146 IV 320
34. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) 6B_20/2020 / 6B_21/2020 vom 31. August 2020
Regeste (de):
- Art. 186
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 30 - 1 Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen.
1 Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen. 2 Ist die verletzte Person handlungsunfähig, so ist ihr gesetzlicher Vertreter zum Antrag berechtigt. Steht sie unter Vormundschaft oder unter umfassender Beistandschaft, so steht das Antragsrecht auch der Erwachsenenschutzbehörde zu.21 3 Ist die verletzte Person minderjährig oder steht sie unter umfassender Beistandschaft, so ist auch sie zum Antrag berechtigt, wenn sie urteilsfähig ist.22 4 Stirbt die verletzte Person, ohne dass sie den Strafantrag gestellt oder auf den Strafantrag ausdrücklich verzichtet hat, so steht das Antragsrecht jedem Angehörigen zu. 5 Hat eine antragsberechtigte Person ausdrücklich auf den Antrag verzichtet, so ist ihr Verzicht endgültig. - Der Eigentümer einer Mietsache ist gegenüber Personen ohne durch ein Mietverhältnis gedecktes Gebrauchsrecht strafantragsberechtigt. Dies gilt unabhängig davon, ob die geschützten und zuvor vermieteten Räume mit der Beendigung des Mietverhältnisses auch tatsächlich geräumt wurden (E. 2.4).
Regeste (fr):
- Art. 186 CP, art. 30 al. 1 CP; violation de domicile, qualité pour porter plainte.
- Le propriétaire d'une chose louée a qualité pour porter plainte contre les personnes qui ne jouissent pas d'un droit d'usage découlant d'un contrat de bail. Cela vaut indépendamment de la question de savoir si les locaux en question, précédemment loués, ont été effectivement libérés après la fin du bail (consid. 2.4).
Regesto (it):
- Art. 186 CP, art. 30 cpv. 1 CP; violazione di domicilio, diritto di querela.
- Il proprietario di una cosa locata è legittimato a sporgere querela contro le persone che non dispongono di un diritto di uso coperto dal contratto di locazione, indipendentemente dal fatto che i locali tutelati e precedentemente locati siano stati anche effettivamente liberati al termine della locazione (consid. 2.4).
Sachverhalt ab Seite 321
BGE 146 IV 320 S. 321
A. Die C. AG, Eigentümerin einer mittlerweile abgebrochenen Liegenschaft an der Baslerstrasse 71 in Zürich, stellte Strafantrag gegen A. und B. wegen Hausfriedensbruchs, nachdem die Liegenschaft am 12. Februar 2018 mit aus den Fenstern hängenden Transparenten als besetzt erklärt worden war und sich A. und B. ohne Bewilligung in einem Büro im dritten Stock aufgehalten hatten. Die damalige D. GmbH stand bis zum 31. Dezember 2017 in einem Mietverhältnis mit der C. AG, nutzte die Räumlichkeiten im dritten Stock jedoch weiter und war am 12. Februar 2018 noch nicht ausgezogen. Die D. GmbH stellte keinen Strafantrag gegen A. und B. Die Staatsanwaltschaften Zürich-Limmat und Zürich-Sihl erklärten A. bzw. B. in der Folge mit Strafbefehlen vom 13. Februar 2018 des Hausfriedensbruchs schuldig und belegten sie mit unbedingten Freiheitsstrafen von 100 bzw. 120 Tagen. A. und B. erhoben Einsprache gegen die Strafbefehle. Die Staatsanwaltschaften hielten daran fest und überwiesen die Akten dem erstinstanzlichen Gericht.
B. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte A. am 15. Juni 2018 und B. am 26. Juni 2018 jeweils wegen Hausfriedensbruchs zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 100 Tagen. Auf Berufung von A. und B. sowie Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft erklärte das Obergericht des Kantons Zürich sie am 18. September 2019 ebenso des Hausfriedensbruchs schuldig, bestrafte sie indessen mit bedingten Freiheitsstrafen von 80 Tagen.
C. A. und B. beantragen mit separaten Beschwerden in Strafsachen (6B_20/2020 bzw. 6B_21/2020), die Urteile des Obergerichts seien vollumfänglich aufzuheben und die Verfahren gegen sie einzustellen. Eventualiter seien sie mit bedingten Geldstrafen von 30 Tagessätzen zu bestrafen. A. und B. ersuchen um unentgeltliche Rechtspflege. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Die Beschwerdeführer bringen mit ihren im Wesentlichen identischen Beschwerdeschriften zusammengefasst vor, der Strafantrag der C. AG sei nicht rechtswirksam. Die D. GmbH habe die betreffenden Büroräumlichkeiten der Liegenschaft der C. AG zum Tatzeitpunkt am 12. Februar 2018 weiter genutzt. Trotz Beendigung des Mietverhältnisses schon per 31. Dezember 2017 sei das Hausrecht
BGE 146 IV 320 S. 322
nicht an die C. AG zurückgefallen. Relevant seien die faktischen Verhältnisse. Damit sei die D. GmbH weiterhin die Trägerin des Hausrechts mit alleiniger Verfügungsgewalt gewesen und habe das ausschliessliche Recht gehabt, darüber zu entscheiden, wer dieses Büro betreten dürfe. Sie seien in die Privat- und Geheimsphäre der D. GmbH eingedrungen, nicht in diejenige der C. AG. Ihre Situation sei nicht mit derjenigen in BGE 118 IV 167 vergleichbar.
2.2 Die Vorinstanz erwägt, das Mietverhältnis zwischen der C. AG und der D. GmbH habe nur bis zum 31. Dezember 2017 gedauert. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung sei nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall anwendbar. Die dortigen Vermieter bzw. Verpächter hätten jeweils Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gegen deren Mieter bzw. Pächter gestellt, welche die Räumlichkeiten nach Ablauf der Miet- bzw. Pachtverträge nicht geräumt hätten. Die Berechtigung der Eigentümer, Strafantrag zu stellen, sei nur dann als eingeschränkt zu erachten, wenn sich dieser gegen Personen richte, welche zumindest zu einem früheren Zeitpunkt über eine Berechtigung verfügt hätten, die Räumlichkeiten zu nutzen. Den Beschwerdeführern habe weder die D. GmbH noch die C. AG eine Berechtigung erteilt. Zwischen den Beschwerdeführern und der C. AG habe zudem weder ein Mietverhältnis noch eine andere vertraglich vereinbarte Berechtigung bestanden, sich in den fraglichen Räumlichkeiten aufzuhalten. Aus diesem Grund seien der C. AG als Eigentümerin zivilrechtlich bloss die Möglichkeiten nach Art. 641
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 641 - 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. |
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1 | Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. |
2 | Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
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1 | Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
2 | Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 146 IV 320 S. 323
Aspekte wie den Schutz der Privatsphäre der vormaligen Mieterin zu berücksichtigen. Die C. AG sei somit berechtigt, Strafantrag zu stellen, obwohl die Räumlichkeiten von der vormaligen Mieterin noch nicht geräumt worden seien. Da sich die Gültigkeit des Strafantrags der C. AG auf sämtliche vormals vermieteten Räumlichkeiten beziehe, sei unerheblich, auf welchem Weg die Beschwerdeführer in den dritten Stock jener Liegenschaft gelangten, wo sie gemäss Anklagevorwurf angetroffen worden seien.
2.3 Hausfriedensbruch im Sinne von Art. 186
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 30 - 1 Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen. |
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1 | Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen. |
2 | Ist die verletzte Person handlungsunfähig, so ist ihr gesetzlicher Vertreter zum Antrag berechtigt. Steht sie unter Vormundschaft oder unter umfassender Beistandschaft, so steht das Antragsrecht auch der Erwachsenenschutzbehörde zu.21 |
3 | Ist die verletzte Person minderjährig oder steht sie unter umfassender Beistandschaft, so ist auch sie zum Antrag berechtigt, wenn sie urteilsfähig ist.22 |
4 | Stirbt die verletzte Person, ohne dass sie den Strafantrag gestellt oder auf den Strafantrag ausdrücklich verzichtet hat, so steht das Antragsrecht jedem Angehörigen zu. |
5 | Hat eine antragsberechtigte Person ausdrücklich auf den Antrag verzichtet, so ist ihr Verzicht endgültig. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Im Rahmen eines Mietverhältnisses ist nur der Mieter, nicht auch der Vermieter strafantragsberechtigt (BGE 83 IV 154 E. 1). Das Hausrecht des Mieters beginnt mit dem Einzug in die Mietsache und endet mit dem Auszug. Die Strafbestimmung hat die Funktion, die Privat- und Geheimsphäre des Wohnungsinhabers - das Hausrecht - zu schützen, nicht aber dem Vermieter oder Verpächter die Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche zu erleichtern (BGE 112 IV 31 E. 3c; Urteil 1B_510/2012 vom 16. November 2012 E. 2.3). Dieser Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts ist bei Fehlen vertraglicher Beziehungen zwischen dem Täter und dem Geschädigten nicht anwendbar (BGE 118 IV 167 E. 3b). Wer ohne Recht in eine Wohnung eingedrungen ist und sie eigenmächtig besetzt hält, kann sich dem Eigentümer gegenüber nicht auf das Hausrecht berufen (Urteil 1B_510/2012 vom 16. November 2012 E. 2.3).
BGE 146 IV 320 S. 324
2.4 Die Rügen der Beschwerdeführer zur Gültigkeit des Strafantrags der C. AG verfangen nicht. Die entsprechenden Ausführungen fussen auf geltend gemachten Wirkungen des zum Tatzeitpunkt beendeten Mietverhältnisses zwischen der C. AG als Eigentümerin und der D. GmbH als ehemalige Mieterin. Laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist im Rahmen eines Mietverhältnisses und fraglicher Anwesenheitsberechtigung einer Drittperson ausschliesslich der Mieter strafantragsberechtigt. Unter Berücksichtigung der Kritik in der Lehre (vgl. etwa DELNON/RÜDI, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 6 zu Art. 186
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 146 IV 320 S. 325
Gesetzgeber vorgesehenen Straftatbestand des Hausfriedensbruchs nach Art. 186
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 641 - 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. |
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1 | Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. |
2 | Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |