32 A. Staatst'echtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.

nalen Jnstanzen nicht unbedingte Voraussetzung der Zulassung eines
staatsrechtlichen Rekurses wegen Verletzung der Bundesverfassung oder
eines Bundesgesetzes sei. Speziell werde dafür auf das bundesgerichtliche
Urteil in Sachen Steffen verwiesen (Amt: liche Sammlung XVIII, S. 470).

C. Mit Vernehmlasfung vom 18. November 1893 erhob der Ortsbürgerrat
der Stadt Luzern die Jnkompetenzeinrede, die er folgendermassen
begründet: Die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht sei gemäss
Organisationsgesetz, S. 178, Alinea1, nur gegen Verfügungen kantonaler
Behörden zulässig. Da es sich in casu nicht um eine solche Verfügung
handle, indem der Ortsbiirgerrat keine kantonale Behörde sei, so sei
das Beschwerderecht ausgeschlossen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Insoweit Rekurrent sich darüber beklagt, ungehört seiner
Handlungsfähigkeit beraubt worden zu sein, kann das Bundesgericht zur Zeit
auf die Beschwerde nicht eintreten, indem in Fällen von Verweigerung des
rechtlichen Gehörs, wie in jenem von Rechtsverweigerung überhaupt, gemäss
feststehender bundesgerichtlicher Praxis vorerst der kantonale Instanzenng
erschöpft werden muss, was in casa nicht geschehen ist Eine Rüclioeisung
im gleichen Sinne rechtfertigt sich aber hier auch bezüglich der weitern
Beschwerde auf Grund des Bundesgesetzes betreffend Handlungsfähigkeit.
Zwar hat das Bundesgericht in der vorn Rekurrenten citierten Rekurssache
Steffen, wie auch sonst, das vorhergehende Anrufen aller kantonalen
Jnstanzen nicht als unbedingte Voraussetzung der Zulassung eines
staatsrechtlichen Rekurses an das Bundesgericht erklärt, sobald es sich
um Verletzung der Bundesverfassung oder eines Bundesgesetzes handle, und
soll dem dort ausgedrückten Grundsatze im Allgemeinen nicht Abbruch getan
werden. Was jedoch speziell Vormundschaftssachen betrifft, so erscheint
es vor allem in Fällen, wo, wie im Kanten Luzern, die erstinstanzliche
Vormundschaftsbehörde eine Gemeindebehörde ist, als wenig angemessen
und auch mit den praktischen Erfordernissen unvereinbar, wenn gegen
deren Verfügungen, als solche kantonaler Natur-, unter Überspringung
der kantonalen Obervormundschaftsbehörde direkt an das Bundesgericht
rekurriert wird.III. Civilrechtl. Verhältnisse der Niedergeiassenen und
Aufenthalter. N0 9. 33

Es kann daher vor Erschöpfung des kantonalen Jnstanzenzuges hierorts
auf die vorliegende Beschwerde nicht eingetreten werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird im Sinne
vorstehender Erwägungen zur Zeit abgewiesen.

III. Civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

Rapports de droit civil des citoyens établis ou en séjour.

9. Urteil vom 31. Januar 1894 in Sachen Germana.

A. G. A. Germann von Gaiserwald, St. Gallen, war bis Mai 1893 als
Wachtmeister des Landjägerkorps St. Grillen in Au-Monstein stationiert,
wo er mit seinem ganzen Hausrat die Amtswohnung imiehatte, während seine
Frau, Anna, geb. Jecklin, sich seit einigen Jahren ständig in ihrer
Heimat Jenaz, Kanton Graubünden, aushielt-. Daselbst machte ihr Germann,
da er leidend war, im Jahre 1891 einen fünf bis sechswöchentlichen, im
Jahre 1892 einen zweibis dreirvöchentlichen Besuch, um sich von seinem
Leiden zu erholen. Aus 1. Mai 1893 erhielt er infolge seines Gesuchs
die Dienstentlassung und Pensionierung, räumte seine Möbel aus der
Dienstwohnung, die sogleich von einem andern verheirateten Landjäger
bezogen wurde, und spedierte dieselben nach Jenaz zu seiner Fran. Er
selbst begab sich, unter Mitnahme des grössern Teils seiner Wertpapiere,
gleichfalls dorthin, ohne mit dem Landjägerkommando bezüglich seines
Soldrückstandes Abrechnung zu pflegen, indem er dies auf den Moment
seiner Rückkehr nach St. Gallen verschob. Mit derselben Begründung liess
er sein Sparkassabuch noch in Handen des gleichen Kontinandos Germann
machte darauf in Tarasp eine 15-tägige Kur, hielt sich sodann mehrere
Tage in Schiers und sonst bei

xx 1894 3

34 A. Staalsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgeselze.

seiner Frau in Jenaz auf. So wenig er in Au seinen Wegng dem
Gemeindevorstand angezeigt, so wenig zeigte er dem Ge-· meindevorstand
Jenaz oder einer andern Behörde seine Ankunft an, hinterlegte also
keinerlei Schriften und wurde dazu auch nicht aufgefordert Arn 11. August
1893 starb er plötzlich in Jenaz, mit Hinterlassung seiner Frau, einer
Schwester-, Frau FlammerGermann in Gohan, St. (Batten, und eines unbekannt
wo abwesenden Bruders, siir den das Waisenanit Gaiserwald eintrat Um
21. September 1893 wurde vom Kreisamt Jenaz, auf Gesuch der Miterbin
Frau Flaminer-Germann, nach Massgabe des bündnerischen Privatrechts §
478 in Jenaz ein Inventar des Germann'schen Nachlasses aufgenommen, ohne
dass die Wittfrau Germann dagegen protestierte. Am 27. gleichen Monats
beantragte sodann Frau Flammer-Germann, resp. für sie ihr Ehemann,
bei Kreisaint Jenaz gerichtliche Teilung des Nachlasses gemäss §§
486 und eventuell 212 gleichen Gesetzes Nachdem jedoch die Wittwe des
Erblassers durch das Kreisamt am 3. Oktober 1893 von diesem Gesuch
verständigt worden war, bestritt sie mit Eingabe vom 10. Oktober 1893
an das Kreisamt Jenaz den bündnerischen Behörden und Gerichten alle
und jede Kompetenzen, in Sachen der Verlassenschaft ihres Ehemannes
irgendwelche Verfügungen und Anordnungen zu treffen und erklärte, die
Sache gemäss Art. 88 des Bundesgesetzes betreffend die civilrechtlichen
Verhältnisse der Niedergelassenen und Ausenthalter und Art.180, Ziff. 3
des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege an das Bundesgericht
zu ziehen. Daselbst stellte sie sub 25. Oktober 1893 das Gesuch, es sei
der Nachlass des am 11. August 1893 in Jenaz verstorbenen J. A. Gerrnann
nach st. gallischem Rechte und eventuell von den st. gallischen Behörden
zu teilen und seien die bnerischen Behörden nicht zuständig in
Sachen irgendwelche Verfügung zu treffen. Zur Begründung desselben
wird nach Hinweis auf die aus am. 38 des einschlägigen Bundesgesetzes
betreffend civilrechtliche Verhältnisse sich ergebende Mindes-
gerichtliche Kompetenz materiell im Wesentlichen ausgeführt was folgt:
Es könne wohl nicht ernstlich behauptet werden, daf; Rekurrentin durch
Zulassung der Jnventarisation vom 21. September 1893 anerkannt habe, die
blind-tierischen Behörden seien in SachenHI. Civilrechil. Verhältnisse
der Niedergelassenen und Ausenzhalter. N° 9. 35

kompetent und der Streitfall nach bündnerischein Recht zu erledigen.
Überhaupt sei Wittfrau Germann, weil von der bevorstehenden Aintshandlung
nicht in Kenntnis gesetzt, gar nicht in der Lage gewesen zu protestierenz
sodann aber wäre sie sowohl nach st. gallischein als nach bnerischem
Recht bei einer aus Verlangen eines Miterben an beiden Orten zulässigen
amtlichen Jnventarisation zu Ausschluss Über den Stand des Nachlasses
verpflichtet gewesen und habe in casa nicht wissen können, ob nicht
das Kreisamt Jenaz etwa kraft Delegation des zuständigen Bezirtsamts
Unterrheinthal in Sachen handelte Die Frage des die Hinterlassenschaft
beherrschenden Erbrechts sei Übrigens bei jenem Anlass gar nicht
erörtert worden, und habe Wittfrau (Hermann, als die BündnerBehörden
eine über die blosse Jndentarisation hinausgehende Anffordernng an sie
richteten, rechtzeitig Einsprache erhoben. Sei demgemäss die Frage,
welches Recht den Nachlass beherrschen solle, durch keine bezügliche
Anerkennung präjudiziert, so müsse sie zu Gunsten des Rechts des letzten
Wohnsitzes des Verstorbenen, Au, in St. Gallen, entschieden werden
(Art. 221eg.cit.). Dort habe Germann jedenfalls bis zu seinem Wegng im Mai
1893 seinen Wohnsitz gehabt und seine Steuern bezahlt; diesen Wohnsitz
habe er aber nicht etwa durch Erwerb eines neuen in Jenaz aufgegeben.
Das ergebe sich daraus, dass er seine Niederlassung in Au nicht zurückzog,
sich aus den Steuerregiftern nicht streichen liess und dein Amte wie
Dritten erklärte, nur vorübergehend zur Kur sich wegznbegeben. Diese
ans amtlichen Belegen sich ergebende Absicht Germanns schliesse den
Domizilwillen bezüglich des JenazerAufenthaltes aus; dieser Wille ergehe
sich aber auch nicht aus der Spedition des Mobiliars an genannten Ort,
wofür nur Gründe der besseren Versorgnng und der Ersparnis an Lokalzins
massgebend gewesen seien, und ebensowenig aus dem Umstand, dass Germann
in Jenaz bei seiner Frau wohnte, indem dies nur besuchsweise geschehen
sei, wie mehrere Zeugen zu deponieren wüssten. Sei demgemäss Au als der
letzte Wohnsitz des Erblassers zu betrachten, so müsse daselbst auch die
Eröffnnng der Erbschaft und zwar nach st. gallischem Rechte erfolgen,
und hätten die blindnerischen Behörden in Sachen gar nicht selbständig
vorzugehen, so dass der Rekurs gegen die Verfügung des Kreisamts

36 A. Staatsreehtliche Entscheidungen. H. Abschnitt.Bundesge3etze.

Jenaz vom 3. Oktober 1893 begründet fei. Da der vorliegende Streitfall
nur formell wie ein staatsrechtlicher Rekurs behandelt werde, in
Wirklichkeit aber rein civilrechtliche Interessen beschlage, so sei es
gemäss Art. 221 Q.-G. gerechtfertigt, der Miterbin Flammer und eventuell
dem Waisenamt Gaiserwald, falls es Namens des unbekannt abwesenden Bruders
des Erblassers den gleichen Rechtsstandpunkt wie die genannte Miterbin
einnehmen sollte, eine Kostenentschädigung zu Handen der Klägerin
aufzulegen.B. Mit Eingabe vom Z. November 1893 erklärt das Kreisamt
Jenaz, es sei ihm gleichgültig, ob die vorliegende Erbschaftssache
nach bündnerischem oder st. gallischem Recht entschieden werde. Dagegen
protestiert es gegen jede Antasinng der vorgenommenen Amtshandlungen,
indem es keinen Grund gehabt habe, anzunehmen, dass Germann zur
Zeit seines Todes anderswo als in Jenaz domiziliert war. Die Wittwe
Germann sodann sei von der Vornahme der Inventar mündlich benachrichtigt
worden. Als in der Folge aus der weiteren Eingabe der Partei Flammer auf
Disserenzen bezüglich des Gerichtsstandes geschlossen werden konnte, sei
genannte Eingabe eben am Z. Oktober 1893 nur in dem Sinne zur Einsicht
und Vernehmlassung der Wittwe Germann zugesiellt worden, damit sie sich
über Anerkennung oder Nichtanerkennnng des Bündner Forums ausspreche Auf
erfolgten Protest derselben habe dann das Kreisamt weitere Amtshandlungen
bis zum Austrag der streitigen Vorfragen verweigert-

C. Frau Flammer-Germann beantragt mit Eingabe vom 15. November 1893,
ergänzt am 30. gleichen Monats, es sei das Begehren der Wittwe Germann
in Jenaz abzuweisen und seien die Graubner Behörden für berechtigt
zu erklären, den Germanieschen Nachlass nach Granbündner Gesetz zu
teilen; die vom Kreisamt Jenaz getroffenen amtlichen Massnahmen seien
als korrekt und gesetzlich zu erklären. Zur Begründung wird angeführt:
Da der zwischen den Parteien waltende Streit rein erbrechtlicher Natur-,
das Erbrecht aber kantonales Recht sei, so dürfte die Jnkompetenz des
Bundesgerichtes nicht ausgeschlossen sein. In materieller Beziehung liege
in der stillschweigenden Genehmigung der Juventaraufnahme seitens der
Rekurrentin eine volleH[. Giviirechtl. Verhältnisse der Niedergelassenen
und Aufenthalte-L N°9. 37

Anerkennung des Graubner Forums, sowie der Anwendbarkeit des
dortigen Erbrechts auf den vorliegenden Fall. Wenn man dies aber
nicht annehme, so habe jedenfalls (Hermann durch seine Übersidelung
nach Jenaz den Wohnsitz in Au, wenn man angesichts des durch am, 4 des
st. gallischen Landjägerreglements vorgeschriebenen Stationswechsel und
der Nichthinterlegung von Schriften überhaupt von Wohnsitz reden wolle,
aufgegeben und durch Mitnahme seines Mobiliars nach Jenaz zu seiner Frau
genügsam bewiesen, dass er dort bei derselben seinen Wohnsitz begründen
und nicht etwa bloss vorübergehend zur Kur verweilen wollte. Was ferner
die von der Gegenpartei angerufenen Zeugen betreffe, so sei einer
derselben, Jakob Bardill in Jenaz, als Vermieter des von Frau (Hermann
innegehabten Logik-, Christian Bebie als Schuldner der Erbmasse und
Andreas Bebie als dessen Bruder nicht unparteiischer Zeugschast fähig.

D. Das Waisenamt Gaiserwald sodann beantragt, in Vertretung des
unbekannt abwesenden Miterben Sg. Germann, mit Eingabe vom 6. November
1893 Abweisung des von der Wittwe Germaan angebrachten Begehrens und
Teilung des Nachlasses nach bündnerischem Recht, eventuell durch die
bündnerischen Behörden Was die Begründung dieses Petitums betrifft, so
stimmt sie, abgesehen von der Unzuständigkeitseinrede, die hier nicht
erhoben wird, im Wesentlichen mit den Ausführungen der erwähnten Eingabe
Flammer-Germann überein. Der Erblasser habe sein Domizil in Au aufgegeben
gehabt; er habe die Begründung eines neuen Domizils irgendwo im Kanton
St. Grillen vielleicht siir später in Aussicht genommen gehabt, worauf
aber kein Gewicht gelegt werden könne. Selbst wenn der Aufenthalt in
Graubünden nur als ein Provisorinm gemeint gewesen, so sei doch damals
der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse Germanns, somit sein Domizil dort
gewesen und müsse sich die Erbfolge darnach bestimmen

E. Die laut klägerischem Antrag einvernonnnenen Zeugen Johs. Cowper,
Christian Bebie und Jakob Bardill, sämtlich in Jenaz und Andreas Bebie,
in Pragmartin wohnhast, deponierten am 14. Dezember 1893 übereinstimmend
in dem Sinne, dass Germann laut eigenen Aussagen nur vorübergehend in
Jenaz zn bleiben gedachte, um dann, sobald seine Gesundheit es gestatte-,

38 A. Staatsrechlliche Entscheidungen. H. Abschnitt. Bundesgesetze.

wegzuziehen und gemäss allen auf einem Polizeibürean, gemäss drei
der obgenannten Zeugen auf demjenigen in St. Gallen, eine Anstellung
zu suchen.

F. Der Landjägerhauptmann des Kantons St. Gallen bezeugt, dass (Hermann
sich ihm gegenüber dahin aussprach, nach einer Kur in Grauben und
eventuell in Carlsbad nach St. Gallen zurückkehren zu wollen. Laut
Bescheinigung des Gemeindeaints Au vom 4. Oktober 1893 hatte Germaan
die Absicht, später im Kanton St. Gallen, vielleicht in Au selbst, einen
kleinen Handel anzufangen und nahm seine Möbel nur deswegen nach Jenaz
mit, weil die Fracht nicht gross war und er sie auf die Art bei sich
hatte, indem er so seine ursprüngliche Absicht aufgab, in An selbst zu
deren Aufbewahrung ein Lokal zu mieten. (Hermann war noch zur Zeit der
Aussiellung dieser Bescheiuigung im Steuerregister eingetragen; seine
Wittwe zahlte noch am 12. September 1893 daselbst die Steuer·

Gr. Am 15. Dezember 1893 verstarb die Rekurrentin Wittwe Anna Germann
geb. Jecklin Ihre Schwester Menga Bärtsch, laut civilstandsamtlicher
Bescheinigung vom 18. Dezember 1893 die einzige Erbin der Verstorbenen,
resp. für sie ihr Ehemann, Anton Bärtsch, erklärte sodann den Rechtsstreit
fortzusetzen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Da es sich hier um eine Streitigkeit über die Anwendung des
Bundesgesetzes betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der
Niedergelassenen handelt, so kann es, trotz der Jnkompetenzeinrede der
Partei Flammen keinem Zweifel unterliegen, dasz das Bundesgericht gemäss
Art. 180, Ziff. 3 Q.-G. und Art. 38 des vorgenannten Bundesgesetzes
zuständig ist. Desgleichen liegt das weitere formelle Requisit der
Jnnehaltung der 60-tägigen Beschwerdefrist vor, indem die erste
Amtshandlung der bündnerischen Behörde in dieser Sache, nämlich die
Jnventarisation, am 21. September, der Eingang der Beschwerde schon am
25.0ktober 1893 erfolgte. Was sodann die Legitimation zur Beschwerde
anbelangt, so ist sie so wenig, als früher der Wittwe (Hermann, jetzt
ihrer gemäss amtlicher Bescheinignng einzigen Erbin bestritten worden
und ist dieselbe in der Tat Unzweiselhast gegeben.

2. In der Hauptsache nun hat die Partei
Flammer-Germann,Ill. Civilrcchtl. Verhältnisse der Niedergelassenen und
Aufenthalier. NO 9. 39

und an sie anschliessend, das Waisenamt Gaiserwald, Namens des Mit-erben
A}. Germann zwar behauptet, dass ein Streit darüber zur Stunde nicht
mehr vorhanden sein könne, indem ihre Gegenpart durch Unterlassung
des Protestes gegen die amtliche Juventarisation durch das Kreisamt
Jenaz ein für alle Mal und unwiderruflich anerkannt hätte, dass die
Sache durch bündnerische Behörden gemäss Bündner Recht zu erledigen
sei, was ohne weiteres einen Verzicht auf das St. Galler Recht Und
den St. Galler Gerichtsstand bedeute. Nun ist so viel allerdings
richtig, dass die Wittfrau Germaan am 21. September 1893 anlässlich
genaunter Jnventaraufnahme nicht protestiert und ihre etwaigen Rechte
auf Anwendung von St. Galler Erbgesetz durch die St. Galler Behörden
damals nicht sofort vorbehalten hat. Allein das war auch gar nicht nötig
und berechtigt die Unterlassung dieses Protestes noch keineswegs zum
Schlusse auf einen Verzicht im obgenannten Sinne, indem hier so wenig
wie in anderen Fällen ein Verzicht präsumiert werden kann. Es blieb daher
der Wittfrau Germann das Recht zur spätern Bestreitung der betreffenden
Amtshandlnng ungeschmälert erhalten und hat sie von demselben in der
Tat innert der gesetzlichen Frist Gebrauch gemacht. Wenn man aber auch
ans der Zulassung der Jnoentur auf eine Anerkennung schliessen wollte,
so kann es doch offenbar nur die durchaus begründete Anerkennung der
Zuständigkeit zu diesem einzelnen, nur eine provisorische Massregel
darstellenden Akt der Jnventur sein und geht es zweifellos viel zu weit,
wenn man darin auch einen Verzicht aus Bestreitung der Zuständigkeit in
der Hauptsache oder gar eine allgemeine Unterwerfung unter das Recht
desjenigen Staatswesens-, welchem die provisorisch tätig gewordene
Behörde angehört, erblicken wollte. Vielmehr ist sehr wohl begreiflich,
dass die Zuständigkeit zu provisorischen Verfügungen und diejenige zur
materiellen Erledigung der Hauptsache sich je nach Umständen spalten kann
und gewährte z. B. das Konkordat vom 15. Juli 1822 über Testiersähigkeit
und Erbrechtsverhältnisse das Recht zu vorsorglichen Massnahmen der
Behörde des Niederlassungsortes, während es in Bezug auf das Recht der
Erbfolge am Heimatsprinzip festhielt. Es kann daher in casa selbst bei
Annahme einer Anerkennung der Zuständigkeit der Bündner Be-

40 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgeseize.

hör-den zu vorsorglichen Massregeln nicht gefolgert werden, dass dieselben
auch als zur Behandlung der Hauptsache kompetent anerkannt worden seien;
noch viel weniger aber ist der Schluss auf eine daherige Unterwerfung
Unter das Blindner materielle Erbrecht gestattet. Es muss daher auch
in diesem Falle gemäss WLW und 23 des einschlägigen Bundesgesetzes die
Eröffnung der Erbschaft für deren Gesamtheit am letzten Wohnsitz des
Erblassers erfolgen und die Erbfolge gleichfalls sich nach dem Rechte
desselben Ortes richten.

3. Als letzten Wohnsitz Germanns haben nun die Partei Flammer-Germann
und das Waisenamt Gaiserwald Jenaz darstellen wollen. Für diese
Auffassung konnte angeführt werden, dass der Erblasser nach erhaltener
Dienstentlassung mit seinem gesamten Hausrath dorthin zog, woselbst seine
Frau schon seit mehreren Jahren sich aufhielt, und bei diesem Umzug gar
nichts in Au zurückliess, sowie dass er, ein paar Wochen in Tarasp und
Schiers abgerechnet, die paar Monate bis zu seinem Tode dort verweilte.
Anderseits steht jedoch auf Grund der Aus-sagen der mit Unrecht zum
Teil beanstandeten Zeugen und überdies der eingelegten amtlichen
Bescheinigungen fest, dass Germann keineswegs gewillt war, länger als
seine Gesundheit erheische, in Jenaz zn bleiben, sondern eine baldige
Rückkehr in den Kanton St. Gallen bestimmt in Aussicht nahm und auch den
Hausrat nur mit Rücksicht auf die geringe Entfernung und den Umstand,
dass die Kosten für Lokalmiete in Au diejenigen für die Möbelfracht nach
Jenaz nicht zu übersteigen schienen, mit sich nahm. Es kann daher nicht
angenommen werden, dass Germann in Jenaz seinen Wohnsitz im Sinne des
Art. 3 des Bundesgefetzes betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse
begründen wollte und begründet habe.

4. Daraus muss sich aber ergeben, dass fein letzter Wohnsitz im Kanion
St. Gallen gewesen ist. Dort war er bis Tl.Mai1893, als dem Tage seiner
Dienstentlassung als Landjäger in An stationiertz dort zahlte er seine
Steuern. Dagegen wurde nun zwar geltend gemacht, dass im Kanten St. Gallen
ein Landjiiger gemäss dortigem Reglement keinen Wohnsitz begründen könne,
da der als Regel vorgesehene Stationswechsel nach je drei Jahren und
die Möglichkeit einer Versetzung selbst vor Ablauf dieser FristIII
Civilrechtl. Verhältnisse derNiedergelassenen und Aufenthalter. N° 10. 41

einen Domizilwillen nicht aufkommen liessen und ferner die
Polizeimannschaft auch keine Papiere hinterlege. Allein was den
letztern Umstand betrifft, so hat er nur eine kantonal-adininistrative
Bedeutung und ist für die Entscheidung der Frage, ob ein drin-echtlicher
Wohnsitz vorliege, nur nebenbei in Betracht zu ziehen; undwas sodann
den Stationswechsel angeht, so kann die Möglichkeit desselben, da er
doch innert der Grenzen des Kantons St. Gallen stattfinden müsste, für
die hier allein zu entscheidende Frage, ob St. Galler oder Graubündner
Domizil vorliege, nur im erstern Sinne {n'è Gewicht fallen, und nimmt
der Domizilwille dann eben die Form an, dass der dem Stationswechsel
unterworfener Polizeibeamte für die immerhin drei Jahre Umfassende
Falter seines Ansenthaltes an einem Stationsort diesen, für die Folge
aber mindestens den Kanton als Mittelpunkt seiner Lebensverhaltnisse
betrachten wird. Es hat dem Gesagten gemäss der Erblasser allerdings
seinen Wohnsitz im Kanten St.Gallen gehabt; nach diesem Wohnsitz aber hat
er keinen andern, auch nicht in Jenaz begründet, da er ja von dort bald
nach dem Kanten St. Gallen zurückzukehren gedachte. Es ist daher in der
Tat der st.gallische Wohnsitz als der letzte Wohnsitz des Erblassers zu
betrachten, und bestimmt sich demgemäss die Erbfolge wie die Zuständigkeit
der Behörde, welche den Nachlass eröffnen soll, zu Gunsten St. Gallens.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: ·

Der Reknrs wird als begründet erklärt und es werden demnach
die Zuständigkeit der ft. gallischen Behörden zur Eröffnung der
J. A. Germannschen Erbschaft sowie die Anwendbarkeit des st. gallischen
Rechts auf die Erbfolge anerkannt
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Document : 20 I 33
Date : 30. Januar 1894
Published : 31. Dezember 1895
Source : Bundesgericht
Status : 20 I 33
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 32 A. Staatst'echtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze. nalen Jnstanzen


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