Urteilskopf

126 IV 91

14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. April 2000 i.S. X. gegen A., B., Staatsanwaltschaft und Kantonsgericht St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 91

BGE 126 IV 91 S. 91

Frau C. fuhr mit einer Beifahrerin am 20. April 1997, um ca. 00.20 Uhr, am Steuer eines Personenwagens Seat Ibiza auf der Normalspur der Autobahn von Gossau in Richtung Wil. Bei Oberbühren näherte sich von hinten der alkoholisierte D. mit seinem Personenwagen Volvo. Er kollidierte mit dem Auto von C., welches ins Schleudern geriet, mit der Mittelseilanlage zusammenstiess, umkippte, sich um 270 Grad drehte, mit dem Boden in Richtung auf die herannahenden Fahrzeuge auf der Fahrerseite liegen blieb und dabei mindestens zwei Meter in die Überholspur ragte. Die beiden Frauen befreiten sich aus dem Fahrzeug und hielten sich kurze Zeit unmittelbar hinter diesem (in der Fahrtrichtung gesehen) auf, als X., der soeben E. überholt hatte, mit seinem Personenwagen Mercedes und einer Geschwindigkeit von 130 km/h auf der Überholspur herannahte und mit dem liegenden Unfallfahrzeug zusammenstiess. Durch die Wucht des Aufpralls begann sich dieses zu drehen. Dabei wurden C. und ihre Beifahrerin erfasst und auf die Überholspur der Gegenfahrbahn geschleudert. C. zog sich einen Genickbruch zu,
BGE 126 IV 91 S. 92

was zum sofortigen Tod führte. Die Beifahrerin erlitt Brüche an Oberarm, Schulterblatt, Rippen und an einem Finger. Auch X. wurde schwer verletzt. Die Gerichte des Kantons St. Gallen verurteilten X. wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung unter anderem zu einer bedingten Gefängnisstrafe von einer Woche. Dagegen richtet sich die vorliegende eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. a) aa) Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
bzw. 125
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
1    Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
2    Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt.
StGB stellen die fahrlässige Tötung und die fahrlässige Körperverletzung unter Strafe. Nebst dem Eintritt des Erfolgs müssen für eine Verurteilung zwei Bedingungen erfüllt sein. Der Täter muss fahrlässig gehandelt haben, und es muss zwischen der Fahrlässigkeit und dem eingetretenen Erfolg ein Kausalzusammenhang bestehen. Gemäss Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
StGB handelt fahrlässig, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat; pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist. Bei der Bestimmung des im Einzelfall zugrunde zu legenden Massstabes des sorgfaltsgemässen Verhaltens kann auf Bestimmungen zurückgegriffen werden, die - wie die Strassenverkehrsregeln - der Unfallverhütung und der Sicherheit dienen (BGE 122 IV 225 S. 227). bb) Die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs ist stets den Umständen und insbesondere den Sichtverhältnissen anzupassen (Art. 32 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
1    Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
2    Der Bundesrat beschränkt die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen.108
3    Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur auf Grund eines Gutachtens herab- oder heraufgesetzt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.109
4    ...110
5    ...111
SVG; SR 741.01). Der Fahrzeuglenker darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke anhalten kann (Art. 4 Abs. 1
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 4 Angemessene Geschwindigkeit - (Art. 32 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann; wo das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe Sichtweite halten können.
2    und 3 ...44
4    ...45
5    Der Fahrzeugführer darf ohne zwingende Gründe nicht so langsam fahren, dass er einen gleichmässigen Verkehrsfluss hindert.
der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Dies gilt auch auf Autobahnen (vgl. Art. 43 Abs. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 43 - 1 Wege, die sich für den Verkehr mit Motorfahrzeugen oder Fahrrädern nicht eignen oder offensichtlich nicht dafür bestimmt sind, wie Fuss- und Wanderwege, dürfen mit solchen Fahrzeugen nicht befahren werden.
1    Wege, die sich für den Verkehr mit Motorfahrzeugen oder Fahrrädern nicht eignen oder offensichtlich nicht dafür bestimmt sind, wie Fuss- und Wanderwege, dürfen mit solchen Fahrzeugen nicht befahren werden.
2    Das Trottoir ist den Fussgängern, der Radweg den Radfahrern vorbehalten. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.
3    Auf Strassen, die den Motorfahrzeugen vorbehalten sind, dürfen nur die vom Bundesrat bezeichneten Arten von Motorfahrzeugen verkehren. Der Zutritt ist untersagt, die Zufahrt ausschliesslich an den dafür vorgesehenen Stellen gestattet. Der Bundesrat kann Benützungsvorschriften und besondere Verkehrsregeln erlassen.
Satz 3 SVG i.V. mit Art. 36
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 36 Sonderregeln für Autobahnen und Autostrassen - (Art. 43 Abs. 3 SVG)
1    Auf Autobahnen und Autostrassen ist das Abbiegen nur an den dafür gekennzeichneten Stellen gestattet. Wenden und Rückwärtsfahren sind untersagt.
2    Mittelstreifen von Autobahnen dürfen auch auf den vorhandenen Durchfahrten nicht überquert werden.
3    Der Fahrzeugführer darf Pannenstreifen und signalisierte Abstellplätze für Pannenfahrzeuge nur für Nothalte benützen; sonst darf er nur auf signalisierten Parkplätzen halten. Die Fahrzeuginsassen dürfen die Fahrbahn nicht betreten.139
4    Benützer der Autobahnen und Autostrassen haben den Vortritt vor Fahrzeugen auf den Zufahrtsstrecken. Bei stockendem Verkehr ist Artikel 8 Absatz 5 anwendbar.140
5    Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist untersagt. Der Fahrzeugführer darf jedoch mit der gebotenen Vorsicht in folgenden Fällen rechts an andern Fahrzeugen vorbeifahren:
a  bei Kolonnenverkehr auf dem linken oder mittleren Fahrstreifen;
b  auf Einspurstrecken, sofern für die einzelnen Fahrstreifen unterschiedliche Fahrziele signalisiert sind;
c  sofern der links liegende Fahrstreifen mit einer Sicherheitslinie (6.01) oder bei Doppellinien-Markierung (6.04) mit einer linksseitig angebrachten Sicherheitslinie abgegrenzt ist, bis zum Ende der entsprechenden Markierung, insbesondere auf dem Beschleunigungsstreifen von Einfahrten;
d  auf dem Verzögerungsstreifen von Ausfahrten.141
6    Auf Autobahnen mit mindestens drei Fahrstreifen in der gleichen Richtung darf der äusserste Streifen links nur von Motorfahrzeugen benützt werden, die eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h erreichen dürfen.142
7    Fahren auf Autobahnen und Autostrassen mit mindestens zwei Fahrstreifen in eine Richtung die Fahrzeuge mit Schrittgeschwindigkeit oder befinden sie sich im Stillstand, so müssen diese Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei-, Sanitäts-, Feuerwehr-, Zoll- und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äussersten linken und dem unmittelbar rechts danebenliegenden Fahrstreifen eine freie Gasse bilden.143
VRV), insbesondere nachts beim Fahren mit Abblendlicht (BGE 93 IV 115). An diesem Grundsatz ist festzuhalten und seine Bedeutung mit Nachdruck in Erinnerung zu rufen. cc) Das Bundesgericht hat bereits in BGE 93 IV 115 festgehalten, es sei nicht zu sehen, wie der in Art. 32 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
1    Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
2    Der Bundesrat beschränkt die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen.108
3    Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur auf Grund eines Gutachtens herab- oder heraufgesetzt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.109
4    ...110
5    ...111
SVG aufgestellte Grundsatz verwirklicht werden könnte, wenn nicht auch nachts und auf Autobahnen auf die Sichtweite abgestellt würde. In diesem
BGE 126 IV 91 S. 93

Präjudiz ging es um einen Automobilisten, der mit Abblendlicht fuhr und einem Stuhl, der auf der Fahrbahn lag, ausweichen wollte, dabei aber ins Schleudern geriet und verunfallte. Das Bundesgericht führte dazu aus, auch auf Autobahnen sei die Gefahr des Zusammentreffens mit unbeleuchteten Hindernissen nicht so selten, dass ihre Möglichkeit unberücksichtigt bleiben dürfe; insbesondere gäben immer wieder Motorfahrzeuge, die nach einem Unfall die Fahrbahn versperrten und nicht oder nur schlecht beleuchtet seien, Anlass zu Kollisionen; es wäre unverantwortlich, trotz der Möglichkeit solcher Hindernisse um der Erreichung hoher Geschwindigkeiten willen auf das Gebot des Fahrens auf Sicht ganz oder teilweise zu verzichten, denn die Sicherheit des Verkehrs und insbesondere der Schutz von Menschenleben gehe dem Streben nach Zeitgewinn vor (vgl. BGE 93 IV 115 S. 117/118). Einige Jahre später bestätigte das Bundesgericht ausdrücklich, nachts sei die Geschwindigkeit eines mit Abblendlicht auf der Autobahn fahrenden Fahrzeugs nur dann den Verhältnissen angepasst, wenn der Lenker in der Lage sei, innert der kürzesten beleuchteten Strecke, "d.h. auf der linken Fahrbahnseite innert 50 m", anzuhalten (BGE 100 IV 279, worin zudem festgehalten wird, ein Lenker, der ein Hindernis, welches er auf 50 m hätte sehen können, erst auf 20 m wahrnehme, sei unaufmerksam).
An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht in seiner neuesten Rechtsprechung festgehalten (vgl. nicht amtlich publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 4. Juli 1997, veröffentlicht in SJ 1997 S. 668 und JdT 1997 I Nr. 43), in einem Fall, wo der Lenker mit Abblendlicht und 120 km/h auf der Autobahn fuhr und mit einem rechtwinklig zur Fahrbahn stehenden Auto, dessen Scheinwerfer nicht funktionierten und dessen Rücklichter für ihn nicht sichtbar waren, zusammenstiess. In Bestätigung der Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung des ausgestiegenen Beifahrers führte es erneut aus, ein Fahrzeuglenker müsse auf der Autobahn immer damit rechnen, nachts auf unbeleuchtete Hindernisse und insbesondere auf unbeleuchtete und stehende Fahrzeuge zu stossen, und habe seine Fahrweise und Aufmerksamkeit dieser möglichen Gefahr anzupassen. Gegen diese Rechtsprechung wird gelegentlich der Vorwurf erhoben, sie trage der üblichen Fahrweise und den tatsächlichen Verhältnissen auf den Autobahnen keine Rechnung und sei überdies nicht praktikabel. Dem Einwand steht jedoch die klare und eindeutige gesetzliche Regelung entgegen, die, wie gesagt, der Verkehrssicherheit und dem Schutz von Menschenleben dient. Gerade der
BGE 126 IV 91 S. 94

hier zu beurteilende Unfall mit seinen schwerwiegenden Folgen - im Übrigen kein Einzelfall - zeigt, wie berechtigt die gesetzliche Regelung ist. dd) Entsprechende Vorschriften bestehen in Frankreich und Deutschland. Wenn die Sichtweite weniger als 50 m beträgt, reduziert sich in Frankreich auf dem ganzen Strassennetz, also auch auf Autobahnen, die höchste zulässige Geschwindigkeit auf 50 km/h (COUVRAT/MASSÉ, Code de la route, Codes Dalloz, Paris 1996, S. 74). Auch in Deutschland darf ein Fahrzeuglenker nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke halten kann (§ 3 der deutschen Strassenverkehrsordnung StVO). Für das Fahren auf Autobahnen wird dieser Grundsatz wie folgt konkretisiert (§ 18 Abs. 6 StVO): Wer auf Autobahnen mit Abblendlicht fährt, braucht seine Geschwindigkeit nicht der Reichweite des Abblendlichts anzupassen, wenn (1) die Schlussleuchten des vorausfahrenden Kraftfahrzeugs klar erkennbar sind und ein ausreichender Abstand von ihm eingehalten wird, oder (2) der Verlauf der Fahrbahn durch Leiteinrichtungen mit Rückstrahlern und, zusammen mit fremdem Licht, Hindernisse rechtzeitig erkennbar sind. Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) zu den Pflichten der Verkehrsteilnehmer auf Autobahnen bei Dunkelheit ist es selbstverständlich, dass sie auf Sicht fahren müssen; es mache bezüglich des Verschuldens keinen Unterschied, ob es infolge Unachtsamkeit oder wegen zu schnellen Fahrens im Hinblick auf die überschaubare Strecke zu einem Auffahren selbst eines unbeleuchteten, gegebenenfalls auch haltenden bzw. stehenden Hindernisses komme; anders liege es unter ganz besonderen Umständen nur, wenn plötzlich von der Seite her ein Hindernis in den Fahrbereich gelange oder wenn wegen ihrer besonderen Beschaffenheit Hindernisse - etwa wegen fehlenden Kontrastes zur Fahrbahn oder wegen hoher Lichtabsorption - ungewöhnlich schwer zu erkennen seien; dies könne der Fall sein, wenn ein Baumstamm weit nach hinten aus einem unbeleuchteten Anhänger herausrage, wenn eine Absperrstange eines Weidenzaunes spitzwinklig in den Verkehrsbereich hineinrage sowie wenn ein Gegenstand von der Grösse etwa eines halben Lastwagenreifens auf der Fahrbahn liege; zu den aussergewöhnlich schwer erkennbaren Gegenständen gehörten jedoch Fahrzeuge nicht, und zwar auch dann nicht, wenn sie unbeleuchtet seien (vgl. BGH in Neue juristische Wochenschrift NJW 1984 S. 2412; bestätigt in Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht NZV 1996 S. 235, 2000 S. 49; vgl. dazu auch JOACHIM BOHNERT, Sichtgeschwindigkeit auf Autobahnen, Deutsches Autorecht DAR 1986 S. 11 ff.).
BGE 126 IV 91 S. 95

b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz fuhr der Beschwerdeführer mit 130 km/h, obwohl das Abblendlicht, das er wegen des vorangehenden Überholmanövers eingeschaltet hatte, die vor ihm liegende Strecke nur 50 Meter weit ausleuchtete. Er fuhr also viel zu schnell. Obwohl er den unbeleuchteten Seat Ibiza nach den Feststellungen der Vorinstanz spätestens dann hätte erkennen können, als dieser 50 Meter weiter vorn in den Lichtkegel des Abblendlichtes geriet, hat er ihn nach seinen eigenen Angaben erst aus einer Entfernung von 30 bis 35 Metern wahrgenommen. Er widmete der Fahrbahn folglich offensichtlich nicht genügend Aufmerksamkeit. Wäre er, wie es Art. 4 Abs. 1
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 4 Angemessene Geschwindigkeit - (Art. 32 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann; wo das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe Sichtweite halten können.
2    und 3 ...44
4    ...45
5    Der Fahrzeugführer darf ohne zwingende Gründe nicht so langsam fahren, dass er einen gleichmässigen Verkehrsfluss hindert.
VRV ausdrücklich vorschreibt, nur so schnell gefahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke hätte anhalten können, und hätte er der vor ihm liegenden Fahrbahn genügend Aufmerksamkeit gewidmet, so dass er den Seat Ibiza sofort wahrgenommen hätte, als dieser in den Lichtkegel des Autos geriet, dann wäre der Unfall vermieden worden. Die vom Beschwerdeführer im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde hauptsächlich aufgeworfene Frage, ob er den Unfall bzw. den Erfolg hätte vermeiden können, ist zu bejahen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 126 IV 91
Date : 06. April 2000
Published : 31. Dezember 2000
Source : Bundesgericht
Status : 126 IV 91
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 32 Abs. 1 SVG, 4 Abs. 1 VRV; Anpassung der Geschwindigkeit an die Sichtweite. Diese Regel gilt auch auf Autobahnen,
Classification : Bestätigung der Rechtsprechung


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StGB: 18  117  125
VRV: 4  36
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