125 IV 195
30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. September 1999 in Sachen H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 125 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. 2 Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. 2 Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.103 2bis Der Bundesrat kann folgenden Personengruppen das Fahren unter Alkoholeinfluss verbieten: a Personen, die den konzessionierten oder den grenzüberschreitenden Personenverkehr auf der Strasse durchführen (Art. 8 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 2009104 sowie Art. 3 Abs. 1 des BG vom 20. März 2009105 über die Zulassung als Strassentransportunternehmen); b Personen, die berufsmässig Personentransporte oder mit schweren Motorwagen Gütertransporte durchführen oder die gefährliche Güter transportieren; c Fahrlehrern; d Inhabern des Lernfahrausweises; e Personen, die Lernfahrten begleiten; f Inhabern des Führerausweises auf Probe.106 2ter Der Bundesrat legt fest, ab welcher Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration Fahren unter Alkoholeinfluss vorliegt.107 3 Der Führer hat dafür zu sorgen, dass er weder durch die Ladung noch auf andere Weise behindert wird. Mitfahrende dürfen ihn nicht behindern oder stören. - Kausalität des Zweitaufpralls für die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen, die das Opfer durch den Erstaufprall erlitten hat.
Regeste (fr):
- Art. 125 al. 1 CP; art. 31 al. 1 LCR; lésions corporelles par négligence; notion de la causalité naturelle.
- Lien de causalité entre une seconde collision et l'aggravation des lésions subies par la victime d'une première collision.
Regesto (it):
- Art. 125 cpv. 1 CP; art. 31 cpv. 1 LCStr; lesioni colpose; nozione di causalità naturale.
- Nesso di causalità tra una seconda collisione e l'aggravamento delle lesioni subite dalla vittima di una prima collisione.
Sachverhalt ab Seite 196
BGE 125 IV 195 S. 196
S. fuhr am 21. März 1997, um 20.00 Uhr, in seinem Personenwagen auf der Zürcherstrasse in Rheinfelden Richtung Basel. Hinter ihm fuhr H. Beide Fahrzeuge bewegten sich auf dieser Hauptstrasse innerorts mit ca. 50 km/h. Dabei bemerkte S., der seine Aufmerksamkeit zunächst auf den am Strassenrad wartenden Motorradfahrer A. (mit Beifahrerin) gerichtet hatte, zu spät, dass das Ehepaar E. und C. F. den Fussgängerstreifen betrat. Er leitete eine Vollbremsung ein, konnte aber eine Kollision nicht mehr vermeiden. Unmittelbar nach dieser ersten Kollision fuhr H. mit ihrem Personenwagen auf den Personenwagen S. auf. Die Geschädigte und der Personenwagen S. wurden durch die Wucht dieses Aufpralls nach vorne geschoben. Dadurch wurde der pathologische Zustand der verletzten Geschädigten gesteigert, indem noch zusätzliche Verletzungen entstanden. Das Bezirksgericht Rheinfelden fand am 20. Mai 1998 H. der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
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1 | Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
2 | Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. |
SR 312.5 Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG) - Opferhilfegesetz OHG Art. 9 Angebot - 1 Die Kantone sorgen dafür, dass fachlich selbstständige öffentliche oder private Beratungsstellen zur Verfügung stehen. Dabei tragen sie den besonderen Bedürfnissen verschiedener Opferkategorien Rechnung. |
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1 | Die Kantone sorgen dafür, dass fachlich selbstständige öffentliche oder private Beratungsstellen zur Verfügung stehen. Dabei tragen sie den besonderen Bedürfnissen verschiedener Opferkategorien Rechnung. |
2 | Sie können gemeinsame Beratungsstellen betreiben. |
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2. a) Die Vorinstanz hält im Ergebnis fest, aufgrund der vorstehenden Sachverhaltsfeststellung stehe ausser Zweifel, dass die
BGE 125 IV 195 S. 197
Geschädigte ohne den Zweitaufprall wesentlich geringfügigere Verletzungen erlitten hätte, die verspätete Einleitung des Bremsvorgangs somit die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen verursacht habe. Entgegen der Begründung der Erstinstanz handle es sich dabei um keinen Fall konkurrierender Kausalität, bei welchem verschiedene Schädiger denselben Schaden verursachen, sondern um einen solchen gemeinsamer Kausalität, bei welchem mehrere Personen an der Schadensverursachung mitgewirkt haben (mit Hinweis auf von THUR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band I, S. 93).
Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass sie infolge mangelnder Aufmerksamkeit nicht mehr rechtzeitig habe bremsen können und daher mit dem Fahrzeug S. kollidiert sei. Sie macht jedoch geltend, es sei in keiner Weise erstellt, dass und in welchem Umfang ihr Verhalten zu den Verletzungen der Geschädigten beigetragen oder diese verschlimmert habe. In Frage stehe daher die natürliche Kausalität. Die Bedingungsformel (BGE 116 IV 306 E. 2a) könne rein logisch nicht der Ermittlung eines natürlichen Kausalzusammenhangs dienen, der nicht bereits bekannt sei (mit Hinweis auf STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 2. Auflage, Bern 1996, § 9 N. 21). b) Die Feststellung des natürlichen Kausalzusammenhangs ist als Tatfrage auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht überprüfbar (BGE 92 IV 168 E. 2). Zulässige Rüge bildet indessen der Vorwurf, die Vorinstanz habe den Begriff der natürlichen Kausalität verkannt (BGE 122 IV 17 E. 2c/aa). Nach der Rechtsprechung ist ein (pflichtwidriges) Verhalten im natürlichen Sinne kausal, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele; dieses Verhalten braucht nicht alleinige oder unmittelbare Ursache des Erfolgs zu sein. Mit dieser Bedingungsformel (conditio sine qua non) wird ein hypothetischer Kausalzusammenhang untersucht und dabei geprüft, was beim Weglassen bestimmter Tatsachen geschehen wäre. Ein solchermassen vermuteter natürlicher Kausalverlauf lässt sich nicht mit Gewissheit beweisen, weshalb es genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 116 IV 306 E. 2a).
c) Für die Vorinstanz steht "aufgrund der vorstehenden Sachverhaltsfeststellung" ausser Zweifel, dass die Geschädigte ohne den Zweitaufprall wesentlich geringfügigere Verletzungen erlitten hätte.
BGE 125 IV 195 S. 198
Dieser Schluss beruht auf Beweiswürdigung, die in diesem Verfahren nicht anfechtbar ist. Die Vorinstanz führt anschliessend aus, dass "die verspätete Einleitung des Bremsvorganges der (Beschwerdeführerin) somit die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen verursacht hat." Dieser Schluss entspricht der Bedingungsformel, die auch beim fahrlässigen Erfolgsdelikt angewendet wird (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 16 N. 8). Wird nämlich die in Folge zu späten Bremsens erfolgte Zweitkollision und Verschiebung des Fahrzeugs S. mit der davor liegenden Verletzten hinweggedacht, entfällt auch die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen. Somit verkennt die Vorinstanz den Kausalitätsbegriff nicht. Die Formel fügt dem bereits Bekannten nichts hinzu. Sie dient hier bloss der Kontrolle des anderweitig gefundenen Ergebnisses (vgl. JESCHECK/WEIGEND, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Auflage, Berlin 1996, S. 281; vgl. ferner MANFRED DÄHLER/ERICH PETER/RENÉ SCHAFFHAUSER, Ausreichender Abstand beim Hintereinanderfahren, AJP 1999 S. 947-61). d) Es liegt nicht der Fall vor, wo ein Erfolg durch den A oder den B verursacht wurde, aber nicht festgestellt werden kann, welche der beiden Handlungen den Erfolg tatsächlich verursacht hat (für den Fall gemeinsamen Handelns vgl. BGE 113 IV 58). Vielmehr erlitt die Geschädigte durch die Erstkollision Verletzungen (sie prallte auf die Motorhaube und rollte dann vor das Fahrzeug hinunter). Rund zwei Sekunden nach diesem Geschehen erfolgte die Zweitkollision, wodurch das Unfallfahrzeug mit der davor liegenden Verletzten mehrere Meter verschoben wurde (in der Unfallendlage war die Verletzte unter dem Spoiler eingeklemmt). Angesichts des Verletzungsbildes (Rippenserienfraktur mit Prellungen am Oberschenkel und Rissquetschwunden im Gesicht und am linken Knie) lässt sich gegen die Annahme einer Verschlimmerung der Verletzungsfolgen durch die Zweitkollision unter Kausalitätsgesichtspunkten nichts einwenden; das Gegenteil erschiene vielmehr in höchstem Grade unwahrscheinlich. Soweit die Vorinstanz (unter Bezugnahme auf VON THUR/PETER) einen Fall "gemeinsamer Kausalität, bei welchem mehrere Personen an der Schadensverursachung mitgewirkt haben", annimmt, ändert diese schadensrechtliche Betrachtungsweise unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Kausalität insoweit nichts, als alle Bedingungen eines Erfolgs als gleichwertig (äquivalent) angesehen werden (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 20). In hier massgeblicher strafrechtlicher Hinsicht nimmt die Vorinstanz indessen im Ergebnis in dubio pro reo lediglich eine Verschlimmerung der
BGE 125 IV 195 S. 199
Verletzungsfolgen an. Sie rechnet mithin entgegen der Argumentation in der Beschwerdeschrift der Beschwerdeführerin nicht die durch die beiden Kollisionen umschriebene "Gesamthandlung" zu, sondern den aufgrund des Beweisergebnisses ihr in Berücksichtigung des Grundsatzes in dubio pro reo tatsächlich zurechenbaren Erfolg. e) Die Vorinstanz bejaht in der Folge auch die Rechtserheblichkeit (Adäquanz) dieser Tatsachen. Diese Beurteilung wird von der Beschwerdeführerin zu Recht nicht angefochten.