510 A. Staatsrechdiche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

sams gegen amtliche Befehle, Erbrechen von Amtseingaben und
Amtsehrverletznng zu Gefängnis von 2 Monaten;

4. im Jahre 1895 wegen Amtsehrverletzung und gefährlicher Drohung zu 14
Tagen Gefängnis-;

5. im Jahre 1896 wegen Diebstahls zu 3 Tagen Gefängnis--

6. im gleichen Jahre wegen rechts-widriger Thätlichkeit zu drei)
Wochen Gefängnis

Alle diese Bestrafungen zeigen, wenn sie auch an sich nicht besonders
schwer sind und zum Teil längere Zeit zurückliegen, doch das Bild eines
Menschen, von dem beständig strafbare Einbriiche in die Rechtsordnung
Behörden und Privaten gegenüber befürchtet werden müssen, und von diesem
Gesichtspunkte ans sind die betreffenden Vergehen unbedenklich als so
schwer zu bezeichnen, dass die adininisirative Massnahme der Wegweisung
gerechtfertigt erscheint. Immerhin kann sich diese nur auf den Rekurrenten
selbst beziehen, während die unschuldigen Fainilienglieder dadurch
nicht betroffen werden dürfen. Wenn einer solchen Scheidung gegenüber
auf die Einheit der Familie hingewiesen werden will, so ist hiegegen
zu bemerken, dass der Rekurrent selbst eventuell das Begehren stellt,
es möchte jedenfalls seine Familie nicht ausgewiesen werden, so dass
anzunehmen ist, dass er mit einer allfälligen Trennung einverstanden sei
(Units. Samml., Bd. XXL S. 938).

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Reknrs wird abgewiesen, immerhin in der Meinung, dass sich die
Ausweisung auf die Familie des Rekurrenten nicht erstrecken darf.

75. Urteil vom 29. April 1897 in Sachen Bryner.

I. Johann Bryner von Winterthur hat bei der Polizeibehörde der Stadt
Solothurn einen ihm von den zürcherischen Behörden unterm 29. Februar
1892 ausgestellten Familienheimatschein deponiert und sich für sich und
seine Ehefrau Anna geb. Lang um die Bewilligung zur Niederlassung in der
Gemeinde Solothurn beworben Mit einer Zuschrift vom 4. Februar 1897 an
dasV. Niederlassung und Aufenihalt. N° 75. òli

fantonale Polizeidepartement beantragte das Oberamt Solothurn: Lebern in
Übereinstimmung mit dem Ammannamte der Einwohnerqemeinde Solothurn den
Eheleuten Mutter-Lang die Niederlassung Zu verweigern und dieselben
auszuweisen. Zur Begründung dieses Antrages wurde ausgeführt, die
genannten Eheleute beabsichtigten die Errichtung eines Bordells und
gemäss Ausng aus dem zürcherischen Fahndungsblatte seien über sie bereits
folgende Strafurteile verhängt worden: a. über Johannes Wenner:

1, am 12. März 1890 wegen betrügerischem Bettel 14 Tage Gefängnis;

2. am 15. August 1891 wegen vorsätzlicher Körperverletzung 1 Monat
Gefängnis;

3. am 27. Juli 1892 wegen Gehülfenschast bei Kuppelei (Be: trieb eines
Bordells) 1 Woche Gefängnis und 50 Fr. Vussez

4. am 80. Oktober 1895 wegen Kuppelei 14 Tage Ge: fängnis; b. über Anna
Bryner gela. Lang:

1. am 27. Juli 1892 wegen Betriebs eines Bordells 3 Wochen Gefängnis
und 50 Fr. Busse;

2. am 30. Oktober 1895 wegen Kuppelei 14 Tage Gefängnis.

II. Am 27. März 1897 hat der Regierungsrat des Kantons Solothurn den
Eheleuten Bryner die Niederlassung im Kanton verweigert und beschlossen,
die Familie habe das kantonale Gebietinnert 8Tagen zu verlassen, ansonst
polizeiliche Ausweisung erfolgen wurde. Die solothurnische Regierung
stiitzte ihren Beschluss darauf, dass über die Eheleute Bruner die
erwähnten Strafurteile verhängt worden seien und dass zudem am 15. März
1897 das Amtsgericht Solothurn-Lebern Johann Bryner wegen Kuppelei
und Witten ohne Patent zu einer Gefängnisstrase von 1 Monat und einer
Geldbusse von 50 Fr. verurteilt hatte.

III. Unterm 29. März 1897 hat sodann Brhner für sichund seine Ehefrau
beim Bundesrate das Begehren gestellt, es sei der Beschluss vom 27. s
iärz aufzuheben und der Regierungsratvon Solothurn anzuweisen, die
Beschwerdesührer bis nach dem. Entscheid über ihren Rekurs im Kanton zu
dulden. Im wesent-

512 A. Staatsrechtlic-he Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

Lichen wird ausgeführt: Die allegierten Strafurteile werden nicht ss

geleugnet. Durch dieselben werde aber die regierungsrätliche Verfügung
nicht gerechtfertigt Die Petenten seien im Besitze von Ausweisschriften
(Art. 45, Abs. 1 der B.-V.) und hätten auch nicht die bürgerlichen
Rechte und Ehren in Folge eines strafgerichtlichen Urteils verloren
(am. 45, Abs. 2, ibjciem); letzteres werde vom Regierungsrat nicht einmal
behauptet Es könne sich also lediglich darum handeln, ob die Verweigerung
der Niederlassung nach Art. 45,"Abs. 3 der B.-V. statthaft sei. Dies sei
nach der Rechtssprechung des Bundesrates und der Bundesversammlung zu
verneinen. Solche Vergehen, wie sie zur Verweigerung der Niederlassung
angeführt werden, seien niemals zu schweren gerechnet worden. Das
Solothurner Strafgesetz belege dieselben auch mit geringen Strafen Seit
Jahren werde Übrigens in Solothurn ein zweites Bordell geduldet.

IV. Das eidg. Justizund Polizeidepartement hat den Rekurs der Eheleute
Bryner dem Bundesgerichte, als in seine Kompetenz fallend (Art. 175
und 189 O.-G.), übermittelt. Am 12· April hat der Präsident des
Bundesgerichtes verfügt, es sei bis zum Entscheide über den Rekurs dem
Beschlusse vom 27. März 189T keine Folge zu gehen. Gegen diese Verfügung
wurde vom Regierungsrate während der ihm zuvor hier angesetzten Frist
keine Einsprache erhoben-

V. In seiner Rekursbeantwortung beantragt der Regierungsrat Abweisung des
Rekurses. Er gibt zu, dass laut Art. 45, Abs. 3 B.-V. die Niederlassung
denjenigen, welche wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft
worden, wohl entzogen, aber nicht verweigert werden könne. Damit sei
dem Richter die Gelegenheit zu strengem Massregeln bloss für den Fall
erneuerten unsittlichen Lebenswandels des Niedergelassenen gegeben. Sm
vorliegenden Falle hätten aber die Rekurrenten, wenigstens der Ehe-

vmann Bryner, schon am 8. Junuar 1897, d. h. längere Beit.

vor Einreichung ihres Niederlasfungsgesuches, sich des gleichen schweren
Verbrechen-s schuldig gemacht, desseutwegen sie an ihrem frühem Wohnort
bereits wiederholt bestraft worden find. Die Präsumption, sie dürften
sich am neuen Wohnsitze eines bessern befleissen, sei also in easu eine
falsche gewesen. Es könne daherV. Niederlassung und Aufenthalt. N° 75. 513

die Niederlassungsverweigerung trotz mangelnden strafgerichtlichen
Ehrenentzuges nach dem Sinne und Geiste des Art. 45 der BQV als
gerechtfertigt erscheinen. Übrigens werde der Regierungsrat für den Fall,
dass die Beschwerde wegen Niederlassungsentzug begründet erklärt werden
sollte, unmittelbar hernach auf Grund der vorliegenden Thatsachen den
Entng der Niederlassung beschliessen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Bei der Prüfung der Frage, ob ein schweres Vergehen im Sinne
des Art. 45, Abs. 3 der B-.V vorliege, haben sich Bundesrat
und Bundesversammlung, auch gegenüber der durch das gerichtliche
Strafurteil ausgesprochenen Anschauung, die selbständige Würdigung
des einzelnen Falles vorbehalten Dabei wurde die für die öffentliche
Sicherheit und Sittlichkeit zu Tage tretende Gefahr jeweilen ganz
besonders in Berücksichtigung gezogen (Salis, Schweiz Bundesrecht II,
Nr. 428). Demgemäss sind die Vergehen, für welche Reknrrent am 27. Juli
1892, 30. Oktober 1892 und 15. März 1897 bestraft wurde, und diejenigen,
für welche über seine Ehefran in zwei Fällen Strafurteile ergingen, als
scl)were Vergehen im Sinne des Art. 45, Abs. Z der B.-V. zu betrachten.

2. Im übrigen deckt sich der gegenwärtige Fall mit dem vom Bundesrat
behandelten Fall Frauenfelder (Salis, loc, cit. II, Nr. 426). In Betreff
des letztern hat der Bundesrat erkannt, dai}, wenn eine Person seit der
Niederlassung zwar nicht mehr strafrechtlich verurteilt wurde, sich jedoch
eines fortgesetzten sittenlosen Lebenswandels schuldig gemacht hat, die
kantonalen Behörden sich auf diese letztere Thatsache in Verbindung mit
frihrern vor der Niederlassung ergangenen Strafurteilen zur Rechtfertigung
der Answeisnng berufen dürften. Vorliegend hat sich Rekurrent in Solothurn
nicht nur eines unsittlichen Lebenswandels schuldig gemacht, sondern
er wurde auch daselbst wegen Kuppelei strafrechtlich bestraft. Für
Austreisung sprachen also im gegenwärtigen Falle noch gewichtigere
Gründe als im Falle Frauenfelder, und es liegt keine Veranlassung vor,
die frühere Praxis zu Gunsten des heutigen Rekurrenten zu mildern.

3. Diesen Ausführungen gegenüber kann nicht eingewendet werden, die
Niederlassung dürfe gemäss Art. 45, Abs. 3 der 23:23.

xxm 1897 33

514 A. Staatsrechtliche Entscheidung-IT I. Abschnitt. Bundesverfassung,

nur entzogen, nicht aber verweigert werden, und, da Bryner nicht im
Besitze einer Niederlassungsbewilligung sei, lasse sich überhaupt
von einem Entng derselben nicht sprechen. Jst nämlich Bryner nicht im
Besitze einer förmlichen Niederlassnngsbewilligung, so hält er sich doch
thatsärhlich in Solothurn auf und es kann seine Rechtsstellung nicht
deswegen eine günstigere sein, weil ihm eine ausdrückliche Bewilligung
zur Niederlassung fehlt.

Jedenfalls hat der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse an der
Gutheissung seines Rekurses, da ihm die Niederlassung sofort nach ihrer
Bewilligung wieder entzogen werden könnte und, nach der Erklärung des
Regierungsrates, in der That auch entzogen würde.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen und es hat bei dem Beschlusse des
Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 27. März 1897 sein Bewenden.

76. Urteil vom 6. Mai 1897 in Sachen Wyss.

A. Joseph Wyss von Hünenberg (Kt. Zug) siedelte im November 1896 von
Horw (Kt. Luzern), wo er ungefähr zwei Jahre gewohnt hatte, mit seiner
Ehefrau nach Sarnen über. In Sgorlowar derselbe fruchtlos ausgepfändet
worden, was nach quernischem Rechte dessen Einstellung im Akito:
und Passivwahlrecht zur Folge hatte (@ 22 des Cinführungsgesetzes zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 30. Mai 1891). Jn
Samen übt Wyss das Gärtnerhandwerk ans, während seine Ehefrau ein
Geschäft angefangen hat. Auf ein bald nach deren Einzug bei der
Gemeindebehörde von Sarnen eingereichtes Begehren um Bewilligung der
Niederlassung erhielt Wyss keinen förmlichen Bescheid Nach einem Auszug
aus dem Protokoll des Regierungsrates vom 4. Dezember 1896 ist dasselbe
immerhin vom Gemeindepräsidenten von Samen der genannten Behörde vorgelegt
worden, die jedoch mit Rücksicht darauf, dass der Petent nicht mehr im
Besitze des Aktivbürgerrechts sei, beschloss, denselben aufzufordern,
inner:V. Niederlassung und Aufenthalt. N° 76. 515

14 Tagen den Kanton zu verlassen. Da ferner auch in Sarnen gegen
Wyss Verlustscheine ausgestellt werden mussten, überwies ihn der
Regierungsrat gleichzeitig zur Strasabwandlung dem Polizeigericht Von
Obwalden. Dieses holte einen Bericht der Gemeindebehörde von Home
ein, der dahin lautete, Wyss habe während eines fast dreijährigen
Aufenthaltes daselbst zu Strafklagen nicht Anlass geboten, doch müssten
oder könnten ihm wegen etwas leichtsinnigen Geschäftsbetriebes und
Schuldenmachens Vorwürfe gemacht werden. Gestützt hieraus und die
eingelegten Verlusischeine erklärte dann das Gericht unterm 29Dezember
1896, Wyss habe sich der srnchtlosen Psändung schuldig gemacht-i und
stellte denselben demgemäss in Anwendung von Art. 26 des Bundesgesetzes
über Schuldbetreibung und Konkurs, sowie Art. 83, Abi. 1 der daherigen
kantonalen Vollziehungsverordnung bis zur Befriedigung seiner Gläubiger-,
bezw. bis zur gesetzlichen Rehabilitation im Aktivbürgerrecht ein Nach
Einlage von neuen Verlustscheinen wurde unterm 6. Februar die ausgesällte
Einstellnng bestätigt. Inzwischen hatte sich die Ehefran Wyss selbständig
um Bewilligung der Niederlassung bei der Gemeindebehörde von Sarnen
beworben. Unterm 13. Januar 1897 hatte jedoch der Regierungsrat von
Obwalden, an den das Begehren von der Gemeindebehörde von Sarnen mit
dem Antrag auf Abweisung überwiesen worden war, beschlossen, dem Gesuche
dermalen nicht zu entsprechen, dies mit Rücksicht darauf, dass Frau Wyss
in Ungetrennter Ehe mit ihrem Manne Joseph Wyss lebt und dieser somit als
Familienhaupt angesehen werden muss, dass demselben aber selbst, weil
nicht im Besitze des Aktivbiirgerrechts, die Niederlassung verweigert
worden, sowie ferner, dass wenn in analogen Fällen die Niederlassung
alsdann der Ehefrau erteilt werden miisstess die einschlägigen
Bestimmungen des Art. 45 der Bundesversassung illusorisch würdeu.
Von diesem Beschlusse war der Frau Wyk am 23. Januar 1897 Kenntnis
gegeben worden, und am 13. Februar erhielt der Chemann im Auftrage des
Regierungsrates von der Standeskanzlei die nochmalige Aufforderung,
den Kanton bis spätestens zum 1. März zu verlassen, unter Androhung
polizeilicher Abschiebung Aus Anfrage vom 16. hin endlich wurde dem
Joseph Wyk am 18. durch die Standeskanzlei förmlich mitgeteilt, dass
ihm die Niederlassung in Gemässheit von Art. 45 der Bundes-
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 23 I 510
Date : 29. April 1897
Published : 31. Dezember 1897
Source : Bundesgericht
Status : 23 I 510
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 510 A. Staatsrechdiche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. sams gegen


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