512 A. Staatsrechlliche
Entscheidungen. [[I. Abschnitt. Kautonsverfassungen.
L. Den zweiten Rekursgrund, die behauptete Verletzung der
Eigentumsgarantie anlangend, stellt sich der Beschwerdeführer auf den
Standpunkt, dass er Eigentümer der auf die Konzession bezüglichen
Wasserrechte sei, dass die wasserpolizeilichen und sonstigen
gesetzlichen Voraussetzungen für die Errichtung der projektiert-en
Wasserwerksanlage erfüllt seien und dass er bei dieser Sachlage einen
Rechtsanspruch gegenüber der Verwaltungsbehörde aus Erteilung der
Konzession habe. Diese Argumentation erscheint indessen schon deshalb
nicht als schlässig, weil über die erste Behauptung, betreffend die
vom Rekurrenten beanspruchten privaten Wassernntzungsrechte, unter den
Rekursparteien keine Übereinstimmung herrscht. Der Rekurrent geht von der
Annahme aus, dass, wenn es infolge der verbesserten Technik möglich ist,
der fraglichen Gewässerstrecke eine grössere Menge nutzbar-er Kraft zu
entnehmen, dieser Mehrgewinn an Kraft ihm als privaten Berechtigten,
als Inhaber der zur Zeit thatsächlich verwerteten Nutzungsrechte,
zukomme. Die gegenteilige Auffassung vertritt der Regierungsrat, indem
er (ohne übrigens die beanspruchten privatrechtlichen Befugnisse des
Reknrrenten ausdrücklich als solche anzuerkennen) erklärt, dass er nur
die bisherige Ausnutzung der behaupteten Eigentumsrechte unangefochten
lasse. Daraus muss geschlossen werden, er betrachte den durch neue
technische Jnftallationen zu erzielenden Überschuss an Kraft nicht
als dem Rekurrenten zugehörig, nicht als Ausfluss seiner privaten
Rutzungsbesugnisse Es handelt sich also in erster Linie um eine
Streitfrage, wenn nicht über die Existenz, so doch über den Umfang
der fraglichen Wasserrechte, welche Streitfrage in die Kompetenz der
ordentlichen Civilgerichte fällt (ng, z. V. bundesger. Entsch, Bd.111,
Nr. 53, Crw. 3,S. 314). So lange dieser Punkt nicht zu Gunsten des
Rekurreuten entschieden ist, kann von dem Nachweise einer Verletzung der
Eigentumsgarantie, die in der Verweigerung der anbegehrten Konzession
liegen würde, zum vornherein nicht gesprochen werden.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird abgewiesen.Staatsvertrag mit dem Grossherzogtum Baden. N°
91. 513
Vierter Abschnitt. Quatrième section. Staatsverträge der Schweiz mit
dem Ausland. Traités
de la Suisse avec l'étranger.
D H--
Staatsvertrag mit dem Grossherzogtum Baden vom 7. Juli 1808. Traité avec
le Grand. duché de Bada du '? juillet 1808. ,
91. Urteil vom 17. Oktober 1901 in Sachen Konkursmasse der Färberei und
Appretur Schusterinsel A.-G. gegen Münchii
Zulässigkeit des staatsrechtäichen Rekurses wegen Verletzung von
Staatseertrd'gen aime Dorfe-ergebende Erschöpfung des Instanzenzuges.
Stillschweégende Aufhebung eines (des oben citierte-n) Staats- vera-ages
wegen Nichtbefalgung durch den einen der Perseus-steile (ein casa des
Grossherzogteems Baden) ?
A. Am 15. Januar 1901 eröffnete das Grossherzoglich badische Amtsgericht
Lörrach über das Vermögen der in seinem Bezirke domizilierten
Aktiengesellschaft Färberei und Appretur Schusterinsel in Liquidation
den Konkurs. Am 17. Januar d. J. erwirkte Alfred Münch in Basel bei der
Arrestbehörde Baselstadt
* lm Anschluss an diesen Fall hat sich eine Korrespondenz zwischen dem
schweizerischen Bundesrate und dem grossherzoglich badischen Ministerium
des Auswärtigen entwickelt, worin sich das letztere mit der Auffassung
des Bundesgerichtes vollkommen einverstanden erklärt hat '
514 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.
einen Arrestbefehl für eine Forderung von 1731 Fr. an die genannte
Gesellschaft auf ein Guthaben derselben von 1200 Fr. an Emil
Löliger-Häfelfinger in Basel. Am 19. Januar 1901 erwirkte derselbe
Gläubiger bei gleicher Amtsstelle einen weitern Arrestbefehl für eine
andere Forderung von 4662 Fr. 10 Cts., an der Gesellschaft auf ein
Guthaben von circa 3080 Fr das derselben an der Firma Gebrüder Sarasin,
Bandfabrikanten in Basel zusteht. Für seine zwei Arrestsorderungen
liess der Arrestnehmer der Färberei und Appretur Schusterinsel A.-G.
am 19. und 22. Januar je einen Zahlungsbefehl durch die Post zustellen.
B. Vermittelst Eingabe vom 13/14. Februar 1901 wandte sich die
Konkursverwaltung der salliten Aktiengesellschaft auf dem Wege des
staatsrechtlichen Rekurses an das Bundesgericht mit dem Antrage, die
beiden Arrestbefehle und die in Ausführung derselben vorgenommenen
Betreibungshandlungen als ungültig zu erklären. All diese Vorkehren,
führte sie aus, verletzen den Staatsvertrag zwischen der Eidgenossenschast
und dem Grossherzogtum Baden vom 7. Juli 1808, der zweifellos noch zu
Recht bestehe und dessen Art. 2 bestimme, dass zwischen den Angehörigen
der beiden Staaten "nach Ausbrnch eines Fallimentes keine Arreste
auf bewegliches Eigentum des Falliten anderst als zu Gunsten der
ganzen Schuldenmasse gelegt werden dùrfen. Das Schuldbetreibungs und
Konkursgesetz behalte denn auch in Art. 271 in fine die Bestimmungen
der Staatsverträge gegenüber den Arresiuahmen ausdrücklich vor.
C. Die Arrestbehörde von Baselstadt lässt sich über den Rekurs, auf
Abweisung desselben antragend, wie folgt vernehmen:
Der augerufene Staats-vertrag bestehe nicht mehr zu Recht. Denn § 207
(nunmehr § 237) der deutschen Konkursverordnung habe das (durch jenen
Vertrag vereinbarte) Prinzip der Universalität und Attraktivkraft
des Konkurses durchbrochen und bei inländischen Konkursen die
Zwangsvollstreckung in inländisches Vermögen zugelassen. Gemäss § 4 des
Einführungsgesetzes zur Konkursordnung sei durch das Reichskoukursrecht
alles Landrecht über Konkursversahren, also auch das aus dem Staatsvertrag
von 1808 beruhende, aufgehoben worden. Das deutsche ReichMsssisisigsisi
sisisisi .
Staatsvertrag mit dem Grossherzogtum Baden. N° 91. 515
habe also in einer für Baden verbindlichen Weise dem Staatsvertrage
widersprechendes Recht geschaffen, wenigstens in dem heute streitigen
Punkte, wogegen allerdings zuzugeben sei, dass die Reichskonkursordnung
die Einheit und Attraktivkraft des Konkurses in internationaler Beziehung
insofern noch wahre, als der ausländische Konkursverwalter auch in
Deutschland liegendes Vermögen zur Masse ziehen könne. Dass fraglicher
Staatsvertrag für Baden angesichts der durch die Reichsgesetzgebung
geschaffenen Änderungen nicht mehr zu Recht bestehe, werde denn auch in
der Litteratur anerkannt, so vom Kommentar Petersen und Kleinseller
zur deutschen Konkursordnnng (3. Aufl., S'. 625) und von Laband,
Staatsrecht, H, S. 195. In zahlreichen Fällen hätten ferner basierische
Konkursverwaltungen in Baden liegendes Vermögen auf Grund des citierten
Staatsvertrages zur Masse ziehen wollen, wobei aber die bezüglichen
Begehren von den badischen Behörden unter Berufung ans § 207 K.-O. jeweils
abgelehnt worden seien. Der Vorsteher des Konkursamtes Basel habe die
Frage schon bis an die letzten Jnstanzen erfolglos weitergezogen. Unter
diesen Umständen müsse nach völkerrechtlichen Grundsätzen auch die Schweiz
als Gegenkontrahent das Recht haben, die weitere Erfüllung des Vertrages
abzulehnen (Rivier, Droit des gens, II, S. 135).
D. Der Arrestnehmer Münch stellt sich in seiner ebenfalls auf Abweisung
des Rekurses schliessenden Vernehmlassung im wesentlichen aus den
nämlichen Standpunkt, zu dessen Begründung ier noch des besondern
anbringt:
Der Rücktritt von einem Staatsvertrage könne nicht nur durch ausdrückliche
Kündigung erfolgen, sondern durch jede Handlung, aus welcher sich ein
dahingehender Wille des betreffenden Staates kund gebe, speziell auch
durch dem Vertrage widersprechende Gesetzgebungsakte. Würde man hiebei
dem andern Staate die Beobachtung der für die Vertragsauflösung sonst
üblichen Formalitäien (Kündigung ze.) zumuten, so müsste dies für ihn
und seine Angehörigen eine unbillige Benachteiligung bedeuten.
Der klare Wortlaut des § 207 K.-O. finde seine Unterstützung noch an § 23
(früher 24) der Reichscivilprozessordnung, der in allgemein verbindlicher
Weise, ohne der Staatsverträge einzelner
516 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertràige.
Gliedstaaten Erwähnung zu thun, eine Rechtsverfolgung gegen das in
Deutschland befindliche Vermögen ausländischer Falliten zulasse, wie
dies ein Reichsgerichtsentscheid vom 21. Januar 1885 CSeufferts Archiv,
N. F., S. 251) auch ausdrücklich bestätige. Wenn die Motive zu § 207
cit. die Verträge der Einzelstaaten ausdrücklich vorbehalten, so komme
diesem Umstande keine Bedeutung zu, da eben, wie das Reichsgericht
in seinem Entscheide vom 11. Dezember 1884 (loc. cit., S. 250)
bestimmt ausführe, nachher die Konkursordnung selbst sich ans einen
entgegengesetzten Standpunkt gestellt habe. Es werde auch auf den
Entscheid des Reichsgerichtes in Civilsachen, Bd. VI, S. 404 und 405
verwiesen. In all diesen Gesetzessiellen und Gerichtserkenntnisfen finde
sich keine Erwähnung der alten einzelstaatlichen Verträge vorliegender
Art, welche offenbar in Vergessenheit geraten seien.
Hieran anschliesseud citiert der Rekursopponent eine Reihe von 7
Fällen, in welchen seitens der badischen Behörden ohne Rücksichtnahme
auf den von Amtes wegen anzuwendenden Staatsvertrag und gestützt auf
§ 207 K.-O. Arreste bewilligt und gerichtlich geschützt worden sein
sollen. Und zwar habe in der grössern Zahl dieser Fälle nicht nur das
den Arrest bewilligende Amtsgericht über dessen Rechtsbeständigkeit
entschieden, sondern auch das betreffende Landgericht, welches, da
das Rechtsmittel der Revision in dieser Materie nicht gegeben sei, als
Berufungsinstanz endgültig urteile. Das Konkursamt Basel habe sich in
der vorwiirsigen Frage iin Jahre 1895 auch an das eidgenössische Amt
für Schuldbetreibnng und Konkurs gewandt und von ihm die Versicherung
erhalten, dass schweizerischerseits der Vertrag als noch in Kraft
befindlich betrachtet werde. Daraufhin habe es in einein der erwähnten
Arrestfälle das Amtsgericht Freiburg besonders aus den Vertrag aufmerksam
gemacht und gegen dessen Anwendung protestiert, ohne aber damit Erfolg
zu haben.
Jm weitern müsse in Erwägung fallen, dass der badische Gläubiger nicht
gehindert wäre, trotz des Vertrages auf Vermögen in sonstigem deutschen
Gebiete Arreste zu nehmen resp. den Vertrag, z. B. bei Forderungen durch
Cession an ausserbadische Cessionare, mit Leichtigkeit zu umgehen. Es
frage sich, ob Überhaupt bei dieser Sachlage Gegenseitigkeit noch möglich
sei.M--s , Le Egg,
Staatsvertrag mit dem Grossherzegtum Baden. N° 91. 517
Auf alle Fälle habe der Staatsvertrag die Rekurrentin nicht davon
befreien können, gegen die angefochtenen Arrestmassnahmen sich
in der durch das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs
vorgeschriebenen Weise zur Wehre zu setzen. Statt dessen habe sie
die fünftägige Frist zur Bestreitungdes Arrestgrundes und ebenso
die nachherige Rechtsvorschlagsfrist unbeniitzt versireichen lassen,
trotzdem die ihr zügestellten Arrest: bezw. Betreibungsurkunden über
die Rechtsfolgen solcher Versaumung _ deutlichen Aufschluss gegeben
hätten. Es bestehe deshalb eine praesumptio juris e de jure dafür,
dass Rekurrentin den Arrestgrund und die Arrestforderungen nach ihrem
materiellen Bestande und ihre Vollsireckbarkeit anerkannt habe. Jnfolge
dessen sei die Pfändung möglich geworden und nach unbenutztem Ablaauf
der Anschlusssrist ein gültiges und ausschliessliches Pfaitdrecht fur
den Betreibungsgtäubiger entstanden, das ihm als wohlerworbenes Recht
nicht mehr entzogen werden könne. ' ....
E. Replikando beruft sich die Rekurrentin aus eine grossere Zahl
von Autoreu zum Nachweise dafür, dass die deutsche Konkursordnung
derartige Staatsverträge nicht aus-schliesse und dass namentlich
der hier fragliche noch in Geltung stehe. Sodann macht sie darauf
aufmerksam, dass der Vertrag als noch bestehend in den halbamtlichen
Saininlungen von v. Salts,.Bundesrecht, und Wolf, Bundesgesetzgebung,
II, S. 559 siguriere und dass ihn auch eine neuliche Zusammenstellung
der badischen Gesetzgebung von Dr. A. Glock (Karlsruhe 1900, Vraun7sche
am): druckerei, S. 77) aufführe Im weitern verweist sie aus das für
ihren Standpunkt sprechende reichsgerichtliche Urteil vom 1. Juli 1889
(Bd. 24, S. 13). Dass der Staats-vertrag von 1808 von denbadischen
Behörden allgemein nicht mehr angewandt merde, führt Rekurrentin
ferner aus, sei umsichtig. Fur diese Behauptung seien die Gegenparteien
beweispslichtig und zwar müsste hiebei dargethan sein, dass die obersten
Gerichte konsequent und bewusst den Vertrag missachtet hatten. leerNauch
dies würde den schweizerischen Gerichtsbezw. Arreitbehorden keineswegs
die Befugnis gehen, den Vertrag nun ebenfalls ohne weiteres nicht zu
beachten, sondern die Staatsregierung und nur sie hätte alsdann das
Recht, dem Mitkontrahenteii gegeiiubendte fernere Erfüllung des Vertrages
abzulehnen Das Rechtsmittel
.
518 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträgee
des staatsrechtlichen Rekurses an das Bundesgericht sei vorliegenden
Falles das gegebene und anderweitige Schritte zur Anfechtung der
fraglichen Arrestbezw. Betreibungsmassnahmen nicht erforderlich gewesen
F. In seiner Duplik kommt der Arrestnehmer Münch neuerdings auf die von
ihm angerufenen Entscheidungen badischer Amtsbezw. Landgerichte zurück,
wobei er immerhin zugibt, dass in einem Falle ein Urteil gar nicht
erfolgte, da der Arrest unwidersprochen geblieben sei. Er beantragt
Edition der bezüglichen Akten vom Konkursamte Basel und vom Landgerichte
Freiburg i. B., welch' letztere Amtsstelle sich zur Herausgabe der bei
ihr befindlichen Dokumente an das Bundesgericht bereit erklärt habe. Jm
weitern wird, in Erneuerung der Antwort anbringen, noch näher ausgeführt,
dass die Beiseitesetzung des Vertrages durch die badischen Behörden eine
bewusste sei, dass die Rekurrentin den Beweis für die Beobachtung des
Staatsvertrages zu führen habe und ihn nur durch eine dahin lautende
Bescheinigung des obersten badischen Gerichtshofes (Oberlandesgericht
in Karlsruhe) erbringen könne, und dass ihr Rekursrecht ver-wirkt sei,
bezw. der Rekurs mangels Jnnehaltung des kantonalen Jnstanzenzuges nicht
in Behandlung gezogen werden könne.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Als unstichhaltig erweist sich zunächst die Einwendung des
Rekursopponenten Münch, die Rekurrentin hätte sich in erster Linie bei
den baslerischen Arrestbezw. Betreibungsbehörden wegen Verletzung des
angerufenen Staatsverirages beschweren sollen Und da sie dies versäumt
habe, so erscheine ihr Rekurs an das Bundesgericht aus dem doppelten
Gesichtspunkte als unstatthaft, weil die angefochtenen Massnahmen
inzwischen Rechtskraft erlangt hätten und der ordentliche Justanzenzug
nicht innegehalten worden sei. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu
der bisherigen Praxis-, welche gegen Verletzung von Staatsverträgen stets
ein direktes, von der Ergreifung anderweitiger Rechtsmitiel unabhängiges
Rekursrecht an das Bundesgericht als Staatsgerichtshof einräumie, durch
dessen rechtzeitige Geltendmachung der betreffende Beschwerdeführer
seine Rechtsstellung voll wahren konnte (vgl. Amtl. Samml. der
bundesger. Entscheid, Bd. XII, Nr. 76,nn. é. AfL .; ... si.
Staats-ertrag mit dem Grossherzogtum Baden. N° 91. 519
S. 541; Bd· XVI, Nr. 42, S. 297, und den ebenfalls eine Arrestnahme
betreffenden Fall in Bd. XV, Nr. 36, S. 242).
2. In der Sache selbst stellt die Rekursgegnerschaft vorerst mit
Recht nicht in Abrede, dass, wenn der Staatsvertrag vom 7. Juli 1808
zur Anwendung zu kommen hat, die im Streite liegenden Arrestbezw.
Betreibungsvorkehren, als ihm widersprechend, aufzuheben sind. In Frage
gezogen wurde vielmehr lediglich, ob der Vertrag zur Zeit noch Geltung
besitze und deshalb von den baslerischen Behörden hätte beobachtet
werden sollen.
Jn dieser Beziehung sodann herrscht auch kein Streit darüber, dass
eine Aufhebung des Vertrages durch ausdrückliche Erklärung nach den
völkerrechtlich hieer üblichen Formen nicht erfolgt ist. Vielmehr
behauptet der Rekursgegner bloss, der Vertrag sei stillschweigend in der
Weise von einem der Kontrahenten, dem Grossherzogtum Baden, aufgelöst
worden, dass dessen Behörden sich an denselben nicht mehr halten und
übrigens auch nicht mehr halten können, angesichts des Jukrafttretens der
für sie verbindlichen, dem Vertrage widersprechenden Reichskonkursordnung.
Nun ist allerdings die Möglichkeit einer derartigen Aufiösung eines
Staatsvertrages infolge konstanter und bewusster Nichterfüllung,
resp. infolge rechtlicher Unmöglichkeit der Erfüllung auf Seiten der
Behörden des einen Staates nicht ausgeschlosser und es mag dabei nach
Umständen der Fall derart sein können, dass auch die Behörden des
andern Staates, welche sonst den Staats-vertrag ihren Entscheidungen
und Verfügungen zu Grunde zu legen hätten, denselben von sich aus als
ausser Kraft stehend ansehen müssen. Hiefür fehlt es aber in casu an den
erforderlichen Voraussetzungen, da die Sache nicht so liegt, dass die
der Schweiz als Vertragsstaat obliegenden Verpflichtungen ohne weiteres
dahin gefallen waren, sondern lediglich so, dass für die Schweiz Grund
vorhanden sein mag, wegen mangelhafter Befolgung des Vertrages bei der
grossherzoglich badischen Regierung vorstellig zu werden und eventuell
kündigungsweise das Vertragsverhältnis aufzulösen Freilich beruer sich
die Rekursopponenten für ihre Behauptung, dass die badischen Behörden
ständig und bewusster Weise die Anwendung des Vertrages von
XXVI], !. 1901 35
520 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. IV. Abschnitt-. Staatsverträge.
sich ablehnen, auf eine Anzahl gerichtlicher Entscheidungen Aber es ist
zunächst nicht ersichtlich, dass diese Entscheidungen trotz ausdrücklicher
Berufung auf den Staatsvertrag von Seiten der interessierten Parteien
erfolgt seien. Sodann gehen dieselben von Gerichtsstellen unterer Instanz
aus, während aus den Akten keineswegs ersichtlich ist, dass auch die
obern badischen Gerichtsinstanzen, und namentlich das Oberlandesgericht,
den Vertrag als ungültig ansehen und dementsprechend judizieren. Dann erst
liesse sich aber die von den Rekursopponenten aufgestellte Behauptung als
thatsächlich gerechtfertigt ansehen. Bei der gegebenen Sachlage wird man
vielmehr blos annehmen dürfen, dass über die Frage, ob der Vertrag noch
anzuwenden sei oder nicht, bei einzelnen badischen Gerichten angesichts
der Bestimmungen der Reichsgesetzgebung Über das Konkursrecht sich
Zweifel erhoben haben. Dass aber die Ansicht von der Ungültigkeit des
Vertrages sich bei den genannten Gerichten allgemein Bahn gebrochen haha,
widerlegt sich schon durch die Thatsache, dass das Reichsgericht, das als
oberster deutscher Gerichtshof über die Auslegung des in Frage stehenden
§ 237 (früher 207) der Konkursordnung entscheidet, sich dahin erklärte,
der Fortbestand der einzelstaatlichen Staatsverträge vorliegender Art
sei mit der genannten Bestimmung vereinbar (vergl. Entscheidungen des
Reichsgerichtes in Civilsachen, Bd. 24, S. 12/13), Diese Auffassung hat
denn auch bei den Kommentatoren der Konkursordnung wenn auch nicht
ausnahmslos Anerkennung gefunden (vergl. z. B. Sarwey,-
Kommentar, Ausgabe von 1901, S. 33, 82; Wilmosky, Kommentar, Ausgabe
1889, zu § 4). Jhr entsprechend wird sodann speziell der vorwürfige
Staatsvertrag in einer jüngst von einem badischen Gerichtsbeamten
veranstalteten Zusammenstellung badischer Gesetze und Staatsverträge
als noch zu Recht bestehendangesührt Die von den Rekursopponenten
namhaft gemachten Reichsgerichtsentscheidungen beschlagen die hier
in Betracht fallende Frage nicht oder doch nicht direkt und können
demgemäss dem oben angeführten Erkenntnisse dieses Gerichtshofes seine
Bedeutung nicht nehmen. Endlich hat noch in Erwägung zu kommen, dass auch
schweizerischerseits der Vertrag von 1808 bisher als noch in Geltung
befindlich betrachtet wurde, wofür sich auf denStaatsvertrag mit dem
Grossherzogtum Baden. N° 91. 521
Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1881 und den bezüglichen
Genehmigungsbeschluss der Bundesversammlung (Bundesblatt 1882,
Bd. H, S. 739; v. Salis, Bundesrecht I, Nr. 293) und auf das oben
erwähnte Schreiben des eidgenösfischen Amtes für Schuldbetreibung und
Konkurs verweisen lässt. Auf diesen Standpunkt stellen sich sodann
auch ausnahmslos die schweizerischen Autoren (vergl. Blumer-Morel,
Bundesstaatsrecht, Bd. III, S. 52-5; Roguin, Conflits, chap. IX;
Wolf, Bundesgesetzgebung, II, S. 559; Löwenseld, Rechtsverfolgung im
internationalen Verkehr; Excurs II, Schweiz, von Dr. (E. Zürcher, S. 138,
Note 1; ferner die Kommentare zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung
und Konkurs von Jager, Art. 197, S. 3835334. und von Weber-Brüstlein,
Reichel zu Art. 197, S. 252, Note 3). Aus all diesen Gründen kann es
also nicht angehen, dass eine schweizerische Behörde anlässlich der
Entscheidung eines Einzelfalles ohne weiteres den Vertrag als nicht mehr
rechtsheständigausser Acht lässt. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird als begründet erklärt, womit die augefochtenen Verfügungen
der Arrestbehörde bezw. des Betreibungsamtes Baselstadt dahin fallen.