324 A. Slaatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

§ 211 der (früheru) Konkursordnung (vgl. z. B. Entsch. des Reichsgerichtes
in Strafsachen, B.-V., Nr. 96, S. 276; Petersen u. Kleinfeller, Kommentar
zur Konkursordnnng, S.676).

Z. Was die angeordnete Rückzahlung der 200 Fr. an die Konkursmasse Haller
anlangt, so kann zunächst der Einwand, die Masse habe am Prozesse nicht
teil genommen, es fehle ihr also die Aktidlegitimation und es habe ihr
der Betrag nicht zugesprochen werden können, nicht gehört werden. Es
handelt sich hiebei um eine prozessualische Frage, deren Beantwortung
dem kantonalen Richter anheimfällt und die nur im Falle einer offenbar
willkürlichen Entscheidung als Rechtsverweigerung angefochten werden
könnte, was hier nicht zutrifft. Auch die Berufung auf Art. 59 der
Bundesverfassung erweist sich als unstichhaltig Denn die Anordnung
der Rückgabe der 200 Fr. erscheint als eine adhäsionsweise Erledigung
des Civilpunktes durch den Strasrichter, welcher nach ständiger
bundesrechtlicher Praxis der Verfassungsgrundsatz des Gerichtsstandes
des Wohnortes nicht im Wege steht.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.

55. Urteil vom 11. Juli 1901 in Sachen Einwohnerund Bürgergemeinde
Hubersdorf gegen Kantonsrat Solothurn.

Vereinigung von Gemeinden durch Kantonsratsbesoffluss. Widerspruch gegen
die salotfz. Is. V., Art. 53.

A. Am 31. Oktober 1900 fasste der Regierungsrat des Kantons Solothurn
folgenden Beschluss:

1. Beim Kantonsrat ist der Antrag zu stellen aus Vereinigung
sowohl der Einwohnergemeinde Kammersrohr mit der Einwohnergemeinde
Hubersdorf, als der Bürgergemeinde Kammersrohr mit der Bürgergemeinde
Hubersdorf.Il. Anderwemge Eingriffe in garantierte Rechte. N° 55. 325-

2. Aus 1. Januar 1901 ist die Übergabe der sämtlichen Vermögensbestände
der Gemeinden Kammersrohr an die entsprechenden Gemeinden Hubersdorf
anzuordnen.

3. Die neue Gemeinde trägt den Namen Hubersdors.

4. zc.

Aus den thatsächlichen Verhältnissen der zu vereinigenden Gemeinden,
sowie vonden Vorgängen, die zur Veieinigung geführt haben, ist folgendes
hervorzuheben: Kammersrohr, die kleinste Gemeinde des Kantons Solothurn,
zählt nach der letzten Volkszählung nur 45 Einwohner-, worunter 9
Stimmberechtigte. Es hat keine eigene Schule, sondern ist im Schulwesen
mit der Gemeinde Hubersdors verbunden. Das gleiche Verhältnis besteht
(nach dem Berichte des Regierungsratcs) bezüglich des Löschwesens,
der Hebamme, des Salzauswägers und des Viehinspektorates An Permögen
besitzt die Einwohnergemeinde Kammersrohr im Gemeindeund Schulfonds
zusammen 21,717 Fr. 62 Cis. Die Einwohnergemeinde Kammersrohr bezieht
keine Gemeindesteuer. Da diewEiw wohnergemeinde-Versammlung, die am
29. Juli 1900 stattstnden sollte, nicht zustande kam, indem nur zwei
Stimmberechtigte erschienen waren, und eine zweite ans den 5. August
1900 angesetzte Wahlverhandlung kein anderes Resultat ergab, bestellte
derRegierungsrat durch Beschluss vom 10. August 1900 einen Vertreter der
Einwohnergemeinde Kammersrohr in der Person des bisherigen Ammanns. Die
Bürgergemeinde Kammersrohr war schon durch Regierungsratbeschluss
vom 21. Februar 1890, genehmigt vom Kantonsrat den 4. März gleichen
Jahres-unterSachwalterschaft gestellt worden, weil sie nur noch zwei
stimmsähige in der Gemeinde wohnende Gemeindebürger zählte und daher
nicht mehr beschlusssähig mar, so dass es ihr nicht mehr woglich war,
ihre Angelegenheiten in gesetzmässiger Weise selbst zu verwalten; dieses
Verhältnis besteht zur Stunde noch. Das Vermögen der Bürgergemeinde
Kammersrohr, bestehend aus dem Kapitalvermögen des Armenfonds, dem
Kapitalvermögen des Forstfonds und dem Schatzungswerte des Waldes,
belaust sich aus 11,624 Fr. 84 Cis. Auch für Deckung der Bedursnisse
der Bürgergemeinde Kammersrohr wird keine Steuer-erhoben _

Innerhalb der Einsprachesrist liefen gegen diesen Beschlusz des-

326 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

Regierungsrates zwei Einsprachen ein, eine von Peter Krummenacher in
Katnmersrohr und Arnold Suter von Hnbersdorf Name-ns der Stimmberechtigten
von Kummers-roth eine andere laut Beschluss der Einwohnerund der
Viirgergemeinde Hubersdors vom Amm-ann und vom Gemeindeschreiber von
Hubersdorf Die letztere die hier allein in Betracht kommt richtete
sich in der Hauptsache gegen die für die Bürgergemeinde Hubersdorf
möglichen nachteiligen Folgen mit Bezug auf den Unterhalt der Armen. Der
Regierungsrat hielt dieser Einsprache in seinem Bericht an den Kantonsrat
folgendes entgegen: Die Bürgergemeinde Kammersrohr habe faktisch aufgehört
zu existieren, weil sie nicht mehr die genügende Zahl stimmberechtigter
Bürger besitze, um Beschlüsse fassen zu können. Für sie stehe daher
kein anderes Mittel mehr zur Verfügung um aus diesem ungeschlichen
Zustand herauszukommen, als die Vereinigung mit einer andern Gemeinde
Die Bürgergemeinde müsse aber in ihrer räumlichen Umschreibnng mit
der Einwohnergemeinde übereinstimmen; daraus folge, dass auch die
Einwohnergemeinde mit der gleichen Nachbargemeinde zu verschmelzen
sei, mit der die Bürgergemeinde vereinigt merde. Die Vereinigung von
Gemeinden falle nach Art. 53 solothurnischer Kantonsverfassung in die
Kompetenz des Kantonsrates. An dem in dieser Verfassungsbestimmung
enthaltenen Vorbehalt, dass ein Verlangen der Beteiligten vorliegen
müsse, könne in diesem ansnahmsweisen Fall nicht strikte festgehalten
werden, weil die Bürgergemeinde überhaupt der Möglichkeit beraubt
sei, in gesetzmässiger Gemeindeversammlnng über eine Meinungsäusserung
Beschluss zu fassen; an ihrer Stelle handle ihr gesetzlicher Vertreter,
der Regierungsrat. Eine Vereinigung von Gemeinden könne nun nicht ohne
Vereinigung auch des Gemeindevermögens vor sich gehen, und die für jene
kompetenten Behörden seien es daher auch für diese. Im übrigen enthält
der Bericht eine Darlegung der finanziellen Folgen der Verschmelzung
für die beteiligten Gemeinden.

Der Kantonsrat von Solothurn hat hieran unter dem 30. November 1900
folgenden Beschluss gefasst:

1. Die Einwohnergemeinde Kammersrohr ist mit der Einwohnergemeinde
Hubersdorf und die Bürgergemeinde Kammersrohr mit der Bürgergemeinde
Hubersdorf zu vereinigen.Il. Anderweitige Eingriffe in garantierte
Rechte. N° 55. 327

2. Auf 1. Januar 1901 findet der Übergang der sämtlichen
Vermögens-bestände der Gemeinden Kammersrohr, wie sie durch

Tdie Rechnungen pro 1900 erzeigt werden, an die entsprechenden

Gemeinden Hubersdorf statt, wobei aus dem Vermögen der bisherigen
Einwohnergemeinde Kammersrohr ein Betrag von

5000 Fr. der neuen Bürgergemeinde Hubersdorf zufallen soll.

3. Die durch die Vereinigung von Kammersrohr und Habersdorf entstandene
neue Gemeinde trägt den Namen Hubersdorf

4. Nach der Vereinigung haben die Einwohnerund die Bürgergemeinde
Hubersdorf eine Nenwahl ihrer sämtlichen Behörden

-(Gemeinderat, Kommissionen und Verwalter) vorzunehmen

5. Der Regierungsrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses
beauftragt. B. Gegen diesen Beschluss haben die Einwohnerund die Bür-

gergemeinde Hubersdorf rechtzeitig und in richtiger Form den

staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen, mit dem
Antrage: Der angefochtene Beschluss sei aufzuheben. Der Rekurs stützt
sich auf Art. 53 der solothurnischen Verfassung, welcher lautet: Die
Bildung neuer, die Vereinigung oder AuflösungJamie die Veränderung
in der Umschreibung bereits bestehender WGemeinden können nur auf
Verlangen der Beteiligten durch den Kantonsrat stattfinden. Der
Wortlaut dieser Verfassungsbestimmung führt die Rekursschrift aus
gehe ganz klar dahin, dass zum Beschlusse des Kantonsrates in dieser
Materie das Einverständnis der Beteiligten vorliegen müsse. Wer aber
sdie Beteiligten seien, erscheine ebenfalls als Har. Voraussetzung
der Möglichkeit einer kantonsrätlichen Beschlussfassung sei somit
das von den beiden Gemeinden Hubersdorf gestellte Verlangen oder
wenigstens deren Einwillignng gewesen. Diese Auslegung stimme auch
mit der Entstehungsgeschichte der fraglichen Verfasisungsbestimmung
überein (was des nähern dargethan wird). Die Zweckmässigkeit einer
solchen Bestimmung möge füglich bezweifelt werden; allein sie bestehe
einmal und gewährleiste den solothurnischen Gemeinden die bestehende
Gemeindeeinteilnng. Die Bestimmung müsse daher auch beobachtet werden,
und ihre Nichtbeobachtung schliesse eine Verletzung verfassungsmässig
gewährleisteter Rechte der Rekurrenten in sich. Die Rekurrenten führen
schliesslich noch aus, sie wollen lediglich und wesentlich bewirken,f
dass sie an-

328 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

gehört werden müssen und dass sie ihre Interessen wahren können-

C. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt namens des Staates
Solothurn, der Rekurs sei abzuweisen. Der Standpunkt der Rekursantwort
mit Bezug auf die Auslegung des Art. 53 soloth. K.-V. lässt sich
dahin zusammenfassen: Das Wörtchen nur beziehe sich auf durch den
Kantonsrat. Auf Verlangen der Beteiligten- wolle nicht jagen, dass
ein übereinstimmendes Verlangen sämtlicher Beteiligter notwendig sei;
esgeniige, wenn überhaupt Beteiligte das Verlangen auf Vereinigung oder
Trennung stellen; eigentlich Beteiligte seien hier nur die Einwohnerund
die Bürgersgemeinde Kammersrohr; diese Auslegung stehe jedenfalls
nicht in Xoffenbarem Widerspruch zutn klaren Wortlaute der betreffenden
Vorschrift. Es sei denn auch nie in der von den Rekurrenten verlangten
Art Verfahren worden (wofür eine Reihe von Beispielen, speziell von
Kirchgemeinden, angeführt werden).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Mit der Frage der Angemessenheit und der Zweckmässigkeit des
angefochtenen Delrets die zweifellos, wie auch die Ziel-urrenteu im Grunde
nicht bestreiten, zu besahen wäre hat sichdas Bundesgericht nicht zu
befassen, sondern nur mit dessen Verfassungsmässigkeit, mit der Frage, ob
der angefochtene Beschluss sich über eine Bestimmung der solothurnischen
Kantonsversassung hinwegsetze und damit verfassungsmässig gewährleistete
Rechte derRekurrenten verletze. Hiebei ist davon auszugehen, dass da,
wo es sich um die Auslegung einer kantonalen Verfassung handelt,
eineAbweichung von der Auslegung der obersten kantonalen Behörde
nur dann stattzufinden hat, wenn zwischen ihr und dem Wortlaute der
Kantonsverfassung ein offenbarer Widerspruch besteht (ogs. A. S., XIX,
S. 501). Heute nun kann es sich nach der Rekursbegründung nur um am. 53
der solothurnischen Kantons: verfassung handeln. Dessen Wortlaut ist
im faktischen Teile subB wiedergegeben worden. Er ist an sich ganz klar
und deutlich undbesagt zweierlei: Veränderungen im Gemeindebestande (in
ihren verschiedenen Formen) finden statt auf Beschluss des Kantons: rates
und zwar können sie nur stattfinden auf Verlangen der Beteiligten. Dass
dem Wörtchen nur diese Bedeutung zukommt,II. Anderweitige Eingriffe in
garantierte Rechte._ N° 55. 829

dass es also als Voraussetzung der Beschlussfassungsmöglichkeit des
Kanionsrates das Verlangen der Beteiligten aufstellt, kann nach der
Stellung jenes Wörtcheus gewiss keinem Zweifel unterliegen, und die in
der Rekursantwort vertretene Auslegung nur beziehe sich auf durch den
Kantonsrat, erscheint derartig gekünstelt, dass sie als mit dem klaren
Wortlaute der Verfassungsbesiinnnung im Widerspruch stehend zu bezeichnen
tft. Ebenso klar ist aber auch, was unter den Beteiligten zu verstehen
ist. Es sind darunter alle Gemeinden zu verstehen, die bei der Bildung
einer neuen Gemeinde (durch Verschmelzung mehrerer Gemeinden oder durch
Abtrennung einer Gemeinde von einer andern), bei der Vereinigung oder der
Trennung, beteiligt sind, sowie alle Gemeinden, in denen Veränderungen
in der Umschreibung vorgenommen werden. In diesem Sinne beteiligt ist
aber bei der Vereinigung mehrerer Gemeinden sowohl die ausnehmende
wie die aufzunehmende Gemeinde; es finden dadurch Veränderungen im
Gebietsbestande, in der Mitgliederzahl und im Gemeindeverniögen statt,
die für beide oder alle Teile von Bedeutung sind und es ist durchaus
unrichtig, wenn der Regierungsrat dahin argumentiert, die aufnehmende
Gemeinde habe kein Interesse, sich der Vereinigung zu widersetzen, und
erscheine nicht als Beteiligt. Wie es sich übrigens auch mit dem Interesse
verhalten möge, ob dieses grösser oder geringer sei, ja ob sogar das
Interesse der Reimvrenten für die Vereinigung sprechen würde, ist hier
nicht zu untersuchen; es genügt, festzustellen, dass die Rekurrenten als
Be:teiligte anzusehen sind. Alsdann aber ist klar, dass die Vereinigung
nicht ohne ihre Zustimmung erfolgen kann. Erscheint sonach der Rekurs
nach dem klaren Wortlaute der angerufenen Verfassungsbestimmung als
begründet, so erübrigt noch, zu untersuchen, ob nicht dieser wörtlichen
Auslegung die ratio legis und allfällige andere Verfassungsbestimmungen
entgegenstehen, dass sie nicht aufrrechterhalten werden könnte. Das
ist nun bei wörtlicher Auslegung der fraglichen Verfassungsbestinnnung
durchaus nicht der Fall. Die Bestimmung gewährleistet die bestehende
Gemeindeeinteilung und schreibt vor, dass sie ohne Einwilligung der
Beteiligten nicht geändert werden dürfe (wie das Bundesgericht, allerdings
en Yassant und in einem für jenen Entscheid nicht präjudizierenden

330 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

Sinne, in seinem Entscheide vom 21. November 1891 in Sachen Wollishofeu,
Amtl. Samml., Bd. XVII, S. 628 f., Erw. L,... bemerkt hat). Eine derartige
Bestimmung steht nun im schweizerisch kantonalen Staats-rechte keineswegs
als etwas einzelnes, singuläress da. Es finden sich vielmehr eine ganze
Reihe von Kantonen (Uri Art. 45; Schwyz, § 22 ff.; Obwalden, Art. 30;
Nidwalden, Art. 28z Glarus, Art. 64, 68; Zug, § 29; Appenzell, A.Rh.,
Art. 1, die in der Verfassung schon die Einteilung des Kantons in
Gemeinden sestiegen, so dass ohne Verfassungsändernng eine Vereinigung
oder Trennung von Gemeinden nicht zulässig ist. Eine der fraglichen
solothurnischen Bestimmung am nächsten kommende Regelung sodann
enthält Baselstadt, indem es in § 23 zurVereinignng einer Landgemeinde
mit der Stadt die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten der
Einwohnerund Bürgergemeinde der betreffenden Landgemeinde, sowie der
Organe derBürgergemeinde der Stadt fordert. Schon weniger weit geht Bern,
welches in Art. 63, Abs. 2 vorschreibt, die Bildung, Auflösung ze...
von Gemeinden erfolge nach Anhörung der Beteiligten durch Dekret
des Grossen Rates. Neuenburg sieht in Art. 65,Abs. 2 zwei Fälle der
Vereinigung vor: den Fall des Verlangens der Beteiligten, und den Fall
des Bedürfnisses Die übrigen Kantone endlich Überweisen die Materie,
sofern sie überhaupt in der Verfassung etwas darüber enthalten, der
Gesetzgebung Hieraus ergiebt sich, dass der Kanton Solothurn allerdings
insofern im Schutze der Selbständigkeit der Gemeinden weit geht, als er-

zur Veränderung der Gemeindeeinteilung die Zustimmung derv

Beteiligten verlangt, dass er aber anderseits weniger weit geht als
die Mehrzahl der Kantone, indem er alsdann die Regelung durch Dekret
des Grossen Rates erfolgen lässt. Diese Regelung kann gewiss nicht,
mag sie auch etwa zu Unzukömmlichkeiten führen, alsderart irrationell
bezeichnet werden, dass die betreffende Verfassungsbestimmung deshalb
nicht nach ihrem ganz klaren Wortlaut ausgelegt werden dürfte. _

2. Was die vom Regierungsrate angeführten Beispiele für eine gegenteilige
Praxis anbetrifft, so sind sie nicht schlüssig, weil sie grösstenteils
Verhältnisse betreffen, die vor der neuen Verfassung von 1887 (die
erst die fragliche Bestimmung ansstellterli. Anderweilige Eingriffe in
garantierte Rechte. N° 56. 331

stattgefunden haben, und weil die Vereinigung und Trennung von
Kirchgemeinden gleicher Konfession, mit welchen ebenfalls operiert wird,
mit der hier in Frage stehenden Vereinigung, der Verschiedenheit der
thatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen wegen, nicht auf eine
Linie gestellt werden darf. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird als begründet erklärt und somit der Beschlussdes
Kantonsrates von Solothurn vom 30. November 1900, betreffend Vereinigung
der Einwohnerund der Bürgergemeinde Kammersrohr mit der Einwohnerund
der Bürgergemeinde Hubersdorf aufgehoben.

56. Urteil vom 17. Juli 1901 in Sachen Waldesbühl gegen Stähelin bezw.
Obergericht des Kantons Aargau.

Motivierte Weigerung seite-ns eines kathaliscàen Pfarrers, die
Séerbesssakranwnte zu spenden; Rechtfertigung dieser Weigemng
bei der Beerdigamg. Bestrafung wegen dieser Handeln-ragen; Rekurs
hiegege-n. Aré. 15 Amg. Is.-V., nulla pcena sine lege. : Vergehen gegen
die òffentliche Ordnung {g I aarg. Zuchtpolizeigesetz), angeblich liegend
in einer Verletzung der Art. 50 Abs. 2 u. Art. 53 Abs. 2 B.-V. Glaubensund
Gewissensfreiheit, Art. 49 B.-V. -Manne-leerte Täsaibesmnclsfeeisielinng.

A. Baumeister J Stähelin in Wettingen liess im Februar oder März 1900
(das Datum ist aus den Akten nicht ersichtlich) den römisch-katholischen
Pfarrer Waldesbühl daselbst, den heutigen Rekurrenten, zu sich ans
Krankenlager rufenf unrvollständige Absolution und die Spendung der
Sterbesakramente zu verlangen. Der Rekurrent erklärte ihm, er könne nach
kirchlichen Gesetzen die Sakramente nicht spenden, weil Stähelin sich Von
seiner ersten Frau habe scheiden lassen und bei Lebzeiten derselben eine
zweite Ehe eingegangen sei, was den kirchlichen Vorschriften widerspreche.
Er fügte bei, er könne dem Stähelin die Sterbesakramente spen-
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Document : 27 I 324
Date : 11. Juli 1901
Published : 31. Dezember 1902
Source : Bundesgericht
Status : 27 I 324
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 324 A. Slaatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen. § 211


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