Urteilskopf

127 I 54

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. November 2000 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 55

BGE 127 I 54 S. 55

(Zu Sachverhalt und Verfahren vgl. BGE 127 IV 1)
X. führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben; er sei sofort aus der Haft zu entlassen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Der Beschwerdeführer bringt vor, das Obergericht habe im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. M. Kiesewetter vom 21. Juli 1999 abgestellt. Dabei handle es sich um ein reines Aktengutachten, welches sich auf frühere Gutachten stütze und ohne Anhörung und psychiatrische Untersuchung des Beschwerdeführers erstattet worden sei. Das Gutachten von Dr. Kiesewetter habe keine fundierten Aussagen zur aktuellen psychischen Situation des Beschwerdeführers machen können. Indem das Obergericht darauf abgestellt habe, habe es den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 29 Garanzie procedurali generali - 1 In procedimenti dinanzi ad autorità giudiziarie o amministrative, ognuno ha diritto alla parità ed equità di trattamento, nonché ad essere giudicato entro un termine ragionevole.
1    In procedimenti dinanzi ad autorità giudiziarie o amministrative, ognuno ha diritto alla parità ed equità di trattamento, nonché ad essere giudicato entro un termine ragionevole.
2    Le parti hanno diritto d'essere sentite.
3    Chi non dispone dei mezzi necessari ha diritto alla gratuità della procedura se la sua causa non sembra priva di probabilità di successo. Ha inoltre diritto al patrocinio gratuito qualora la presenza di un legale sia necessaria per tutelare i suoi diritti.
BV) verletzt. Zudem habe das Obergericht gegen das Willkürverbot (Art. 9
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 9 Protezione dall'arbitrio e tutela della buona fede - Ognuno ha diritto d'essere trattato senza arbitrio e secondo il principio della buona fede da parte degli organi dello Stato.
BV) verstossen, da es die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers auf Grund veralteter Befunde und damit in unhaltbarer Weise festgestellt habe. Zu den Mindestanforderungen eines Gutachtens gehöre es, dass diesem eine persönliche Untersuchung des Exploranden durch den Gutachter zugrunde liege. Der Beschwerdeführer habe nie auf eine psychiatrische Untersuchung durch Dr. Kiesewetter verzichtet. Er habe eine Begutachtung lediglich von der Beantwortung einiger Fragen abhängig gemacht. Dass Dr. Kiesewetter dann ohne jeden Versuch, das Vertrauen des Beschwerdeführers zu gewinnen, auf eine Untersuchung verzichten würde, sei für den Beschwerdeführer nicht vorhersehbar gewesen.
BGE 127 I 54 S. 56

b) Gemäss Art. 29 Abs. 2
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 29 Garanzie procedurali generali - 1 In procedimenti dinanzi ad autorità giudiziarie o amministrative, ognuno ha diritto alla parità ed equità di trattamento, nonché ad essere giudicato entro un termine ragionevole.
1    In procedimenti dinanzi ad autorità giudiziarie o amministrative, ognuno ha diritto alla parità ed equità di trattamento, nonché ad essere giudicato entro un termine ragionevole.
2    Le parti hanno diritto d'essere sentite.
3    Chi non dispone dei mezzi necessari ha diritto alla gratuità della procedura se la sua causa non sembra priva di probabilità di successo. Ha inoltre diritto al patrocinio gratuito qualora la presenza di un legale sia necessaria per tutelare i suoi diritti.
BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 124 I 241 E. 2 mit Hinweisen). Gemäss Art. 9
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 9 Protezione dall'arbitrio e tutela della buona fede - Ognuno ha diritto d'essere trattato senza arbitrio e secondo il principio della buona fede da parte degli organi dello Stato.
BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 125 I 166 E. 2a; BGE 123 I 1 E. 4a, je mit Hinweisen). c) Am 14. Juli 1994 erstellte Dr. med. J. Sachs (Königsfelden) ein psychiatrisches Gutachten über den Beschwerdeführer. Am 17. Februar 1997 erstattete Dr. Sachs ein weiteres Gutachten. An der Hauptverhandlung vor Bezirksgericht Zofingen am 7. August 1997 wurde Dr. Sachs überdies befragt. In der Folge beauftragte das Obergericht Dr. Sachs mit der Erstellung eines Zusatzgutachtens, weil die Notwendigkeit der Verwahrung nicht hinreichend geklärt sei. Dr. Sachs lehnte den Auftrag wegen Befangenheit ab; ebenso die Oberärztin der psychiatrischen Dienste des Kantons Aargau, Frau Dr. Roos Steiger. Diese teilte dem Obergericht mit, der Beschwerdeführer weigere sich, Königsfelden als Gutachtenstelle zu akzeptieren. Das Obergericht beauftragte darauf den Forensisch-Psychiatrischen Dienst der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich mit der Begutachtung. Der neue Gutachter, Dr. Kiesewetter, sah die persönliche psychiatrische Untersuchung des Beschwerdeführers in der Strafanstalt für den 6. Juli 1999 vor. Diese Untersuchung lehnte der Beschwerdeführer ab bzw. machte sie von der vorherigen Stellungnahme von Dr. Kiesewetter zu zwei Schreiben des Beschwerdeführers an Dr. Sachs und an den Verteidiger abhängig. Dr. Kiesewetter teilte dem Beschwerdeführer in der Folge mit, er respektiere
BGE 127 I 54 S. 57

seinen im Schreiben an den Verteidiger formulierten Verzicht auf "weitere Gutachten bzw. gutachterliche Untersuchung"; dem Verlangen des Beschwerdeführers, zu seinen abgegebenen Erklärungen, Behauptungen und Klassifikationen Dritter Stellung zu nehmen, könne er nicht nachkommen; dies umso weniger, als der Beschwerdeführer andere Auffassungen zum Vornherein als falsch und bösartig bezeichne; da der Beschwerdeführer die vorgesehene gutachterliche Untersuchung abgelehnt habe und Dr. Kiesewetter keine Möglichkeit zu ihrer sinnvollen Durchführung sehe, werde er nach Studium der Akten prüfen, ob und wieweit es gestützt darauf möglich sei, zu den vom Obergericht gestellten Fragen eine Antwort zu finden. d) Man kann sich fragen, ob die Rüge nicht Treu und Glauben widerspricht und damit unzulässig ist, da der Beschwerdeführer sich den Umstand, dass eine persönliche Untersuchung unterblieb, im Wesentlichen selber zuzuschreiben hat. Doch kann dies offen bleiben, weil die Rüge aus den nachfolgenden Erwägungen jedenfalls unbegründet ist. e) Das Schrifttum geht mehrheitlich offenbar stillschweigend von einer persönlichen Exploration des Probanden aus (vgl. etwa NORBERT NEDOPIL, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., Stuttgart 2000, S. 276 ff.; WILFRIED RASCH, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., Stuttgart 1999, S. 313 ff., insb. S. 317; HANS LUDWIG SCHREIBER, Der Sachverständige im Verfahren und in der Verhandlung, in: Psychiatrische Begutachtung, hrsg. von Ulrich Venzlaff und Klaus Foerster, 2. Aufl., Stuttgart etc. 1994, S. 93 ff.; ILSE BARBEY, Die forensischpsychiatrische Untersuchung, in: Psychiatrische Begutachtung, S. 119 ff.; ULRICH VENZLAFF, Die Erstattung des Gutachtens, in: Psychiatrische Begutachtung, S. 139 ff.). PHILIPP MAIER/ARNULF MÖLLER (Das gerichtspsychiatrische Gutachten gemäss Art. 13
SR 311.0 Codice penale svizzero del 21 dicembre 1937
CP Art. 13 - 1 Chiunque agisce per effetto di una supposizione erronea delle circostanze di fatto è giudicato secondo questa supposizione, se gli è favorevole.
1    Chiunque agisce per effetto di una supposizione erronea delle circostanze di fatto è giudicato secondo questa supposizione, se gli è favorevole.
2    Se avesse potuto evitare l'errore usando le debite precauzioni, è punibile per negligenza qualora la legge reprima l'atto come reato colposo.
StGB, Zürich 1999, S. 138/9) erachten Gutachten nach Aktenlage immer als problematisch. Teilweise würden solche Gutachten von den Auftraggebern gewünscht, weil zwar gewisse Informationen auf die Möglichkeit einer psychischen Störung im Zusammenhang mit der Anlasstat hinwiesen, eine Untersuchung aber nicht möglich sei. Gutachterliche Aussagemöglichkeiten seien dann sehr begrenzt. Die Zurechnungsfähigkeit eines Exploranden zum Beispiel könne nicht allein nach Aktenlage beurteilt werden.
Nach GEORG EISEN (Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Bd. III: Der Täter, sein sozialer Bezug, seine Begutachtung und Behandlung,
BGE 127 I 54 S. 58

Stuttgart 1977, S. 281) kann ein forensisches Gutachten grundsätzlich nur nach eigener Untersuchung und Befunderhebung abgegeben werden; in seltenen Fällen jedoch nach Aktenlage und als Notbehelf, wenn der Sachverhalt bereits ärztlich aufgeklärt sei, aber zu verschiedenen forensischen Schlussfolgerungen geführt habe, wenn weiterhin der gleiche Sachverständige die Untersuchung schon früher vorgenommen habe und deren Ergebnisse sehr wahrscheinlich gleich geblieben seien und - unter Vorbehalt einer persönlichen Untersuchung vor oder während der Verhandlung - wenn der Proband weit entfernt wohne. Der Beweiswert eines Aktengutachtens sei geringer als der eines Gutachtens mit eigener Untersuchung. f) Daraus kann geschlossen werden, dass psychiatrische Gutachten grundsätzlich nur bei persönlicher Untersuchung des Probanden fachgerecht erstattet werden können. Aktengutachten müssen die Ausnahme darstellen. Solche Ausnahmen sind etwa möglich, wenn über den zu begutachtenden Täter bereits ein oder mehrere Gutachten erstattet worden sind, die überdies jüngeren Datums sein müssen, und wenn sich die Grundlagen der Begutachtung nicht wesentlich geändert haben (nach wie vor gleiches Krankheitsbild). Ein Aktengutachten kommt auch in Betracht, wenn der Proband nicht oder nur schwer erreichbar ist oder sich einer Begutachtung verweigert. Ob bei einer derartigen Konstellation sich ein Aktengutachten verantworten lässt, hat in erster Linie der angefragte Sachverständige zu beurteilen. g) Dem Obergericht lagen die zwei Gutachten von Dr. Sachs vor und überdies das Einvernahmeprotokoll der Aussagen von Dr. Sachs vor Bezirksgericht. Das Krankheitsbild des Beschwerdeführers hatte sich nicht wesentlich verändert. Das Obergericht durfte, ohne in Willkür zu verfallen, davon ausgehen, dass sich die persönliche Exploration des Beschwerdeführers wegen der von diesem eingenommenen Verweigerungshaltung als unmöglich erwiesen habe. Dr. Kiesewetter sah sich im Stande, sich zu den Fragen des Obergerichts zu äussern; er führte aus, die Möglichkeit einer Begutachtung werde dadurch erleichtert, dass sich die Fragestellung ausdrücklich auf Beweisthemen von Art. 43
SR 311.0 Codice penale svizzero del 21 dicembre 1937
CP Art. 43 - 1 Il giudice può sospendere parzialmente l'esecuzione di una pena detentiva di un anno a tre anni se necessario per tenere sufficientemente conto della colpa dell'autore.35
1    Il giudice può sospendere parzialmente l'esecuzione di una pena detentiva di un anno a tre anni se necessario per tenere sufficientemente conto della colpa dell'autore.35
2    La parte da eseguire non può eccedere la metà della pena.
3    La parte sospesa e la parte da eseguire devono essere di almeno sei mesi. Le norme sulla concessione della liberazione condizionale (art. 86) non sono applicabili alla parte da eseguire.36
StGB beziehe. Nicht stichhaltig ist der Einwand des Beschwerdeführers, das neue Gutachten habe die in der Zwischenzeit eingetretene Entwicklung nicht berücksichtigen können. Das trifft insofern nicht zu, als diese Entwicklung durch verschiedene Schreiben von Dr. Sachs, Dr. Roos Steiger, des Verteidigers sowie des Beschwerdeführers an das Obergericht dokumentiert war.
BGE 127 I 54 S. 59

Bei dieser Sachlage hat das Obergericht weder das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt noch ist es in Willkür verfallen, als es auf das Aktengutachten von Dr. Kiesewetter abgestellt hat.
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 127 I 54
Data : 28. novembre 2000
Pubblicato : 31. dicembre 2002
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 127 I 54
Ramo giuridico : DTF - Diritto costituzionale
Oggetto : Art. 9 e art. 29 cpv. 2 Cost.; arbitrio, diritto di essere sentito, valore di una perizia psichiatrica che si fonda unicamente


Registro di legislazione
CP: 13 
SR 311.0 Codice penale svizzero del 21 dicembre 1937
CP Art. 13 - 1 Chiunque agisce per effetto di una supposizione erronea delle circostanze di fatto è giudicato secondo questa supposizione, se gli è favorevole.
1    Chiunque agisce per effetto di una supposizione erronea delle circostanze di fatto è giudicato secondo questa supposizione, se gli è favorevole.
2    Se avesse potuto evitare l'errore usando le debite precauzioni, è punibile per negligenza qualora la legge reprima l'atto come reato colposo.
43
SR 311.0 Codice penale svizzero del 21 dicembre 1937
CP Art. 43 - 1 Il giudice può sospendere parzialmente l'esecuzione di una pena detentiva di un anno a tre anni se necessario per tenere sufficientemente conto della colpa dell'autore.35
1    Il giudice può sospendere parzialmente l'esecuzione di una pena detentiva di un anno a tre anni se necessario per tenere sufficientemente conto della colpa dell'autore.35
2    La parte da eseguire non può eccedere la metà della pena.
3    La parte sospesa e la parte da eseguire devono essere di almeno sei mesi. Le norme sulla concessione della liberazione condizionale (art. 86) non sono applicabili alla parte da eseguire.36
Cost: 9 
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 9 Protezione dall'arbitrio e tutela della buona fede - Ognuno ha diritto d'essere trattato senza arbitrio e secondo il principio della buona fede da parte degli organi dello Stato.
29
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 29 Garanzie procedurali generali - 1 In procedimenti dinanzi ad autorità giudiziarie o amministrative, ognuno ha diritto alla parità ed equità di trattamento, nonché ad essere giudicato entro un termine ragionevole.
1    In procedimenti dinanzi ad autorità giudiziarie o amministrative, ognuno ha diritto alla parità ed equità di trattamento, nonché ad essere giudicato entro un termine ragionevole.
2    Le parti hanno diritto d'essere sentite.
3    Chi non dispone dei mezzi necessari ha diritto alla gratuità della procedura se la sua causa non sembra priva di probabilità di successo. Ha inoltre diritto al patrocinio gratuito qualora la presenza di un legale sia necessaria per tutelare i suoi diritti.
Registro DTF
123-I-1 • 124-I-241 • 125-I-166 • 127-I-54 • 127-IV-1
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
argovia • casale • corte di cassazione penale • decisione • dibattimento • dichiarazione • diritto di essere sentito • discendente • effetto • fattispecie • incarto • medicina legale • motivazione della decisione • norma • perizia fondata sugli atti • perizia psichiatrica • prevedibilità • principio della buona fede • principio giuridico • psichiatria • quesito • ricorso di diritto pubblico • situazione personale • stabilimento penitenziario • tempo atmosferico • tribunale federale • visita psichiatrica