Urteilskopf

144 IV 113

16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug (Beschwerde in Strafsachen) 1B_136/2018 vom 9. April 2018

Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 114

BGE 144 IV 113 S. 114

A. A. befand sich vom 14. September 2015 bis zum 22. Oktober 2015 in Untersuchungshaft. Am 6. Februar 2016 wurde er wegen des Verdachts neuer Delinquenz wieder verhaftet. Seither befindet er sich in Untersuchungs- und Sicherheitshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug. Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte A. am 6. September 2016 wegen mehrfacher Gefährdung des Lebens, mehrfacher Drohung, mehrfacher Nötigung, mehrfacher Freiheitsberaubung und mehrfacher grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 35 Monaten und ordnete eine ambulante Massnahme (Behandlung psychischer Störungen) an, ohne den Vollzug der Freiheitsstrafe aufzuschieben. Wegen mehrfacher Tätlichkeiten und einfacher Verletzung der Verkehrsregeln wurde er zusätzlich zu einer Busse von Fr. 2'500.- verurteilt. Zugleich versetzte das Strafgericht A. in Sicherheitshaft.
Mit Urteil vom 22. Dezember 2016 wies das Obergericht des Kantons Zug die Berufung von A. ab und bestätigte die erstinstanzlichen Schuldsprüche sowie die Anordnung einer vollzugsbegleitenden ambulanten Massnahme. Gleichzeitig bestimmte das Obergericht, A. habe bis zum Antritt des ordentlichen Strafvollzugs in Sicherheitshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug zu verbleiben. A. erhob am 24. Februar 2017 gegen das Urteil vom 22. Dezember 2016 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil 6B_265/2017 vom 9. Februar 2018 teilweise gut. Es hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache hinsichtlich des Tatvorwurfs der mehrfachen Gefährdung des Lebens zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
B. Am 20. Februar 2018 stellte A. beim Obergericht des Kantons Zug ein Haftentlassungsgesuch. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Gesuchsabweisung. Mit Präsidialverfügung vom 5. März 2018 wies der Präsident der Strafabteilung das Haftentlassungsgesuch ab. Weiter verfügte er, A. werde in Sicherheitshaft versetzt und verbleibe damit in Haft; ihm werde weiterhin der (seit dem 23. März 2017 laufende) vorzeitige Massnahmeantritt bewilligt. Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 14. März 2018 beantragt A., die angefochtene Präsidialverfügung vom 5. März 2018 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventualiter seien die zuständigen kantonalen Behörden
BGE 144 IV 113 S. 115

anzuweisen, angemessene Auflagen mit der Haftentlassung zu verbinden. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft beantragen die Beschwerdeabweisung. Der Beschwerdeführer hält an seinem Standpunkt und an seinen Anträgen fest. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Der Beschwerdeführer bringt vor, es bestehe Überhaft.

3.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV und Art. 5 Ziff. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haft die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt (vgl. auch Art. 212 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 212 Grundsätze - 1 Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit. Sie darf nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen unterworfen werden.
1    Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit. Sie darf nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen unterworfen werden.
2    Freiheitsentziehende Zwangsmassnahmen sind aufzuheben, sobald:
a  ihre Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind;
b  die von diesem Gesetz vorgesehene oder von einem Gericht bewilligte Dauer abgelaufen ist; oder
c  Ersatzmassnahmen zum gleichen Ziel führen.
3    Untersuchungs- und Sicherheitshaft dürfen nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe.
StPO). Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Das Gericht darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt (BGE 139 IV 270 E. 3.1 S. 275; BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170, BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281; BGE 132 I 21 E. 4 S. 27 f.; je mit Hinweisen).
3.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, ziehe man bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer in Betracht, dass der Schuldspruch wegen mehrfacher Gefährdung des Lebens nach der Rückweisung durch das Bundesgericht möglicherweise entfalle, sei mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten zu rechnen (Freiheitsberaubung: vier Monate; Nötigung: zwei Monate; Drohungen: vier Monate; SVG-Delikte: vier Monate; Täterkomponente plus fünf Monate). Der Beschwerdeführer befinde sich indes seit bald 27 Monaten in Haft. Im Urteil des Obergerichts vom 22. Dezember 2016 seien 202 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie der vorzeitige Strafvollzug seit dem 18. Juli 2016 auf die Freiheitsstrafe angerechnet worden. So betrachtet bestehe bereits Überhaft. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, auch wenn ein möglicher Wegfall des Schuldspruchs wegen (vollendeter) mehrfacher Gefährdung
BGE 144 IV 113 S. 116

des Lebens nicht zwingend bedeutet, dass der Beschwerdeführer insoweit straflos bleibt, sondern eine abweichende rechtliche Würdigung in Betracht fällt (vgl. Art. 344
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 344 Abweichende rechtliche Würdigung - Will das Gericht den Sachverhalt rechtlich anders würdigen als die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, so eröffnet es dies den anwesenden Parteien und gibt ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.
StPO).
4. Die Vorinstanz hat weiter festgehalten, es sei indes zu prüfen, ob nicht ernsthaft mit einer stationären Massnahme gerechnet werden müsse.
4.1 Ist diese Voraussetzung erfüllt, so ist nicht entscheidend, dass der Beschwerdeführer die ihm zurzeit drohende Freiheitsstrafe bereits verbüsst hat. Vielmehr ist der Freiheitsentzug gleichwohl verhältnismässig, wenn der gesamte Vollzug der Massnahme deutlich länger dauern könnte als die bisherige strafprozessuale Haft (Urteil des Bundesgerichts 1B_25/2018 vom 7. Februar 2018 E. 3.2 mit Hinweis auf BGE 126 I 172 E. 5e S. 178). Gemäss Art. 59 Abs. 4
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 59 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn:
1    Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn:
a  der Täter ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht; und
b  zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
2    Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung oder einer Massnahmevollzugseinrichtung.
3    Solange die Gefahr besteht, dass der Täter flieht oder weitere Straftaten begeht, wird er in einer geschlossenen Einrichtung behandelt. Er kann auch in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 behandelt werden, sofern die nötige therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet ist.57
4    Der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen.
StGB beträgt der mit einer stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen oder Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen. Aufgrund der beim Beschwerdeführer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung und des Problembereichs eines Aggressionsfokus ist gemäss Gutachten vom 9. Oktober 2015 und Ergänzungsgutachten vom 16. April 2016 mit einer Therapiedauer von mehr als drei Jahren zu rechnen. Der Vollzug einer stationären Massnahme könnte daher deutlich länger dauern als die bisher erstandene Haft.
4.2 Der Beschwerdeführer rügt vorab, eine stationäre Massnahme komme bereits aus formellen Gründen nicht in Betracht, da einer solchen das Schlechterstellungsverbot (Verbot der reformatio in peius) gemäss Art. 391 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 391 Entscheid - 1 Die Rechtsmittelinstanz ist bei ihrem Entscheid nicht gebunden an:
1    Die Rechtsmittelinstanz ist bei ihrem Entscheid nicht gebunden an:
a  die Begründungen der Parteien;
b  die Anträge der Parteien, ausser wenn sie Zivilklagen beurteilt.
2    Sie darf Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten.
3    Sie darf Entscheide im Zivilpunkt nicht zum Nachteil der Privatklägerschaft abändern, wenn nur von dieser ein Rechtsmittel ergriffen worden ist.
StPO entgegenstehe. Zudem würde die nachträgliche Anordnung einer stationären Massnahme voraussetzen, dass zunächst die ambulante Massnahme von der Vollzugsbehörde wegen Aussichtslosigkeit förmlich aufgehoben werde.
4.3 Gemäss Art. 391 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 391 Entscheid - 1 Die Rechtsmittelinstanz ist bei ihrem Entscheid nicht gebunden an:
1    Die Rechtsmittelinstanz ist bei ihrem Entscheid nicht gebunden an:
a  die Begründungen der Parteien;
b  die Anträge der Parteien, ausser wenn sie Zivilklagen beurteilt.
2    Sie darf Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten.
3    Sie darf Entscheide im Zivilpunkt nicht zum Nachteil der Privatklägerschaft abändern, wenn nur von dieser ein Rechtsmittel ergriffen worden ist.
StPO darf die Rechtsmittelinstanz Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen
BGE 144 IV 113 S. 117

worden ist. Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten. Im zu beurteilenden Fall hatte einzig der Beschwerdeführer das Urteil des Obergerichts vom 22. Dezember 2016 beim Bundesgericht angefochten. Die Frage, ob unter dem Aspekt der reformatio in peius im Rechtsmittelverfahren bzw. nach einer Rückweisung eine Massnahme durch eine stärker in die persönliche Freiheit eingreifende andere Massnahme ersetzt werden kann, ist in der Lehre umstritten (vgl. hierzu und zum Folgenden MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 22 ff. zu Art. 56
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 56 - 1 Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
1    Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
a  eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen;
b  ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert; und
c  die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind.
2    Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist.
3    Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 und 64 sowie bei der Änderung der Sanktion nach Artikel 65 auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
a  die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters;
b  die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und
c  die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme.
4    Hat der Täter eine Tat im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begangen, so ist die Begutachtung durch einen Sachverständigen vorzunehmen, der den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut hat.
4bis    Kommt die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1bis in Betracht, so stützt sich das Gericht beim Entscheid auf die Gutachten von mindestens zwei erfahrenen und voneinander unabhängigen Sachverständigen, die den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut haben.55
5    Das Gericht ordnet eine Massnahme in der Regel nur an, wenn eine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht.
6    Eine Massnahme, für welche die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ist aufzuheben.
StGB). Nach der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts steht der Anordnung einer anderen als der ursprünglich als indiziert erachteten Massnahme durch die Rechtsmittelinstanz generell nichts entgegen (vgl. BGE 123 IV I E. 4c S. 8). Die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme im Rechtsmittelverfahren ist demnach als zulässig einzustufen. Dies ist damit zu begründen, dass ein solches Vorgehen im objektiven Interesse des Betroffenen liegt, mit seiner psychischen Störung umgehen zu können und nicht rückfällig zu werden (HEER, a.a.O., N. 28 zu Art. 56
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 56 - 1 Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
1    Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
a  eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen;
b  ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert; und
c  die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind.
2    Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist.
3    Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 und 64 sowie bei der Änderung der Sanktion nach Artikel 65 auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
a  die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters;
b  die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und
c  die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme.
4    Hat der Täter eine Tat im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begangen, so ist die Begutachtung durch einen Sachverständigen vorzunehmen, der den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut hat.
4bis    Kommt die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1bis in Betracht, so stützt sich das Gericht beim Entscheid auf die Gutachten von mindestens zwei erfahrenen und voneinander unabhängigen Sachverständigen, die den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut haben.55
5    Das Gericht ordnet eine Massnahme in der Regel nur an, wenn eine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht.
6    Eine Massnahme, für welche die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ist aufzuheben.
StGB; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, S. 479 f.; a.M. SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, S. 668 f.; GILBERT KOLLY, Zum Verschlechterungsverbot im schweizerischen Strafprozess, ZStrR 113/1995 S. 313 f.). Zugleich kann damit das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gewährleistet werden. Nicht verkannt wird dabei, dass solche Behandlungen deutlich länger dauern können als eine schuldangemessene Strafe. Der Gesetzgeber hat aber klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Behandlung des Betroffenen möglichst Vorrang haben soll. Im Übrigen wäre es wenig effizient, dem Gericht im Rechtsmittelverfahren eine Befugnis abzusprechen, die der Gesetzgeber ihm nach Rechtskraft des Urteils ohne Weiteres einräumt (vgl. HEER, a.a.O., N. 28 zu Art. 56
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 56 - 1 Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
1    Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
a  eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen;
b  ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert; und
c  die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind.
2    Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist.
3    Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 und 64 sowie bei der Änderung der Sanktion nach Artikel 65 auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
a  die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters;
b  die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und
c  die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme.
4    Hat der Täter eine Tat im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begangen, so ist die Begutachtung durch einen Sachverständigen vorzunehmen, der den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut hat.
4bis    Kommt die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1bis in Betracht, so stützt sich das Gericht beim Entscheid auf die Gutachten von mindestens zwei erfahrenen und voneinander unabhängigen Sachverständigen, die den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut haben.55
5    Das Gericht ordnet eine Massnahme in der Regel nur an, wenn eine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht.
6    Eine Massnahme, für welche die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ist aufzuheben.
StGB; eingehend zur Möglichkeit der nachträglichen Ersetzung einer ambulanten strafvollzugsbegleitenden Massnahme durch eine stationäre Massnahme gestützt auf Art. 63b Abs. 5
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63b - 1 Ist die ambulante Behandlung erfolgreich abgeschlossen, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe nicht mehr vollzogen.
1    Ist die ambulante Behandlung erfolgreich abgeschlossen, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe nicht mehr vollzogen.
2    Wird die ambulante Behandlung wegen Aussichtslosigkeit (Art. 63a Abs. 2 Bst. b), Erreichen der gesetzlichen Höchstdauer (Art. 63a Abs. 2 Bst. c) oder Erfolglosigkeit (Art. 63a Abs. 3) aufgehoben, so ist die aufgeschobene Freiheitsstrafe zu vollziehen.
3    Erscheint die in Freiheit durchgeführte ambulante Behandlung für Dritte als gefährlich, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe vollzogen und die ambulante Behandlung während des Vollzugs der Freiheitsstrafe weitergeführt.
4    Das Gericht entscheidet darüber, inwieweit der mit der ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe angerechnet wird. Liegen in Bezug auf die Reststrafe die Voraussetzungen der bedingten Entlassung oder der bedingten Freiheitsstrafe vor, so schiebt es den Vollzug auf.
5    An Stelle des Strafvollzugs kann das Gericht eine stationäre therapeutische Massnahme nach den Artikeln 59-61 anordnen, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer, mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen.
StGB vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_253/2015 vom 23. Juli 2015 E. 2.2.2; siehe auch CHRIS LEHNER, Nachträgliche Anordnung stationärer therapeutischer Massnahmen, 2015, S. 103 ff.).
BGE 144 IV 113 S. 118

Nach dem Gesagten steht das Schlechterstellungsverbot der Aussprechung einer stationären Massnahme im Rechtsmittelverfahren bzw. nach einer Rückweisung nicht entgegen.
4.4 Mit seiner Argumentation, eine stationäre Massnahme könne erst angeordnet werden, wenn die ambulante Massnahme von der Vollzugsbehörde förmlich aufgehoben worden sei, verkennt der Beschwerdeführer, dass es sich vorliegend nicht um ein Verfahren betreffend nachträgliche Anordnung einer stationären Massnahme, sondern um ein Rechtsmittelverfahren handelt. Das Urteil des Bundesgerichts 6B_253/2015 vom 23. Juli 2015 E.2.2.2 ist daher nicht einschlägig. Die Aufhebung einer Massnahme und das Feststellen des Scheiterns durch die Vollzugsbehörde setzt die rechtskräftige Anordnung der Therapie voraus (Urteil des Bundesgerichts 6B_955/2017 vom 11. Januar 2018 E. 2.3.2), was vorliegend nicht der Fall ist.
4.5 In der Sache bestreitet der Beschwerdeführer, dass er ernsthaft mit einer stationären Massnahme rechnen müsse. Im erstinstanzlichen Urteil vom 6. September 2016 sei eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme angeordnet worden, was vom Obergericht wie auch vom Bundesgericht bestätigt worden sei. Dass nun plötzlich nach mutmasslichem Wegfall des schwersten Vorwurfs der Lebensgefährdung die Anordnung einer stationären Massnahme wieder verhältnismässig geworden sein könnte, erscheine geradezu absurd. Zudem seien das Gutachten und das Ergänzungsgutachten von Dr. med. B. vom 9. Oktober 2015 respektive vom 16. April 2016 veraltet und es bestünden Vorbehalte gegenüber der Person des Gutachters.
4.6 Die Vorinstanz hat zur Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer stationären Massnahme ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe im Hauptverfahren die Anordnung einer stationären Massnahme beantragt. Das Strafgericht habe im Urteil vom 6. September 2016 indessen bloss eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme angeordnet. In seiner Urteilsbegründung habe es unter anderem erwogen, die Voraussetzungen einer ambulanten wie auch einer stationären Massnahme seien grundsätzlich gegeben, wobei im Hinblick auf den Therapieerfolg ein Aufschub der Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Massnahme nicht in Betracht falle. Das Strafgericht habe darauf hingewiesen, dass aus Sicht des Gutachters Dr. med. B. im Ergänzungsgutachten vom 16. April 2016 die ermittelten Risiken ein Ausmass erreichen würden, welches unter Berücksichtigung der lediglich geringen Beeinflussbarkeit des
BGE 144 IV 113 S. 119

Beschwerdeführers auch die Anordnung einer stationären Massnahme rechtfertigen würde. Sodann - so habe das Strafgericht weiter festgehalten - sei zu beachten, dass gestützt auf Art. 63b Abs. 5
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63b - 1 Ist die ambulante Behandlung erfolgreich abgeschlossen, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe nicht mehr vollzogen.
1    Ist die ambulante Behandlung erfolgreich abgeschlossen, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe nicht mehr vollzogen.
2    Wird die ambulante Behandlung wegen Aussichtslosigkeit (Art. 63a Abs. 2 Bst. b), Erreichen der gesetzlichen Höchstdauer (Art. 63a Abs. 2 Bst. c) oder Erfolglosigkeit (Art. 63a Abs. 3) aufgehoben, so ist die aufgeschobene Freiheitsstrafe zu vollziehen.
3    Erscheint die in Freiheit durchgeführte ambulante Behandlung für Dritte als gefährlich, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe vollzogen und die ambulante Behandlung während des Vollzugs der Freiheitsstrafe weitergeführt.
4    Das Gericht entscheidet darüber, inwieweit der mit der ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe angerechnet wird. Liegen in Bezug auf die Reststrafe die Voraussetzungen der bedingten Entlassung oder der bedingten Freiheitsstrafe vor, so schiebt es den Vollzug auf.
5    An Stelle des Strafvollzugs kann das Gericht eine stationäre therapeutische Massnahme nach den Artikeln 59-61 anordnen, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer, mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen.
StGB die Möglichkeit bestehe, nachträglich eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung in eine stationäre therapeutische Massnahme umzuwandeln, nachdem die ambulante Massnahme von der Vollzugsbehörde wegen Aussichtslosigkeit rechtskräftig aufgehoben worden sei (Urteil des Bundesgerichts 6B_253/2015 vom 23. Juli 2015 E. 2.1 ff.); die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme sei unter strengen Voraussetzungen selbst nach vollständiger Verbüssung der Strafe noch möglich (BGE 136 IV 156 E. 2 f. S. 157 ff.). Mit dieser Möglichkeit, nachträglich eine stationäre Massnahme anzuordnen, könne den Ausführungen von Dr. med. B. im Ergänzungsgutachten vom 16. April 2016, wonach es aktuell schwierig sei, die Therapieresultate einer vollzugsbegleitenden Massnahme zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug abzuschätzen, Rechnung getragen werden. Dies rechtfertige es - so habe das Strafgericht zusammenfassend gefolgert -, in Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes wenigstens vorerst auf die Anordnung einer stationären Massnahme zu verzichten und stattdessen eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme anzuordnen.
Die Vorinstanz hat weiter festgehalten, mit der vom Strafgericht angeordneten ambulanten Massnahme habe erst im März 2017 begonnen werden können. Eine vertiefte deliktspräventive bzw. deliktsorientierte Behandlung sei bis heute kaum möglich gewesen, weil der Beschwerdeführer praktisch in allen Anklagepunkten nicht geständig gewesen sei. Die ermittelten Risiken hätten bis anhin nicht in entscheidender Weise gesenkt und es hätten auch noch keine massgebenden Therapieerfolge erzielt werden können. Angesichts dieses Behandlungsstands und der Tatsache, dass (mutmasslich) keine Strafdauer mehr verbleibe, erscheine es derzeit unwahrscheinlich, dass eine ambulante Behandlung, die nun in Freiheit zu erfolgen hätte, ausreiche, um der moderaten bis deutlichen Ausführungsgefahr zu begegnen. Eine stationäre Behandlung falle damit ernsthaft in Betracht, was mittels eines Ergänzungsgutachtens abzuklären sei.
4.7 Soweit der Beschwerdeführer das Gutachten vom 9. Oktober 2015 und das Ergänzungsgutachten vom 16. April 2016 als nicht mehr aktuell rügt, ist darauf hinzuweisen, dass die Vorinstanz diesem Umstand Rechnung getragen und bei Dr. med. B. ausdrücklich ein Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben hat. Des Weiteren hat
BGE 144 IV 113 S. 120

der Beschwerdeführer, soweit aktenkundig, keine Ablehnung des Gutachters beantragt. Gegenteiliges wird von ihm auch nicht behauptet. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf seine Einwände gegen die Person des Gutachters. Im Übrigen wird ihm zum Ergänzungsgutachten, sobald dieses vorliegt, das rechtliche Gehör zu gewähren sein.
4.8 Die Staatsanwaltschaft beantragte im erstinstanzlichen Hauptverfahren die Anordnung einer stationären Massnahme. Dr. med. B. erachtete in seinem Ergänzungsgutachten vom 16. April 2016 eine stationäre Massnahme ebenfalls als gerechtfertigt, auch wenn er sich für eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme aussprach. Das Strafgericht als erste Instanz thematisierte die mögliche Anordnung einer stationären Massnahme in seiner Urteilsbegründung vom 6. September 2016 eingehend. Es ordnete schliesslich aber aus Gründen der Verhältnismässigkeit eine ambulante Massnahme an, wobei es klarstellte, dass diese nur vollzugsbegleitend in Betracht komme. Diese Möglichkeit entfällt, wenn der Beschwerdeführer seine Freiheitsstrafe bereits vollständig verbüsst hat. Wie von der Vorinstanz zutreffend dargelegt, kommt vorliegend nach jetzigem Kenntnisstand - d.h. bis zum Vorliegen des in Auftrag gegebenen Ergänzungsgutachtens - angesichts der moderaten bis deutlichen Ausführungsgefahr eines Tötungsdelikts, der weiterhin bestehenden Therapiebedürftigkeit des Beschwerdeführers (dissoziale Persönlichkeitsstörung und Problembereich eines Aggressionsfokus) und dessen geringer Beeinflussbarkeit sowie der fehlenden Möglichkeit, die ambulante Behandlung vollzugsbegleitend weiterzuführen, eine stationäre Massnahme ernsthaft in Betracht. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bezüglich des schwersten Tatvorwurfs der mehrfachen Gefährdung des Lebens freigesprochen werden könnte, ändert weder an der bestehenden Ausführungsgefahr (Todesdrohung) noch an der Notwendigkeit der Behandlung der psychischen Störung des Beschwerdeführers etwas. Dessen Rüge erweist sich damit als nicht stichhaltig.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 144 IV 113
Datum : 09. April 2018
Publiziert : 12. Juli 2018
Quelle : Bundesgericht
Status : 144 IV 113
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Schlechterstellungsverbot (Art. 391 Abs. 2 StPO). Die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme im Rechtsmittelverfahren


Gesetzesregister
BV: 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
EMRK: 5
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
StGB: 56 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 56 - 1 Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
1    Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
a  eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen;
b  ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert; und
c  die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind.
2    Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist.
3    Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 und 64 sowie bei der Änderung der Sanktion nach Artikel 65 auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
a  die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters;
b  die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und
c  die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme.
4    Hat der Täter eine Tat im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begangen, so ist die Begutachtung durch einen Sachverständigen vorzunehmen, der den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut hat.
4bis    Kommt die Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1bis in Betracht, so stützt sich das Gericht beim Entscheid auf die Gutachten von mindestens zwei erfahrenen und voneinander unabhängigen Sachverständigen, die den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut haben.55
5    Das Gericht ordnet eine Massnahme in der Regel nur an, wenn eine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht.
6    Eine Massnahme, für welche die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ist aufzuheben.
59 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 59 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn:
1    Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn:
a  der Täter ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht; und
b  zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
2    Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung oder einer Massnahmevollzugseinrichtung.
3    Solange die Gefahr besteht, dass der Täter flieht oder weitere Straftaten begeht, wird er in einer geschlossenen Einrichtung behandelt. Er kann auch in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 behandelt werden, sofern die nötige therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet ist.57
4    Der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen.
63b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63b - 1 Ist die ambulante Behandlung erfolgreich abgeschlossen, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe nicht mehr vollzogen.
1    Ist die ambulante Behandlung erfolgreich abgeschlossen, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe nicht mehr vollzogen.
2    Wird die ambulante Behandlung wegen Aussichtslosigkeit (Art. 63a Abs. 2 Bst. b), Erreichen der gesetzlichen Höchstdauer (Art. 63a Abs. 2 Bst. c) oder Erfolglosigkeit (Art. 63a Abs. 3) aufgehoben, so ist die aufgeschobene Freiheitsstrafe zu vollziehen.
3    Erscheint die in Freiheit durchgeführte ambulante Behandlung für Dritte als gefährlich, so wird die aufgeschobene Freiheitsstrafe vollzogen und die ambulante Behandlung während des Vollzugs der Freiheitsstrafe weitergeführt.
4    Das Gericht entscheidet darüber, inwieweit der mit der ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe angerechnet wird. Liegen in Bezug auf die Reststrafe die Voraussetzungen der bedingten Entlassung oder der bedingten Freiheitsstrafe vor, so schiebt es den Vollzug auf.
5    An Stelle des Strafvollzugs kann das Gericht eine stationäre therapeutische Massnahme nach den Artikeln 59-61 anordnen, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer, mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen.
StPO: 212 
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 212 Grundsätze - 1 Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit. Sie darf nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen unterworfen werden.
1    Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit. Sie darf nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen unterworfen werden.
2    Freiheitsentziehende Zwangsmassnahmen sind aufzuheben, sobald:
a  ihre Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind;
b  die von diesem Gesetz vorgesehene oder von einem Gericht bewilligte Dauer abgelaufen ist; oder
c  Ersatzmassnahmen zum gleichen Ziel führen.
3    Untersuchungs- und Sicherheitshaft dürfen nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe.
344 
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 344 Abweichende rechtliche Würdigung - Will das Gericht den Sachverhalt rechtlich anders würdigen als die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, so eröffnet es dies den anwesenden Parteien und gibt ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.
391
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 391 Entscheid - 1 Die Rechtsmittelinstanz ist bei ihrem Entscheid nicht gebunden an:
1    Die Rechtsmittelinstanz ist bei ihrem Entscheid nicht gebunden an:
a  die Begründungen der Parteien;
b  die Anträge der Parteien, ausser wenn sie Zivilklagen beurteilt.
2    Sie darf Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten.
3    Sie darf Entscheide im Zivilpunkt nicht zum Nachteil der Privatklägerschaft abändern, wenn nur von dieser ein Rechtsmittel ergriffen worden ist.
BGE Register
126-I-172 • 132-I-21 • 133-I-168 • 133-I-270 • 136-IV-156 • 139-IV-270 • 144-IV-113
Weitere Urteile ab 2000
1B_136/2018 • 1B_25/2018 • 6B_253/2015 • 6B_265/2017 • 6B_955/2017
Stichwortregister
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bundesgericht • strafgericht • monat • freiheitsstrafe • vorinstanz • dauer • reformatio in peius • gefährdung des lebens • sicherheitshaft • wiese • beschwerde in strafsachen • ambulante behandlung • heer • verurteilter • verurteilung • strafprozess • sanktion • untersuchungshaft • frage • rechtsmittelinstanz
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ZStrR
1995 113 S.313