148 IV 113
12. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen) 6B_636/2020 / 6B_637/2020 vom 10. März 2022
Regeste (de):
- Art. 261bis Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft,
- Der Begriff "Zigeuner" wird als abwertend wahrgenommen, weshalb der Ausdruck "Fahrende" als neutraler Begriff eingeführt wurde. Die Gemeinschaft der Fahrenden gilt als kulturelle oder ethnische Minderheit. Im vorliegenden Kontext ist der Ausdruck "ausländische Zigeuner" als Bezeichnung für eine Ethnie im Sinne von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft,
- Definition der Begriffe "Fahrende" und "Zigeuner" (E. 4.3 und 4.4).
- Art. 16
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 16 Meinungs- und Informationsfreiheit - 1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet.
1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. 2 Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. 3 Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten. IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte
UNO-Pakt-II Art. 19 - (1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit.
a für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; b für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. - Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit im beurteilten Fall - auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR - verneint (E. 5.3).
Regeste (fr):
- Art. 261bis al. 1 et al. 4, première partie de phrase, CP; discrimination raciale; incitation à la haine ou à la discrimination; rabaissement ou discrimination.
- Le terme "Tzigane" est perçu comme étant péjoratif, raison pour laquelle la notion de "gens du voyage" a été introduite comme expression neutre. La communauté des gens du voyage constitue une minorité culturelle ou ethnique. Dans le contexte d'espèce, l'expression "Tziganes étrangers" doit être qualifiée de dénomination pour une ethnie au sens de l'art. 261bis CP (consid. 3 et 4).
- Définition des notions de "gens du voyage" et "Tziganes" (consid. 4.3 et 4.4).
- Art. 16 Cst.; art. 10 CEDH; art. 19 Pacte ONU II; liberté d'expression.
- La liberté d'expression n'est pas violée dans le cas d'espèce, ce également au regard de la jurisprudence de la CourEDH (consid. 5.3).
Regesto (it):
- Art. 261bis cpv. 1 e 4 prima frase CP; discriminazione razziale; incitamento all'odio o alla discriminazione; discreditare o discriminare.
- Poiché il termine "zingaro" è percepito come spregiativo, è stata introdotta l'espressione "nomade" quale termine neutro. La comunità dei nomadi costituisce una minoranza culturale ed etnica. L'espressione "zingari stranieri", nel contesto del caso di specie, designa un'etnia ai sensi dell'art. 261bis CP (consid. 3 e 4).
- Definizione delle nozioni di "nomadi" e "zingari" (consid. 4.3 e 4.4).
- Art. 16 Cost.; art. 10 CEDU; art. 19 Patto ONU II; libertà di espressione.
- Nel caso concreto non sussiste alcuna violazione della libertà di espressione, nemmeno alla luce della giurisprudenza della CorteEDU (consid. 5.3).
Sachverhalt ab Seite 114
BGE 148 IV 113 S. 114
A. Am 21. Februar 2018 veröffentlichte die Junge SVP des Kantons Bern (nachfolgend: JSVP) auf Facebook und auf ihrer Homepage nachfolgenden Beitrag: "JSVP-Kandidaten wählen - Transitplätze für Zigeuner verhindern! Die neue Legislatur wird eine wichtige Weichenstellung sein. Im Seeland und im Berner Mittelland macht man sich Sorgen um die geplanten Transitplätze für ausländische Zigeuner. Wollen wir im Kanton Bern solch teure und schädliche Transitplätze, welche die Lebensqualität in der entsprechenden Region verschlechtern? Genau diese Frage wird sich in den nächsten vier Jahren stellen. Die Junge SVP Kanton Bern ist bisher die einzige Kantonalpartei, welche sich klipp und klar gegen solche Pläne ausgesprochen hat. Umso wichtiger, dass ihre Kandidaten unterstützt werden. Das Motto lautet also: JSVP wählen - Transitplätze verhindern! #bernstark".
Auf diesen Text folgte eine farbige Abbildung im Stil eines Cartoons. Darauf ist ein Transitplatz für Fahrende zu sehen, auf dem sich stinkender Abfall türmt und eine leicht dunkelhäutige Person ihre Notdurft im Freien verrichtet. Im Hintergrund ist ein Dorf mit einem Glockenturm zu erblicken. Im Vordergrund ist ein Mann mit verärgertem Gesichtsausdruck, mit einer Tracht und einer Kappe mit dem Schweizerkreuz zu sehen, der sich angewidert die Nase zuhält. Darüber steht: "Millionenkosten für Bau und Unterhalt, Schmutz, Fäkalien, Lärm, Diebstahl, etc. Gegen den Willen der Gemeindebevölkerung". Unter der Abbildung steht der grossbuchstabige Text: "Wir sagen NEIN zu Transitplätzen für ausländische Zigeuner! Wählen Sie JSVP-Kandidaten in den Grossen Rat!"
B. Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland erliess gegen A. und B. am 18. April 2018 einen Strafbefehl wegen Rassendiskriminierung. Auf Einsprache von A. und B. hin überwies die Staatsanwaltschaft
BGE 148 IV 113 S. 115
den Strafbefehl als Anklageschrift dem Regionalgericht Bern-Mittelland.
C. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach A. und B. mit Urteil vom 14. Januar 2019 der Rassendiskriminierung schuldig. Es verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 110.- und B. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 120.-, jeweils unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.
D. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte den Schuldspruch von A. und B. mit Urteil vom 6. Dezember 2019. Es verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 160.- und B. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 120.-, jeweils unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren. Das Obergericht widerrief den mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland, vom 23. Juni 2016 für eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je Fr. 100.- A. bedingt gewährten Vollzug nicht, sondern verwarnte ihn.
E. A. und B. beantragen mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und sie seien vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freizusprechen. Eventualiter beantragen sie, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur Fortsetzung des Verfahrens und Vervollständigung der Sachverhaltsermittlung an das Obergericht zurückzuweisen. Ferner ersuchen sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 10. März 2022 in einer öffentlichen Sitzung beraten. Das Bundesgericht vereinigt die Verfahren 6B_636/2020 und 6B_637/2020. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Wegen "Rassendiskriminierung" (Randtitel) wird gemäss Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
BGE 148 IV 113 S. 116
Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder Diskriminierung aufruft und (Absatz 4 erster Teilsatz) wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer RasseEthnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert. Welches der Inhalt einer Äusserung ist, ist Tatfrage. Welcher Sinn einer Äusserung zukommt, ist hingegen Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft. Massgebend ist dabei der Sinn, welchen der unbefangene Durchschnittsleser der Äusserung unter den gegebenen Umständen beilegt (BGE 145 IV 462 E. 4.2.3; BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 140 IV 67 E. 2.1.2; Urteil 6B_1126/2020 vom 10. Juni 2021 E. 2.1.1; je mit Hinweisen). Äusserungen im Rahmen politischer Auseinandersetzungen sind nicht strikt nach ihrem Wortlaut zu messen, da bei solchen Auseinandersetzungen Vereinfachungen und Übertreibungen üblich sind (BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 131 IV 23 E. 2.1 mit Hinweisen). Bei der Auslegung von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 16 Meinungs- und Informationsfreiheit - 1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. |
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1 | Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. |
3 | Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 19 - (1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. |
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a | für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; |
b | für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
BGE 148 IV 113 S. 117
Bevölkerung als Gruppe verstanden wird. Sie muss eine gemeinsame Geschichte sowie ein gemeinsames zusammenhängendes Systemvon Einstellungen und Verhaltensnormen (Tradition, Brauchtum, Sitte, Sprache etc.)haben, wobei die genannten Merkmale zur Abgrenzung verwendet werden müssen (BGE 143 IV 193 E. 2.3 S. 200 mit Hinweisen). Der Begriff der "Ethnie" im Sinne von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
4.
4.1 Die Beschwerdeführer machen geltend, der Begriff "Zigeuner" bezeichne keine Ethnie im Sinne von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
4.2 Die Vorinstanz erwägt, die Gemeinschaft der Fahrenden in der Schweiz werde auch "Zigeuner" genannt. Das Nomadentum sei eines der wesentlichen Elemente der kulturellen Identität der Fahrenden und sei unmittelbar mit der Ausübung ihrer verschiedenen Erwerbstätigkeiten verbunden. Mit Verweis auf das Konzept des Regierungsrates des Kantons Bern vom Juni 2011 hält sie fest, dass der Begriff "Fahrende" ein Sammelbegriff für die Gruppen der
BGE 148 IV 113 S. 118
Jenischen (als Hauptgruppe), Sinti und Roma sei. Ausländische Fahrende seien meist Roma und Sinti aus Frankreich und Italien. Alle diese Gruppen würden sich durch eine ungebundene, weil eben fahrende Lebensweise, die mit dieser Mobilität verbundenen typischen Erwerbstätigkeit und einer eigenständigen Kultur auszeichnen. Der Begriff der Fahrenden und damit das Synonym der Zigeuner sei als Sammelbegriff verschiedener Ethnien der Roma, Sinti und Jenischen ebenfalls dem Schutz von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
4.3 Das vorinstanzliche Urteil stellt den Begriff der "Fahrenden" demjenigen der "Zigeuner" gleich und setzt sich weitgehend mit dem Begriff "Fahrende" auseinander. Das Bundesgericht hat sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Gemeinschaft der Fahrenden befasst. Im Hinblick auf die Bemessung des Invalideneinkommens hat es festgehalten, dass "Fahrende" auch "Zigeuner" genannt werden und dass das Nomadentum ein bestimmendes Merkmal der kulturellen Identität der Fahrenden sei, wenn auch ein bedeutender Teil von ihnen sesshaft lebe (BGE 138 I 205 E. 4 mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit der Überprüfung kantonaler Regelungen von Transitplätzen hat das Bundesgericht unter anderem festgehalten, dass die Minderheit der Fahrenden in der Schweiz durch mehrere Staatsverträge, wie auch durch die Verfassung, in verschiedener Hinsicht geschützt ist (BGE 147 I 103 E. 11.1; BGE 145 I 73 E. 4; BGE 138 I 205 E. 6.1). Das Bundesgericht hatte sich nicht dazu zu äussern, ob die Gemeinschaft der Fahrenden als kulturelle oder ethnische Minderheit zu qualifizieren ist. Aus dem von den
BGE 148 IV 113 S. 119
Beschwerdeführern vorgebrachten Urteil 1P.147/2003 vom 19. März 2003 geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft des Kantons Genf die Frage, ob Fahrende eine Ethnie im Sinne von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
4.4 Der Ausdruck "Zigeuner" wird nicht einheitlich definiert. Er wird als Fremdbezeichnung für Angehörige des Volkes der Sinti und Roma (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. 2015, S. 2075; vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, in 30 Bänden, Band 30, 21. Aufl. 2006, S. 597 f.), aber auch als Fremdbezeichnung für Angehörige der Roma und Jenische (https://de.wikipedia.org/wiki/Zigeuner [zuletzt konsultiert am 10. März 2022]) definiert. Von den betroffenen Gruppen wird er als diskriminierend abgelehnt (Duden, a.a.O., S. 2075; Brockhaus, a.a.O., S. 597; https://de.wikipedia.org/wiki/Zigeuner#Heutige_Wortbedeutung [zuletzt konsultiert am 10. März 2022]). Die Bedeutung des Begriffs "Zigeuner" ist demnach von einer gewissen Unschärfe geprägt. Gemeinsam haben die dargelegten Beschreibungsweisen indes, dass sie nicht auf die Lebensweise abstellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR] hat festgehalten, dass es sich bei "Zigeunern" ("Tsiganes") um eine von
BGE 148 IV 113 S. 120
Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
4.5 Es ist nicht davon auszugehen, dass der Durchschnittsadressat Kenntnis der dargestellten Komplexität des Begriffs "Zigeuner" hat oder in der Lage ist, eine klare Abgrenzung der verschiedenen vom Begriff "Zigeuner" erfassten Gruppen und Untergruppen vorzunehmen. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Massgebend für die Frage, welchen Sinn der Durchschnittsadressat in dem von den Beschwerdeführern verwendeten Ausdruck "Zigeuner" erkannt hat, ist der Kontext, in dem ihn die Beschwerdeführer verwendet haben. Auf dem Bildelement ist unverkennbar eine dunkelhäutige Person zu sehen. Die gut sichtbare Überschrift enthält die Präzisierung, dass "ausländische Zigeuner" gemeint sind. Durch den mit dem Schweizerkreuz auf der Kappe der im Vordergrund stehenden Person geschaffenen Kontrast wird die ausländische Herkunft der "Zigeuner" zusätzlich betont. Dass der Durchschnittsadressat unter Berücksichtigung dieser Elemente bei dem Begriff "ausländische Zigeuner" ganz allgemein an nicht sesshafte Personen denkt, wie dies von den Beschwerdeführern geltend gemacht wird, ist auszuschliessen. Ebenfalls nicht anzunehmen ist, dass der Durchschnittsadressat unter Berücksichtigung der im Beitrag vorgenommenen
BGE 148 IV 113 S. 121
Abgrenzung zur Schweizer Bevölkerung an Jenische, der Hauptgruppe der Fahrenden mit Schweizer Staatsangehörigkeit, denkt. Aufgrund der dargelegten Elemente wird der Ausdruck "ausländische Zigeuner" im konkreten Kontext vom Durchschnittsadressaten als Sammelkategorie für Roma und Sinti und damit für ethnische Gruppen verstanden. Die Beschwerdeführer haben demnach im dargelegten Kontext mit dem Ausdruck "ausländische Zigeuner" eine unter einem Sammelbegriff zusammengefasste Mehrheit von Ethnien, namentlich diejenigen der Roma und Sinti, bezeichnet. Der Begriff "ausländische Zigeuner" ist im dargelegten Kontext als Bezeichnung für eine "Ethnie" im Sinne von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
5. (...)
5.3 Die Beschwerdeführer rügen sodann eine Verletzung ihrer Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 16
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 16 Meinungs- und Informationsfreiheit - 1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. |
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1 | Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. |
3 | Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 19 - (1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. |
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a | für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; |
b | für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. |
5.3.1 Bei der Auslegung von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 16 Meinungs- und Informationsfreiheit - 1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. |
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1 | Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. |
3 | Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 19 - (1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. |
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a | für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; |
b | für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit. |
BGE 148 IV 113 S. 122
Offenheit geprägten Leitbilds einer demokratischen Gesellschaft. Eingriffe in die Rechte aus Art. 10 Abs. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
BGE 148 IV 113 S. 123
Nach der Rechtsprechung des EGMR ist der Meinungsäusserungsfreiheit politischer Parteien, die sich im Wahlkampf befinden und den Wähler überzeugen wollen, aus demokratischen Gründen weitreichender Schutz zuzugestehen, wobei der EGMR in diesem Zusammenhang auch betont, dass gerade in einem politischen Kontext ein fremdenfeindlicher Diskurs weitaus schädlichere Auswirkungen hat (Urteil Féret, § 76) und dass "la tolérance et le respect de l'égale dignité de tous les êtres humains constituent le fondement d'une société démocratique et pluraliste" (Urteil des EGMR Erkizia Almandoz gegen Spanien vom 22. Juni 2021, Nr. 5869/17, § 38). Angriffe auf Personen durch das Beleidigen, Lächerlichmachen oder Verleumden bestimmter Bevölkerungsgruppen können ausreichen, um die Bekämpfung rassistischer Äusserungen angesichts der unverantwortlichen Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäuserung gutzuheissen (Urteil des EGMR Vejdeland u.a. gegen Schweden vom 9. Februar 2012, Nr. 1813/07, § 55; Urteil des EGMR Féret , § 73). Bei der Abwägung gegenläufiger Grundrechtsinteressen gilt es bei Meinungsäusserungen den Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse, den Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, den Gegenstand des Nachrichtenberichtes sowie früheres Verhalten der betroffenen Person sowie Inhalt, Form und Folgen der Veröffentlichung zu berücksichtigen (Urteil des EGMR GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus gegen Schweiz vom 9. Januar 2018, Nr. 18597/13, § 56). Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäusserungsfreiheit ist auch die Natur und Schwere der auferlegten Strafe als wichtiger Umstand mit einzubeziehen (Urteil des EGMR GRA Stiftung Rassismus und Antisemitismus, § 77; Urteil Vejdeland, § 58).
5.3.2 Im Rahmen der damaligen politischen Auseinandersetzung und des Wahlkampfes durften die Beschwerdeführer selbstverständlich Kritik an bestehenden Missständen äussern. Dass Missstände auf Transitplätzen in einer im politischen Diskurs zulässigen zugespitzten Form dargestellt werden können und die Meinungsäusserungsfreiheit in der politischen Debatte besonders stark zu gewichten ist, steht ausser Frage. Wie dargelegt ist der Tatbestand der Rassendiskriminierung nicht bereits dann erfüllt, wenn jemand über eine von dieser Norm geschützte Gruppe etwas Unvorteilhaftes äussert, solange die Kritik insgesamt sachlich bleibt und sich auf objektive Gründe stützt. Mit der Kernbotschaft, wonach "ausländische Zigeuner" generell unhygienisch, ekelerregend und kriminell
BGE 148 IV 113 S. 124
seien, stellt der fragliche Beitrag aber nicht bestehende Missstände sachbezogen in den Vordergrund, sondern nimmt vielmehr eine pauschale Verunglimpfung und Herabsetzung der betroffenen Gruppe vor. Die Beschwerdeführer zeigten die von ihnen kritisierten Missstände nicht im Rahmen dessen, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR in politischen Debatten zulässig ist, auf, sondern es erfolgte eine Herabsetzung im Sinne der infrage kommenden Strafbestimmung: "On doit admettre qu'un rabaissement porte atteinte à la dignité humaine au sens de l'art. 261bis al. 4 CP lorsque la personne visée est traitée comme un être humain de deuxième classe." (BGE 143 IV 308 E. 4.1; Urteil 6B_1126/2020 vom 10. Juni 2021 E. 2.1.1). Schliesslich ist unter Berücksichtigung der dargelegten Rechtsprechung des EGMR zu betonen, dass die Beschwerdeführer zu bedingten Geldstrafen verurteilt worden sind, wobei das Strafmass von Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |