129 II 168
17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) 6A.64/2002 vom 17. Dezember 2002
Regeste (de):
- Art. 16
und 17
SVG, Art. 30 Abs. 4
VZV; Warnungsentzug des Führerausweises nach Verkehrsdelikt im Ausland.
- Der Warnungsentzug des Führerausweises nach Verkehrsdelikten im Ausland ist zulässig, wenn die Fahrberechtigung auch vom Tatortstaat entzogen wird. Entzieht die schweizerische Behörde den Führerausweis, so hat sich ihr Entscheid nach schweizerischem Recht zu richten; insbesondere ist eine allfällige gesetzliche Mindestentzugsdauer verbindlich (E. 2).
- Kann der Vollzug der beiden Massnahmen nicht koordiniert werden und ist die ausländische Massnahme bereits vollzogen, wenn der Warnungsentzug in der Schweiz angeordnet wird, so hat die zuständige Behörde bei der Bemessung der Entzugsdauer der ausländischen Massnahme angemessen Rechnung zu tragen (E. 6).
Regeste (fr):
- Art. 16 et 17 LCR, art. 30 al. 4 OAC; retrait d'admonestation du permis de conduire consécutif à une infraction de circulation commise à l'étranger.
- Le retrait d'admonestation du permis de conduire consécutif à une infraction de circulation commise à l'étranger est admissible si une interdiction de conduire a été prononcée par l'Etat où la violation a eu lieu. Lorsque l'autorité compétente suisse retire le permis, elle doit appliquer les règles du droit suisse, en particulier celles relatives à la durée minimale du retrait (consid. 2).
- Si l'exécution coordonnée des deux mesures n'est pas possible et si la mesure prise à l'étranger a déjà été exécutée au moment où le retrait d'admonestation est ordonné en Suisse, l'autorité compétente doit tenir compte équitablement de la mesure étrangère lors de la fixation de la durée du retrait (consid. 6).
Regesto (it):
- Art. 16 e 17 LCStr, art. 30 cpv. 4 OAC; revoca della licenza di condurre a scopo di ammonimento in seguito a violazioni delle norme della circolazione perpetrate all'estero.
- La revoca della licenza di condurre a scopo di ammonimento in seguito a violazioni delle norme della circolazione perpetrate all'estero è ammessa se il diritto di condurre è stato revocato ugualmente nello Stato del luogo di commissione. Quando è l'autorità svizzera a revocare la licenza, essa deve attenersi al diritto svizzero; in modo particolare è vincolata ad una eventuale durata legale minima della revoca (consid. 2).
- Se l'esecuzione coordinata delle due misure non è possibile e la misura all'estero è già stata eseguita al momento in cui la revoca a scopo di ammonimento è stata ordinata in Svizzera, allora l'autorità competente, nel fissare la durata della revoca, deve tenere conto in maniera adeguata della misura adottata all'estero (consid. 6).
Sachverhalt ab Seite 169
BGE 129 II 168 S. 169
A.- X., wohnhaft im Kanton St. Gallen, fuhr am 24. Februar 2001 um 01.54 Uhr am Steuer eines "Mercedes 500" mit liechtensteinischem Nummernschild im österreichischen Feldkirch. Dort geriet er in eine Polizeikontrolle. Seine Atemluft wies eine Alkoholkonzentration von 0,53 mg/l auf. Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch verurteilte X. am 1. März 2001 wegen Lenkens eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol beeinflussten Zustand zu einer Geldstrafe. Mit Bescheid vom gleichen Tag aberkannte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch X. die Berechtigung, in Österreich ein Motorfahrzeug zu führen, für die Dauer von vier Wochen. Straferkenntnis und Aberkennungsbescheid blieben unangefochten und erwuchsen in Rechtskraft. Sie wurden in der Folge den Behörden des Kantons St. Gallen mitgeteilt. X. war der Führerausweis im Kanton St. Gallen schon einmal wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand entzogen worden. Der fünfmonatige Entzug hatte am 28. Juni 1997 geendet.
B.- Ausgehend vom Atemalkoholgehalt von 0,53 mg/l, ermittelte das kantonale Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt mit einem Umrechnungsfaktor von 1,70 einen Blutalkoholgehalt von 0,90 Gewichtspromillen. Mit Verfügung vom 27. April 2001 entzog es X. den Führerausweis für die Dauer von zwölf Monaten (Art. 16 Abs. 3 lit. b
![](media/link.gif)
![](media/link.gif)
BGE 129 II 168 S. 170
Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen wies den von X. dagegen eingereichten Rekurs am 3. Juli 2002 ab.
C.- X. erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei von einem Führerausweisentzug abzusehen. Subsidiär sei das Fahrverbot auf einen Monat und auf das Gebiet der Schweiz zu beschränken und es sei ihm ein rechtsgenüglicher Führerausweis zu überlassen, der es ihm erlaube, während des Entzugs des schweizerischen Führerausweises im Ausland ein Fahrzeug zu lenken. Sodann beantragt er die aufschiebende Wirkung für die Beschwerde und die Abnahme von Beweisen.
D.- Die Verwaltungsrekurskommission beantragt unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) pflichtet dem angefochtenen Entscheid grundsätzlich bei. Es schlägt aber vor, die Entzugsdauer auf elf Monate herabzusetzen, um dem in Österreich schon vollzogenen einmonatigen Fahrverbot Rechnung zu tragen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer wendet sodann unter Berufung auf die neueste Rechtsprechung ein, die kantonale Behörde dürfe die ausländische Massnahme höchstens nachvollziehen, also den Ausweis nicht für eine längere Dauer entziehen, als es die Behörde des Tatortstaates getan habe.
2.1 In Abänderung der bis dahin geltenden Praxis zum Warnungsentzug hat das Bundesgericht kürzlich erkannt, der schweizerische Führerausweis dürfe wegen einer Auslandtat nur noch entzogen werden, wenn auch der Tatortstaat die Fahrberechtigung für sein Staatsgebiet entzogen hat. Das Bundesgericht änderte die Rechtsprechung im Wesentlichen wegen der Absicht des Bundesrates, das schweizerische Recht in Sachen Führerausweis mit dem europäischen zu harmonisieren. Es wies in diesem Zusammenhang auf das Übereinkommen der Europäischen Union vom 17. Juni 1998 über den Entzug der Fahrerlaubnis hin, welches folgende Grundregel statuiert: Die durch europäische Drittstaaten als Tatortstaaten verfügten Führerausweisentzüge können und sollen durch den Wohnsitzstaat übernommen oder gerichtlich nachvollzogen werden, der Wohnsitzstaat darf jedoch mit der von ihm verfügten Massnahme nicht über das Sanktionsmass hinausgehen, das vom Tatortstaat festgesetzt worden ist (BGE 128 II 133 E. 4d).
BGE 129 II 168 S. 171
Das Bundesgericht hat im Sinne einer Harmonisierung mit den Nachbarländern und zur Vermeidung einer in Europa singulären Praxis festgehalten, "dass der schweizerische Nachvollzug einer vom Ausland verfügten Massnahme durch die Art der ausländischen Massnahme begrenzt wird; der schweizerische Führerausweis darf deshalb nur noch entzogen werden, wenn auch der Tatortstaat die Fahrberechtigung für sein Staatsgebiet entzogen hat". Mehr hatte das Bundesgericht nicht zu entscheiden. Insbesondere war nicht die Frage zu beantworten, ob und inwiefern die Dauer eines vom Tatortstaat verfügten Entzuges der Fahrberechtigung bei der Festsetzung der Dauer des schweizerischen Führerausweisentzugs zu berücksichtigen ist. Die Frage stellt sich auch vorliegend nicht.
2.2 Das erwähnte europäische Übereinkommen gilt für die Schweiz nicht. Der Beschwerdeführer kann aus diesem Übereinkommen folglich nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die durch BGE 128 II 133 eingeleitete Änderung der Rechtsprechung hat nicht zur Folge, dass im Falle, in welchem der Tatortstaat die Fahrberechtigung entzieht, die Dauer des Entzuges in der Schweiz durch die Dauer der ausländischen Massnahme begrenzt wird. Entziehen schweizerische Behörden einem in der Schweiz wohnhaften Fahrzeuglenker den Führerausweis, so haben sie dies ausschliesslich in Anwendung schweizerischen Rechtes zu tun. Dieses kennt jedoch keine Norm, die es erlaubte, in Fällen von Auslandtaten von der allgemeinen gesetzlichen Ordnung abzuweichen. Es sind beim Nachvollzug somit die schweizerischen Bestimmungen über die Festsetzung der Dauer und insbesondere jene über die Mindestdauer des Entzuges zu beachten. Anlässlich der letzten Revision des Strassenverkehrsgesetzes vom 14. Dezember 2001 (AS 2002 S. 2767) sind im Übrigen die Vorschriften über die Mindestentzugsdauer verschärft worden, und der Gesetzgeber hat ausdrücklich festgehalten, dass diese nicht unterschritten werden darf (Art. 16 Abs. 3 nSVG). Würde die gesetzliche Mindestentzugsdauer beim Nachvollzug einer ausländischen Massnahme nicht beachtet, widerspräche dies dem klaren Willen des Gesetzgebers. Die Vorinstanz hat auf die in Art. 17 Abs. 1 lit. d
![](media/link.gif)
6. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, der Führerausweisentzug führe mangels Koordination zwischen den österreichischen und den schweizerischen Behörden im Ergebnis zu einer
BGE 129 II 168 S. 172
Doppelbestrafung. Ein Entzug in der Schweiz sei deshalb solange unstatthaft, als nicht ein Mittel bestehe, um ihm gleichzeitig das legale Fahren im Ausland zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang schlägt das ASTRA vor, den Ausweisentzug auf elf Monate zu begrenzen, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Ausweisentzug in der Schweiz dem Beschwerdeführer auch das Führen eines Fahrzeugs in Österreich verbietet, obwohl er dort bereits während eines Monats nicht habe fahren dürfen.
6.1 Derjenige, dem der schweizerische und, gestützt auf Art. 45 Abs. 2
![](media/link.gif)
BGE 129 II 168 S. 173
wird. Dort heisst es, ein internationaler Führerausweis berechtige nur denjenigen zum Führen eines Motorfahrzeugs, der auch im Besitz eines nationalen Ausweises sei; fehle dieser, sei in Deutschland mit einem Strafverfahren und der Beschlagnahme des Fahrzeugs zu rechnen. Auf diesen Einwand ist die Vorinstanz nicht explizit eingegangen.
6.2 Internationale Führerausweise dürfen nur Inhabern schweizerischer oder ausländischer Ausweise erteilt werden (Art. 46 Abs. 1
![](media/link.gif)
![](media/link.gif)
![](media/link.gif)
6.3 Die Rechtsprechung hat verschiedentlich den strafähnlichen Charakter des Warnungsentzugs erwähnt und aus diesem Grund dort, wo die gesetzliche Regelung des Warnungsentzuges lückenhaft ist, auf strafrechtliche Grundsätze zurückgegriffen (vgl. BGE 128 II 285 E. 2.4 in fine). Bei Straftaten mit internationalem Bezug können unter Umständen mehrere Strafrechtsordnungen anwendbar sein und der Täter kann wegen derselben Tat sowohl im Ausland wie in der Schweiz
BGE 129 II 168 S. 174
strafrechtlich verurteilt werden. Eine derartige Doppelbestrafung verstösst nach allgemeiner Ansicht nicht gegen den Grundsatz "ne bis in idem", sie kann im Ergebnis aber unbillig sein. Um unbillige Folgen zu vermeiden, sieht das schweizerische Strafrecht die Anrechnung der ausländischen Strafe vor (vgl. Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2
![](media/link.gif)
SR 311.0 Codice penale svizzero del 21 dicembre 1937 CP Art. 3 - 1 Il presente Codice si applica a chiunque commette un crimine o un delitto in Svizzera. |
|
1 | Il presente Codice si applica a chiunque commette un crimine o un delitto in Svizzera. |
2 | Se, per il medesimo fatto, l'autore è stato condannato all'estero e vi ha scontato totalmente o parzialmente la pena, il giudice computa la pena scontata all'estero in quella da pronunciare. |
3 | Fatta salva una crassa violazione dei principi della Costituzione federale e della Convenzione del 4 novembre 19505 per la salvaguardia dei diritti dell'uomo e delle libertà fondamentali (CEDU), l'autore perseguito all'estero a richiesta dell'autorità svizzera non è più perseguito in Svizzera per il medesimo fatto se: |
a | è stato assolto con sentenza definitiva dal tribunale estero; |
b | la sanzione inflittagli all'estero è stata eseguita o condonata oppure è caduta in prescrizione. |
4 | Se l'autore perseguito all'estero a richiesta dell'autorità svizzera non ha scontato o ha solo parzialmente scontato la pena all'estero, l'intera pena o la parte residua è eseguita in Svizzera. Il giudice decide se una misura non eseguita o solo parzialmente eseguita all'estero debba essere eseguita o continuata in Svizzera. |
Die schweizerische Entzugsbehörde hat demzufolge die schon vollstreckte ausländische Massnahme anzurechnen und die Dauer des Entzuges des nationalen Führerausweises so festzusetzen, dass dieser Entzug und die ausländische Massnahme zusammen nicht strenger erscheinen als der Entzug des nationalen Ausweises, der ausgesprochen worden wäre, wenn die Anlasstat in der Schweiz begangen worden wäre. Wie hierbei der Entzug der Fahrberechtigung im fremden Staat zu gewichten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, namentlich davon, ob der Betroffene in diesem Staat ein Fahrzeug selten oder häufig führt und ob ihn deshalb die ausländische Massnahme während der entsprechenden Zeit nur in geringem oder in starkem Masse einschränkte.
6.4 Das ASTRA schlägt vor, die in der Schweiz an sich auszusprechende Entzugsdauer von zwölf Monaten um einen Monat herabzusetzen, um so dem einmonatigen Entzug der Fahrerlaubnis in Österreich Rechnung zu tragen. Dies würde sich rechtfertigen, wenn der Beschwerdeführer fast ausschliesslich in Österreich führe. Dem ist aber nicht so. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich vielmehr, dass sein Arbeitsort im Fürstentum Liechtenstein liegt, dass er mit dem Fahrzeug Kunden in der Schweiz aufsucht, dass sich sein gesetzlicher Wohnsitz in der Schweiz befindet und dass er in Österreich das Fahrzeug nur zu privaten Zwecken braucht. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zwecks weiterer Abklärungen drängt sich angesichts der feststehenden Tatsachen und des zu treffenden Entscheids nicht auf. Der Beschwerdeführer benutzt sein Fahrzeug für seine berufliche Tätigkeit vorwiegend ausserhalb Österreichs, und er hat auch seinen Wohnsitz ausserhalb dieses Landes. Die Einschränkung in privaten, wenn auch regelmässigen Tätigkeiten in Österreich hat damit verhältnismässig wenig Gewicht. Unter diesen Umständen ist die Verkürzung des schweizerischen Führerausweisentzugs um einen halben Monat jedenfalls hinreichend, um dem bereits vollzogenen einmonatigen Entzug der Fahrberechtigung in Österreich Rechnung zu tragen.