68 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Margaretha Eggimann dem Kläger seine Miterbenqualität keineswegs
abstreitet, sondern lediglich behauptet, sie schulde der Erbmasse
nichts und sei nicht pflichtig, den von ihr erhobenen Betrag in die
Masse einzuschiessen. Bei dieser Haltung der Beklagten bezweckt also
die anhängig gemachte Klage thatsächlich keineswegs die richterliche
Feststellung des Erbrechis des Klägers und die Bestimmung des ihm
zukommenden Erbteils. Sie beruht nicht auf erbrechtlichem Grunde. Jhr
Ziel ist die Verurteilung der Angesprochenen zu einer Zahlung Sie ist eine
blosse Forderungsklage und hätte schon von der Erblasserin selber erhoben
werden können. Ihre rechtliche Natur wird nicht deshalb eine andere, weil
zufällig Kläger und Beklagte Erben sind. Der vorliegende Fall deckt sich
rechtlich mit dem Fall Jffrig (Urteil des Bundesgerichts vom 29. Januar
1898, A. S. XXII, S. 23 Erw. 3), keineswegs aber mit dem Fall Ackermann
(Urteil des Bundesgerichts vom 3. März 1897, A. S. XXIII, S. 40 n. f.),
auf welchen der Rekursbeklagte hinweist. In letzterem Falle gingen die
Klagebegehreu auf Einwurf von Vorempfang, während Klager im gegenwärtigen
Streite nur behauptet, Rekurrentin sei nicht Gläubigerin der fraglichen
Beträge gewesen und habe sich dieselben eigenmächtig angeeignet Demnach
hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird begründet erklärt und das Urteil-des Gerichts-

präsidenten von Aarwangen vorn 15. Dezember 1897 aufgehoben.V. Vollziehung
kantonaler Urteile. N° 13. 69

si V. Vollziehung' kantonaler Urteile, Exécution

de jugements cantonaux.

13. Urteil vom 30. März 1898 in Sachen Häfliger. Rechtskrdftiges
Civiéussrteil ?

A. Mit Kaufvertrag vom LS,/28. Januar 1897 verkaufte Hermann Bucher,
Müller, in Mehlsecken, dem Th. HäfligerKünzli, in Zosingen, seine in
Mehlsecken, Kantons Luzern, gelegene Mühlebesitzung Da der Verkäufer
in der Folge die Gültigkeit des Kaufvertrages bestritt, erhob der
Kaufen und zwar gemäss einer im Vertrage enthaltenen prorogatio fori
vor dem Bezirksgericht Zofingen, gegen diesen gerichtliche Klage mit
dem Begehren, der Beklagte sei schuldig, den Vertrag zu halten, u. s.w.
Mit einer gerichtssiandsablehnenden Einrede wurde der Beklagte Bucher
von den kantonalen Jnstanzen abgewiesen, und auch das Bundesgericht,
vor das die Frage des Forums gebracht wurde, entschied, soweit an ihm,
im Sinne der Gültigkeit der Prorogationsklausel. *

B. Auf Begehren des Th. Häfliger erliess das Bezirksgericht Zofingen in
seiner Verhandlung vom 2. April 1897, zu der Bucher unter Mitteilung
des Begehrens gehörig vorgeladen, zu welcher er aber nicht erschienen
war, eine Verfügung, durch die unter anderm dem Jmpetraten, unter
Bussandrohung, untersagt wurde, während der Dauer des Prozesses irgend
etwas vom verkauften Hofgut oder dessen Zubehörde zu veräussern. Von der
Verfügung wurde dem Jmpetraten, sowie der Gemeindebehörde von Langnau,
in deren Gebiet das Kaufsobjekt gelegen ist, Kenntnis gegeben. Auf
Ansuchen des Th. Häfliger ergänzte das Bezirksgericht Zofingen seine
Verfügung vom 2. Aprik unterm 14. gl. Mis., ohne dass von dem erneuerten
Gesuche dem H. Bucher Kenntnis gegeben und ohne dass er zur Verhandlung
vorgeladen wurde, dahin, dass auch der Fertigungsbehörde von Langnau,*
Siehe oben Nr. H.

70 staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

unter Bussandrohung, untersagt wurde, eine Wegfertigung des
Mühleheimwesens des Herrn. Bucher vorzunehmen, so lange der Prozess
zwischen diesem und dem Jmpetranten Häfliger nicht rechtskräftig
entschieden sei. Bei dem Erlass der beiden Verfügungen stützte sich das
Gericht auf die §§ 83, 282 und 290 der aargauischen Civilprozessordnnng

G. Mit Vertrag vom 23. Februar 1897 hatte inzwischen Hermann
Bucher seine Mühlebesitzung der Frau Witwe Baumann-Amrein in Langnau
verkauft. Der Vertrag wurde dem Gemeinderat von Langnau zur Fertigung,
eventuell zur Vormakung gemäss den §§ 294 bis 296 des luzernischen
bürgerlichen Gesetzbuches, vorgelegt. Beides wurde unter Berufung auf
das vom Bezirksgericht Zofmgen erlassene Fertigungsoerbot verweigert.
Wegen dieser Weigernng beschwerte sich Witwe Baumann beim luzernischen
Qbergericht, das laut Erkenntnis vom 15. Januar 1898 das Begehren Um
definitive Zufertigung der Liegenschaft an Witwe Baumann ebenfalls
abwies, dagegen den Gemeinderat von Langnau im Sinne der Motive
anhielt, innert Monatsfrist den Kaufbrief auszufertigen, und die
Vormerkung des Kaufes nach H 294 des bürgerlichen Gesetzbuches zu
bewilligen und im Handändernngsprotokoll einzutragen Die-Frage, ob die
Thatsache, dass die abzufertigende Liegenschaft an zwei verschiedene
Personen verkauft worden sei, als Fertigungshindernis im Sinne des §
294 des erwähnten Gesetzbuches in Betracht fallen dürfe, sei, wurde in
den Entscheidungsgründen ausgeführt, mit Rücksicht auf die bisherige
Praxis im allgemeinen, und vorliegend speziell mit Rücksicht auf das vom
Bezirksgericht Zosingen erlassene Fertigungsoerbot vom 14. April 1897,
zu besahen. Dagegen lägen allerdings die Voraussetzungen der eventuell
verlangten vorläufigen Vormerkung vor, da gerade das Vorhandensein eines
Fertigungshindernisses eine bedingte Fertigung rechtfertige.

D. Wegen dieses Entscheides beschwert sich Th. Häfliger-Künzli beim
Bundesgericht, weil darin eine Verletzung des Art. 61 der Bundesverfassung
liege. Das rechtskräftige Urteil des Bezirksgerichts von Zofingen
vom 14. April enthalte nämlich nicht bloss ein Verbot der definitiven,
sondern ein Verbot jeder Wegfertigung Der luzernische Entscheid missachte
thatsächlich dieses Verbot, obschon er es formell anerkenne. Er könne,
ja müsse dazu führen, dassV. Vollziehung kantonaler Urteile. N° 13. 71

die einseitige Vollziehung eines die Hauptklage des Häfliger gut-r

* heissenden Urteils des zuständigen aargauischen Richters nicht mehr

möglich wäre. Er würde endlich schon in der Zwischenzeit dem Bucher oder
der neuen (Eigentümerin (die nämlich mit ihm eins sei), gestatten,
über das Verkaufte nach Belieben zu schalten und zu walten, und
den Beschwerdeführer zwingen, vor den luzernischen Gerichten zu
intervenieren und so den erstrittenen aargauischen Gerichtsstand
preiszugeben Das brauche sich der Rekurrent nicht gefallen zu lassen;
er könne, gestützt auf Art. 61 B.-B., verlangen, dass der Entscheid
des luzernischen Obergerichts aufgehoben werde. Jedenfalls wäre dem
angefochtenen Entscheid eine die Rechte des Rekurrenten wahrende Auslegung
zu gehen. Es wird beantragt, der Entscheid des luzernischen Obergerichts
vom 15 Januar 1898 sei aufzuheben.

E H Bucher bemerkt in seiner Antwort zunächst, dass nicht er, sondern
Witwe Baumann die richtige Gegnerin sei; es sei nämlich unrichtig, dass
zwischen ihm und Witwe Baumann auch nnr eine Interessengemeinschaft
bestehe. Unter diesem Vorbehalt wird dann materiell angebracht: Einen
Vertrag mit Häfliger habe Bucher allerdings unterzeichnetz derselbe
sei aber ungültig, weil sich der Verkäufer bei dessen Abschluss nicht im
Zustande der Willensfreiheit befunden habe; zudem habe Bucher nach Art. IX
des Vertrages bis Ende Februar vermittelst eines Rückkaufgeldes von 10 0/0
der Kaussumme von demselben zurücktreten können. Für Witwe Baumann seien
die Voraussetzungen zur. Austvirkung einer Vormerkung im Sinne des § 294
des luzernischen bürgerlichen Gesetzbuches vorhanden gewesen. Dadurch,
dass nicht die definitive Fertigung ausgesprochen worden sei, habe
man auf die Verfügung des Vezirksgerichts Zofingen vom 14. April 1897
Rücksicht genommen. Diese Verfügung sei übrigens kein rechtskräftiges
Urteil, formell nicht, weil sie ohne Anhören der Gegenpartei und ohne
dass diese vorgeladen worden wäre, getroffen worden sei, und inhaltlich
nicht, weil dadurch nicht über ein streitiges Recht materiell entschieden
wurde. Auch wenn ein Urteil vorläge, so würde dieses übrigens nur Recht
schaffen zwischen den Parteien, und die Rechte der Witwe Baumann würden
dadurch nicht berührt. Die Vormerkung schade zudem dem Rekrurenten nichts;
sie benehme ihm nicht das Recht, auf Anerkennung

72 Slaatsrechfliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

seines vermeintlichen Vorrechts aus die Liegenschaft gegen Witwe Baumann
zu Hagen. Die Vernehmlassung schliesst mit dem Antrag auf Abweisung
des Rekurses

F. Witwe Baumann, der ebenfalls Gelegenheit zur Einreichung einer Antwort
gegeben wurde, beantragt, es sei auf den Rekurs mangels Kompetenz nicht
einzutreten, sondern der Rekurrent mit seinem vermeintlichen Anspruch
auf ein Vorrecht gegenüber Witwe Baumann bezüglich der Liegenschast in
Mehlsecken an den Civilrichter zu verweisen, eventuell sei die Beschwerde
als sachlich unbegründet abzuweisen. Es handle sich, wird zur Begründung
des ersten Antrages im wesentlichen geltend gemacht, um die Frage, ob
dem Th. Häsliger ein Vorrecht vor der Witwe Baumann aus die von dieser
erworbenen Liegenschaft des S;. Bucher zustehe. Diese Frage aber sei
durch den Civilrichter im ordentlichen Verfahren zu Beurteilen, und das
Bundesgericht sei nicht kompetent, in den Streit einzugreifen. Aber auch
sachlich sei das Begehren des Häfliger unbegründet: Die Verfügung des
Bezirksgerichts Zosingen habe bloss den Charakter einer prozessualischen
Massregel Und sei dazu bestimmt, das Rechtsverhältnis unter den
streitenden Parteien zu ordnen, habe aber keine Verbindlichkeit Dritten,
somit auch nicht der Witwe Baumann gegenüber, die keineswegs mit dem
Verkäufer Bucher identisch sei. Häfliger habe Überhaupt gegen Bucher
keine dingliche Klage ausgespielt, sondern nur eine persönliche;
auch deshalb könne die Verfügung des Bezirksgerichts Zofingen nicht
den Sinn haben, dass dem Reimrenten ein dingliches Vorrecht an der
Liegenschast eingeräumt werde. Nach dem lnzernischen Fertigungssystem
stehe es überhaupt nicht in der Kompetenz des Gerichts, sondern in der
der Gemeinderäte, Eigentum an Liegenschasten zu verleihen, und in diese
Kompetenz habe die richterliche Verfügung unmöglich eingreisen wollen. Die
Berufung aus Prorogation stehe dem Rekurrenten gegenüber der Witwe Baumann
nicht zu, und gänzlich unzutressend sei die Anrufung des Art. 61 B.-V.:
Wenn hier den Civilurteilen schweizerischer Gerichte die Vollziehbarkeit
im ganzen Gebiet der Eidgenossenschast verliehen sei, so beziehe sich dies
doch nur auf das Verhältnis zwischen den Prozessparteien und nicht auf
das einer Partei zu einem Dritten Überhaupt liege aber einV. Vollziehung
kantonaler Urteile. N013. 73

Urteil nicht vor, und jedenfalls nicht ein rechtskräftiges Urteil

gegenüber Frau Baumann.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Es muss sich zunächst fragen, ob der angesochtene Entscheid des
luzernischen Obergerichts mit der Verfügung des Bezirksgerichts Zosingen
vom 14. April 1897 aus die einzig das Obergericht Bezug genommen hat und
auf welche der Rekurrent auch allein abstellt im Widerspruche stehe oder
nicht. Denn wenn dies, wie die Rekursgegner behaupten, und wie auch das
luzernische Obergericht anzunehmen scheint, nicht der Fall sein sollte,
so könnte von vornherein nicht davon die Rede sein, dass eine Missachtung
des Art. 61 der Bundesversassung, ein Verstoss gegen den Grundsatz, dass
rechtskräftige Civilurteile in der ganzen Schweiz vollziehbar seien,
vorliege. Nun ist einerseits klar, dass das Bezirksgericht von Zosingen
mit seiner Verfügung vorn 14. April 1897 jede Veränderung des rechtlichen
Zustandes der an den Rekurrenten veräusserten Liegenschaft verbieten und
verhindern wollte. Anderfeits kann jedenfalls durch die vom luzernischen
Obergericht bewilligte Vormerkung der Eigentumsübertragung an Witwe
Baumann in gewissem Sinne eine solche Änderung bewirkt werden. Zwar
ist es richtig, dass die Vor-merkung ihrem Wesen und Zwecke nach in der
Hauptsache nur einen vorsorglichen Charakter hat, indem dadurch lediglich
einer für die Erwerberin ungünstigen Veränderung der Rechtsverhältnisse
an der Liegenschast vor-gebeugt und der bestehende Zustand vorläufig
festgehalten werden wifi, während dem Entscheid über die definitive
Übertragung des Rechts dadurch nicht vorgegriffen werden soll. Allein
trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass durch die Vormerkung des
Eigentumsübergangs an einen Dritten die rechtliche Stellung desjenigen,
dem der Verkäuser die Liegenschast ebenfalls veräussert und der gegen
letztern eine Klage aus Haltung des Kaufvertrages ausgespielt hat,
zu seinen Ungunsten beeinflusst werde. Denn wenn auch das luzernische
Obergericht in seiner Vernehmlassung aus den Rekurs, im Anschluss an einen
frühem, die Bedeutung des im vorliegenden Falle getroffenen Entscheides
dahin erläutert, dass die Vormerkung lediglich die Wirkung habe, dass
dem VerkäUfer gegenüber die Rechte des Jmpetranten vor-

74 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

läufig gegen Verpfändung, Weiterveräusserung zc. gesichert seien, und
dass erst im Rechtfertigungsprozess über das bessere Recht der zwei
Käuser entschieden werde, so sagt dasselbe doch selbst im Anschluss an
und unter Berufung auf die §§ 294 und 295 des bürgerlichen Gesetzbuches
des Kantons Luzern weiter, dass das Eigentumsrecht an der Vorgemerkten
Liegenschaft im Falle der Rechtfertigung der Vormerkung auf den Moment
der letztern zurückbezogen werde und dass auch die Bedeutung der Priorität
der Vormerkung im Rechtfertigungsprozess zu erörtern fei. Es ist also zum
mindesten die Möglichkeit gegeben, dass die Vormerkung, die der Witwe
Baumann gewährt worden ist, an sich schon oder mit Rücksicht auf ihre
Priorität gegenüber einer allfällig vom Rekurrenten auszuwirkenden,
gleichen Massnahme einen Einfluss auf die rechtlichen Verhältnisse
der Liegenschaft, deren Übereignung an ihn der Rekurrent auf dem
Prozesswege anstrebt, ausübe. Der Rekurs erscheint deshalb auch nach
der Erläuterung, die das luzernische Obergericht seinem Entscheide hat
angedeihen lassen und der sich anscheinend die Rekursgegner anschliessen,
nicht als gegenstandslos-. Ebensowenig kann gesagt werben, dass der
Rekurrent angesichts jener Erläuterung an der Beurteilung des Rekurses
kein Interesse mehr habe, wenn auch zuzugeben ist, dass er durch die
Auswirkung einer Vormerkung seinerseits-, der nach den Ausführungen
des luzernischen Obergerichts nichts im Wege steht und die nun wohl
gleichzeitig mit derjenigen der Witwe Baumann vollzogen werden wird,
die gleiche Rechtsstellung mit Bezug auf die fragliche Liegenschast
erlangt wie letztere.

2. Die Rekursgegnerin Witwe Baumann bestreitet dem Bundesgericht die
Kompetenz zur Beurteilung der vorliegenden Streitsache, weil es sich
um eine nach kantonalem Rechte zu entscheidende civilrechtliche Frage
handle. Allein zum Entscheide verstellt ist nicht die civilrechtliche
Frage, ob Witwe Baum-arm durch die Vormerkung ein Vorrecht auf den Erwerb
des Eigentums an der fraglichen Liegenschaft erlangt habe, sondern die
verfassungsrechtliche Frage, ob durch die Gestattung der Vormerkung
nicht Art. 61 der Bundesverfassung verletzt sei, weil dieselbe mit einer
rechts-kräftigen Verfügung des Bezirksgerichts Zofingen im Widerspruch
stehe. Zur Beurteilung dieser Frage ist aber das Bundes-V. Vollziehung
kantonaler Urteile. N° 23. 75

gericht zweifellos kompetent. Anderseits ist klar, dass der Streit
nicht mittelst einer Interpretation des Erkenntnisfes des luzernischen
Obergerichts, die der Rekurrent eventuell verlangt, gelöst werden kann,
dass vielmehr zu prüfen ist, ob das oder-gerichtliche Erkenntnis nach
der ihm von der urteilener Behörde gegebenen Bedeutung mit Art. 61
B.-V. vereinbar sei oder nicht.

3. Würde man es nun im vorliegenden Falle mit einem rechts-kräftigen
Civilurteile im Sinne des Art. 61 B.-V. zu thun haben, so müsste das
angefochtene Erkenntnis des luzernischen Qbergerichts zweifellos nach
dem Antrage des Rekurrenten aufgehoben werden, da dieses nach dem bereits
Gesagten mit jener Verfügung, in gewissem Sinne wenigstens, in Widerspruch
steht, also deren Rechtskraft und Vollftreckbarkeit missachtet. Jene
Voraussetzung trifft nun aber nicht zu. Dies ist ohne weiteres klar,
wenn man von dem Begriff des rechts-kräftigen Civilurteils ausgeht, wie
ihn das Bundesgericht in seinem Entscheide in Sachen der Solothurniscben
Bank vom 20. Juni 1879 (Amii. Samml., Band V, S. 183) festgestellt hat,
wonach ein Civilurteil ein civilrechtliches Erkenntnis ist, durch welches
eine privatrechtliche Streitigkeit zwischen zwei Parteien beendigt
und der Beklagte entweder zu einer Leistung an den Kläger verurteilt,
oder von dem klägerischerseits geltend gemachten Rechtsanspruch
freigesprochen worden ist, und zwar mit der Wirkung, dass jede neue
Geltendmachung des entschiedenen Rechtsanspruchs abgeschnitten wird und
der obsiegende Kläger die Erfüllung der festzustellenden ,,Leistung durch
ein Vollziehungsbegehren erwirken farm. Wenn man aber auch den Begriff
des Civilurteils im Sinne des Art. 61 B.-V. weiter fassen wollte, so kann
doch die Verfügung des Bezirksgerichts Zosingen vom 14. April 1897 nicht
darunter subsumiert werden. Erstlich nämlich kann von einem Urteil auch in
einem weitern Sinne nur dann gesprochen werden, wenn durch richterliches
Erkenntnis ein Streit zwischen zwei oder mehreren Parteien entschieden
wird; der Begriff des Urteils setzt also voraus, dass Über eine zwischen
den Parteien bestrittene Frage das Gericht feinen Entscheid abgebe, und
zwar nachdem vorher ein Verfahren stattgefunden hat, in dem den Parteien
Gelegenheit geboten war, sich Über das ftreitige Begehren hören zu lassen.

?6 Staaisrechiliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Diese aus dem Wesen und Begriff des Urteils hergeleiteten Erfordernisse
erfüllt die Verfügung des Bezirksgerichts Zofingen vom 14. April
1897 nicht, da dieselbe auf einseitige-Z Begehren einer Partei und
ohne dass die andere sich darüber vernehmen lassen konnte, erlassen
worden ist. Überdies war das Bezirksgericht Zofingen zum Erlass der
Verfügung nicht kompetent, und auch ans diesem Grunde kann nicht
verlangt werden, dass dieselbe im ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft
vollzogen merde. Wohl kann der Richter, bei dem ein Rechtsstreit hängig
und der zu deren Beurteilung zuständig ist, vorsorgliche Verfügungen
treffen, um zu verhindern, dass am Streitgegenftand Veränderungen in
thatsächlicher oder rechtlicher Beziehung vorgenommen werden. Allein seine
Kompetenz zum Erlass derartiger Verfügungen geht nach einer allgemein
anerkannten prozessrechtlichen Regel nicht weiter als seine Kompetenz
in der Hauptsache, und sie kann sich nicht auf Gegenstände erstrecken,
die nicht im Streite liegen. Im vorliegenden Falle nun ist die vor dem
Bezirksgericht Zofingen hängige Klage des Reknrrenten gegen H. Bucher
nicht auf die Anerkennung des Eigentums an dessen Liegenschaft gerichtet,
sie hat nicht diese direkt zum Gegenstand, sondern es wird damit vom
Gegner die Haltung, die Erfüllung des Kausvertrages derlangt, und das
Streitobjekt bildet eine persönliche Leistung des Beklagten. Bei dieser
-der Sachlage übrigens entsprechenden Fassung des Petitutns kann aber
darüber kein Zweifel bestehen, dass nicht die Liegenschaft selbst als im
Streite liegend, als das Streitobjekt bezeichnet werden farm, Diese ist
nicht lttigiös, und so wenig wie das Endurteil dahin gehen kann, dass
die Besitzung des Beklagten dem Kläger eigentümlich angehöre, so wenig
kann das Vezirksgericht Zofingen diese Besitzung zum Gegenstand einer
vorsorglichen Verfügung machen. Weder das aargauische noch das luzernische
positive Recht dehnen denn auch die Wirkungen der Rechtshängigkeit einer
persönlichen Klage aus Haltung eines Liegenschaftskausvertrages so weit
aus, dass die Liegenschaft selbst als im Streite oerfangen zu betrachten
mare, in dem Sinne, dass von Gesetzes wegen eine Veräusserung derselben
unzulässig wäre, oder dass der Richter diese durch provisorische
Verfügung verhindern könnte § 83 der aargauischen Prozessordnung
bestimmtV. Vollziehung kantonaler Urteile. N° 13. 7?

wohl, dass die Sache durch die Streitanhebung zur streitigen werde,
allein abgesehen von der Frage, ob dies sich nicht bloss auf dingliche
Klagen beziehe, wird ein Veräusserungsverbot hier nur aufgestellt für den
Fall, dass dieselbe zu den beweglichen gehört Und § 106 des luzernischen
Civilrechtsverfahrens erklart ausdrücklich, dass die Rechtshängigkeit das
Recht der einen oder andern Partei nicht ausschliesse, die im Streitn
befangene Sache zu veräussern, und bestimmt nur, dass die Verausserung
auf den Prozess keinen Einfluss habe und dass das Urteil vimAnsehung der
Sache selbst auch gegen den Rechtsnachfolger wirksam und vollstreckbar
sei. Dem aargauischen Richter ging sonnt die Kompetenz ab, durch
eine vorsorgliche Verfügung der Weiterverausserung der Liegenschaft
durch den Beklagten entgegenzutreten und den luzernischen Behörden
zu verbieten, bei einer solchen Weiterverausserung mitzuwirken Ob und
inwieweit eine definitive Zufertigung der Liegenschaft oder auch nur
eine provisorische Vormerltlttg des Eigentumsübergangs an Witwe Baumann,
i'm Hinblick insbesondere auf den Kausvertrag, den der Verkäufer vorher
mit dem Rekurrenten abgeschlossen hatte, zulässig sei, beurteilt sich
vielmehr allein nach den diese Verhältnisse betreffenden Vorschriften
des luzernischen Rechts, und zwar waren hiezu selbstverftandlich einng
die luzernischen Fertigungsbeziehungsweise Aufsichtsbehorden berufen.
4. Dazu kommt, dasz der Rekurs auch dann nicht geschutzt werden könnte,
wenn man annehmen wollte, dass die Liegenschaft des H. Bucher selbst
und direkt der Gegenstand des vorn Nef-nre renten gegen ihn angehobenen
Prozesses sei. ,@@ namlich nicht behauptet wird, dass Witwe Baumann
Besitzerm der Liegenschaft sei, so ist nicht ersichtlich, inwiefern ihr
gegenuber EiekVerfugung des Vezirksgerichts Zofingen vom 14. April 189r
irgend eine rechtliche Wirkung sollte ausüben können. Sie beansprucht
lediglich gemäss einem mit dem Eigentümer abgeschlossenen Kaufvertrag
die gleichen Rechte an der Liegenschast, wie der Rekurrent selbst,
und will dieselben gestützt auf eigenen Rechtsgrund und in gesetzlicher
Weise vorläufig wahren. Das kann ihr von dem Rekurrenten nicht mittelst
einer prozessualischen Verfugtmg verwehrt werden, die er im Prozesse
über seine Anspruche mit dem

78 Staatsrechtliehe Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

Veräusserer der Liegenschaft erwirkt hat. Diese Kollision der Rechte muss
vielmehr in einem besondern Rechtsstreite, für welchen die im Vertrage
zwischen Bucher und Häfliger enthaltene prorogatio fori natürlich nicht
gilt, gelöst werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet
abgewiesen.

VI. Kompetenzkonflikte zwischen Bund. und. Kantonen. Conflits de
Competence entre la Confédération et des cantone.

14. Arre-î da 2 mars 1898, dans la cause Conseil fédéral contre Genève.

Force exécutoire des amendes prononeées par l'Administratic-n des douanes
dans les oentons; art. 80 et si, loi fed. sur la poursuite pour dettes.

A. La Direction générale des douanes suisses a infligé à sieur Chatillon,
demeurant à Carouge, une amende d'ordre de 5 fr., en vertu de l'art. 58 de
la loi sur les douanes du 28 juin 1893, pour avoir négligé les formaljtes
prescrites, afin d'assurer la réimportatîon d'une voiture en franchise.

Cette décision & été communiquée à, l'intéressé par lettre de la Direction
du VIe arrondissement des douanes, à, Genève, du 11 aoùt 1897.

Sieur Chatillon n'ayant pas payé la dite amende, la Direction du VIe
arrondissement des douanes, chargée du reconvrement de cette somme,
a requis de l'Office des poursuites de Genève un commandement de payer
qui a été notifié au débiteur le 31 aoùt 1897.

Le débiteur & fait opposition au commandement.

La Direction des douanes a alors requis du Tribunal
deVI. Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Kantonen. N° M=. 79

première instance de Genève la mainlevée de l'oppnsition en se basant
sur les art. 80 et 81 LP. '

Par jugement (111 7 octobre 1897, le tribuna] a refusé d'accorder la
mainlevée et, ce jugement ayant été frappè d'appel par l'Administration
des douanes, la Cour de justice de Genève a écarté l'appel comme non
receveble par arrét du 3 novembre 1897.

Cet arrèt est motivé en substance comme suit :

Les art. 80 à 82 LP. determinent les titres en ver-tu desquels le
créancier peut demander la mainlevée definitive ou provisoire de
l'opposition au commandement de payer. La decision sur laquelle se base
l'Admiuistration des douanes ne rentre dans aucune de ces categories
de titres; c'est une decision d'ordre administratif qui ne saurait etre
assimilée à un jugemeut puisqu'elle n'émane pas d'une autorité judiciaire.
Il ne s'agit pas non plus d'une décision de droit public à laquelle le
canton de Genève ait accordé force exécutoiresi On ne peut raisonner par
analogie et décider qu'un acte administratif fédéral doit ètre assimilé,
quant à ses effets, a nn acte administratif cantonal. Il importo peu de
savoir si, comme le prétend l'appelante, l'absence dans la loi sur la
poursuite pour dettes de toute mention relative aux actes edministratifs
fédéraux est le résultat d'un oubli. Quand bien meme ce serait le cas,
cela n'autoriserait pas les tribunaux à combler cette lacune en donnant
à des actes non mentionnés par la loi la meme valeur qu'à. ceux qu'elle
a limitativement énumérés. --

B. Le Conseil fédéral, se fondant sur l'art. 175, Chiffre 1er GEIE, a
porte la cause devant le Tribunal federal et conclu àce qu'il lui plaise:

Dire que les amendes d'ordre prononcées par l'Administration des douanes
en vertu de l'art. 58 de la loi sur les douanes doivent, quant à leur
force exécutoire, ètre assimilées aux jugements des tribunaux ; annuler
l'arrét dont s'agit rendu par la Cour de justice de Genève et renvoyer
l'affaire devant le Tribunal de première instance de Genève, pour étre
statué à nouveau.
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 24 I 69
Data : 01. gennaio 1897
Pubblicato : 31. dicembre 1898
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 24 I 69
Ramo giuridico : DTF - Diritto costituzionale
Oggetto : 68 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. Margaretha


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