134 I 16
3. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Obergericht des Kantons Thurgau (Beschwerde in Zivilsachen) 5A_369/2007 vom 15. November 2007
Regeste (de):
- Art. 30 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt.
1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. 2 Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. 3 Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. - Es besteht kein verfassungsmässiger Anspruch auf einen juristisch gebildeten Richter (E. 4).
Regeste (fr):
- Art. 30 al. 1 Cst.; juge laïc.
- Il n'y a pas de droit constitutionnel à un juge bénéficiant d'une formation juridique (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 30 cpv. 1 Cost.; giudice laico.
- Non sussiste alcun diritto costituzionale ad un giudice con una formazione giuridica (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 16
BGE 134 I 16 S. 16
A. X. und Y. haben beim Bezirksgericht Münchwilen diverse Wegrechtsstreitigkeiten hängig. Infolge Ausstandes des Präsidenten und Vizepräsidenten werden die Prozesse von Bezirksrichter Urs Obrecht geleitet.
B. X. und Y. verlangten, die Verfahren seien an ein anderes Bezirksgericht zu überweisen, bei welchem mindestens ein ausgebildeter Jurist dem Spruchkörper angehöre. Das Obergericht wies dieses Gesuch ab.
C. Dagegen haben X. und Y. eine Beschwerde in Zivilsachen und eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben mit den Begehren um Aufhebung des Entscheides des Obergerichts und dessen Anweisung, für die hängigen Verfahren ein anderes Bezirksgericht als zuständig zu erklären. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde in Zivilsachen nicht ein und weist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
BGE 134 I 16 S. 17
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4. Zu beurteilen bleibt das Vorbringen, Urs Obrecht - der zwar vom Volk gewählter Bezirksrichter ist, aber über keine juristische Ausbildung verfügt - dürfe die komplexen Zivilverfahren nicht leiten, weshalb mit der verweigerten Übertragung der Verfahren auf ein anderes Bezirksgericht der Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
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1 | Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
2 | Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. |
3 | Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
4.1 Das Obergericht hat erwogen, ein Ersatzgericht dürfe nur in Ausnahmefällen bezeichnet werden, weil den Parteien dadurch der verfassungsmässige Richter entzogen werde. Dies soll nur dann stattfinden, wenn es dem innerkantonal zuständigen Richter an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Unbefangenheit im Sinn von Art. 30 Abs. 1
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
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1 | Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
2 | Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. |
3 | Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
4.2 Die als verletzt gerügte Verfassungsnorm von Art. 30 Abs. 1
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
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1 | Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
2 | Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. |
3 | Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
BGE 134 I 16 S. 18
den Parteien Anweisungen empfangen (BGE 123 II 511 E. 5c S. 517; HOTZ, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich 2002, N. 12 zu Art. 30
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
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1 | Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
2 | Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. |
3 | Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
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1 | Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
2 | Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. |
3 | Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 143 Wählbarkeit - In den Nationalrat, in den Bundesrat und in das Bundesgericht sind alle Stimmberechtigten wählbar. |
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SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 5 Wahl - 1 Die Bundesversammlung wählt die Richter und Richterinnen. |
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1 | Die Bundesversammlung wählt die Richter und Richterinnen. |
2 | Wählbar ist, wer in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt ist. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
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1 | Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt. |
2 | Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. |
3 | Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
4.3 Wie bereits ausgeführt, sprechen die Beschwerdeführer mit ihrem Begehren nicht die Maxime der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im engeren Sinn, sondern die Frage der Bildungsvoraussetzung für die Ausübung des Richteramtes an, indem
BGE 134 I 16 S. 19
sie juristischen richterlichen Sachverstand fordern, der sich primär, aber nicht zwingend im Rahmen eines universitären Studiums der Rechte aneignen lässt. Zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und den für die Ausübung richterlicher Tätigkeit erforderlichen Bildungsvoraussetzungen besteht jedoch insofern ein Konnex, als nur ausreichende fachlich-sachliche Kenntnisse den Richter zu unabhängiger Willensbildung und richtiger Rechtsanwendung befähigen. Der Richter muss in der Lage sein, den Fall in seinen Einzelheiten zu erfassen, sich darüber eine Meinung zu bilden und das Recht darauf anzuwenden (in diesem Sinn äussert sich auch die Literatur: EICHENBERGER, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, Bern 1960, S. 234 ff.; KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, Bern 2001, S. 263 ff.). Fehlt es daran, kann nicht von einem fairen Verfahren gesprochen werden, zumal auch ein Zusammenhang mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör besteht: Der Richter muss fähig sein, sich mit den Anliegen und Argumenten der Verfahrensparteien angemessen auseinanderzusetzen. Der Anspruch auf einen unabhängigen Richter bzw. auf ein faires Verfahren kann deshalb berührt sein, wenn unerfahrene Laienrichter ohne Möglichkeit der Mithilfe einer unabhängigen Fachperson ihres Amtes walten müssten; diesfalls würde sich jedenfalls die Frage stellen, ob nicht von einem iudex inhabilis gesprochen werden müsste, dem es an den für eine sachgerechte Entscheidfindung erforderlichen Eigenschaften fehlt (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, S. 14). Als vorsitzender Richter ist Urs Obrecht eingesetzt, der seit dem Jahr 1996 als vom Volk gewählter Bezirksrichter amtet. Er verfügt zwar über keine juristische Ausbildung, was allein ihn aber nach dem Gesagten nicht unfähig macht, das Richteramt auszuüben, umso weniger als die Verfahrensleitung und Entscheidfindung unter Mitwirkung eines juristisch ausgebildeten Gerichtsschreibers erfolgt, dem nach § 104 Abs. 1 ZPO/TG ausdrücklich beratende Stimme zukommt und der Urs Obrecht sowohl für materiellrechtliche Fragen als auch bei möglichen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten zur Seite stehen kann. Vor diesem Hintergrund bringen die Beschwerdeführer nichts vor, was Urs Obrecht als zur Ausübung des Richteramtes unfähig erscheinen liesse.