276 Civilrechtspflege.

39. Urteil vom 4. Mai 1900 in Sachen Suter und Konsorte gegen
Arth-Rigi-Bahngesellschaft.

Aktiengese/Isahafä. Nachbezeegsrecht der P; ioritä-tsaktiona're, Inis-alt
and Umfang-· Art. 627 ().-R. Auslegung der State/eten.

A. Laut den am 21. Juli 1888 von der Generalversammlung der
Aktionäre beschlossenen und zur Zeit noch geltenden Statuten
der Arth-Jiigibahn-Gesellschaft ist das Aktienkapital dieser
Aktiengesellschaft (3,960,000 Fr.) eingeteilt in 8400 auf den Inhaber
lautende Stammaktien à 400 Fr. und 1500 auf den Inhaber lautende
Prioritätsaktien à 400 Fr. Über die Verwendung eines jährlichen
Reingewinns bestimmt § 27 dieser Statuten: Nach Bestreitung sämtlicher
Lasten, Unterhaltungsund Betriebskosten, der Verzinsung bestehender
Anleihen und Vollziehung der gesetzliessen Amortisationen, soweit solche
erforderlich, wird der Ubermug ber Betriebseinnahmen wie folgt verwendet:

a. 10,000 Fr. kommen dem Erneuerungsfonds zu gut.

b. Durch jährliche Einlagen bis auf 2000 Fr. wird ein Reservefonds
gebildet, bis derselbe die Höhe Von 50,000 Fr. erreicht haben wird.

c. Von einem Überschuss erhalten zuerst die Prioritätsaktien Bis auf
41/9'3/0 Dividende jährlich, und zwar erstmals für das Rechnungsjahr
schliessend mit 31. Dezember 1889; etwaigeAusfälle in einem Jahre sind
denselben jeweilen aus dem Reinertrag des folgenden Jahres, jedoch ohne
Zinsoergütung zu erÎEBCH.

d. Es folgt sodann die Auszahlung einer Dividende bis auf 5 0/0 an die
Stammaktionäre

e. Ein etwa noch verbleibender Rest wird unter die Stammmtb
Prioritätsaktionäre gleichmässig pro rat-a des Kapitals verieilt.

f. Die Generalversammlung ist befugt, vor Verteilung der

Dividenden zu beschliessen, auch solche Reserven anzulegen, welche
"nicht in den Statuten vorgesehen sind, sofern die Sicherstellung des
Unternehmens es erfordert II. Obligafioncnrecht. N° 39. 277

Nach den früheren Statuten hatte das Aktienkapital 4,200,000 Fr.
betragen und war eingeteilt gewesen in 8400 Stammaktien è. 500
Fr. Die Herabsetzung des Aktienkapitals auf 8,960,000 Fr. und dessen
Einteilung in 8400 Stammund 1500 Prioritätsaktien zu je 400 Fr. war das
Resultat eines Finanz-Reorganisierungsplanes, zu dessen Durchführung
die Arth-Rigibahn-Gesellschaft mit den Bankiers Burkhardt &, Eie. in
Zürich in Verbindung getreten war. Zn dem Vom 14. Juni 1888 datierten,
und von der Generalversammlung am 21. Juli gleichen Jahres genehmigten
Vertrage mit Burkhardt & Cie., in welchem sich diese u. a. zur festen
Übernahme von 360,000 Fr. Prioritätsaktien verpflichteten, war bestimmt:
Die Prioritätsaktien werden im Nominalwerte von 400 Fr. ausgestellt und
geniessen einen Vorzugszins, vom 1. Januar 1889 an beginnend, von 44/9
0/. Etwaige Ausfälle in einem Jahre sind jeweilen aus dem Reinertrag
des folgenden Sabres, jedoch ohne Zinsvergiitung, zu ersetzen. Die
Jahreserträgnisse der Arth-Rigibahn-Gesellschaft waren mit-Ausnahme von
1889 immer so bescheiden, dass ein Reingewinn über die Reserven hinaus
nicht zu verteilen war, und es haben deshalb die Prioritäten seit 1890
nie eine Vorzugsdibidende bezogen. Die Jahresrechnung pro 1898 ergab nun
einen Reinertrag von 18,841 Fr. 24 Ets. Der Verwaltungsrat beantragte
der Generalversammlung, aus der Spezialreserve 10,000 Fr. zuzulegen und
den Prioritätsaktien mit 27, 000 Fr eine Dividende von

44/ 99/0 auszurichten, in der Meinung, dass damit der Coupon N1210
pro 1898 eingelöst würde. In der am 24. Juni 1899 abgehaltenen
Generalversammlung verlangte der Kläger Suter, dass die Frage der
Dividendenberechtigung der Prioritätsaktien aus den frihrern Jahren
offen bleiben müsse; wogegen ein anderer Aktionär (Sgr. Reiss) den
Antrag stellte, dass eine allfäliige Dividende nur gegen Ablieferung
aller verfallenen Coupons ausbezahlt werden solle. In der Abstimmung
wurde dieser letztere Antrag mit 8687 Stimmen gegen 1628 zum Beschlusse
erhoben. Suter erhob bereits in der Versammlung hiegegen Protest
und leitete sodann gemeinsam mit F Siegler beim Bundesgericht Klage
ein mit dem Rechtsbegehren: Der Beschluss der Generalversammlung der
Arth-Rigibahn-Gesellschaft vom 24. Juni 1899, wonach

278 Civilrechtspflege.

die Prioritätsaktionäre verpflichtet werden, beim Bezüge ihrer
Vorzugsdividende für 1898 die Vorzugsdividendencoupons aller früheren,
dividendenlosen Jahre statt nur entweder den Coupon des Jahres 1890 oder
den des Jahres 1898 auszuliefern, und damit auf ihr Nachbezugsrecht
hinsichtlich der Dividendenausfälle der Jahre 1890 1897 in künftigen
bessern Jahren zu verzichten, sei als ungültig, weil statutenwidrig zu
erklären. Die Klageschrift beruft sich zunächst auf § 37 der Statuten der
Arth-RigibahnGesellschaft, laut welchem alle Streitigkeiten zwischen der
Gesellschaft und einzelnen Aktionären durch das Bundesgericht entschieden
werden sollen, sowie auf eine Erklärung des Verwaltungsratspräsidenten
der Beklagten, dass diese mit der Anrufung des Bundesgerichts in
vorliegender Streitsache einverstanden sei. Der Streitwert wird als 3000
Fr weit übersteigt-nd angegeben. In der Sache selbst führt die Klage
im wesentlichen aus: Die Statuten der beklagten Gesellschaft teilen den
Prioritätsakiien ein Vorzugsrecht auf 44X2 O0 Dividende zu, und zwar mit
Nachbezugsrecht. Der Beschluss der Generalversammlung vom 24. Juni 1899
wolle nun die Prioritätsaktionäre um das Nachbezugsrecht ihrer Dividende
bringen, indem sie danach neun Jahrescoupons (1890 1898) auszuliefern
hätten, um eine Jahresdividende zu bekommen, und damit auf 8 Coupons,
oder 8 27,000 = 216,000 Fr. ein für allemal verzichten müssten, während
sie doch bei sich bessernden Jahreserträgnissen nach und nach dafür
Deckung bekommen sollten, bevor die Stamniaktionäre zum Dividmdenbezug
zugelassen worden wären. Dieses Nachbezugsrecht sei ein Sonderrecht der
Prioritätsaktionäre, in das die Generalversammlung nicht eingreifen forme,
Art. 627 O.-R. Der Beschluss vom 24. Juni 1899 sei daher auf Verlangen
jedes Prioritätsaktionärs zu kassieren, und die Kläger verlangen, dass
dies geschehe. Dieser Beschluss beruhe auf der falschen Ansicht, dass
der Anspruch auf Nachzahlung für das vorhergehende Jahr immer wieder
verwirkt sei, wenn das nächstfolgende die Möglich-

keit der Nachzahlung nicht bringe. Der Satz Ausfälle in. einem '

Jahre sind jeweilen aus dem Reinertrage des folgenden zu ersetzen wolle
nach dem Sprachgebranch besagen, dass die Ausfälle frsiherer Jahre das
erste Anrecht aus die Überschüsse spätererIl. Obligationenrecht. N°
39. 279

Jahre haben sollen. Der Ausdruck in einem Jahr- und im folgenden Jahr
seien kollektiv zu verstehen; die Einzahl stehe für die Mehrzahl; das
Wort Jahr sei Sammelbegriff und bedeute den aliquoten Abschnitt einer
Epoche, ein sich wiederholendes, aber die ganze Epoche erschöpfendes
und umfassendes Zeitmass. Ein Nachbezugsrecht, das immer bloss für ein
Jahr rückwärts Geltung hatte, wäre denn auch viel zu beschränkt, um noch
als ein solches zu erscheinen, und in einer Weise vom Zufall abhängig,
dass es gewollt nur da betrachtet werden könnte, wo es ausdrücklich
und unzweideutig als gewollt aufgestellt worden ware. Aus den Worten,
wie aus der logischen Auslegung des g 27 der Statuten ergehe sich, dass
den Prioritätsaktionären vor der Zeichnung ihrer Aktien die Zusicherung
gegeben worden sei, in den guten Jahren sich für die schlechten Jahre bis
zu einer Verzinsung ihrer Aktien mit zii/2% erholen zu dürfen, ehe die
Stammaktionäre ihrerseits Dividenden beziehen könnten. Diese Deutung habe
die Gesellschaft dem § 27 s. Z. auch im Etuissionsprospekt gegeben. Jn
gleicher Weise sei das Nachbezugsrecht der Prioritätsaktionäre in den
früheren Statuten der Nordosibahn geordnet gewesen, die denjenigen der
Beklagten zum Vorbild gedient haben.

B. Die Beklagte beantragt in ihrer Klagebeantwortung:

a. Abweisung der Klage.

b. Es sei gerichtlich festzustellen, dass den Prioritätsaktionären ein
Dividendennachbezugsrecht für die Jahre 1889 bis 1898 eventuell für die
Jahre 1889 bis 1897 nicht zustehe.

Sie anerkennt die Aktivlegitimation der Klager, ebenso die Kompetenz
des Bundesgerichts gestützt auf § 33 der Statuten, und führt zur
Begründung ihrer Anträge im wesentlichen aus: Grundsätzlich stehen
alle Gesellschafter in gleichem Rechte. Durch die Schaffung von
Prioritätsaktien gegenüber den Stammaktien werde eine Ausnahme von der
Regel begründet Solche Vorrechte müssen im striktesten Sinne interpretiert
werden. Nach dem klaren Wortlaut des § 27 der Statuten der Beklagten sei
aber die Jnterpretation der Kläger unmöglich. Dieser § 27 gewähre mit
aller Deutlichkeit den Prioritätsaktionären jeweilen nur einen Anspruch
auf Bezahlung des laufenden und eines einzigen voran-

280 Civilrechtspflege.

gegangenen nicht eingelösten Coupons. Wenn man das Nachhezugsrecht
auf mehrere Jahre hätte erstrecken wollen, so würde man statt des
Singularis den Pluralis gebraucht haben, wie dies in den Statuten der
Nordostbahn geschehen fei. Die Belastung zweier Jahresgewinne mit dem
Prioritätsanspruch habe denn auch einen ganz vernünftigen Sinn. Rechtlich
stehe einer solchen Abmachnng nichts im Wege. Nach dem Beschluss der
Generalversammlung vom 24. Juni 1899 müsse unterschieden werden:

a. Der zum Beschluss erhobene Antrag des Verwaltungsrates, wonach
der ganze nach der genehmigt-en Jahreseechnung zur Verfügung stehende
Reingewinn den Prioritäten zukommen, und der zur Entrichtung einer vollen
Dividende von 44/2 0/0 nötige Betrag aus der Tividendenreserve ergänzt
werden soll. Soweit werde der Beschluss der Generalversammlung von den
Gegnern nicht angefochten, sondern anerkannt

b. Das von der Generalversammlung ebenfalls angenommene Amendement
des Hm. Reiff, dahin gehend, dass die 41,59 0/Ü Dividende nur
ausbezahlt werden solle gegen Herausgabe aller früheren (Coupons bis
und mit Einschluss desjenigen pro 1898. Dieser Zusatz bilde einzig
den Gegenstand der vorliegenden Ansechtungsklage. Bestehe nun ein
Dividendenanspruch für die Jahre 1889 bis 1898 nicht, oder nicht mehr,
dann sei also der Beschluss gültig. Stehen den Prioritäten aber auf
Grund der Coupens früherer Jahre noch Ansprüche zu, dann können sie
auch durch Mehrheitsbeschluss der Aktionäre ihrer wohlerworbenen
Rechte nicht verlustig erklärt werden, und in diesem Falte müsste
allerdings der Beschluss bezüglich Abgabe der Coupons ganz aufgehoben
werben. Es wäre daher im Interesse der Klarlegung der ganzen Sachlage
und zu Vermeidung einer zweiten Anfechtungsklage erwünscht, wenn die
Frage durch das Gericht entschieden würde, welcher der hier in Frage
kommenden Coupons auszuhändigen sei und für welche Coupons Überhaupt
noch ein Nachhezugsrecht bestehe. Sollten die Prioritäien gemäss den
klägerischen Ansprüchen als begründet anerkannt werden, dann müsste aus
technischen Gründen der älteste Coupon abgeliefert werben. Wenn dagegen
die beklagtische Auffassung über den Umfang des Nachbezugsrechts richtig
sei, dann handle es sich datum, festzustellen,Il. Obiigationenrecht. N°
39. 281

ob der Coupon pro 1898 oder derjenige pro 1897 abzulösen sei. Diese
Frage sei jedoch im Sinne der ersten Alternative entschieden durch den
Beschluss und Antrag des Verwaltungs-tates, der in dieser Beziehung
wenigstens nicht angefochten sei.

G. In der Replik halten die Kläger an ihrem Klagschluss fest, Und
führen zu dessen Begründung noch weiter aus: Als die Prioritätsaktien
s. Z. emittiert wurden, sei ein Teil des Stammaktienkapitals bereits
verloren gewesen, was sich aus der Thatsache ergebe, dass zur gleichen
Zeit die Stammaktien um einen Fünftel ihres Betrages abgeschrieben
wurden. Diese Abschreibung habe jedermann von der schlimmen Situation
Kenntnis gegeben, und im Verwaltungs-rat habe man bereits von einem
Nachlassvertrag mit den laufenden Gläubigern zu 65010 gesprochen. Es
sei daher von vornherein zu sagen, dass für die Prioritäten keine
Unterzeichner gefunden worden waren, wenn man ihnen bloss das einfache
Vorrecht aus eine Jahresdividende und nicht auch das Nachbezngsrecht für
alle ausfallenden Dividenden geboten hätte. Dazu komme: Das bisherige
Aktienkapital habe 4,200,000 Fr. betragen und noch keinen Ertrag
abgeworfen. Weitere Mittel seien durch Obligationen nicht aufzubringen
gewesen; denn schon habe eine erste Hypothek von 1,500,000 Fr. und
eine zweite von 600,000 Fr. auf der Anlage gelasiet, die zweite zu 60/O
verzinslich. Es sei also nur an die Ausgabe von bevorrechteten Aktien zum
Zwecke der Abtragung der laufenden und Verminderung der hypothezierten
Schulden zu denken gewesen. Die den Prioritäten versprochenen 44s9
0/0 habe man daher lediglich aus der Verminderung des bisherigen
Schuldenzinsfusses erwartet, b. h. die Prioritäten sollten an Stelle
bisheriger Gläubiger treten. Das sei so sehr der Fall gewesen, dass man
bisherige Gläubiger mit Prioritäten abgefunden habe, dass sie es gewesen
seien, die die Prioritäten übernahmen. Da habe es sich ganz von selbst
verstanden, dass man ihnen eine feste Dividende mit unbeschränktem
Nachbezugsrecht zusicherte, m. a. W. dass man ihnen das versprach,
was einem festen Zinse, wie sie ihn als Gläubiger bekommen hatten, am
nächsten stand. Das sei denn auch im Vertrage mit der Firma Burkhardt
& Cie. deutlich zur Geltung gekommen, welcher Vertrag das Anrecht der
Prioritäten bezeichnen-

282 Civilrechtspflege.

derweise ausdrücklich Vorzugszins genannt habe. Jeder Dividendenaussall
sollte danach als Schuld betrachtet werden,wie ein unbezahlter Zins
und daher immer wieder vollständig nachbezahlt werden, sobald es die
Betriebsüberschüsse wieder gestatteten. Zur gleichen Auslegung führe
auch die der Nachbezugsklausel im Vertrag und in den Statuten angehängte
Einschränkung: jedoch ohne Zinsvergütung. Denn wegen des, eine blosse
Kleinigkeit ausmachenden, Zinses des Fehlbetrages einer Dividende in
den Statuten eine Bestimmung aufzunehmen, würde sieh nicht der Mühe
gelehnt haben; man habe eine ganze Reihe von Jahren im Auge gehabt
und deshalb auch die Zinsenfrage ordnen wollen. Eventuell werde die
bestimmte Behauptung unter Anrufung des Zeugenbeweises aufgestellt, dass
in den Unterhandlungen der Gesellschaft mit Burkhardt & Cie., die zu dem
Emissionsvertrage führten, allseitig verstanden und betont worden sei,
das Nachhezugsrecht solle den Prioritäten für alle die Jahre zustehen,
die ohne Dividende, oder genügende Dividende bleiben würden, und nicht
nur für das unmittelbar vorhergehende Jahr. cis-einverstanden seien die
Kläger mit dem Antrag der Beklagten, dass das Bundesgericht sich über
die Frage, auf welchen Coupons die heurige Dividende zu verrechnen
sei, ausspreche Das deutsche Reichsoberhandelsgericht habe in einem
gleichen Falle genrteilt, es habe, wo die Statuten darüber schweigen, der
Dividendenschein des Ertragsjahres, soweit er reicht, das nächste Anrecht
auf die Dividendenanzahlung (Fuchsberger, 'S. 459). Das wäre also im
vorliegenden Falle der Conpon von 1898z dagegen bleiben dann die Coupons
der früheren Jahre ausstehend. In Bezug auf die Tragweite des Urteils des
Bundesgerichts für den angegriffenen Beschluss des Berwaltungsrates teilen
die Kläger ebenfalls die Ansicht der Beklagtenz ihr Angriff habe sich nur
gegen den zweiten Beschluss gerichtet, und sie seien damit einverstanden,
dass das Bundesgericht, wenn es das Nachbezugsrecht der Prioritäten

als ein volles ansehe, nur den zweiten Teil des Beschlusses (den.

von Hm Reiff beantragten Zusatzbeschluss) aufhebe. --

D. In der anlik hält die Bekiagte an allen in der Klagebeantwortung
gemachten Anträgen und Ausführungen fest und bestreitet die Behauptungen
der Kläger in Klageschrift und Re-II. Obligationeurecht. N° 39. 283

plik, soweit sie nicht von ihr ausdrücklich anerkannt worden find.
Bezüglich der Frage der Prioritätsrechte zwischen den einzelnen Coupons
erklärt sie, dein Standpunkt der Klager, dass der Dividendenschein des
Ertragsjahres das nächste Anrecht auf die Dividendenzahlung habe, nicht
zu opponieren.

E. An dem vom Justruktionsrichter abgehaltenen Rechtstag wurden als
Zeugen Gottfried Bürgi, alt Präsident des Verwaltungsrates der Beklagten
in Arth, Heinrich Burkhardt, Bankier in oZürich und Hugo Sax, Direktor
der Bank in Baden, in Zürich, einvernommen. Aus den Zeugendepositionen
ist hervorzuheben: Der Zeuge Bürgi erklärte, dass bei der Vereinbarung
der Vertragsbestimmungen mit Burkhardt & Eie. sowohl bei ihm, als, wie
er glaube, auch bei den übrigen Mitgliedern des Direktoriums die Ansicht
obgewaltet habe, dass ein jeweiliger Betriebsausfall durch den Ertrag
der folgenden Betriebsjahre und nicht bloss des nächstfolgenden Jahres
gedeckt werden solle. Der Zeuge Burkhardt sprach sich dahin aus, bei den
Verhandlungen über den Emissionsvertrag sei der Wille dahin gegangen,
dass den Prioritätsaktien das Recht der Nachzahlung gewahrt bleibe
gemäss der damaligen Rechtsauffassung. Er könne sich nichts anderes
denken, als dass das Recht der Nachzahlung im Ganzen, wie er glaube,
ohne Limite gewährt werden sollte. Der Zeuge Sar erklärte, bei den
Verhandlungen, die Über den Abschluss des Emissionsvertrages gepflogen
wurden, sei die Intention allseitig die gewesen, den Text bezüglich der
Prioritätsaktien in Bezug auf das Nachbezugsrecht genau entsprechend
demjenigen der NordostbahnsPrioritätsaktien von damals zu fassen. Dieses
Nachbezugsrecht sei ein absolut kumulatives gewesen, derart, dass es
sich nicht bloss auf ein Jahr, sondern auf alle nachfolgenden Jahre
erstreckte. Warum in dem Vertrage gleichwohl bloss vom Reinertrag des
folgenden Jahres gesprochen worden sei, könne er nicht sagen; man sei
infolge des langwierigen Ganges der Verhandlungen etwas ermüdet gewesen,
und er vermute, dass den Beteiligten darum die Abweichung des Textes
des Vertrages vom Texte der N.-O.-B.-Prioritäten entgangen sei.

F. In der heutigen Hauptverhandlung erneuern die Anwälte der Parteien
ihre in den Rechtsschriften gestellten Anträge.

284 Civilrechtspflege.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Kompetenz des Bundesgerichts zur Beurteilung der
vorliegenden Streitigkeit gründet sich auf Art. 52 Biff. 1 des
Organisationsgesetzes. Das Bundesgericht wird von beiden Parteien
angerufen, und der Streitgegenstand hat einen Hauptwert von mindestens
3000 Fr. Derselbe bemisst sich nach dem Interesse, welches die
Gesamtheit der Aktionäre an der Aufrechterhaltung oder Aufhebung des
angefochteneu Gesellschaftsbeschlusses besitzt und übersteigt danach
offenbar den gesetzlich erforderlichen Betrag (vergl. Amis. Samml. der
bundesgerichtl. Entsch, Bd. XXIII, S. 1828, Erw. 2).

2. In der Sache selbst steht die Frage zur Entscheidung, ob sich das
Nachbezugsrecht der Prioritätsaktionäre für einen Ausfall auf der ihnen
zugesicherten 41/2 0/0 Vorzugsdividende unbeschränkt auf die folgenden
Jahre, bis zur vollen Befriedigung, erstrecke, oder aber bloss auf
das dem Rechnungsjahr jeweilen unmittelbar folgende Jahr. Massgebend
hiefür sind, da es sich um die Bestimmung des Inhalts und Umfangs von
Mitgliedschaftsrechten an der Aktiengesellschaft handelt, die Statuten
der Beklagten. Diese sind aus sich selbst heraus zu interpretieren Da
dieselben dazu bestimmt sind, nicht nur für die bei deren Abfassung
beteiligten Personen, sondern für jedermann Recht zu machen, der durch
Erwerbung von Aktien der Gesellschaft beitritt, muss bei der Auslegung
ihres Inhaltes vom Standpunkt des Publikums ausgegangen werden, das die
Entstehungsgeschichte der einzelnen Bestimmungen nicht kennt und sich
deshalb lediglich an dasjenige zu halten hat, was darin geschrieben steht
und nach den Regeln grammatikalischer und logischer Interpretation
gemeint sein farm. Gegenüber einem klaren Wortlaut der Statuten
können sich die Kläger daher nicht darauf berufen, dass anlässlich
der Veschlusssassung über die Statuten eine andere Willensmeinung
obgewaltet habe. Als von den Statuten gewollt muss vielmehr gelten,
was in diesen selbst erklärt isf. Noch weniger geht es an, im Gegensatz
zu einer unzweideutigen Statutenbestimmung darauf abzustellen, was
beim Abschluss des Einissionsvertrages mit der Firma Burkhardt &
(Sie. Meinung der Kontrahenten gewesen sei; denn für den Umfang und
Inhalt der Aktionärrechte sind einzigIl. Obligaéwnenrecht. N° 39. 285

die Statuten und in keiner Weise dieser Emissionsvertrag massgebend.

Wenn demnach die Statuten in unzweideutiger Fassung nur von einem
Nachbezugsrecht für ein Jahr sprechen, so darf nicht angenommen werden,
dass es sich auf mehrere Jahre erstrecke; es ware denn, dass ein
Nachbezugsrecht, das auf bloss ein Jahr beschränkt ist, vernünftigerweise
gar nicht gedacht werden könnte und es sich von selbst verstäude, dass,
wo von einem Nachbezugsrecht die Rede ist, dasselbe notwendig als für
mehrere Jahre geltend gemeint sein müsse. Nun sagen die Statuten mit
aller Deutlichkeit, dass sich das Nachbezugsrecht bloss aus das dem
Rechnungsjahr folgende, also bloss auf ein Jahr erstrecke, indem Art. 27
Îitt. c bestimmt, etwaige Ausfälle auf der Ds,/Ms, Vorzugsdividende eines
Rechnungsjahres seien den Prioritiitsx aktien jeweilen aus dem Reinertrag
des folgenden Jahresizu ersetzen. Es ist schlechterdiugs unmöglich,
mit den Klägern anzunehmen, dass das Wort Jahr hier als Sammelbegrisf
gebraucht und der Singularis angewendet worden sei, um eine Mehrzahl
von Jahren auszudrücken Die Vertauschung des Pluralis mit Singularis
verbot sich selbstverständlich in einem Falle wie der vorliegende,
wo es gerade darauf ankam zu wissen, ob ein Jahr oder mehrere gemeint
seien. Die Sprache redet denn auch überhaupt von Dingen, die in einer
Mehrzahl zu denken sind, im Singularis nur in solchen Fällen, wo von
der Zahl ganz abgesehen wird. Richtig ist nun allerdings, dass wennn den
Prioritätsaktien für die Vorzugsdividende ein Nachbezugsrecht eingeräumt
werden soll, dasselbe gewöhnlich nicht nur für das Jeweileu folgende Jahr,
sondern für die folgenden Jahre gewährt wird; es kann auch nur in dieser
Erweiterung volle praktische Bedeutung erlangen, während es, auf je das
dem Rechnungsjahrfolgender Jahr beschränkt, einen materiellen Vorteil
allemal nur dann gewährt, wenn nach einem divideudenlofen Jahr ein Rein-

ertrag erzielt wird, der den Bezug der Vorzugsdividende des lau-

fenden und den Nachbezug desjenigen des vorangehenden gestattet. Da nun
derartige periodische Schwankungen der jährlichen Betriebsergebnisse
kaum häufig vorkommen dürften, bietet ein Nachbezugsrecht, wie es in
den Statuteu der Beklagten normiert ist,

XXVI, 2. 1900 19 A.

286 Civilrechtspflege. den Prioritätsaktionären allerdings nur eine
sehr unvollkommene

Garantie für die Deckung von Ausfällen, die sie in einzelnen Jahren auf
ihrer Vorzugsdividende erleiden. Allein diese Erwä-

gung berechtigt nicht zur Annahme, dass ein derartiges Vorzuges--

recht überhaupt nicht gewollt, sondern statt dessen ein unbeschränktes
Nachbezugsrecht gewollt sei. Wie das Vorzugsrecht auf die Jahresdividende,
so versteht sich auch das Nachbezugsrecht einer beson- deren Kategorie
von Aktionären nicht von selbst, es muss vielmehr-, um zu gelten,
ausdrücklich eingeräumt sein. Es handelt sich hiebei um Privilegien,
die nicht aus-dehnend interpretiert werden dürfen, und der Umstand, dass
das Privilegium, welches den Prioritäten der beklagten Aktiengesellschaft
eingeräumt ist, in seiner praktischen Anwendung sich als sehr unvollkommen
erweist, darf nicht dazu führen, dasselbe über das Mass hinaus weiter
auszudehnen, auf welches es in den Statuten unzweideutig beschränkt
worden ist.

3, Was die Frage nach den abzugebenden Coupons anbetrifft, so haben
die Kläger den Beschluss der Generalversammlung vom 24. Juni 1899,
dass gegen die Auszahlung der aus dem Reinertrag von 1898 zur Verteilung
gelangenden Dividende sämtliche uneingelöst gebliebenen Coupons abgegeben
werden sollen für den Fall, dass ihr Standpunkt in der Hauptsache nicht
gutgeheissen werden sollte, nicht angefochten Ebenso gehen die Parteien
darin einig, dass der Dividendenschein des Ertragsjahres das nächste
Anrecht auf die Dividende habe, dass also mit der Dividende pro 1898
der Coupon dieses Jahres eingelöst werde.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen, in der Meinung, dass das in § 27 litt-. c der
Statuten der Arth-Rigibahn-Gesellschaft den Prioritätsaktien gewährte
Nachbezugsrecht auf ein Jahr beschränkt fei, und dass aus dem Reinertrag
des Jahres 1898 die Vorzugsdividende für dieses Jahr gegen Aushändigung
des Coupons pro 1898 bezahlt werden soll. _Il. Obligationenrecht. N°
4.0. 287

40. Urteil vom 4. Mai 1900 in Sachen Rast gegen Volksbank Luzern.

Bürgund Selbstzahferschaft. Art. 495 {). R. K lage gegen den Bize-gen,
· Seebstamuemng; Verwirkemg wegen Nicktanzeige des Zion-wissesdes
Haeeptschuldners durch, den Gläubiger, Art. 510 Abs. 2 und 3 0.-R. Inhalt
und Umfang der Bzî-rgscàaftsverpflichtung per Gabi-ekider Rast J. Georg
Hast (neben eee-un anderen Bua-gen). Irrtum im Bewegge'unde, Art. 21
0.-R.

A. Durch Urteil vom 3. Oanuar 1900 des Kantons Luzern erkannt:J hat
das Obergencht

1. Die Gebrüder Johann Georg Rast und Martin Ludwig Rast haben die
Bürgschaft vom 4. Dezember 1896 nicht anzuerkennen, und seien daher nicht
gehalten, der Klägerin unter solidarischer Haftbarkeit 20,000 Fr. nebst
Zins zu 6 U/Ù seit 21. Juni l897, und 4 Fr. Wechselprotestkosten zu
bezahlen, und es sei dieses Klagebegehren Ziff. 1 im ganzen Umsange
abgewiesen

?. Dagegen sei der Beklagte Johann Georg Rast als der Klägertn persönlich
verpflichter Bürge gehalten, derselben 20,0()0 Fr. nebst Zins zu 6 0/0
seit 21. Juni 1897 und 4 Fr. Wechselproe testkosten zu bezahlen. .

3. Mit ihren weiter gehenden Begehren seien die Parteien abgewiesen. --

B. Gegen dieses Urteil haben die Berufung an das Bundesgericht erklärt: ss

1. Johann Georg und Ludwig Rast, mit dem Antrag, die Klage sei des
Gänzlichen abzuweisen.

2. Die Litisdenunziatenz Th. meach, Julius Blauw,Dr.

Moser, J. Lang-Hirzel, Fr. Widmer, J Balmer und Fr. Pfyffer,

mit dem Antrag: Das Dispositiv 2 des obergerichtlichen Urteils sei
aufzuheben, und die Klage gänzlich abzuweisen

C. In der heutigen Hauptverhandlung vor Bundesgericht erneuert
Für-sprech Beck namens der Beklagten seinen schriftlich gestellten
Berufungsantrag. Dr. Allgäner erneuert seinen schriftlich gestellten
Berufungsantrag Fürsprech Burri beantragt namens der Klägerin Bestätigung
des angefochtenen Urteils in der Hauptsache.
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 26 II 276
Date : 04 mai 1900
Publié : 31 décembre 1901
Source : Tribunal fédéral
Statut : 26 II 276
Domaine : ATF - Droit civil
Objet : 276 Civilrechtspflege. 39. Urteil vom 4. Mai 1900 in Sachen Suter und Konsorte gegen


Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
action en contestation • amortissement • amortissement • application ratione materiae • assurance donnée • autorisation ou approbation • avantage • banquier • bri • bénéfice de l'exercice • capital-actions • cas fortuit • catégorie • chose principale • conclusions • connaissance • conscience • conseil d'administration • coupon • couverture • demande • disposition statutaire • dividende • droit acquis • droit exclusif • durée • débat du tribunal • début • décision • déclaration • défendeur • dépense • emploi • entreprise • erreur • exactitude • exécution • fonds de rénovation • fonds de réserve • forme et contenu • frais d'exploitation • hameau • intérêt • langue • mariage • mesure • motivation de la décision • nombre • nullité • objet du litige • paiement • paiement de l'arriéré • partie au contrat • perte • privilège • présomption • question • remplacement • réduction • régénération • réplique • répétition • société anonyme • souscription • suppression • tiré • tribunal fédéral • témoin • valeur litigieuse • valeur nominale • volonté • votation • étendue