127 V 196
29. Auszug aus dem Urteil vom 4. Mai 2001 i. S. CSS Versicherung gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
Regeste (de):
- Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG: Kostenlosigkeit des kantonalen Beschwerdeverfahrens.
- Es ist unzulässig, in einem kantonalen Beschwerdeverfahren, in dem sich zwei Versicherer gegenüberstehen, dem unterliegenden Versicherer Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn sich dieser nicht leichtsinnig oder mutwillig verhalten hat.
Regeste (fr):
- Art. 108 al. 1 let. a LAA: Gratuité de la procédure de recours devant les tribunaux cantonaux.
- Dans les procès opposant deux assureurs, les tribunaux cantonaux ne peuvent mettre des frais de justice à la charge de la partie qui succombe, lorsque celle-ci n'a pas agi témérairement ou à la légère.
Regesto (it):
- Art. 108 cpv. 1 lett. a LAINF: Gratuità della procedura di ricorso in sede cantonale.
- Nei processi opponenti due assicuratori, i tribunali cantonali non sono legittimati a porre spese giudiziarie a carico della parte soccombente qualora quest'ultima non abbia agito in modo temerario o con leggerezza.
Sachverhalt ab Seite 196
BGE 127 V 196 S. 196
A.- In Bestätigung einer Verfügung vom 29. April 1998 verneinte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) mit Einspracheentscheid vom 25. Juni 1998 ihre Leistungspflicht für das vom 1960 geborenen W. gemeldete Karpaltunnelsyndrom an der linken Hand, weil es sich nicht um eine Berufskrankheit handle.
B.- Die von der CSS Versicherung (CSS) hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 13. Oktober 1999 ab, wobei es der CSS unter Verneinung des Vorliegens von Leichtsinnigkeit oder Mutwilligkeit eine Gerichtsgebühr von 2500 Franken auferlegte.
BGE 127 V 196 S. 197
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die CSS, der kantonale Gerichtsentscheid sei vollumfänglich aufzuheben und die SUVA sei zu verpflichten, dem Versicherten im Zusammenhang mit dem Karpaltunnelsyndrom links die gesetzlichen Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung zu erbringen; eventuell sei die Sache zwecks Durchführung von Abklärungen und neuer Verfügung an die Vorinstanz oder die Verwaltung zurückzuweisen. Die SUVA schliesst in materieller Hinsicht auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wohingegen sie im Kostenpunkt auf eine Stellungnahme verzichtet. Der als Mitinteressierter beigeladene W. und das Bundesamt für Sozialversicherung haben sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Streitig ist ausserdem, ob das kantonale Gericht der Beschwerdeführerin, die sich - wie es richtig feststellte - weder leichtsinnig noch mutwillig verhielt, Gerichtskosten auferlegen durfte. Die Vorinstanz hat für das kantonale Beschwerdeverfahren unter Berufung auf die ratio legis des Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG eine mit der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zum letztinstanzlichen Verfahren (Art. 134 OG; z.B. BGE 126 V 192 Erw. 6; vgl. Erw. 2e hienach) verwandte Praxis eingeleitet, wonach im Verfahren zwischen Versicherern von der unterliegenden Partei Gerichtskosten erhoben werden. Die Rechtmässigkeit der so begründeten Kostenpflicht für das kantonale Gerichtsverfahren ist vorliegend zu prüfen. a) In RKUV 1998 Nr. U 306 S. 447 Erw. 6 erklärte das Eidg. Versicherungsgericht in Anwendung von Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG, die Kosten des im kantonalen Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens bildeten Bestandteil der Verfahrenskosten und gingen zu Lasten der Gerichtskasse; sie hätten dem Unfallversicherungsträger nur dann überbunden werden dürfen, wenn sich dieser als Prozesspartei leichtsinnig oder mutwillig verhalten hätte. In einem nicht veröffentlichten Urteil L. vom 20. Oktober 1995, U 40/95, erinnerte das Eidg. Versicherungsgericht in einem obiter dictum daran, dass das kantonale Beschwerdeverfahren gemäss Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG grundsätzlich kostenlos sei, und hielt allgemein fest, dass die kantonalen Gerichte den Parteien ausser als Sanktionierung eines leichtsinnigen oder mutwilligen Verhaltens keine Verfahrenskosten auferlegen dürften. Schliesslich bemerkte das Eidg.
BGE 127 V 196 S. 198
Versicherungsgericht in BGE 126 V 411 in einem Krankenversicherungsfall - Art. 87 lit. a KVG stimmt inhaltlich mit Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG überein -, im erstinstanzlichen Verfahren kenne die Kostenlosigkeit des Beschwerdeverfahrens nur eine Ausnahme für den Fall der Mutwilligkeit oder Leichtsinnigkeit. Diese nicht ausführlich begründeten allgemeinen Aussagen, deren Anwendung dazu führen müsste, in der vorliegenden Streitsache eine Kostenüberbindung auf die Beschwerdeführerin als unzulässig zu bezeichnen, sind im Folgenden einer Überprüfung zu unterziehen, zumal sie nicht spezifisch Verfahren zwischen Versicherern betreffen. Ob es abgesehen von Leichtsinnigkeit und Mutwilligkeit eine Ausnahme von der Unentgeltlichkeit des kantonalen Beschwerdeverfahrens gibt für den Fall des Prozesses zwischen Versicherern, ist auf Grund des Wortlauts des Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG, der Materialien zu verschiedenen bundessozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über die Ausgestaltung des kantonalen Beschwerdeverfahrens und eines Vergleichs mit Art. 134 OG zu untersuchen. b) Art. 108 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG) lautet: "1 Die Kantone regeln das Verfahren ihrer Versicherungsgerichte. Es hat folgenden Anforderungen zu genügen: a. Das Verfahren muss einfach, rasch und für die Parteien kostenlos sein; einer Partei, die sich leichtsinnig oder mutwillig verhält, können jedoch eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt werden. b. ..."
"1 Les cantons règlent la procédure devant le tribunal cantonal. Celle-ci doit satisfaire aux exigences suivantes: a. Etre simple, rapide et gratuite pour les parties. Des émoluments de justice et les frais de procédure peuvent toutefois être mis à la charge de la partie qui a agi témérairement ou à la légère; b. ..."
"1 I Cantoni regolano la procedura dei rispettivi tribunali delle assicurazioni. Vanno soddisfatte le seguenti condizioni: a. la procedura dev'essere semplice, spedita e gratuita per le parti; in caso di ricorso temerario o per leggerezza possono tuttavia essere addossate una tassa di giustizia e le spese processuali; b. ..."
c) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden
BGE 127 V 196 S. 199
unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 126 II 80 Erw. 6d, BGE 126 III 104 Erw. 2c, BGE 126 V 58 Erw. 3, 105 Erw. 3, je mit Hinweisen). d) aa) Der Wortlaut des Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG sieht die Auferlegung einer Spruchgebühr und der Verfahrenskosten nur für den Fall vor, dass sich eine Partei leichtsinnig oder mutwillig verhält. Von dieser Ausnahme abgesehen schreibt er vorbehaltlos ein für die Parteien kostenloses Verfahren vor. Nachdem der Grundsatz der Kostenlosigkeit für die Parteien gilt, von denen immer mindestens eine ein Versicherer ist, kann der Wortlaut zum einen nicht dahin gehend verstanden werden, dass lediglich die Beschwerde führende Person, nicht aber die verfügende Instanz von Verfahrenskosten befreit sein sollte. Zum andern enthält die Bestimmung keine über das leichtsinnige oder mutwillige Verhalten hinausgehende Ausnahme für Verfahren unter Versicherern im Sinne einer Kostenpflichtigkeit des unterliegenden - beschwerdeführerischen (vgl. Art. 129 UVV) oder beschwerdegegnerischen - Versicherers. Hätte der Gesetzgeber in Bezug auf die Verfahrenskosten für Versicherer - im Allgemeinen oder nur bei Streitigkeiten zwischen Versicherern - eine andere Regelung treffen wollen als für Versicherte, hätte er in Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG nicht allgemein von "Parteien" gesprochen, sondern - wie im Bereich der Parteientschädigung (Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG), die nur dem obsiegenden Beschwerdeführer und damit grundsätzlich nur der versicherten Person (BGE 126 V 150 f. Erw. 4b) zusteht - eine ausdrückliche Differenzierung getroffen (vgl. RKUV 1990 Nr. U 98 S. 196 Erw. 10). Der Wortlaut von Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG spricht demnach dafür, dass in einem kantonalen Gerichtsverfahren zwischen zwei Versicherern dem unterliegenden Versicherer ausser im Falle leichtsinnigen oder mutwilligen Verhaltens keine Verfahrenskosten auferlegt werden dürfen. bb) Der Bundesrat, dessen Entwurf eines Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG (BBl 1976 III 240 und 277) unverändert zum Gesetz wurde, erklärte in seiner Botschaft zum Bundesgesetz über die
BGE 127 V 196 S. 200
Unfallversicherung vom 18. August 1976 (BBl 1976 III 141 ff.), die Verfahrensregeln der kantonalen Versicherungsgerichte für den Bereich der Unfallversicherung würden jenen der übrigen Sozialversicherungszweige angeglichen. Die bedeutsamste Neuerung bestehe darin, dass das Verfahren nicht nur - wie bisher - für bedürftige Beschwerdeführer kostenlos sein müsse, sondern in allen Fällen, in denen nicht leichtsinniges oder mutwilliges Verhalten einer Partei vorliege (Ziff. 356 der Botschaft [BBl 1976 III 179]). Bei der Regelung der übrigen Sozialversicherungszweige über das kantonale Beschwerdeverfahren, an die eine Angleichung stattfinden sollte, handelt es sich insbesondere um Art. 85 Abs. 2
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 85 |
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BGE 127 V 196 S. 201
geändert hat, ist ersichtlich, dass die Bundesversammlung den Ausdruck "grundsätzlich" dahin verstand, dass er nur die in dieser Bestimmung ausdrücklich erwähnten Ausnahmen der Leichtsinnigkeit und Mutwilligkeit vorbehält, nicht aber darüber hinausgehende Ausnahmen zulässt. Die Berichterstatter der nationalrätlichen Kommission, die abgesehen von der noch fehlenden Erwähnung der Mutwilligkeit den schliesslich zum Gesetz gewordenen Wortlaut vorschlug, wiesen nämlich in der parlamentarischen Debatte darauf hin, dass eine Spruchgebühr und Verfahrenskosten nur auferlegt werden sollten, wenn ein Fall offensichtlich leichtsinniger Beschwerdeführung vorliege (Amtl.Bull. 1946 N 687). Der Berichterstatter der ständerätlichen Kommission seinerseits erklärte, der Nationalrat habe beschlossen, die Auferlegung von Kosten auf Fälle leichtsinniger Beschwerdeführung zu beschränken, wobei die ständerätliche Kommission noch das Wort "mutwillig" eingefügt habe, sodass die Kosten gemäss deren - Gesetz gewordenem - Antrag nicht nur bei leichtsinniger, sondern auch bei mutwilliger Beschwerde auferlegt werden könnten (Amtl.Bull. 1946 S 439). Wenn die Eidgenössischen Räte schon Art. 85 Abs. 2
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BGE 127 V 196 S. 202
Versicherungsgericht "einfach, rasch, in der Regel öffentlich und für die Parteien kostenlos sein; einer Partei, die sich mutwillig oder leichtsinnig verhält, können jedoch eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt werden". Diese Vorschrift stimmt hinsichtlich der Kostenlosigkeit inhaltlich mit Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG überein. Der in Art. 61 lit. a
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BGE 127 V 196 S. 203
Im Rahmen der parlamentarischen Diskussion über Art. 67
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BGE 127 V 196 S. 204
Versicherer Gerichtskosten auferlegt (BGE 119 V 222 Erw. 4 für ein Verfahren zwischen zwei Unfallversicherern; BGE 120 V 494 Erw. 3 für einen Rechtsstreit zwischen einem Unfallversicherer und der Ersatzkasse; AHI 2000 S. 206 Erw. 2 für ein Verfahren zwischen der Invalidenversicherung und einem Unfallversicherer; BGE 126 V 192 Erw. 6 für einen Rechtsstreit zwischen einer Krankenkasse und einem Unfallversicherer). Der eine Ausnahme (Art. 135
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