136 II 415
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 1C_438/2009 vom 16. Juni 2010
Regeste (de):
- Art. 82
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 82 Grundsatz - Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden:
a gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts; b gegen kantonale Erlasse; c betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen. SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft.
- Die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und einer privaten Sterbehilfeorganisation stellt kein zulässiges Anfechtungsobjekt nach Art. 82
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 82 Grundsatz - Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden:
a gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts; b gegen kantonale Erlasse; c betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen. - Verstoss der Vereinbarung insbesondere gegen die abschliessende Regelung der Beihilfe zum Selbstmord durch Art. 115
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft.
- Nichtigkeit in Bezug auf die gesamte Vereinbarung (E. 3).
Regeste (fr):
- Art. 82 LTF, art. 115 CP, art. 44 OStup; accord sur l'assistance organisée au suicide.
- L'accord passé entre le Ministère public du canton de Zurich et une organisation privée d'assistance au suicide n'est pas un acte susceptible de recours au sens de l'art. 82 LTF. Le besoin de protection juridique existant commande cependant de vérifier si cet accord n'est pas tout simplement nul (consid. 1).
- L'accord contrevient en particulier à la réglementation exhaustive de l'assistance au suicide mise en place à l'art. 115 CP et à la législation en matière de stupéfiants (consid. 2.2-2.5). La conclusion d'un contrat de droit administratif dans ce domaine n'est pas admissible (consid. 2.6).
- L'accord est nul dans son ensemble (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 82 LTF, art. 115 CP, art. 44 OStup; convenzione sull'aiuto al suicidio organizzato.
- La convenzione conclusa tra il Ministero pubblico del Canton Zurigo e un'organizzazione privata di aiuto al suicidio non costituisce un atto suscettibile d'impugnazione ai sensi dell'art. 82 LTF. Le attuali necessità di protezione giuridica impongono nondimeno di esaminare se la convenzione non sia addirittura nulla (consid. 1).
- La convenzione viola in particolare la regolamentazione esaustiva dell'aiuto al suicidio disciplinata dall'art. 115 CP e la normativa in materia di stupefacenti (consid. 2.2-2.5). Inammissibilità di stipulare un contratto di diritto amministrativo in tale ambito (consid. 2.6).
- Nullità della convenzione nel suo insieme (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 416
BGE 136 II 415 S. 416
A. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Verein X. haben am 7. Juli 2009 eine Vereinbarung über die organisierte Suizidhilfe abgeschlossen. Zweck der Vereinbarung ist gemäss deren Ziff. 1, "die organisierte Suizidhilfe zwecks Qualitätssicherung gewissen Rahmenbedingungen zu unterstellen". Die Vereinbarung enthält unter anderem Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Ablauf der Suizidhilfe, das Sterbemittel (Natrium-Pentobarbital), dessen Verschreibung und den Umgang damit. Weiter werden das Vorgehen der Strafuntersuchungsbehörden nach gewährter Suizidhilfe und die Meldung von Verstössen gegen die Vereinbarung geregelt.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 10. September 2009 beantragen A., B., C., D., E., F., G. und H., die Vereinbarung sei aufzuheben. Sie rügen eine Verletzung verschiedener verfassungsmässiger Rechte sowie der Heilmittel- und Betäubungsmittelgesetzgebung des Bundes. (...) Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein und stellt im Urteilsdispositiv fest, dass die Vereinbarung nichtig ist. (Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1 Gemäss Art. 82
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 82 Grundsatz - Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden: |
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a | gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts; |
b | gegen kantonale Erlasse; |
c | betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen. |
BGE 136 II 415 S. 417
Verwaltungsverordnungen sind generelle Dienstanweisungen und richten sich an untergeordnete Behörden oder Personen (BGE 128 I 167 E. 4.3 S. 171 mit Hinweisen). Die vorliegend umstrittene Vereinbarung weist gewisse Züge einer Verwaltungsverordnung auf. So enthält Ziff. 5.2 der Vereinbarung verschiedene Bestimmungen über das Vorgehen der Strafuntersuchungsbehörden. Zudem können die Adressaten der Vereinbarung bei ihrer Befolgung grundsätzlich damit rechnen, dass keine Meldung an die zuständigen Behörden erfolgt und dass gegen sie kein Strafverfahren eröffnet wird (vgl. Ziff. 10.2 der Vereinbarung). In entscheidender Weise gegen eine Qualifizierung als Verwaltungsverordnung spricht indessen der Umstand, dass sich die Vereinbarung an eine einzige Organisation (den Verein X.) richtet und somit individueller, nicht genereller Natur ist. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass allenfalls andere Organisationen unter Berufung auf rechtsgleiche Behandlung verlangen könnten, dass mit ihnen eine Vereinbarung mit entsprechendem Inhalt geschlossen werde. Schliesslich ist nicht zu übersehen, dass die Vereinbarung nur aus wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung gekündigt werden kann (Ziff. 11 der Vereinbarung), während Verwaltungsverordnungen im Interesse einer effizienten Aufgabenerfüllung der Verwaltung leicht abgeändert und an neue Entwicklungen angepasst werden können sollen. Damit ergibt sich, dass gegen die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft und dem Verein X. die Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten nicht zulässig ist (Art. 82 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 82 Grundsatz - Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden: |
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a | gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts; |
b | gegen kantonale Erlasse; |
c | betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen. |
1.2 Liegt kein zulässiges Anfechtungsobjekt vor, so ist grundsätzlich auf die Beschwerde ohne jede materielle Prüfung nicht einzutreten. Indessen ist bei Vorliegen eines entsprechenden Rechtsschutzbedürfnisses zu untersuchen, ob sich die Vereinbarung nicht als geradezu nichtig erweist. Auch dies würde dazu führen, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Die Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten. Sie kann auch im Rechtsmittelverfahren festgestellt werden (BGE 132 II 342 E. 2.1 S. 346 mit Hinweisen).
1.3 Die Beschwerdeführer D. bis H. sind natürliche Personen. Ihr Rechtsschutzbedürfnis entscheidet sich danach, ob sie zumindest virtuell (das heisst mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal) in ihren tatsächlichen Interessen betroffen sein könnten (Art. 89 Abs. 1 lit. b
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 89 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer: |
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1 | Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer: |
a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; |
b | durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist; und |
c | ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. |
2 | Zur Beschwerde sind ferner berechtigt: |
a | die Bundeskanzlei, die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann; |
b | das zuständige Organ der Bundesversammlung auf dem Gebiet des Arbeitsverhältnisses des Bundespersonals; |
c | Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt; |
d | Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt. |
3 | In Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c) steht das Beschwerderecht ausserdem jeder Person zu, die in der betreffenden Angelegenheit stimmberechtigt ist. |
BGE 136 II 415 S. 418
S. 35 mit Hinweisen). Diesbezüglich machen die Beschwerdeführer geltend, es sei nach der Vereinbarung nicht ausgeschlossen, dass dem Suizidwunsch einer psychisch kranken oder dementen Person Rechnung getragen werde. Das festgelegte Verfahren könne zudem nicht mit Sicherheit verhindern, dass in solchen Fällen fälschlicherweise eine Therapiemöglichkeit verneint werde. Sollten sie je einmal in die Situation geraten, aus psychischem Leiden heraus oder bei Demenz Suizid begehen zu wollen, bestünde die Gefahr, dass ihre Urteilsfähigkeit bejaht werden könnte und infolgedessen ihr Leben nicht ausreichend geschützt wäre. Dem hält die Oberstaatsanwaltschaft entgegen, dass gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Suizidbegleitung psychisch kranker und dementer Personen unter engen Voraussetzungen zulässig sei, sofern deren Urteilsfähigkeit bezüglich des Sterbewunsches mittels eines Fachgutachtens belegt sei. Die Vereinbarung gehe nicht darüber hinaus. Mit dem sinngemässen Argument, dass in der Vereinbarung nichts stehe, was sich nicht ohnehin aus Gesetz und Rechtsprechung ergebe, vermag die Oberstaatsanwaltschaft die virtuelle Betroffenheit, wie sie die Beschwerdeführer zutreffend dargelegt haben, nicht in Frage zu stellen. Dass eine, wenn auch geringe Möglichkeit besteht, dass die Beschwerdeführer in Zukunft einmal von der Vereinbarung betroffen sein könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Die virtuelle Betroffenheit ist deshalb zu bejahen. Inwiefern die Vereinbarung in Einklang mit der Gesetzgebung und der Rechtsprechung steht, betrifft dagegen die materielle Beurteilung. Ist das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer 4 bis 8 nach dem Gesagten zu bejahen, so kann offenbleiben, wie es sich diesbezüglich mit den übrigen Beschwerdeführern verhält.
1.4 Die Vereinbarung kann nicht mit einem kantonalen Rechtsmittel angefochten werden (vgl. Art. 87 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 87 Vorinstanzen bei Beschwerden gegen Erlasse - 1 Gegen kantonale Erlasse ist unmittelbar die Beschwerde zulässig, sofern kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden kann. |
|
1 | Gegen kantonale Erlasse ist unmittelbar die Beschwerde zulässig, sofern kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden kann. |
2 | Soweit das kantonale Recht ein Rechtsmittel gegen Erlasse vorsieht, findet Artikel 86 Anwendung. |
2.
2.1 Ob die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft und dem Verein X. nichtig ist, beurteilt sich einerseits nach ihrem Inhalt (E. 2.2-2.5 hiernach) und andererseits danach, ob eine
BGE 136 II 415 S. 419
hinreichende gesetzliche Grundlage für ihren Abschluss bestand (E. 2.6 hiernach), wobei diese beiden Fragen zusammenhängen.
2.2 Die Beschwerdeführer argumentieren, selbst wenn man davon ausgehe, dass die Vereinbarung nicht im Widerspruch zu Art. 115
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
2.3
2.3.1 Gemäss Art. 123 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 123 Strafrecht - 1 Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts ist Sache des Bundes. |
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1 | Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts ist Sache des Bundes. |
2 | Für die Organisation der Gerichte, die Rechtsprechung in Strafsachen sowie den Straf- und Massnahmenvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. |
3 | Der Bund kann Vorschriften zum Straf- und Massnahmenvollzug erlassen. Er kann den Kantonen Beiträge gewähren: |
a | für die Errichtung von Anstalten; |
b | für Verbesserungen im Straf- und Massnahmenvollzug; |
c | an Einrichtungen, die erzieherische Massnahmen an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vollziehen.95 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist. |
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1 | Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist. |
2 | Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen. |
2.3.2 Die Strafuntersuchungsbehörden werden durch die Vereinbarung verbindlich angewiesen, wie sie nach einer gewährten Suizidhilfe vorzugehen haben (Ziff. 5.2 der Vereinbarung). Die Adressaten der Vereinbarung können grundsätzlich damit rechnen, dass bei deren Befolgung keine Meldung an die zuständigen Behörden erfolgt und dass gegen sie kein Strafverfahren eröffnet wird (Ziff. 10.2 der Vereinbarung). In materieller Hinsicht regelt die Vereinbarung unter anderem, unter welchen Voraussetzungen Suizidbeihilfe geleistet werden darf. So ist diese nur dann zu gewähren, wenn der Suizidwunsch aus einem schweren, krankheitsbedingten Leiden heraus entstanden ist. Fachpersonen oder Personen der Suizidhilfeorganisation müssen zusammen mit der suizidwilligen Person mögliche Alternativen zum Suizid wie medizinische Behandlung, Therapie (insbesondere Palliativtherapie) und Sozialhilfe abklären und dem Wunsch der suizidwilligen Person entsprechend ausschöpfen. Bei psychisch gesunden Personen ist die Urteilsfähigkeit bezogen auf den Suizidwunsch durch die Suizidhelfer und die mit der suizidwilligen Person befassten Ärzte in der Regel mittels wiederholter, länger dauernder und
BGE 136 II 415 S. 420
im Abstand mehrerer Wochen geführter persönlicher Gespräche zu klären. Dabei sind Lebenssituation, Umfeld und Lebensgeschichte anzusprechen. Ist die Suizidalität Ausdruck oder Symptom einer psychischen Krankheit, so darf gemäss der Vereinbarung grundsätzlich keine Suizidhilfe gewährt werden. Psychisch kranke Personen können laut der Vereinbarung bezüglich ihres Sterbewunsches jedoch durchaus urteilsfähig sein, wobei eine solche Annahme äusserste Zurückhaltung gebiete. Es wird deshalb ein entsprechendes psychiatrisches Fachgutachten gefordert. Die Vereinbarung regelt weiter die Voraussetzungen von Suizidbeihilfe für Personen mit fortschreitender Demenz und besondere Fälle (geplante Doppelsuizide und suizidwillige junge Personen), zudem enthält sie Bestimmungen über die Autonomie, Wohlerwogenheit und Konstanz des Suizidentscheids (zum Ganzen: Ziff. 4 der Vereinbarung).
2.3.3 Art. 115
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
2.3.4 In ihrer Gesamtheit bedeuten die Bestimmungen der Vereinbarung eine Präzisierung von Art. 115
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
BGE 136 II 415 S. 421
2007 Nr. 3 S. 4; EBNER/KURT, Suizidbeihilfe bei Psychischkranken, Schweizerische Ärztezeitung 86/2005 S. 880 ff.; GERHARD EBNER, Assistierter Suizid bei psychisch Kranken - eine Gratwanderung?, in: Sicherheitsfragen der Sterbehilfe, 2008, S. 245 ff.; CÉCILE ERNST, Assistierter Suizid in den Stadtzürcher Alters- und Krankenheimen, Schweizerische Ärztezeitung 82/2001 S. 293 ff.; FREI/SCHENKER/FINZEN/HOFFMANN-RICHTER, Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken, Der Nervenarzt 11/1999 S. 1014 ff.; MARIO GMÜR, Suizidbeihilfe und Urteilsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht, Schweizerische Ärztezeitung 89/2008 S. 1 ff.; DANIEL HELL, Ergebnisse der Suizidforschung, in: Beihilfe zum Suizid in der Schweiz, 2006, S. 24; JEAN MARTIN, Suizidbeihilfe und "Lebensmüdigkeit", Schweizerische Ärztezeitung 89/2008 S. 2098; Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, Thesen über Suizidbeihilfe vom 15. September 2004, Ziff. 4; FRANK PETERMANN, Demenz-Erkrankungen und Selbstbestimmung - ein Widerspruch in sich?, in: Sicherheitsfragen der Sterbehilfe, 2008, S. 153 ff., insb. 167 ff.; MARTIN SCHUBARTH, Assistierter Suizid und Tötung auf Verlangen, ZStrR 127/2009 S. 3 ff.; JOHANN FRIEDRICH SPITTLER, Urteilsfähigkeit zum Suizid - eine neurologisch-psychiatrische Sicht, in: Sterbehilfe, 2006, S. 99 ff.; VENETZ, a.a.O., S. 147 ff.). Erkenntnisse der Suizidforschung und die Erfahrungen von Fachpersonen zeigen, dass der Suizidwunsch regelmässig Ausdruck einer existentiellen Krisensituation ist und kaum Zeugnis eines in sich abgeklärten und gefestigten Willens. Bekannt ist zudem die Labilität des Todeswunsches, gerade auch bei Schwerkranken. Zudem scheint das Sterben-Wollen wesentlich von Schmerzen, von depressiven Symptomen und der erlebten Qualität der Pflege abhängig zu sein, aber auch von der Furcht, im Stich gelassen zu werden und andern zur Last zu fallen, schliesslich von der Sorge um die finanziellen Folgen der Pflege (REGINA KIENER, Organisierte Suizidhilfe zwischen Selbstbestimmungsrecht und staatlichen Schutzpflichten, ZSR 129/2010 I S. 271 ff. mit Hinweisen). Damit erscheint fraglich, ob die Urteilsfähigkeit bezüglich des Sterben-Wollens das ausschlaggebende Kriterium für die Bejahung eines autonomen Sterbewunsches sein kann. Es drängt sich auf, die Beantwortung derartiger Fragen und die Umschreibung allfälliger Rechtfertigungsgründe für die sogenannte organisierte Sterbehilfe dem Bundesgesetzgeber vorzubehalten.
2.3.5 Das Bundesgericht hat sich in BGE 133 I 58 mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Tötungsmittel Natrium-Pentobarbital
BGE 136 II 415 S. 422
einem Sterbewilligen nach dem Betäubungsmittel- und dem Heilmittelrecht ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden kann. Dabei hat es unter Hinweis auf ethische, rechtliche und medizinische Stellungnahmen in der Literatur ausgeführt, dass unterschieden werde zwischen dem Sterbewunsch als Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung und dem wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person. In letzterem Fall dürfe "unter Umständen" auch psychisch Kranken Natrium-Pentobarbital verschrieben werden (a.a.O., E. 6.3.5.1 S. 74 f. mit Hinweisen). Vorausgesetzt sei ein psychiatrisches Fachgutachten, was wiederum nur als sichergestellt erscheine, wenn an der ärztlichen Verschreibungspflicht festgehalten und die Verantwortung nicht (allein) in die Hände privater Sterbehilfeorganisationen gelegt werde (a.a.O., E. 6.3.5.2 S. 75 mit Hinweisen). Mit diesen Ausführungen hat sich das Bundesgericht allerdings weder in abschliessender Weise noch im strafrechtlichen Kontext mit den Voraussetzungen der straffreien organisierten Suizidbeihilfe bei psychisch kranken Personen auseinandergesetzt. In einem einzigen Fall musste sich das Bundesgericht bisher mit der strafrechtlichen Seite der Suizidbeihilfe befassen. Es bestätigte dabei ein kantonales Urteil, welches einen sogenannten "Sterbebegleiter" wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt hatte. Dieser hatte in Kauf genommen, auf den Todeswunsch einer urteilsunfähigen Person abzustellen (Urteil 6B_48/2009 vom 11. Juni 2009 insbesondere E. 5.3.2).
2.3.6 Entgegen der Meinung der Beschwerdegegner trifft somit nicht zu, dass die Bestimmungen der Vereinbarung ausschliesslich deklaratorischer Natur sind und lediglich wiedergeben, was bereits in der Gesetzgebung (Art. 115
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
BGE 136 II 415 S. 423
Rechtliche Überlegungen zur Problematik der Rezeptierung und Verfügbarkeit von Natrium-Pentobarbital, AJP 2006 S. 447 ff.; MARTIN SCHUBARTH, a.a.O., S. 3 ff.; Urteil 2C_839/2008 vom 1. April 2009 E. 3.2.2 mit Hinweisen).
2.4 Für die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital gilt Art. 44 BetmV (vgl. Art. 3 lit. b BetmV und Anhang b zur Verordnung vom 12. Dezember 1996 des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe [BetmV-Swissmedic; SR 812.121.2]; Art. 2 Abs. 1bis
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz BetmG Art. 2 Begriffe - Nach diesem Gesetz gelten als: |
|
a | Betäubungsmittel: abhängigkeitserzeugende Stoffe und Präparate der Wirkungstypen Morphin, Kokain oder Cannabis, sowie Stoffe und Präparate, die auf deren Grundlage hergestellt werden oder eine ähnliche Wirkung wie diese haben; |
b | psychotrope Stoffe: abhängigkeitserzeugende Stoffe und Präparate, welche Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine oder Halluzinogene wie Lysergid oder Mescalin enthalten oder eine ähnliche Wirkung wie diese haben; |
c | Stoffe: Rohmaterialien wie Pflanzen und Pilze oder Teile davon sowie chemisch hergestellte Verbindungen; |
d | Präparate: verwendungsfertige Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe; |
e | Vorläuferstoffe: Stoffe, die keine Abhängigkeit erzeugen, die aber in Betäubungsmittel oder psychotrope Stoffe überführt werden können; |
f | Hilfschemikalien: Stoffe, die der Herstellung von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen dienen. |
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz BetmG Art. 11 - 1 Die Ärzte und Tierärzte sind verpflichtet, Betäubungsmittel nur in dem Umfange zu verwenden, abzugeben und zu verordnen, wie dies nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaften notwendig ist. |
|
1 | Die Ärzte und Tierärzte sind verpflichtet, Betäubungsmittel nur in dem Umfange zu verwenden, abzugeben und zu verordnen, wie dies nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaften notwendig ist. |
1bis | Ärzte und Tierärzte, die als Arzneimittel zugelassene Betäubungsmittel für eine andere als die zugelassenen Indikationen abgeben oder verordnen, müssen dies innerhalb von 30 Tagen den zuständigen kantonalen Behörden melden. Sie haben auf Verlangen der zuständigen kantonalen Behörden alle notwendigen Angaben über Art und Zweck der Behandlung zu machen.58 |
2 | Die Absätze 1 und 1bis gelten auch für die Verwendung und Abgabe von Betäubungsmitteln durch Zahnärzte.59 |
2.5
2.5.1 Anzufügen ist, dass die umstrittene Vereinbarung in verschiedener Hinsicht auch mit dem Verfahrensrecht nicht vereinbar ist. Sie steht namentlich nicht in Einklang mit der am 1. Januar 2011 in Kraft tretenden Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; BBl 2007 6977). Gemäss deren Art. 309 Abs. 1 lit. a eröffnet die Staatsanwaltschaft unter anderem dann eine Untersuchung, wenn sich aus Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige oder aus ihren eigenen Feststellungen ein
BGE 136 II 415 S. 424
hinreichender Tatverdacht ergibt. Sie eröffnet die Untersuchung mit einer Verfügung (Abs. 3), es sei denn, dass sie sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung oder einen Strafbefehl erlässt (Abs. 4). Eine Nichtanhandnahmeverfügung ergeht gemäss Art. 310 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 310 Nichtanhandnahmeverfügung - 1 Die Staatsanwaltschaft verfügt die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass: |
|
1 | Die Staatsanwaltschaft verfügt die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass: |
a | die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind; |
b | Verfahrenshindernisse bestehen; |
c | aus den in Artikel 8 genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist. |
2 | Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den Bestimmungen über die Verfahrenseinstellung. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 8 Verzicht auf Strafverfolgung - 1 Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen von der Strafverfolgung ab, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Artikel 52, 53 und 54 des Strafgesetzbuches3 (StGB). |
|
1 | Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen von der Strafverfolgung ab, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Artikel 52, 53 und 54 des Strafgesetzbuches3 (StGB). |
2 | Sofern nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen, sehen sie ausserdem von einer Strafverfolgung ab, wenn: |
a | der Straftat neben den anderen der beschuldigten Person zur Last gelegten Taten für die Festsetzung der zu erwartenden Strafe oder Massnahme keine wesentliche Bedeutung zukommt; |
b | eine voraussichtlich nicht ins Gewicht fallende Zusatzstrafe zu einer rechtskräftig ausgefällten Strafe auszusprechen wäre; |
c | eine im Ausland ausgesprochene Strafe anzurechnen wäre, welche der für die verfolgte Straftat zu erwartenden Strafe entspricht. |
3 | Sofern nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen, können Staatsanwaltschaft und Gerichte von der Strafverfolgung absehen, wenn die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt oder die Verfolgung an eine solche abgetreten wird. |
4 | Sie verfügen in diesen Fällen, dass kein Verfahren eröffnet oder das laufende Verfahren eingestellt wird. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 319 Gründe - 1 Die Staatsanwaltschaft verfügt die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn: |
|
1 | Die Staatsanwaltschaft verfügt die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn: |
a | kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt; |
b | kein Straftatbestand erfüllt ist; |
c | Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen; |
d | Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können oder Prozesshindernisse aufgetreten sind; |
e | nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung oder Bestrafung verzichtet werden kann. |
2 | Sie kann das Verfahren ausnahmsweise auch dann einstellen, wenn: |
a | das Interesse eines Opfers, das zum Zeitpunkt der Straftat weniger als 18 Jahre alt war, es zwingend verlangt und dieses Interesse das Interesse des Staates an der Strafverfolgung offensichtlich überwiegt; und |
b | das Opfer oder bei Urteilsunfähigkeit seine gesetzliche Vertretung der Einstellung zustimmt. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 307 Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft - 1 Die Polizei informiert die Staatsanwaltschaft unverzüglich über schwere Straftaten sowie über andere schwer wiegende Ereignisse. Die Staatsanwaltschaften von Bund und Kantonen können über diese Informationspflicht nähere Weisungen erlassen. |
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1 | Die Polizei informiert die Staatsanwaltschaft unverzüglich über schwere Straftaten sowie über andere schwer wiegende Ereignisse. Die Staatsanwaltschaften von Bund und Kantonen können über diese Informationspflicht nähere Weisungen erlassen. |
2 | Die Staatsanwaltschaft kann der Polizei jederzeit Weisungen und Aufträge erteilen oder das Verfahren an sich ziehen. In den Fällen von Absatz 1 führt sie die ersten wesentlichen Einvernahmen nach Möglichkeit selber durch. |
3 | Die Polizei hält ihre Feststellungen und die von ihr getroffenen Massnahmen laufend in schriftlichen Berichten fest und übermittelt diese nach Abschluss ihrer Ermittlungen zusammen mit den Anzeigen, Protokollen, weiteren Akten sowie sichergestellten Gegenständen und Vermögenswerten umgehend der Staatsanwaltschaft. |
4 | Sie kann von der Berichterstattung absehen, wenn: |
a | zu weiteren Verfahrensschritten der Staatsanwaltschaft offensichtlich kein Anlass besteht; und |
b | keine Zwangsmassnahmen oder andere formalisierte Ermittlungshandlungen durchgeführt worden sind. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 115 - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe163 bestraft. |
BGE 136 II 415 S. 425
fachärztliches Gutachten zu erstellen ist (Ziff. 4.4.3). Dabei ist zu vermuten, dass Suizidwillige beziehungsweise Sterbehilfeorganisationen keine Ärzte mandatieren, von denen anzunehmen ist, dass sie gegenüber der Urteilsfähigkeit zum Suizid bereiter Personen grundsätzlich kritisch eingestellt sind. Hinzu kommt, dass die in der Literatur umstrittene Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen in solchen Fällen von Urteilsfähigkeit überhaupt die Rede sein kann, höchstrichterlich noch nie geprüft werden musste.
2.5.2 Weiter fällt auf, dass die Vereinbarung auch von der ansonsten gültigen Weisung der Oberstaatsanwaltschaft betreffend Abklärungen von ausserordentlichen Todesfällen abweicht, wozu auch assistierte Suizide gehören (http://www.staatsanwaltschaften.zh.ch/Diverses/Weisungen.shtml, Ziff. 33.2 [besucht am 13. August 2010]). Während diese Weisungen vorsehen, dass solche Fälle in einem besonderen Verfahren geführt werden und in der Regel durch den Staatsanwalt vor Ort zu leiten sind, gilt diese Ordnung nach der Vereinbarung gerade nicht. Gemäss dieser rücken in der Regel die Polizei und der Amtsarzt aus, die Staatsanwaltschaft dagegen nur, wenn sich hinsichtlich Todesursache und Todesart Unklarheiten beziehungsweise Anhaltspunkte für eine Straftat ergeben.
2.6
2.6.1 Das Legalitätsprinzip erfordert, dass der verwaltungsrechtliche Vertrag zwei Voraussetzungen erfüllt. Zunächst muss eine kompetenzgemäss erlassene Rechtsnorm den Vertrag vorsehen, dafür Raum lassen oder ihn jedenfalls nicht ausdrücklich ausschliessen. Weiter muss der Vertrag nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die er im Einzelfall konkretisiert, die geeignetere Handlungsform sein als die Verfügung. Der Vertragsinhalt darf nicht gegen eine gültige Rechtsnorm verstossen und muss auf einem generell-abstrakten, genügend bestimmten Rechtssatz beruhen, der in Form eines Gesetzes erlassen worden sein muss, wenn es sich um eine wichtige Regelung handelt. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Rechtssatzes sind geringer als bei Verfügungen, sofern das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit wegen der Zustimmung zur Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses durch die Privaten als geringfügig erscheint. Auch die Grundlage im Gesetz kann bei Verträgen im Allgemeinen schmaler sein als bei Verfügungen, weil staatliche Eingriffe in die Rechte der Privaten weniger intensiv und damit weniger wichtig sind, wenn die Betroffenen ihnen zustimmen (BGE 136 I 142 E. 4.1 S. 146 f.; BGE 105 Ia 207 E. 2a S. 209; je mit Hinweisen).
BGE 136 II 415 S. 426
2.6.2 Angesichts der Bedeutung des Regelungsinhalts (vgl. dazu auch E. 3.2 hiernach) ist vorliegend eine klare gesetzliche Grundlage erforderlich. Eine derartige Grundlage besteht jedoch nicht, insbesondere sieht weder das Strafgesetzbuch noch das Strafprozessrecht den Abschluss vertraglicher Vereinbarungen der Strafverfolgungsbehörden mit Privaten vor. Darüber hinaus verstösst die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft und dem Verein X. nach den vorangehenden Ausführungen sowohl gegen das Strafrecht wie auch gegen das Betäubungsmittelrecht. Es ist damit von vornherein ausgeschlossen, in diesem Bereich verwaltungsvertragliche Regelungen zu vereinbaren.
3.
3.1 Zusammenfassend ergibt sich, dass die angefochtene Vereinbarung rechtswidrig ist. Sie entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und verstösst darüber hinaus gegen das materielle Strafrecht und das Betäubungsmittelrecht. Zudem bestehen Abweichungen von der am 1. Januar 2011 in Kraft tretenden Schweizerischen Strafprozessordnung und den Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft betreffend Abklärungen von ausserordentlichen Todesfällen.
3.2 Der Mangel, mit dem die Vereinbarung aufgrund dessen behaftet ist, ist nicht nur offensichtlich, sondern auch gravierend. Dabei fällt ins Gewicht, dass sowohl das Recht auf Leben wie auch die persönliche Freiheit in einem zentralen Bereich betroffen sind (Art. 10 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
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1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
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1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 2 Recht auf Leben - (1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, ausser durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist. |
|
a | jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen; |
b | jemanden rechtmässig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmässig entzogen ist, an der Flucht zu hindern; |
c | einen Aufruhr oder Aufstand rechtmässig niederzuschlagen. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 139 Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung - 1 100 000 Stimmberechtigte können innert 18 Monaten seit der amtlichen Veröffentlichung ihrer Initiative eine Teilrevision der Bundesverfassung verlangen. |
|
1 | 100 000 Stimmberechtigte können innert 18 Monaten seit der amtlichen Veröffentlichung ihrer Initiative eine Teilrevision der Bundesverfassung verlangen. |
2 | Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung kann die Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs haben. |
3 | Verletzt die Initiative die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so erklärt die Bundesversammlung sie für ganz oder teilweise ungültig. |
4 | Ist die Bundesversammlung mit einer Initiative in der Form der allgemeinen Anregung einverstanden, so arbeitet sie die Teilrevision im Sinn der Initiative aus und unterbreitet sie Volk und Ständen zur Abstimmung. Lehnt sie die Initiative ab, so unterbreitet sie diese dem Volk zur Abstimmung; das Volk entscheidet, ob der Initiative Folge zu geben ist. Stimmt es zu, so arbeitet die Bundesversammlung eine entsprechende Vorlage aus. |
5 | Eine Initiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet. Die Bundesversammlung empfiehlt die Initiative zur Annahme oder zur Ablehnung. Sie kann der Initiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 194 Teilrevision - 1 Eine Teilrevision der Bundesverfassung kann vom Volk verlangt oder von der Bundesversammlung beschlossen werden. |
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1 | Eine Teilrevision der Bundesverfassung kann vom Volk verlangt oder von der Bundesversammlung beschlossen werden. |
2 | Die Teilrevision muss die Einheit der Materie wahren und darf die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts nicht verletzen. |
3 | Die Volksinitiative auf Teilrevision muss zudem die Einheit der Form wahren. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 15 Abweichen im Notstandsfall - (1) Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Massnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Massnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen. |
3.3 Schliesslich fragt sich, ob die Nichtigkeitsfolge die Vereinbarung insgesamt oder nur einzelne ihrer Teile trifft. Mehrere
BGE 136 II 415 S. 427
Bestimmungen, so etwa jene über die Rechtsform der Vereinigung(Ziff. 3.1), die finanzielle Transparenz und namentlich die Buchführung (Ziff. 3.2.3 und 3.2.4), erscheinen unbedenklich und wurden in der Beschwerdeschrift auch nicht kritisiert. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Verein X. nur bereit war, die Vereinbarung als Ganzes zu unterzeichnen. Zudem ist nicht zu übersehen, dass dieVereinbarung in ihrem wesentlichen Gehalt bundesrechtswidrig ist. Es rechtfertigt sich daher, sie gesamthaft als nichtig zu bezeichnen (vgl. Urteil 1P.274/1988 vom 26. Oktober 1988 E. 3a, nicht publ. in: BGE 114 Ia 452). Die Nichtigkeit ist zudem im Dispositiv festzustellen (BGE 132 II 342 E. 2.3 S. 349 mit Hinweisen).
3.4 Inwiefern die weiteren von den Beschwerdeführern vorgetragenen Rügen begründet sind, kann bei diesem Ergebnis offengelassen werden.