132 V 273
30. Urteil i.S. S. gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern P 31/05 vom 7. Juni 2006
Regeste (de):
- Art. 3d Abs. 1 lit. b und Abs. 4 Satz 1 ELG; Art. 14 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 ELKV: Kostenvergütung für Hilfe, Pflege und Betreuung von Behinderten in Tagesstrukturen.
- Die letztgenannte Verordnungsbestimmung, wonach (nur) Kosten bis höchstens Fr. 45.- pro Tag angerechnet werden, an dem sich die behinderte Person in der Tagesstruktur aufgehalten hat, ist gesetzmässig. Von den Tagesstätten erhobene sog. Reservationstaxen für Tage krankheits- oder ferienbedingter Abwesenheit gehen nicht zulasten der EL. (Erw. 2-5)
Regeste (fr):
- Art. 3d al. 1 let. b et al. 4, 1re phrase, LPC; art. 14 al. 1 let. a et al. 2 OMPC: Le remboursement des frais d'aide, de soins et de tâches d'assistance afférents à des invalides séjournant dans des structures de jours.
- La dernière disposition réglementaire précitée, selon laquelle sont (seulement) pris en compte les frais limités à 45 fr. au plus par journée passée par la personne invalide dans la structure de jour, est conforme à la loi. Les taxes de réservation prélevées par les structures de jour pour les jours d'absence dus à la maladie ou aux vacances ne sont pas à la charge des prestations complémentaires. (consid. 2-5)
Regesto (it):
- Art. 3d cpv. 1 lett. b e cpv. 4, prima frase, LPC; art. 14 cpv. 1 lett. a e cpv. 2 OMPC: Rimborso per spese di aiuto, cura e assistenza a persone in strutture diurne.
- L'ultima disposizione d'ordinanza citata, prevedente che le spese conteggiate sono limitate a un massimo di 45 franchi per ogni giorno che la persona invalida ha trascorso nella struttura diurna, è conforme alla legge. Le tasse di prenotazione per i giorni di assenza dovuti a malattia o a vacanze non vanno a carico delle prestazioni complementari. (consid. 2-5)
Sachverhalt ab Seite 274
BGE 132 V 273 S. 274
A. Der 1973 geborene, unter elterlicher Sorge stehende S. bezieht seit 1993 Ergänzungsleistungen (EL) zur Invalidenrente. Unter der Woche hält er sich tagsüber in der Eingliederungsstätte Y. auf. Mit Verfügung vom 17. Dezember 2004 und Einspracheentscheid vom 18. Februar 2005 vergütete ihm die Ausgleichskasse des Kantons Bern für die Monate März bis August 2004 Kosten für Hilfe, Pflege und Betreuung in einer Tagesstruktur im Gesamtbetrag von Fr. 3090.-, lehnte aber gleichzeitig die Übernahme der in diesem Zeitraum seitens der Tagesstätte erhobenen sog. Reservationstaxen in Höhe von insgesamt Fr. 720.20 ab.
B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 25. Mai 2005 ab, soweit es darauf eintrat.
C. S. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag auf Vergütung der ihm von der Eingliederungsstätte Y. für Tage krankheits- oder ferienbedingter Abwesenheit in Rechnung gestellten Reservationstaxen. Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlasssung verzichtet.
D. Am 7. Juni 2006 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Vergütung von Behinderungskosten verlangt wird, welche ausserhalb des mit dem streitigen Einspracheentscheid erfassten Zeitraums (März bis August 2004) anfielen, kann darauf im vorliegenden Verfahren nicht eingetreten werden.
2. Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung ist ein Anspruch einzuräumen auf die Vergütung von ausgewiesenen, im laufenden
BGE 132 V 273 S. 275
Jahr entstandenen Kosten für u.a. Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause sowie in Tagesstrukturen (Art. 3d Abs. 1 lit. b ELG). Gemäss Art. 3d Abs. 4 Satz 1 ELG bezeichnet der Bundesrat die Kosten, die nach Abs. 1 vergütet werden können. Diese Kompetenz hat er in Art. 19 Abs. 1 lit. b
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) ELV Art. 19 Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die ausser Rechnung bleiben - Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die nach Artikel 8 Absatz 2 ausser Rechnung bleiben, sind zu vergüten, soweit sie den Einnahmenüberschuss übersteigen. |
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) ELV Art. 19 Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die ausser Rechnung bleiben - Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die nach Artikel 8 Absatz 2 ausser Rechnung bleiben, sind zu vergüten, soweit sie den Einnahmenüberschuss übersteigen. |
3. Die bernischen Tagesstätten verrechneten (offenbar bis Ende 2004) externen behinderten Erwachsenen auch bei mit einem ärztlichen Zeugnis begründeten Abwesenheiten eine Reservationstaxe, welche der Grundtaxe abzüglich der Kosten für das Mittagessen entsprach (frühere Tarifregelung der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern). Für die von der Institution festgelegte Anzahl Ferientage pro Jahr wurde und wird auch nach geltender Tarifregelung keine Reservationstaxe erhoben. Verwaltung und Vorinstanz vertreten unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 lit. a einerseits sowie Art. 14 Abs. 2
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) ELV Art. 19 Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die ausser Rechnung bleiben - Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die nach Artikel 8 Absatz 2 ausser Rechnung bleiben, sind zu vergüten, soweit sie den Einnahmenüberschuss übersteigen. |
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) ELV Art. 19 Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die ausser Rechnung bleiben - Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die nach Artikel 8 Absatz 2 ausser Rechnung bleiben, sind zu vergüten, soweit sie den Einnahmenüberschuss übersteigen. |
4. Nach der Rechtsprechung kann das Eidgenössische Versicherungsgericht Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbstständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat eingeräumten Befugnisse
BGE 132 V 273 S. 276
halten. Besteht ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene, muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die umstrittenen Vorschriften offensichtlich aus diesem Rahmen herausfallen oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und es hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen das Willkürverbot oder das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 8 Rechtsgleichheit - 1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. |
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1 | Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. |
2 | Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. |
3 | Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. |
4 | Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor. |
5. Soweit Ausgleichskasse und kantonales Gericht ihre Ablehnung einer Vergütung von Reservationstaxen für Tage krankheits- oder ferienbedingter Abwesenheit einzig mit Art. 14 Abs. 1 lit. a ELKV begründen, wonach sich die behinderte Person mehr als fünf Stunden pro Tag in einem Tagesheim, einer Beschäftigungsstätte oder in einer ähnlichen Tagesstruktur aufhalten muss, kann ihnen nicht gefolgt werden. Sinn und Zweck dieses Erfordernisses liegen nämlich gemäss den seinerzeitigen Erläuterungen des BSV zur (am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen) Neufassung des damaligen Art. 11a der Verordnung des EDI vom 20. Januar 1971 über den Abzug von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen (aELKV) allein in der Klarstellung, dass Kosten für Mittagstische und Freizeitstätten grundsätzlich nicht vergütet werden können (AHI 1996 S. 72 unten). Hingegen haben sich Verwaltung und Vorinstanz zur Ablehnung der Vergütung von Reservationskosten zu Recht auf Art. 14 Abs. 2
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) ELV Art. 19 Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die ausser Rechnung bleiben - Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die nach Artikel 8 Absatz 2 ausser Rechnung bleiben, sind zu vergüten, soweit sie den Einnahmenüberschuss übersteigen. |
BGE 132 V 273 S. 277
Verordnungsbestimmung stützt sich auf Art. 19 Abs. 1 lit. b
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) ELV Art. 19 Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die ausser Rechnung bleiben - Krankheits- und Behinderungskosten von Kindern, die nach Artikel 8 Absatz 2 ausser Rechnung bleiben, sind zu vergüten, soweit sie den Einnahmenüberschuss übersteigen. |
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6. Wie die Ausgleichskasse im Einspracheentscheid zutreffend festgestellt hat, ist es nicht Sache der EL-Organe (und auch nicht des Sozialversicherungsgerichts) zu beurteilen, inwieweit die Erhebung von Reservationsgebühren durch die Tagesstätten überhaupt zulässig ist. Anzumerken bleibt, dass seit anfangs 2005 bei Abwesenheiten wegen Krankheit oder Unfall keine Reservationstaxe mehr erhoben wird, "falls ab 1. Abwesenheitstag ein Arztzeugnis vorliegt" (neue Tarifregelung der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern für externe behinderte Erwachsene).