127 IV 62
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. November 2000 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und A. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 125 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. 2 Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. - Sorgfaltspflichten des Reitlehrers bei mehrmaligem Ausbrechen der Pferde während einer Reitlektion in der Halle (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 125 al. 2 CP; lésion corporelle grave par négligence, accident d'équitation.
- Devoirs de prudence du maître d'équitation en cas de dérobades répétées des chevaux au cours d'une leçon d'équitation se déroulant dans un manège (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 125 cpv. 2 CP; lesioni colpose gravi, incidente di equitazione.
- Dovere di prudenza che incombe a un maestro di equitazione quando, durante una lezione in maneggio, i cavalli scartano ripetutamente (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 62
BGE 127 IV 62 S. 62
Am 13. September 1996 erteilte X. im Reitsportzentrum "Höldihof" in Rupperswil einer Gruppe von sechs Mädchen im Alter von 10-12 Jahren Reitunterricht. Da er zum vereinbarten Zeitpunkt noch an einer in der Nähe stattfindenden Springkonkurrenz anwesend war, wählten die Schülerinnen mit seinem Einverständnis die Pferde, welche sie auch sonst ritten, selber aus und stellten sie bereit. X. kontrollierte, nachdem er mit rund fünfzehn Minuten Verspätung in den Stallungen erschienen war, das Bereitmachen der Tiere und prüfte, bevor er mit dem Unterricht begann, in der Halle die Einstellung der
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Steigbügel und Gurten. Wegen der kühlen Witterung und der Springkonkurrenz zeigten die Pferde eine gewisse Unruhe. Als X. nach fünfzehn Minuten befahl, vom Schritt in den Trab zu wechseln, scherte das Pferd "Amigo" aus. Die anderen Pferde, darunter das von A., geboren 1986, gerittene Pferd "Dubai" taten es ihm gleich und trabten ebenfalls aus der Reihe los. X. gelang es, die Tiere mit der Stimme zu beruhigen, und ordnete wiederum eine Schrittphase an. Nach einigen Minuten wiederholte sich der Vorgang, die Tiere brachen aus und X. konnte sie wiederum beruhigen. Nachdem er in der Folge ein drittes Mal den Übergang vom Schritt in den Trab befohlen hatte, begann "Amigo" erneut zu bocken und galoppierte los, wobei es "Dubai" und die andern Pferde mitzog. Die Pferde liessen sich dieses Mal nicht mehr beruhigen und galoppierten schliesslich kreuz und quer durch die Halle. Es herrschte ein Durcheinander, bei dem mehrere Reiterinnen vom Pferd fielen. Dabei warf "Dubai" seine Reiterin, A., vornüber ab, so dass sie vor die Vorderhufe des Pferdes stürzte. Dieses rannte über das Kind hinweg und traf es mit einem Huf am Hinterkopf. A. erlitt dabei ein Schädel-Hirntrauma mit diversen Frakturen.
Das Bezirksgericht Lenzburg erklärte X. mit Urteil vom 29. April 1999 der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von drei Monaten, unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 500.-. Es stellte fest, dass der Geschädigten dem Grundsatz nach Zivilansprüche zustehen und verwies die Zivilkläger im Übrigen an das Zivilgericht. Eine von X. hiegegen erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 8. Juni 2000 teilweise gut und setzte die Freiheitsstrafe auf einen Monat herab. Im Übrigen wies es die Berufung ab. X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, ihn von Schuld und Strafe freizusprechen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. a) Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch der fahrlässigen schweren Körperverletzung. Er macht geltend, er habe keine Sorgfaltspflichten verletzt und die Reitstunde fachgerecht aufgebaut. Pferde seien Fluchttiere, die oft schreckhaft
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und in gewissem Masse unberechenbar seien. Der Reitsport sei daher grundsätzlich gefährlich, was jedem Reiter bewusst sei. Er habe, indem er die Pferde nach dem zweiten Ausbrechen erneut habe im Schritt dem Hufgang entlang schreiten lassen, angemessen reagiert. Ausserdem sei für ihn nicht voraussehbar gewesen, dass seine wiederholte Anordnung, vom Schritt in den Trab überzugehen, eine derart unglückliche Verletzung der Beschwerdegegnerin bewirken würde. b) Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, der Beschwerdeführer habe spätestens dann sorgfaltswidrig gehandelt, als er die Schülerinnen zum dritten Mal anwies, vom Schritt in den Trab zu wechseln. Aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des Pferdes "Amigo" habe er davon ausgehen müssen, dass dieses ein weiteres Mal bocken und losgaloppieren könnte. Er hätte es daher nicht erneut mit derselben Massnahme, nämlich der Beruhigungsphase im Schritt, bewenden lassen dürfen, die sich bereits vorgängig als untauglich erwiesen hatte. Überhaupt hätte der Beschwerdeführer angesichts des Risikos, dass die Pferde erneut durchbrennen könnten, nicht ein weiteres Mal den Wechsel in den Trab anordnen dürfen, es sei denn, er hätte das Pferd "Amigo" selber geritten. Überdies sei voraussehbar gewesen, dass ein nochmaliges Durchbrennen von "Amigo" die übrigen Pferde veranlassen würde, es ihm gleich zu tun, und dass dies zum Sturz einzelner Schülerinnen und damit zu mehr oder minder schweren Verletzungen führen könnte. Damit habe der Beschwerdeführer den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung erfüllt. c) Ein Schuldspruch gemäss Art. 125
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
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1 | Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
2 | Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
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der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat (Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
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Magglingen (ESSM) das Merkblatt "Reiten. Aber sicher" (Mb 9623/1) herausgegeben. Darin werden Hinweise auf die speziellen Verhaltensweisen der Pferde gegeben und Ratschläge für deren Pflege und den Umgang mit ihnen erteilt. Ferner werden die Ausrüstung für Reiter und Pferd sowie das Verhalten im Gelände und die Sicherheit durch qualifizierte Ausbildung erläutert. Welche Vorsichtsmassnahmen vom Reitlehrer im Unterricht allgemein zu treffen sind und wie in heiklen Situationen zu reagieren ist, lässt sich dem Merkblatt indes nicht entnehmen. Immerhin geht daraus hervor, dass Pferde mit sehr feinen Sinnesorganen ausgestattet sind und sofort auf jede Bewegung, fremde Geräusche oder Gerüche reagieren, auf etwas Neues oder Unbekanntes oft mit Flucht, und dass sie sich als Herdentiere von ihren Artgenossen beeinflussen lassen. Der Pferdefachmann B. hat in seinem Bericht an das Bezirksgericht Lenzburg festgehalten, dass Anlässe wie die Springkonkurrenz, die in unmittelbarer Nähe stattfand, beim Gewohnheitstier Pferd die tägliche, gleichmässige Ruhe störe und gespannte, nervöse Reaktionen hervorrufe. Dies sei zwar normal, rufe aber nach erhöhter Sorgfalt beim Erteilen des Unterrichts, insbesondere bei Kinder- und Anfängerklassen. Der Sachverständige C. vom S.V.B.R hat anlässlich der Ortsschau des erstinstanzlichen Gerichts zum konkreten Vorfall Stellung genommen. Nach seiner Ansicht hätte der Reitlehrer nach dem zweiten Ausscheren des Pferdes "Amigo" eine Massnahme treffen, etwa das Tier selber übernehmen und von zuhinterst die Klasse führen, müssen. Aus dieser Position hätte er ganz sicher Einfluss auf das Geschehen behalten können. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer, nachdem das Pferd "Amigo" zum zweiten Mal ausgebrochen war, sich nicht damit hätte begnügen dürfen, die Pferde noch einmal in den Schrittgang zurückzubeordern, sondern beim erneuten Wechsel in den Trab eine weitergehende Sicherheitsmassnahme hätte treffen müssen. Wohl wäre ein Abbruch der Reitstunde nicht unbedingt notwendig, wenn auch immerhin empfehlenswert gewesen. Jedenfalls wäre es geboten gewesen, das unruhige Pferd selber zu reiten und erst dann erneut einen Wechsel vom Schritt zum Trab zu befehlen. Nur eine solche Vorkehr hätte es dem Beschwerdeführer erlaubt, die Lage in der Reithalle im Griff zu behalten. Indem er davon absah und seine Lektion wie zuvor weiterführte, schuf er eine Gefahrensituation, ohne gleichzeitig die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen zu treffen. Da er um das eingegangene Risiko und die Gefährdung der Schülerinnen wusste, muss ihm dies als Verletzung
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seiner Sorgfaltspflicht als Reitlehrer vorgeworfen werden. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, auch die Pferde "Dubai" und "Aron" seien unruhig gewesen, so dass ungewiss gewesen sei, welches Pferd er hätte übernehmen sollen, richtet er sich in unzulässiger Weise gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 273 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |