132 III 178
22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. (Berufung) 5C.245/2005 vom 24. Januar 2006
Regeste (de):
- Art. 36 Abs. 2
GestG; Überweisung in Zusammenhang stehender Klagen an das zuerst angerufene Gericht.
- Ein Entscheid, mit welchem ein Gericht ein Verfahren in Anwendung von Art. 36 Abs. 2
GestG an das zuerst angerufene Gericht überweist, ist kein Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1
OG, sondern ein selbstständiger Zwischenentscheid über die örtliche Zuständigkeit im Sinne von Art. 49 Abs. 1
OG und der eidgenössischen Berufung zugänglich (E. 1.1 und 1.2).
- Begriff des sachlichen Zusammenhangs. Eine Klage auf Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung und eine Scheidungsklage stehen in einem sachlichen Zusammenhang (E. 2 und 3).
- Für die Frage, welchem Verfahren bei in Zusammenhang stehenden Klagen der Vorrang zu gewähren ist, stellt Art. 36
GestG einzig auf die zeitliche Priorität der Rechtshängigkeit ab (E. 4).
- Beurteilungsspielraum des Gerichts im Rahmen von Art. 36
GestG. Im vorliegenden Fall verstösst die Überweisung der Scheidungsklage an das Gericht, wo die Klage auf Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung hängig ist, nicht gegen Bundesrecht (E. 5).
Regeste (fr):
- Art. 36 al. 2 LFors; transmission d'actions connexes au tribunal saisi en premier lieu.
- Une décision par laquelle un tribunal transmet, en application de l'art. 36 al. 2 LFors, une procédure au tribunal saisi en premier lieu n'est pas une décision finale au sens de l'art. 48 al. 1 OJ, mais une décision incidente prise séparément du fond quant à la compétence territoriale, au sens de l'art. 49 al. 1 OJ, et susceptible d'un recours en réforme fédéral (consid. 1.1 et 1.2).
- Notion de connexité matérielle. Une action en liquidation du régime matrimonial et une action en divorce sont connexes (consid. 2 et 3).
- Pour savoir à quelle procédure accorder la priorité en cas d'actions connexes, l'art. 36 LFors se réfère uniquement à la priorité dans le temps de la litispendance (consid. 4).
- Marge d'appréciation du tribunal dans le cadre de l'art. 36 LFors. En l'espèce, le transfert de l'action en divorce au tribunal devant lequel l'action en liquidation du régime matrimonial est pendante ne contrevient pas au droit fédéral (consid. 5).
Regesto (it):
- Art. 36 cpv. 2 LForo; rimessione di azioni connesse al giudice adito preventivamente.
- La decisione con cui un tribunale rimette, in applicazione dell'art. 36 cpv. 2
LForo, una procedura al tribunale adito preventivamente non costituisce una decisione finale ai sensi dell'art. 48 cpv. 1
OG, ma è una decisione incidentale emanata separatamente dal merito sulla competenza per territorio ai sensi dell'art. 49 cpv. 1
OG e suscettiva di un ricorso per riforma (consid. 1.1. e 1.2).
- Nozione di connessione materiale. Un'azione con cui viene chiesta la liquidazione del regime matrimoniale e un'azione di divorzio sono materialmente connesse (consid. 2 e 3).
- Per sapere a quale procedura dare la priorità nel caso di azioni connesse, l'art. 36 LForo si basa unicamente sulla priorità temporale della litispendenza (consid. 4).
- Margine di apprezzamento del tribunale nell'ambito dell'art. 36 LForo. Nel caso concreto, la rimessione dell'azione di divorzio al tribunale presso cui è pendente l'azione concernente la liquidazione del regime matrimoniale non viola il diritto federale (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 179
BGE 132 III 178 S. 179
A. X. (Ehefrau) und Y. (Ehemann) leben seit dem 1. Oktober 2001 getrennt. Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens ordnete das Vizegerichtspräsidium Weinfelden/TG mit Verfügung vom 16./17. September 2002 die Gütertrennung an und verpflichtete Y. zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen an X. Seit dem 20. Dezember 2002 ist auf Klage von Y. am Bezirksgericht Plessur/GR (Wohnsitzgerichtsstand von Y.) zwischen den Parteien ein Verfahren auf Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung hängig.
B. Am 18. Mai 2004 reichte X. bei der Bezirksgerichtlichen Kommission Weinfelden (Wohnsitzgerichtsstand von X.) die Ehescheidungsklage ein. Daraufhin verlangte Y., die Klage sei an das Bezirksgericht Plessur zu überweisen. Nachdem der Präsident des Bezirksgerichts Plessur am 20. Oktober 2004 die Erklärung abgegeben hatte, das Gericht sei gemäss Art. 36 Abs. 2
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BGE 132 III 178 S. 180
hängige Scheidungsklage mit Beschluss vom 4./23. März 2005 an das Bezirksgericht Plessur. Gegen diesen Überweisungsbeschluss gelangte X. an das Obergericht des Kantons Thurgau. Dieses wies den Rekurs mit Entscheid vom 30. Mai 2005 ab.
C. X. führt eidgenössische Berufung an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Beschlusses vom 30. Mai 2005 und verlangt, das Bezirksgericht Weinfelden sei anzuweisen, das Scheidungsverfahren selbst weiterzuführen; eventualiter sei das Verfahren zu sistieren, bis im Verfahren betreffend güterrechtliche Auseinandersetzung ein Entscheid des Bezirksgerichts Plessur vorliege. Y. beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1 Nach Art. 48 Abs. 1
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1.2 Die Berufung ist weiter zulässig gegen selbstständige Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit, soweit die Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften über die sachliche, die örtliche oder
BGE 132 III 178 S. 181
die internationale Zuständigkeit geltend gemacht wird (Art. 49 Abs. 1
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2. Werden bei mehreren Gerichten Klagen rechtshängig gemacht, die miteinander in sachlichem Zusammenhang stehen, so kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, bis das zuerst angerufene entschieden hat (Art. 36 Abs. 1
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3. Strittig ist zunächst, ob die beiden hängigen Klagen betreffend Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung und Scheidung in einem sachlichen Zusammenhang stehen.
3.1 Das Gesetz enthält keine Definition des Begriffs des "sachlichen Zusammenhangs". Die Botschaft des Bundesrates zum Gerichtsstandsgesetz führt aus, dass die Konnexität der Prozesse so eng sein muss, dass eine Vermeidung widersprüchlicher Urteile geboten erscheint. Sie verweist weiter auf die Art. 6
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BGE 132 III 178 S. 182
gleichartige faktische Umstände bzw. Rechtsfragen zu Grunde liegen (BBl 1999 S. 2872). Zu beachten ist zudem, dass Art. 22
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3.2 Im Rahmen der Scheidungsklage ist auch über die Nebenfolgen der Scheidung zu entscheiden: Dabei sind namentlich bei der Frage des nachehelichen Unterhalts nach Art. 125 Abs. 2 Ziff. 5
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 125 - 1 Ist einem Ehegatten nicht zuzumuten, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufkommt, so hat ihm der andere einen angemessenen Beitrag zu leisten. |
|
1 | Ist einem Ehegatten nicht zuzumuten, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufkommt, so hat ihm der andere einen angemessenen Beitrag zu leisten. |
2 | Beim Entscheid, ob ein Beitrag zu leisten sei und gegebenenfalls in welcher Höhe und wie lange, sind insbesondere zu berücksichtigen: |
1 | die Aufgabenteilung während der Ehe; |
2 | die Dauer der Ehe; |
3 | die Lebensstellung während der Ehe; |
4 | das Alter und die Gesundheit der Ehegatten; |
5 | Einkommen und Vermögen der Ehegatten; |
6 | der Umfang und die Dauer der von den Ehegatten noch zu leistenden Betreuung der Kinder; |
7 | die berufliche Ausbildung und die Erwerbsaussichten der Ehegatten sowie der mutmassliche Aufwand für die berufliche Eingliederung der anspruchsberechtigten Person; |
8 | die Anwartschaften aus der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung und aus der beruflichen oder einer anderen privaten oder staatlichen Vorsorge einschliesslich des voraussichtlichen Ergebnisses der Teilung der Austrittsleistungen. |
3 | Ein Beitrag kann ausnahmsweise versagt oder gekürzt werden, wenn er offensichtlich unbillig wäre, insbesondere weil die berechtigte Person: |
1 | ihre Pflicht, zum Unterhalt der Familie beizutragen, grob verletzt hat; |
2 | ihre Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat; |
3 | gegen die verpflichtete Person oder eine dieser nahe verbundenen Person eine schwere Straftat begangen hat. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 123 - 1 Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
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1 | Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
2 | Absatz 1 ist nicht anwendbar auf Einmaleinlagen aus Eigengut nach Gesetz. |
3 | Die zu teilenden Austrittsleistungen berechnen sich nach den Artikeln 15-17 und 22a oder 22b des Freizügigkeitsgesetzes vom 17. Dezember 1993215. |
4. Die Klägerin führt an, es könne nicht sein, dass die Nebensache (Güterrecht) die Hauptsache (Scheidung) an ihren Gerichtsstand ziehe. Art. 36
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BGE 132 III 178 S. 183
5. Die Klägerin wirft dem Obergericht weiter eine Verletzung des pflichtgemässen Ermessens vor, welches Art. 36
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5.1 Art. 36
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5.2 Das Obergericht hat ausgeführt, eine Sistierung des Scheidungsprozesses würde zu einer Verzögerung des Verfahrens führen. Demgegenüber seien für die Parteien bei einer Überweisung keine prozessualen Nachteile ersichtlich: Der Klägerin stehe in beiden Verfahren der gleiche Rechtsvertreter zur Seite, der sich im Rahmen des Güterrechtsprozesses bereits mit dem "fremden" Prozessrecht (des Kantons Graubünden) beschäftigt habe. Ebenso wenig sei eine übermässige Erschwerung des Gerichtszuganges ersichtlich, gelte doch sowohl im Kanton Thurgau wie auch Graubünden die Verhandlungssprache Deutsch. Weiter würden sich beide Verfahren noch vor erster Instanz befinden; der Scheidungsprozess sogar noch im Anfangsstadium. Auch der Prozess im Kanton Graubünden sei grundsätzlich noch im Behauptungsstadium. Nicht nachvollziehbar erscheine, wie weit der Klägerin ein Nachteil entstehen sollte, wenn im Rahmen der vom Bezirksgericht Plessur vorgeschlagenen Referentenaudienz eine Einigung über die güterrechtliche Auseinandersetzung erzielt werde. Auch die Tatsache, dass das Vizegerichtspräsidium Weinfelden bereits ein Eheschutzgesuch, ein
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Abänderungsgesuch sowie ein Gesuch betreffend vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungsprozess behandelt habe, stehe einer Überweisung nicht entgegen. Nachdem diese Verfahren im Summarium stattgefunden hätten, sei auch nicht davon auszugehen, dass die Bezirksgerichtliche Kommission Weinfelden für das Scheidungsverfahren über das grössere Sachwissen verfüge. Zudem müsse bereits gestützt auf die eigenen Angaben der Klägerin von einem intensiven Grad der Konnexität zwischen güterrechtlicher Auseinandersetzung und Unterhaltsbeitrag ausgegangen werden, habe diese anlässlich einer persönlichen Anhörung doch selber gesagt, die Höhe des Unterhaltsbeitrages werde wohl auch vom Ausgang des Prozesses betreffend Durchführung der Gütertrennung abhängen.
5.3 Diese einlässliche Würdigung der entscheidwesentlichen Kriterien durch das Obergericht ist nicht zu beanstanden: Dass im vorliegenden Fall die Frage des nachehelichen Unterhalts und eines allfälligen Vorsorgeausgleichs unabhängig vom Ausgang der güterrechtlichen Auseinandersetzung beurteilt werden kann, macht die Klägerin selbst nicht geltend. Eine Fortführung des Scheidungsprozesses am bisherigen Gerichtsstand ohne Rücksicht auf das güterrechtliche Verfahren - wie die Klägerin zur Hauptsache beantragt - ist bereits aus diesem Grund kaum praktikabel und würde auch dem Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils widersprechen. Ob eine Überweisung oder eine Sistierung besser geeignet ist, um eine möglichst gute Koordination der Verfahren zu erreichen, kann nur mit Blick auf den Einzelfall entschieden werden: Vorliegend ist zu beachten, dass beide Verfahren vor erster Instanz hängig und noch nicht weit fortgeschritten sind. Eine Sistierung des Scheidungsprozesses bis zum Abschluss der güterrechtlichen Auseinandersetzung könnte unter diesen Umständen zu einer grossen Verzögerung führen. Die Überweisung und Übernahme des Verfahrens durch das Bezirksgericht Plessur wird zudem dadurch erleichtert, dass sich in beiden Prozessen die gleichen Parteien gegenüber stehen und beide Klagen im ordentlichen Verfahren zu behandeln sind. Nicht zu beanstanden ist zudem, wenn das Obergericht dem Umstand, dass das Bezirksgericht Weinfelden bereits mit dem Eheschutzverfahren und vorsorglichen Massnahmen befasst war, nur untergeordnete Bedeutung zugemessen hat: Selbst wenn das
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Bezirksgericht Plessur mehr Zeit benötigt, sich in den Fall einzuarbeiten als das Gericht im Kanton Thurgau, ist nicht anzunehmen, dass sich das Verfahren dadurch erheblich verzögern wird. Dies namentlich im Vergleich zu der Verzögerung, welche durch eine Sistierung des Scheidungsprozesses resultieren würde. In Bezug auf die Vermögensverhältnisse dürfte im Übrigen gerade dem Gericht im Graubünden ein Wissensvorsprung zukommen. Es ist zwar einzuräumen, dass durch die Überweisung der Scheidungsklage der Klägerin der zwingender Gerichtsstand nach Art. 15 Abs. 1 lit. b
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 123 - 1 Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
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1 | Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
2 | Absatz 1 ist nicht anwendbar auf Einmaleinlagen aus Eigengut nach Gesetz. |
3 | Die zu teilenden Austrittsleistungen berechnen sich nach den Artikeln 15-17 und 22a oder 22b des Freizügigkeitsgesetzes vom 17. Dezember 1993215. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 123 - 1 Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
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1 | Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
2 | Absatz 1 ist nicht anwendbar auf Einmaleinlagen aus Eigengut nach Gesetz. |
3 | Die zu teilenden Austrittsleistungen berechnen sich nach den Artikeln 15-17 und 22a oder 22b des Freizügigkeitsgesetzes vom 17. Dezember 1993215. |
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