Urteilskopf

142 III 498

62. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern (Beschwerde in Zivilsachen) 5A_945/2015 vom 7. Juli 2016

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Sachverhalt ab Seite 499

BGE 142 III 498 S. 499

A.

A.a A. (Mutter) und B. (Vater) sind die nicht verheirateten Eltern einer gemeinsamen Tochter namens C. (geb. 2009). Die Eltern leben seit 2010 getrennt; sie sind beide sorgeberechtigt und betreuen ihre Tochter seit deren Kindergarteneintritt im August 2014 je zur Hälfte.
A.b Mit Schreiben vom 23. März 2015 teilte die Mutter der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern mit, sie beabsichtige den Lebensmittelpunkt nach Spanien zu verlegen. Der Vater erklärte sich mit einer Ausreise zusammen mit dem Kind nicht einverstanden.
B. Mit Entscheid vom 10. Juni 2015 wies die KESB das Gesuch der Mutter um Zustimmung zum Wechsel des Aufenthaltsortes ihrer Tochter ab. Mit Entscheid vom 21. Oktober 2015 gab das Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht (nachfolgend: Obergericht) der von der Mutter gegen den Kammerentscheid eingelegten Beschwerde nicht statt.
C. Die Mutter (Beschwerdeführerin) hat am 26. November 2015 gegen den obergerichtlichen Entscheid beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt (...), ihr die Ausreise mit ihrer Tochter nach Spanien zu bewilligen. Eventualiter sei die Ausreise mit Auflagen zu verbinden. Subeventualiter sei der Entscheid aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...) Nach öffentlicher Beratung weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist. (Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. (...)

4.4 Die Kriterien, die das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Obhutszuteilung im Trennungs- oder Scheidungsfall entwickelt hat, können auf die Anwendung von Art. 301a
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 301a - 1 Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
1    Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
2    Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde, wenn:
a  der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt; oder
b  der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat.
3    Übt ein Elternteil die elterliche Sorge allein aus und will er den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so muss er den anderen Elternteil rechtzeitig darüber informieren.
4    Dieselbe Informationspflicht hat ein Elternteil, der seinen eigenen Wohnsitz wechseln will.
5    Soweit dies erforderlich ist, verständigen sich die Eltern unter Wahrung des Kindeswohls über eine Anpassung der Regelung der elterlichen Sorge, der Obhut, des persönlichen Verkehrs und des Unterhaltsbeitrages. Können sie sich nicht einigen, entscheidet das Gericht oder die Kindesschutzbehörde.
ZGB übertragen werden. Für die Neuregelung der Eltern-Kind-Verhältnisse haben die Interessen der Eltern in den Hintergrund zu treten; abzustellen ist auf die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, auf ihre
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erzieherischen Fähigkeiten und die Bereitschaft, die Kinder in eigener Obhut zu haben und sie weitgehend persönlich zu betreuen und zu pflegen, sowie auf das Bedürfnis der Kinder nach der für eine harmonische Entfaltung in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht notwendigen Stabilität der Verhältnisse, welches bei gleicher Erziehungs- und Betreuungsfähigkeit besonderes Gewicht erhält (Urteil 5A_375/2008 vom 11. August 2008 E. 2).
4.5 Im konkreten Fall haben die Parteien das Modell der hälftigen Betreuung ihrer Tochter gewählt. Beide Eltern haben bislang ihr Kind persönlich betreut und gedenken, in Zukunft zu arbeiten. Während die Beschwerdeführerin in Spanien zu 60 % einer ausserhäuslichen Arbeit nachgehen will, beabsichtigt der Beschwerdegegner zu 70-80 % als (...) tätig zu sein. Damit aber sind beide Parteien auf Fremdbetreuung angewiesen und erweist sich das Element der Eigenbetreuung als wertneutral. Die Tochter der Parteien wurde im Juni dieses Jahres sieben Jahre alt. Sie ist damit tendenziell noch personenorientiert; jedenfalls lässt sich nicht von einer gefestigten Umgebungsverbundenheit und einem Freundeskreis usw. sprechen. Auch die Einschulung dürfte erst bevorstehen und wäre grundsätzlich auch in Spanien möglich. Es ist jedoch zu beachten, dass die Beschwerdeführerin die Sprache nicht spricht, in Spanien keine Wurzeln und abgesehen von der Beziehung zur Partnerin keine Bezugspunkte zu diesem Land hat. Der vorliegende Fall, in dem die Beschwerdeführerin in ein auch für sie fremdes Land auswandert, ist nicht mit jenem vergleichbar, in dem ein Elternteil in sein Heimatland und seinen eigenen Familienkreis zurückkehren will. Im letzteren Fall sind die Kinder in aller Regel schon bisher zweisprachig aufgewachsen, mit der anderen Kultur vertraut und mit der dortigen Familie (Grosseltern, Onkeln und Tanten usw.) bekannt. Der Aspekt der Kontinuität der Verhältnisse spricht vorliegend für einen Verbleib der Tochter in der Schweiz. Die Beschwerdeführerin hält dem Beschwerdegegner vor, er könne der Tochter einen weniger stabilen Rahmen bieten; das Obergericht ist der Auffassung, dass die (bisher als Fernbeziehung geführte) Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrer Partnerin in Spanien wenig gefestigt sei. Die Fachbehörden halten beide Elternteile für fähig, das Kind zu erziehen. Dieser Aspekt dürfte - soweit Prognosen überhaupt möglich sind - mit Bezug auf die Frage der Bewilligung des Wegzuges zusammen mit der Tochter in etwa wertneutral sein. Dass
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der Vater momentan arbeitslos ist, darf keine ausschlaggebende Rolle spielen; dem Kind droht dadurch keine Gefahr. Auf der anderen Seite kann der Beschwerdeführerin weder vorgehalten werden, dass die Partnerschaft erst zwei Jahre dauert, noch dass sie noch eine Arbeitsstelle wird finden müssen: Es geht nicht um einen Wegzug ins Nichts; die Beschwerdeführerin zieht vielmehr zu ihrer Partnerin nach Spanien in deren familiäres Umfeld. In Bezug auf die Stabilität der Verhältnisse darf und muss aber im Zusammenhang mit dem Kindeswohl berücksichtigt werden, dass es sich nicht um eine registrierte Partnerschaft handelt, sodass die Beschwerdeführerin bei deren Auflösung (bzw. bei einem Scheitern des tatsächlichen Zusammenlebens, welches bislang noch nicht stattgefunden hat) ungeschützt wäre. Weil Spanien ihr selbst (auch sprachlich) ein fremdes Land ist, würde sie diesfalls wohl in die Schweiz zurückkehren, was mit einem grundsätzlich nicht wünschbaren Hin und Her für das Kind verbunden wäre. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass das Obergericht auch diese Aspekte als für einen Verbleib des Kindes in der Schweiz sprechend ansah. Die Tochter spricht sich für einen Verbleib in der Schweiz aus, wobei sie an beiden Elternteilen hängt und weiterhin engen Kontakt mit beiden möchte. Bei der Anhörung dürfte sie rund 6-jährig gewesen sein. Das Obergericht hat zutreffend festgehalten, sie habe sich deshalb noch kein umfassendes Bild darüber machen können, was ein Wegzug bedeuten würde. Indes spiegeln die betreffenden Äusserungen bei einem 6-jährigen Kind seine verständliche Angst, aus seiner gewohnten Umgebung herausgelöst, in ein fremdes Land geschickt zu werden und dort in einer ihm unbekannten Sprache zur Schule gehen zu müssen. Ein abrupter Wechsel an einen nicht vertrauten Ort und die Einschulung in einer unvertrauten Sprache sind nicht im Interesse des Kindes. Den bisherigen Ausführungen zufolge sind beide Elternteile nach Einschätzung der Fachstellen erziehungsgeeignet und haben dies auch langjährig durch Tat bewiesen. Weder bei einem Verbleib in der Schweiz und damit beim Beschwerdegegner noch bei einem Wegzug mit der Beschwerdeführerin droht eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls. Vor dem Hintergrund, dass die Eltern ihre Tochter bislang je hälftig betreut haben, sind nach den zutreffenden Überlegungen des Obergerichtes weitere Kriterien beizuziehen. Die vorstehend angestellten Überlegungen zum Kindeswohl sprechen überwiegend zugunsten eines Verbleibes des Kindes am bisherigen Ort.
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4.6 Auch die übrigen, noch nicht behandelten Vorbringen der Beschwerdeführerin lassen den angefochtenen Entscheid nicht als bundesrechtswidrig erscheinen: Entgegen ihrer Behauptung hat die Vorinstanz die Stossrichtung von Art. 301a
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 301a - 1 Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
1    Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
2    Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde, wenn:
a  der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt; oder
b  der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat.
3    Übt ein Elternteil die elterliche Sorge allein aus und will er den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so muss er den anderen Elternteil rechtzeitig darüber informieren.
4    Dieselbe Informationspflicht hat ein Elternteil, der seinen eigenen Wohnsitz wechseln will.
5    Soweit dies erforderlich ist, verständigen sich die Eltern unter Wahrung des Kindeswohls über eine Anpassung der Regelung der elterlichen Sorge, der Obhut, des persönlichen Verkehrs und des Unterhaltsbeitrages. Können sie sich nicht einigen, entscheidet das Gericht oder die Kindesschutzbehörde.
ZGB richtig erkannt und hat im Ergebnis der bundesgerichtlichen Auslegung von Art. 301a
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 301a - 1 Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
1    Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
2    Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde, wenn:
a  der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt; oder
b  der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat.
3    Übt ein Elternteil die elterliche Sorge allein aus und will er den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so muss er den anderen Elternteil rechtzeitig darüber informieren.
4    Dieselbe Informationspflicht hat ein Elternteil, der seinen eigenen Wohnsitz wechseln will.
5    Soweit dies erforderlich ist, verständigen sich die Eltern unter Wahrung des Kindeswohls über eine Anpassung der Regelung der elterlichen Sorge, der Obhut, des persönlichen Verkehrs und des Unterhaltsbeitrages. Können sie sich nicht einigen, entscheidet das Gericht oder die Kindesschutzbehörde.
ZGB entsprechend den Überlegungen des Kindeswohls den massgebenden Stellenwert eingeräumt. Aufgrund des Gesetzgebungsprozesses lässt sich auch das von der Beschwerdeführerin zum Grundsatz erklärte voraussetzungslose Zustimmungsgebot nicht vertreten. Bezüglich des von der Beschwerdeführerin angesprochenen Dreikreise-Modells, das im Ausländerrecht Anwendung findet und zwischen Ländern verschiedener Kreise unterscheidet, genügt ein Hinweis auf Art. 301 Abs. 2 lit. a
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 301 - 1 Die Eltern leiten im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen.
1    Die Eltern leiten im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen.
1bis    Der Elternteil, der das Kind betreut, kann allein entscheiden, wenn:
1  die Angelegenheit alltäglich oder dringlich ist;
2  der andere Elternteil nicht mit vernünftigem Aufwand zu erreichen ist.392
2    Das Kind schuldet den Eltern Gehorsam; die Eltern gewähren dem Kind die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten, soweit tunlich, auf seine Meinung Rücksicht.
3    Das Kind darf ohne Einwilligung der Eltern die häusliche Gemeinschaft nicht verlassen; es darf ihnen auch nicht widerrechtlich entzogen werden.
4    Die Eltern geben dem Kind den Vornamen.
ZGB. Diese Bestimmung spricht ganz allgemein vom Aufenthaltsort im Ausland und unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Ländern. Der Gesetzgeber liess sich dabei von der Überlegung leiten, dass ein Wegzug ins Ausland regelmässig zur Begründung einer ausländischen Jurisdiktion führt und sich daher die spätere Durchsetzung einer in der Schweiz getroffenen Regelung der elterlichen Sorge entsprechend schwieriger gestaltet (Botschaft des Bundesrates vom 16. November 2011 zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Elterliche Sorge], BBl 2011 9107 f. zu Art. 301a). Schliesslich lässt sich auch eine Zustimmung unter Auflagen weder mit den Materialien noch dem Gesetzeswortlaut vereinbaren.
4.7 Zusammenfassend hält der angefochtene Entscheid den gesetzlichen Anforderungen von Art. 301a
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 301a - 1 Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
1    Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
2    Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde, wenn:
a  der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt; oder
b  der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat.
3    Übt ein Elternteil die elterliche Sorge allein aus und will er den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so muss er den anderen Elternteil rechtzeitig darüber informieren.
4    Dieselbe Informationspflicht hat ein Elternteil, der seinen eigenen Wohnsitz wechseln will.
5    Soweit dies erforderlich ist, verständigen sich die Eltern unter Wahrung des Kindeswohls über eine Anpassung der Regelung der elterlichen Sorge, der Obhut, des persönlichen Verkehrs und des Unterhaltsbeitrages. Können sie sich nicht einigen, entscheidet das Gericht oder die Kindesschutzbehörde.
ZGB stand. Der Vorwurf der Verletzung von Bundesrecht erweist sich als unbegründet. (...)
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 142 III 498
Date : 07. Juli 2016
Published : 17. November 2016
Source : Bundesgericht
Status : 142 III 498
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Art. 301a Abs. 2 lit. a ZGB; Verlegung des Aufenthaltsortes des Kindes ins Ausland bei fehlender Zustimmung eines Elternteils;


Legislation register
ZGB: 301  301a
BGE-register
142-III-498
Weitere Urteile ab 2000
5A_375/2008 • 5A_945/2015
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BBl
2011/9107