140 IV 102
14. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Uri (Beschwerde in Strafsachen) 6B_697/2013 vom 28. April 2014
Regeste (de):
- Rassendiskriminierung; öffentliche Verbreitung von rassendiskriminierenden Ideologien (Art. 261bis Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft,
- Der sog. "Hitlergruss" in der Öffentlichkeit erfüllt den Tatbestand, wenn er sich nicht in einem eigenen Bekenntnis zur dadurch symbolisierten nationalsozialistischen Ideologie erschöpft, sondern nach den Umständen darauf gerichtet ist, unbeteiligte Dritte werbend für diese Ideologie zu gewinnen. Tatbestandsmässigkeit im konkreten Fall verneint (E. 2).
Regeste (fr):
- Discrimination raciale; propagation publique d'une idéologie raciste (art. 261bis al. 2 CP).
- Le salut hitlérien effectué en public réalise les éléments constitutifs de l'infraction de discrimination raciale si son auteur ne se limite pas à afficher ses convictions nationales-socialistes personnelles, mais vise au contraire à propager cette idéologie auprès de tiers. Les éléments constitutifs de cette infraction ne sont pas réalisés dans le cas concret (consid. 2).
Regesto (it):
- Discriminazione razziale; propagazione pubblica di un'ideologia razzista (art. 261bis cpv. 2 CP).
- Il cosiddetto saluto nazista compiuto in pubblico adempie la fattispecie di discriminazione razziale ove non si esaurisca in una personale professione dell'ideologia nazionalsocialista di cui è il simbolo, ma sia inteso, secondo le circostanze, a promuovere tale ideologia a terzi. Nel caso concreto gli elementi costitutivi del reato non sono realizzati (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 103
BGE 140 IV 102 S. 103
A. X. nahm am 8. August 2010 an einer Veranstaltung der Z. Partei auf dem Rütli teil. Beim gemeinsamen Aufsagen des Rütlischwurs aus Friedrich Schillers "Wilhelm Tell" streckte er während ca. 20 Sekunden seinen rechten Arm mit flacher Hand auf Augenhöhe schräg nach oben zum sog. "Hitlergruss". Ausser den rund 150 Veranstaltungsteilnehmern und den Polizeibeamten waren zur fraglichen Zeit auch einige unbeteiligte Dritte als Wanderer und Spaziergänger auf der Rütliwiese zugegen, welche die Veranstaltung wahrnehmen konnten.
B. Das Obergericht des Kantons Uri sprach X. mit Urteil vom 28. Mai 2013 in Bestätigung des Entscheids des Landgerichtsvizepräsidiums Uri vom 26. Juni 2012 der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
D. Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Uri haben auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
BGE 140 IV 102 S. 104
Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft, wer (Abs. 2) öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind, wer (Abs. 3) mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt.
2.1
2.1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die inkriminierte Gebärde sei nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, sondern auch zu früheren Zeiten in anderen Gesellschaften zum Gruss verwendet worden, etwa als Römergruss und als olympischer Gruss. Die fragliche Gebärde sei auch vielfach von Anhängern von rechten und rechtsextremen Parteien und Gruppierungen praktiziert worden als Gegensatz zum kommunistischen Gruss durch den gestreckten Arm mit geballter Faust.
2.1.2 Es trifft zu, dass die fragliche Gebärde auch zu anderen Zeiten und in anderen Zusammenhängen verwendet wurde. Sie wird aber heutzutage und hierzulande vom unbefangenen durchschnittlichen Betrachter als sog. "Hitlergruss" verstanden, der in der Zeit des Nationalsozialismus namentlich in Deutschland praktiziert wurde.
2.2
2.2.1 Der sog. "Hitlergruss" ist ein Kennzeichen des Nationalsozialismus, dessen Gedankengut im Sinne von Art. 261bis Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
2.2.2 Den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 2
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
BGE 140 IV 102 S. 105
propaga ... un'ideologia ...") ergibt (siehe NIGGLI, Rassendiskriminierung, Ein Kommentar zu Art. 261bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG) MStG Art. 171c - 1 Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
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1 | Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
2 | In leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 258 - Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 263 - 1 Wer infolge selbstverschuldeter Trunkenheit oder Betäubung unzurechnungsfähig ist und in diesem Zustand eine als Verbrechen oder Vergehen bedrohte Tat verübt, wird mit Geldstrafe bestraft.350 |
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1 | Wer infolge selbstverschuldeter Trunkenheit oder Betäubung unzurechnungsfähig ist und in diesem Zustand eine als Verbrechen oder Vergehen bedrohte Tat verübt, wird mit Geldstrafe bestraft.350 |
2 | Hat der Täter in diesem selbstverschuldeten Zustand ein mit Freiheitsstrafe als einzige Strafe bedrohtes Verbrechen begangen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.351 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261bis - Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft, |
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2.2.3 Gemäss den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates vom 2. März 1992 kann unter Propaganda auch eine "averbale Kommunikation (z.B. Hitlergruss)" fallen (Botschaft, a.a.O., S. 312). Die Lehre nimmt an, dass der sog. "Hitlergruss" selbst bereits ein werbendes Verbreiten darstellen kann. Dies allerdings nur, wenn die so gegrüsste Person diese Ideologie nicht teilt. Werde die Geste dagegen unter Gleichgesinnten verwendet, so dürfte darin jedenfalls kein "Verbreiten" im Sinne von Art. 261bis Abs. 2
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BGE 140 IV 102 S. 106
qualifizieren, wenn er sich nach aussen, an eine unbeteiligte Öffentlichkeit richtet (NIGGLI, a.a.O., N. 1196; SCHLEIMINGER METTLER, a.a.O., N. 39 zu Art. 261bis
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2.2.4 Der Bundesrat schlug in teilweiser Erfüllung der Motion 04. 3224 der Rechtskommission des Nationalrats vom 29. April 2004 mit Bericht und Vorentwurf vom Juni 2009 über die Ergänzung des Schweizerischen Strafgesetzbuches betreffend rassistische Symbole einen neuen Artikel 261ter
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BGE 140 IV 102 S. 107
dass mit der Abschreibung der Motion keineswegs darauf verzichtet werde, den Gebrauch von Symbolen rassistischer Ideologien in der Öffentlichkeit zu bestrafen. Die Verwendung solcher Symbole in der Öffentlichkeit sei nach geltendem Recht, Art. 261bis
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2.2.5 Daraus ergibt sich Folgendes. Wird der sog. "Hitlergruss" nicht in der Öffentlichkeit, sondern im privaten Rahmen verwendet, ist Art. 261bis
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2.3 Der Beschwerdeführer hob anlässlich einer Veranstaltung der Z. Partei beim gemeinsamen Aufsagen des Rütlischwurs aus Friedrich Schillers "Wilhelm Tell" den rechten Arm während rund 20 Sekunden zum sog. "Hitlergruss". Die Veranstaltung wurde von Spaziergängern wahrgenommen.
BGE 140 IV 102 S. 108
Unter den gegebenen Umständen war die Gebärde des Beschwerdeführers bei objektiver Betrachtung nicht dazu bestimmt, über das dadurch allenfalls bekundete eigene Bekenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie hinaus werbend unbeteiligte Dritte für diese Ideologie zu gewinnen. Der Tatbestand von Art. 261bis Abs. 2
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2.4 Die öffentliche Verwendung des sog. "Hitlergrusses" kann unter Umständen, je nach den örtlichen Gegebenheiten und/oder dem Adressatenkreis, den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 4
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