148 III 353
41. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B.C. und D.E. (Beschwerde in Zivilsachen) 5A_382/2021 vom 20. April 2022
Regeste (de):
- Art. 131a Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 131a - 1 Dem öffentlichen Recht bleibt vorbehalten, die Ausrichtung von Vorschüssen zu regeln, wenn die verpflichtete Person ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommt.
1 Dem öffentlichen Recht bleibt vorbehalten, die Ausrichtung von Vorschüssen zu regeln, wenn die verpflichtete Person ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommt. 2 Soweit das Gemeinwesen für den Unterhalt der berechtigten Person aufkommt, geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über. SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 2 Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über. - Die Rechtsprechung, wonach das Kind im Unterhaltsabänderungsverfahren trotz Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge durch das Gemeinwesen und der damit einhergehenden Legalzession umfassend aktiv- bzw. passivlegitimiert bleibt, findet auch dann Anwendung, wenn das Gemeinwesen vor oder während eines Verfahrens, in welchem es erst um die Erstreitung eines Unterhaltstitels geht, für den Unterhalt des Kindes Leistungen erbringt (E. 4.1 und 4.3). Regeste b
Regeste (fr):
- Art. 131a al. 2 et art. 289 al. 2 CC; légitimation active de l'enfant dans le procès portant sur son entretien en cas de perception de prestations de la collectivité publique.
- La jurisprudence selon laquelle l'enfant conserve pleinement la légitimation active ou passive dans la procédure de modification de la contribution d'entretien, malgré l'avance de contributions d'entretien par la collectivité publique et la cession légale qui en découle, trouve également application lorsque la collectivité publique fournit des prestations d'entretien à l'enfant avant ou pendant une procédure qui concerne seulement l'obtention d'un titre d'entretien (consid. 4.1 et 4.3). Regeste b
Regesto (it):
- Art. 131a cpv. 2 e art. 289 cpv. 2 CC; legittimazione attiva del figlio nella procedura sul suo mantenimento in caso di percezione di prestazioni della collettività pubblica.
- La giurisprudenza, secondo cui il figlio mantiene pienamente la legittimazione attiva o passiva nella procedura di modifica del suo mantenimento malgrado l'anticipo del contributo da parte dell'ente pubblico e la cessione legale che ne deriva, trova applicazione anche quando la collettività pubblica fornisce, prima o durante un procedimento che concerne soltanto l'ottenimento di un titolo di mantenimento, delle prestazioni per il mantenimento del figlio (consid. 4.1 e 4.3). Regesto b
Sachverhalt ab Seite 354
BGE 148 III 353 S. 354
A.
A.a B.C. (geb. 2012) ist die Tochter der nicht miteinander verheirateten D.E. und A. Sie steht unter der Obhut von D.E.
A.b Für die ersten sechs Monate nach ihrer Geburt wurde B.C. vom Sozialamt V. und für den Zeitraum vom 11. November 2014 bis 31. August 2017 von den Sozialen Diensten U. finanziell unterstützt.
A.c Mit Entscheid vom 18. Juni 2014 verpflichtete das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland A. zur Bezahlung von monatlichen
BGE 148 III 353 S. 355
Kindesunterhaltsbeiträgen für B.C. ab deren Geburt bis zum ordentlichen Abschluss einer Erstausbildung und sprach D.E. Fr. 4'880.- für Ansprüche aus Art. 295 Abs. 1 Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 295 - 1 Die Mutter kann spätestens bis ein Jahr nach der Geburt gegen den Vater oder dessen Erben auf Ersatz klagen:371 |
|
1 | Die Mutter kann spätestens bis ein Jahr nach der Geburt gegen den Vater oder dessen Erben auf Ersatz klagen:371 |
1 | für die Entbindungskosten; |
2 | für die Kosten des Unterhaltes während mindestens vier Wochen vor und mindestens acht Wochen nach der Geburt; |
3 | für andere infolge der Schwangerschaft oder der Entbindung notwendig gewordene Auslagen unter Einschluss der ersten Ausstattung des Kindes. |
2 | Aus Billigkeit kann das Gericht teilweisen oder vollständigen Ersatz der entsprechenden Kosten zusprechen, wenn die Schwangerschaft vorzeitig beendigt wird. |
3 | Leistungen Dritter, auf welche die Mutter nach Gesetz oder Vertrag Anspruch hat, sind anzurechnen, soweit es die Umstände rechtfertigen. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 295 - 1 Die Mutter kann spätestens bis ein Jahr nach der Geburt gegen den Vater oder dessen Erben auf Ersatz klagen:371 |
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1 | Die Mutter kann spätestens bis ein Jahr nach der Geburt gegen den Vater oder dessen Erben auf Ersatz klagen:371 |
1 | für die Entbindungskosten; |
2 | für die Kosten des Unterhaltes während mindestens vier Wochen vor und mindestens acht Wochen nach der Geburt; |
3 | für andere infolge der Schwangerschaft oder der Entbindung notwendig gewordene Auslagen unter Einschluss der ersten Ausstattung des Kindes. |
2 | Aus Billigkeit kann das Gericht teilweisen oder vollständigen Ersatz der entsprechenden Kosten zusprechen, wenn die Schwangerschaft vorzeitig beendigt wird. |
3 | Leistungen Dritter, auf welche die Mutter nach Gesetz oder Vertrag Anspruch hat, sind anzurechnen, soweit es die Umstände rechtfertigen. |
B.
B.a Dagegen ergriff A. Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen.
B.b Ende Oktober 2017 heiratete D.E. F.E. Am 14. November 2017 gebar sie die Tochter G.E.
B.c Mit Entscheid vom 23. März 2021 setzte das Kantonsgericht die Kindesunterhaltsbeiträge neu fest, wobei es für die Zeit ab 1. Januar 2017 bis 30. September 2028 auch Betreuungsunterhalt berücksichtigte.
C.
C.a Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 11. Mai 2021 wendet sich A. (Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt die Herabsetzung der gesprochenen Kindesunterhaltsbeiträge.
C.b Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und reformiert den angefochtenen Entscheid insoweit, als es B.C. für die Zeit ab Verheiratung von D.E. keinen Betreuungsunterhalt zuspricht. (Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4. (...)
4.1 Kommt das Gemeinwesen für den Unterhalt des Kindes auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über (Art. 131a Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 131a - 1 Dem öffentlichen Recht bleibt vorbehalten, die Ausrichtung von Vorschüssen zu regeln, wenn die verpflichtete Person ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommt. |
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1 | Dem öffentlichen Recht bleibt vorbehalten, die Ausrichtung von Vorschüssen zu regeln, wenn die verpflichtete Person ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommt. |
2 | Soweit das Gemeinwesen für den Unterhalt der berechtigten Person aufkommt, geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 |
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1 | Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 |
2 | Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 293 - 1 Das öffentliche Recht bestimmt, unter Vorbehalt der Unterstützungspflicht der Verwandten, wer die Kosten des Unterhaltes zu tragen hat, wenn weder die Eltern noch das Kind sie bestreiten können. |
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1 | Das öffentliche Recht bestimmt, unter Vorbehalt der Unterstützungspflicht der Verwandten, wer die Kosten des Unterhaltes zu tragen hat, wenn weder die Eltern noch das Kind sie bestreiten können. |
2 | Ausserdem regelt das öffentliche Recht die Ausrichtung von Vorschüssen für den Unterhalt des Kindes, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen. |
BGE 148 III 353 S. 356
Zivilgesetzbuch, 6. Aufl. 2018, N. 10 zu Art. 289
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 |
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1 | Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 |
2 | Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 |
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1 | Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364 |
2 | Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über. |
4.2 (Das Bundesgericht fasst BGE 148 III 270 E. 6 zusammen, wonach bei der vom Unterhaltsschuldner angehobenen Abänderungsklage trotz Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge durch das Gemeinwesen einzig das Kind bzw. dessen gesetzlichen Vertreter passivlegitimiert ist.)
4.3 BGE 148
III 270 ist zwar im Kontext eines vom Unterhaltsschuldner angehobenen Abänderungsverfahrens bei gleichzeitiger Bevorschussung im Sinn von Art. 293 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 293 - 1 Das öffentliche Recht bestimmt, unter Vorbehalt der Unterstützungspflicht der Verwandten, wer die Kosten des Unterhaltes zu tragen hat, wenn weder die Eltern noch das Kind sie bestreiten können. |
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1 | Das öffentliche Recht bestimmt, unter Vorbehalt der Unterstützungspflicht der Verwandten, wer die Kosten des Unterhaltes zu tragen hat, wenn weder die Eltern noch das Kind sie bestreiten können. |
2 | Ausserdem regelt das öffentliche Recht die Ausrichtung von Vorschüssen für den Unterhalt des Kindes, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen. |
7. (...)
7.3.2 Indes ist die Mutter seit dem 27. Oktober 2017 mit F.E. verheiratet, mit welchem sie das gemeinsame Kind G.E. hat. Das Kantonsgericht hat der Mutter bis Juli 2022 ein Einkommen von Fr. 400.- und ab August 2022 ein hypothetisches Einkommen von Fr. 1'620.- bzw. ab August 2030 ein solches von Fr. 2'540.- angerechnet. Soweit weitergehend wird sie vollständig von ihrem Ehemann unterstützt.
BGE 148 III 353 S. 357
Verfügt die Mutter nur über ein marginales Einkommen und werden die gemeinsamen Lebenskosten sonst durch den erwerbstätigen Ehemann getragen, stellt sich die Rechtsfrage, ob gleichwohl ein Betreuungsunterhalt im Bedarf des vorehelichen Kindes zu berücksichtigen ist. In einer solchen Situation stehen die eheliche Unterhaltspflicht des Ehemannes nach Art. 163
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 163 - 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
|
1 | Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
2 | Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. |
3 | Dabei berücksichtigen sie die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 163 - 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
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1 | Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
2 | Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. |
3 | Dabei berücksichtigen sie die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 163 - 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
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1 | Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
2 | Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. |
3 | Dabei berücksichtigen sie die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände. |
Vorliegend haben sich die Ehegatten E. dahingehend verständigt, dass der Ehemann seinen Beitrag (hauptsächlich) durch Geldzahlungen erbringt und die Ehefrau (hauptsächlich) den Haushalt besorgt und das gemeinsame Kind betreut. Damit sind die Lebenshaltungskosten der Mutter gedeckt; sie hat kein Manko, das über das Institut des
BGE 148 III 353 S. 358
Betreuungsunterhalts auszugleichen wäre. Gestützt auf diese Motivsubstitution (vgl. die nicht publ. E. 1.2) steht der angefochtene Entscheid, soweit er für die Zeit nach der Eheschliessung, d.h. ab November 2017 einen Betreuungsunterhalt zuspricht, im Widerspruch zum Bundesrecht und ist insofern aufzuheben. (...)