer frühern Kollokation zu Verlust gekommenen
Betrag ihrer Frauengutsforderung bei einer neuen Pfändnng geltend zu
machen. Die fragliche (am 18. April 1902 erfolgte) Anschlusspfändung
sei also aufzuheben.

H. Die kantonale Aufsichtsbehörde erkannte am 10. Mai 1901: es sei die
Beschwerde wegen Jntompetenz abgewiesen, was sie damit begründete, dass
es sich um eine im gerichtlichen Verfahren zu erledigende Anfechtung
des Kollokationsplanes handle.

III. Daraufhin rekurrierte Moser rechtzeitig an das Bundesgericht, mit
dem Begehren, unter Aufhebung des ergangenen Jnkompetenzentscheides die
Beschwerde zur materiellen Behandlung an die kantonale Aufsichtsbehörde
zurückzuweisen.

Die Schuldbetreibungs und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Zufolge Art. 111 Betr.-Ges. kann die Ehesrau nach Massgabe der hierüber
aufgestellten kantonalen Bestimmungen für Forderungen aus dem ehelichen
Verhältnisse auch ohne vorherige Betreibung Teilnahme an einer gegen den
Ehemann ergangenen Psändung beanspruchen. Anderseits räumt Art. 111 den
Gläubigern die Befugnis ein, von einem solchen Anspruch durch das Amt
in Kenntnis gesetzt zu werden und ihn (zum Zwecke der Wegweisung aus
der betreffenden Pfändungsgruppe) zu bestreiten. Diese Einsprache ist
alsdann nicht im Beschwerdeverfahren, sondern auf dem Wege gerichtlicher
Klage zur Erledigung zu bringen.

Der kompetenzablehnende Entscheid der Vorinstanz muss also gutgeheissen
werden, sofern die Einwendungen, die der Rekurrent gegen den Anspruch der
Frau Binder-Wiest auf Teilnahme an der Pfändung erhoben hat, materiell
eine (in das gerichtliche Verfahren zu verweisende) Bestreitung dieses
Anspruches im Sinne des Artikels darstellt. Dies ist aber zu besahen:
Das Kollokationsverfahren des Art. 111 beschlägt nicht etwa nur die
Fälle, wo die von der Ehefrau angemeldete Forderung ihrem Best ande
nach ganz oder teilweise bestritten, oder wo in Abrede gestellt isf,
dass es sich um eine Forderung aus dem ehelichen Verhält-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 28 I 261
Datum : 11. Juli 1902
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 28 I 261
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 280 A, Staatsrechtlifihe Entscheidungen. IH, Abschnitt. Staatsvertràge. samte französische


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
schuldner • frage • vorinstanz • elsass-lothringen • eigentum • bundesgericht • ehegatte • werkzeug • weiler • familie • staatsvertrag • entscheid • kollokationsplan • öffentlich-rechtliches dienstverhältnis • verlängerung • rechtsmittel • gegenstand • fotografie • dauer • kantonales rechtsmittel
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