130 III 306
38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Ehegatten B. gegen K. (Berufung) 5C.232/2003 vom 2. März 2004
Regeste (de):
- Art. 973 Abs. 1 ZGB; öffentlicher Glaube des Grundbuchs; Grenzen.
- Der Eintrag eines nicht eintragungsfähigen Rechts geniesst den Schutz des öffentlichen Glaubens nicht (E. 3.1). Eintragungsfähig ist eine Grunddienstbarkeit, die einen Stockwerkeigentumsanteil zu Gunsten eines anderen belastet (E. 3.2), selbst wenn der belastete Stockwerkeigentumsanteil in unselbstständiges Miteigentum aufgeteilt ist (E. 3.3).
Regeste (fr):
- Art. 973 al. 1 CC; foi publique attachée au registre foncier; limites.
- L'inscription d'un droit qui ne peut pas l'être ne bénéficie pas de la protection de la foi publique (consid. 3.1). Est susceptible d'être inscrite une servitude foncière qui grève une part de propriété par étages en faveur d'une autre (consid. 3.2), même si la part de propriété par étages grevée est constituée en copropriété dépendante (consid. 3.3).
Regesto (it):
- Art. 973 cpv. 1 CC; fede pubblica del registro fondiario; limiti.
- L'iscrizione di un diritto non inscrivibile non beneficia della fede pubblica (consid. 3.1). Inscrivibile è una servitù prediale che grava una quota di proprietà per piani in favore di un'altra (consid. 3.2), anche qualora la quota di proprietà per piani gravata sia suddivisa in una comproprietà dipendente (consid. 3.3).
Sachverhalt ab Seite 307
BGE 130 III 306 S. 307
An der Liegenschaft "L" besteht Stockwerkeigentum. Die insgesamt fünfzehn Stockwerkeinheiten setzen sich zusammen aus mehreren Studios, 2 ½ bis 5 ½-Zimmerwohnungen, Geschäftslokalen und einer Autoeinstellhalle mit vierundzwanzig Einstellplätzen. Die Autoeinstellhalle ("A") ist entsprechend der Anzahl Einstellplätze in Miteigentum aufgeteilt. Achtzehn Einstellplätze bzw. Miteigentumsanteile sind untrennbar mit Stockwerkeinheiten verbunden. Zur Stockwerkeinheit "Nr. 7" gehört der Einstellplatz Nr. 7 und zur Stockwerkeinheit "Nr. 10" der Einstellplatz Nr. 10. Im August 1986 verkauften die Eigentümer der Liegenschaft "L" die Stockwerkeinheit "Nr. 7" und den Miteigentumsanteil von1 /24 an der Autoeinstellhalle, ausmachend den Einstellplatz Nr. 7, an S. Gleichzeitig errichteten sie zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers der Stockwerkeinheit "Nr. 7" eine Dienstbarkeit, die mit dem Stichwort "'Benutzungsrecht' des Autoabstellplatzes Nr. 10" zu Lasten der Autoeinstellhalle ("A") im Grundbuch eingetragen wurde. Im Oktober 1986 verkauften sie die Stockwerkeinheit "Nr. 10" mit dem Einstellplatz Nr. 10 bzw.1 /24 der Autoeinstellhalle an die Ehegatten B., die den Einstellplatz Nr. 10 in der Autoeinstellhalle bis Anfang 1997 offenbar ungestört nutzten. K. erwarb im Jahre 1989 von S. die Stockwerkeinheit "Nr. 7" und den damit verbundenen Miteigentumsanteil an der Autoeinstellhalle (Einstellplatz Nr. 7). Anfangs 1997 wies sie die Ehegatten B. erfolglos auf das ihr zustehende Benutzungsrecht am Einstellplatz Nr. 10 hin. K. erhob Klage mit dem Begehren, den Eigentümern der Stockwerkeinheit "Nr. 10" die Benutzung des Einstellplatzes Nr. 10 unter Strafandrohung zu verbieten. Die Beklagten schlossen auf Abweisung und verlangten widerklageweise die Löschung der Grunddienstbarkeit. Die zweite kantonale Instanz hiess die Klage gut, wies die Widerklage ab und sprach das beantragte Verbot aus. Die von den Beklagten dagegen eingelegte Berufung weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Im kantonalen Verfahren haben die Beklagten geltend gemacht, die Eintragung der strittigen Grunddienstbarkeit sei rechtlich überhaupt nicht möglich. Die Klägerin könne sich deshalb nicht darauf
BGE 130 III 306 S. 308
berufen, sie habe das "Benutzungsrecht" im Jahre 1989 gutgläubig erworben.
3.1 Der öffentliche Glaube des Grundbuchs schützt den gutgläubigen Dritten, der gestützt auf einen unrichtigen Eintrag im Grundbuch Eigentum oder andere dingliche Rechte an einem Grundstück erwirbt. Massgebend ist ausschliesslich der durch den Grundbucheintrag bewirkte Rechtsschein. Im Vertrauen darauf erwirbt der gutgläubige Dritte somit dingliche Rechte selbst von einem Veräusserer, der im Grundbuch zu Unrecht als Eigentümer eingetragen ist oder dessen Grundstück aus einer im Grundbuch zu Unrecht eingetragenen Dienstbarkeit berechtigt ist (DESCHENAUX, Das Grundbuch, Schweizerisches Privatrecht V/3, 2 Bde, Basel 1988 und 1989, II, § 38/A/II S. 760; HOMBERGER, Zürcher Kommentar, 1938, N. 22 der Vorbem. zu Art. 942 ff . ZGB). Der öffentliche Glaube des Grundbuchs reicht nun aber nicht so weit, dass Rechte, die das Gesetz nicht als dingliche anerkennt, durch Eintragung im Grundbuch zu dinglichen werden. Der Eintrag eines nicht eintragungsfähigen Rechts (z.B. Dienstbarkeiten mit unzulässigem Inhalt) geniesst den Schutz von Art. 973 ZGB nicht (DESCHENAUX, a.a.O., II, § 38/B/AA/III/1a S. 769, und I, § 24/C/I/4e S. 502 ff. mit Beispielen; zuletzt: SCHMID, Basler Kommentar, 2003, N. 13 zu Art. 973 ZGB).
3.2 Das Kantonsgericht hat vorab den Eintrag auf dem Grundbuchblatt der Autoeinstellhalle ("A") " L (= Lasten)/Benutzungsrecht des Autoabstellplatzes Nr. 10, zugunsten von 'Nr. 7' " beurteilt. Es ist davon ausgegangen, ein derartiger Eintrag sei rechtlich zulässig. Die "Autoeinstellhalle" ist gemäss Begründungsakt und Eintragung im Grundbuch als eigene Stockwerkeinheit ausgeschieden. Rechtsprechung und herrschende Lehre sind sich einig, dass ein Stockwerkeigentumsanteil zu Gunsten eines andern mit einer Grunddienstbarkeit belastet werden kann. Voraussetzung einer derartigen Belastung ist nach herrschender Lehre, dass einerseits die Rechtspositionen der anderen Stockwerkeigentümer an der gemeinschaftlichen Sache nicht beeinträchtigt werden und andererseits der belastete Stockwerkeigentumsanteil als Haftungsobjekt des gesetzlichen Pfandrechts gemäss Art. 712i ZGB nicht entwertet wird (vgl. zu den Grundsätzen: BGE 106 II 315 E. 2 S. 317; MEIER-HAYOZ/ REY, Berner Kommentar, 1988, N. 104 ff. und 114 ff., und BÖSCH, Basler Kommentar, 2003, N. 16, je zu Art. 712a ZGB; MOOSER, Les
BGE 130 III 306 S. 309
actes de disposition, in: Propriété par étages, Basel 2003, S. 101 ff., 134 f.; WERMELINGER, La propriété par étages: commentaire des articles 712a à 712t du Code civil suisse, Freiburg i.Üe. 2002, N. 67-69 zu Art. 712c ZGB, mit dem Beispiel der Garage). Die Belastung der Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" ("A") mit einem "Benutzungsrecht" zu Gunsten der Stockwerkeinheit "Nr. 7" ist somit nach sachenrechtlichen Grundsätzen möglich und zulässig. Ob sie die erwähnten Voraussetzungen erfüllt hat, ist für die hier einzig zu prüfende Eintragungsfähigkeit der Grunddienstbarkeit nicht massgebend. Ihr Fehlen würde durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs geheilt (E. 3.1 soeben). Ob sich die Klägerin darauf berufen kann, wird noch zu beurteilen sein.
3.3 Gemäss Begründungsakt ist die Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" ("A") entsprechend der Anzahl Einstellplätze in Miteigentum aufgeteilt. Ein oder mehrere Miteigentumsanteile sind mit den übrigen Stockwerkeinheiten "untrennbar" verbunden (Art. 9 des Begründungsakts). Unter dem eingeschränkten Blickwinkel der Eintragungsfähigkeit stellt sich die weitere Frage, ob dieses besondere Eigentumsverhältnis an der Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" die Errichtung einer Grunddienstbarkeit ausschliesse.
3.3.1 Materiellrechtlich liegt im vorliegenden Fall subjektiv-dingliches Miteigentum vor, und zwar nach - unangefochtener - Auffassung der Beklagten unselbstständiges Miteigentum ("copropriété dépendante" bzw. "comproprietà dipendente"): Miteigentumsanteile an der Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" sind mit dem Eigentum an den übrigen Stockwerkeinheiten dauerhaft zu bestimmtem Zweck verknüpft (z.B. BGE 106 II 11 E. 4 S. 17 ff.; WERMELINGER, a.a.O., N. 20 ff. zu Art. 712b ZGB; MEIER-HAYOZ/REY, a.a.O., N. 56 und 85 zu Art. 712b sowie N. 61 zu Art. 712d ZGB; vgl. zu dieser und weiteren Möglichkeiten: ZOBL, Rechtsfragen zur Sondernutzung an Autoabstellplätzen bei Stockwerkeigentum, in: Festschrift Grossen, Basel 1992, S. 285 ff.). Dahingestellt bleiben kann dabei im vorliegenden Zusammenhang (E. 3.1 soeben), ob es rechtlich zulässig ist, dass an der Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" neben unselbstständigen auch noch gewöhnliche Miteigentumsanteile bestehen (vgl. dazu SCHMID, a.a.O., N. 13 zu Art. 946 ZGB; EGGEN, Privatrechtliche Fragen des neuen Bauens und ihre Wirkungen auf das Grundbuch, ZBGR 53/1972 S. 207 ff., 215).
3.3.2 Im Grundbuch kommt dieses unselbstständige subjektiv-dingliche Miteigentum wie folgt zum Ausdruck: Auf dem
BGE 130 III 306 S. 310
Grundbuchblatt der Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" sind als Eigentümer die Nummern der einzelnen Stockwerkeinheiten eingetragen, denen je Miteigentumsanteile zugeordnet sind. Diese Zuordnung ist auf den Grundbuchblättern der einzelnen Stockwerkeinheiten angemerkt. Grundbuchtechnisch liegt ein Anwendungsfall von Art. 32
SR 211.432.1 Grundbuchverordnung vom 23. September 2011 (GBV) GBV Art. 32 Erstellung von amtlichen Auszügen - 1 Papierauszüge aus dem informatisierten Grundbuch werden als Ausdrucke aus dem System erstellt und durch die zuständige Person des Grundbuchamts mit Datum und Unterschrift beglaubigt. |
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1 | Papierauszüge aus dem informatisierten Grundbuch werden als Ausdrucke aus dem System erstellt und durch die zuständige Person des Grundbuchamts mit Datum und Unterschrift beglaubigt. |
2 | Papierauszüge aus dem Papiergrundbuch werden als Kopien oder Abschriften erstellt und durch die zuständige Person des Grundbuchamts mit Datum und Unterschrift beglaubigt. Erfordern die Umstände nichts anderes, so können Auszüge, die durch Kopie eines Hauptbuchblatts erstellt werden, auch gelöschte Daten wiedergeben. |
3 | Die Erstellung von elektronischen amtlichen Auszügen aus dem informatisierten Grundbuch richtet sich nach der Verordnung vom 8. Dezember 201741 über die Erstellung elektronischer öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen (EÖBV). |
4 | Die Kantone können elektronische amtliche Auszüge aus dem Papiergrundbuch anbieten. Die Erstellung richtet sich nach der EÖBV. |
3.3.3 Unselbstständiges subjektiv-dingliches Miteigentum beruht auf der Vereinbarung der betreffenden Eigentümer. Gemäss Art. 646 Abs. 3
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BGE 130 III 306 S. 311
eröffnet lediglich die Möglichkeit, die Zusammengehörigkeit der Grundstücke zum Ausdruck zu bringen (DESCHENAUX, a.a.O., I, § 20/B/IV S. 417 f.; WERMELINGER, a.a.O., N. 24 zu Art. 712b ZGB mit weiteren Hinweisen; allenfalls missverständlich die Formulierung von BRUNNER/WICHTERMANN, Basler Kommentar, 2003, N. 3 zu Art. 646
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3.3.4 Wird beachtet, dass unselbstständiges subjektiv-dingliches Miteigentum einzig vom Willen aller Miteigentümer abhängt (E. 3.3.3 soeben), so versteht sich von selbst, dass die Miteigentümer die Verbindung von Haupt- und Anmerkungsgrundstück jederzeit lösen können. Durch gemeinsame Willenserklärung aller Beteiligten ist sowohl die Veräusserung des Anmerkungsgrundstücks als auch seine Belastung rechtlich zulässig (Art. 648 Abs. 2
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BGE 130 III 306 S. 312
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3.3.5 Unter dem eingeschränkten Blickwinkel der Eintragungsfähigkeit ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - anzuerkennen, dass die Errichtung der strittigen Grunddienstbarkeit an der Stockwerkeinheit "Autoeinstellhalle" rechtlich möglich und zulässig gewesen ist (E. 3.2 soeben), und zwar unbesehen deren Aufteilung in unselbstständiges subjektiv-dingliches Miteigentum. Ob die Promotoren im Zeitpunkt der Errichtung Eigentümer sämtlicher Miteigentumsanteile und damit verfügungsbefugt waren und ob ihr damaliger Antrag an das Grundbuchamt ausreichend war, ist für die hier einzig zu prüfende Eintragungsfähigkeit der Grunddienstbarkeit nicht massgebend. Allfällige Mängel dieser Art würden durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs geheilt (E. 3.1 hiervor). Ob sich die Klägerin darauf berufen kann, ist im Folgenden zu beurteilen.