125 III 451
76. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom17. September 1999 i.S. SodaStream Ltd. gegen Urs Jäger AG und Instruktionsrichter des Handelsgerichts des Kantons Aargau(staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 24
LugÜ; Zuständigkeit zur Anordnung einstweiliger Massnahmen im Fall des Bestehens einer Gerichtsstandsvereinbarung; Zulässigkeit von Leistungsverfügungen.
- Trotz Gerichtsstandsvereinbarung kann vor einem anderen als dem ausschliesslich prorogierten Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht werden, wenn dieses andere Gericht allein in der Lage ist, eine sofort vollstreckbare Massnahme rechtzeitig anzuordnen (E. 3a).
- Die Anordnung vorläufiger Erfüllung darf nur unter einschränkenden Voraussetzungen als einstweilige Massnahme im Sinne von Art. 24
LugÜ erfolgen; Umschreibung dieser Voraussetzungen (E. 3b).
- Zulässigkeit der Anordnung vorläufiger Erfüllung eines Vertriebsvertrages im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach kantonalem Recht und Bundesrecht (E. 3c).
Regeste (fr):
- Art. 24 Convention de Lugano; compétence d'ordonner des mesures provisoires lorsqu'il existe une convention attributive de juridiction; admissibilité de dispositions visant à fournir une prestation.
- Malgré une convention attributive de juridiction, il est possible de demander à un autre tribunal que celui exclusivement désigné de sauvegarder ses droits à titre provisoire, lorsque cet autre tribunal est seul en mesure d'ordonner à temps une mesure immédiatement exécutoire (consid. 3a).
- Le fait d'ordonner à titre conservatoire l'exécution ne peut consister en une mesure provisoire au sens de l'art. 24 Convention de Lugano qu'à des conditions restreintes; énumération de ces conditions (consid. 3b).
- Il est admissible, au regard du droit cantonal et du droit fédéral, d'ordonner à titre conservatoire l'exécution d'un contrat de distribution dans le cadre de mesures provisoires (consid. 3c).
Regesto (it):
- Art. 24 Convenzione di Lugano (CL); competenza a ordinare dei provvedimenti provvisori quando esiste una convenzione di proroga di foro; ammissibilità di disposizioni con le quali viene ordinata una prestazione.
- Malgrado l'esistenza di una convenzione di proroga di foro, ai fini della tutela provvisoria dei propri diritti ci si può rivolgere a un tribunale diverso da quello prorogato, esclusivo, quando quest'altro tribunale è il solo in grado di adottare per tempo un provvedimento immediatamente esecutivo (consid. 3a).
- L'ordine tendente all'adempimento temporaneo del contratto può valere quale provvedimento provvisorio ai sensi dell'art. 24 CL solo a ben determinate condizioni; enumerazione di queste condizioni (consid. 3b).
- Ammissibilità, dal profilo del diritto cantonale e di quello federale, dell'ordine tendente all'esecuzione temporanea di un contratto di distribuzione nel quadro della protezione giuridica provvisoria (consid. 3c).
Sachverhalt ab Seite 452
BGE 125 III 451 S. 452
Die Urs Jäger AG schloss im Dezember 1991 mit der Soda-Stream Ltd. einen als "Distributorship Agreement" bezeichneten Vertrag über die Vermarktung von Geräten zur Anreicherung von Leitungswasser mit Kohlensäure sowie von Kohlendioxid-Zylindern, Aromazusätzen und sonstigem Gerätezubehör. Der Vertrag sollte mindestens bis 31. Dezember 1997 gelten und anschliessend beidseits mit einer Frist von drei Monaten kündbar sein. In einer Zusatzvereinbarung vom 26. Februar 1997 verlängerten die Vertragsparteien die Kündigungsfrist auf sechs Monate und erstreckten die Mindestvertragsdauer bis zum 31. Dezember 1999.
Mit Schreiben vom 22. Februar 1999 liess die SodaStream Ltd. den Vertrag fristlos kündigen und stellte ihre Lieferungen an die Urs Jäger AG ein. Als diese die Rechtmässigkeit und Wirksamkeit der Kündigung bestritt, stellte ihr die SodaStream Ltd. in Aussicht, die vor dem 22. Februar 1999 bestellten Waren zu liefern, was jedoch in der Folge unterblieb. Am 30. März 1999 ersuchte die Urs Jäger AG das Handelsgericht des Kantons Aargau, die SodaStream Ltd. im Sinne einer vorsorglichen Massnahme zur Lieferung bestimmter Waren zu verpflichten. Im Laufe des Verfahrens ergänzte sie ihre Begehren dahin, dass der SodaStream Ltd. zu verbieten sei, ihre Produkte der Marken "SODASTREAM" und "SODASTAR" in der Schweiz auf anderen Vertriebswegen, insbesondere über die Firma Mélior SA in Le Mont-sur-Lausanne, zu vertreiben. Mit vorsorglicher Verfügung vom 16. April 1999 verpflichtete der Instruktionsrichter des Handelsgerichts die SodaStream Ltd. unter Strafandrohung, die Urs Jäger AG bis zu bestimmten Daten mit bestimmten Waren zu beliefern. Weiter verbot er der SodaStream Ltd. mit sofortiger Wirkung, ihre Produkte der Marken "SODASTREAM" und "SODASTAR" in der Schweiz auf anderen Vertriebswegen als über die Urs Jäger AG zu
BGE 125 III 451 S. 453
vertreiben, insbesondere die Firma Mélior SA zu beliefern. Die Urs Jäger AG wurde hinsichtlich der vorsorglich angeordneten Belieferung zu Sicherheitsleistungen von insgesamt 2,5 Mio. Franken und hinsichtlich des der SodaStream Ltd. auferlegten Lieferverbots zu einer Sicherheitsleistung von Fr. 50'000.-- verhalten. Das Bundesgericht weist die von der SodaStream Ltd. gegen die vorsorgliche Verfügung erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Die Beschwerdeführerin wendet sich in ihrer Beschwerde vor allem auch dagegen, dass der Instruktionsrichter des Handelsgerichts seine Zuständigkeit zur vorsorglichen Anordnung einer Lieferverpflichtung bejaht hat. Sie macht in diesem Zusammenhang einerseits eine Verletzung von Art. 24
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BGE 125 III 451 S. 454
Übereinkommen über Zustellung und Beweisaufnahme, München 1996, N. 42 zu Art. 17
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SR 291 Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG) IPRG Art. 113 - Ist die für den Vertrag charakteristische Leistung in der Schweiz zu erbringen, so kann auch beim schweizerischen Gericht am Erfüllungsort dieser Leistung geklagt werden. |
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Die tatsächliche Feststellung, dass das in der Hauptsache zuständige englische Gericht nicht in der Lage gewesen wäre, vorsorgliche Massnahmen rechtzeitig anzuordnen, beanstandet die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde nicht. Sie behauptet auch nicht, dass der Instruktionsrichter des Handelsgerichts die Gerichtsstandsklausel im Vertriebsvertrag vom Dezember 1991 unzutreffend ausgelegt hätte. Hingegen macht sie geltend, die in der angefochtenen Verfügung angeordnete Belieferung der Beschwerdegegnerin laufe auf die Vollstreckung bestrittener Leistungsansprüche im Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz hinaus. Das aber ist nach Ansicht der Beschwerdeführerin sowohl mit Art. 24
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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BGE 125 III 451 S. 456
Massnahmen des vorsorglichen Rechtsschutzes im Lugano-Über-einkommen aus schweizerischer Sicht, Diss. Bern 1993, S. 28 ff.; unentschieden DANIÈLE ALEXANDRE, Convention de Bruxelles (Compétence), 1998, in: Encyclopédie Dalloz, Répertoire de droit communautaire, S. 45 Rz. 298), wobei allerdings zum Teil betont wird, dass die Anordnung vorläufiger Erfüllung strikte auf jene Fälle zu beschränken ist, in denen sich der Antragsteller auf ein besonderes Eilbedürfnis und auf ein besonderes Schutzbedürfnis berufen kann (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 22 zu Art. 24; ähnlich SCHLOSSER, a.a.O.; zu "Zurückhaltung" mahnt auch KROPHOLLER, a.a.O.).
Das Lugano-Übereinkommen schliesst sich eng an das für die Länder der Europäischen Union geltende Brüsseler Übereinkommen an (Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968; EuGVÜ). Die zu dessen parallelen Bestimmungen ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist bei der Auslegung des Lugano-Übereinkommens mitzuberücksichtigen (BGE 125 III 108 E. 3c S. 110; BGE 124 III 188 E. 4b S. 191, 382 E. 6c und e S. 394 ff., je mit Hinweisen). Der EuGH umschreibt in einem Urteil aus dem Jahre 1992 den Begriff der "einstweiligen Massnahmen" im Sinne von Art. 24 des Brüsseler Übereinkommens dahin, dass darunter Massnahmen zu verstehen sind, die eine Sach- oder Rechtslage erhalten sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird (Urteil vom 26. März 1992 i.S. MARIO REICHERT u.a. gegen Dresdner Bank AG, Rs. C-261/90, Slg. 1992 I-2149, E. 34 S. 2184). In einem Urteil vom 17. November 1998 (i.S. Van Uden Maritime BV gegen Kommanditgesellschaft in Firma Deco-Line u.a., Rs. C-391/95, Slg. 1998 I-7091; bestätigt in einem Urteil vom 27. April 1999 i.S. Hans-Hermann Mietz gegen Intership Yachting Sneek BV, Rs. C-99/96; siehe dazu EuZ 1999, S. 97 f.) hält der EuGH sodann fest, es könne nicht zum Vornherein abstrakt und generell ausgeschlossen werden, dass die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung, auch wenn ihr Betrag dem des Klageantrags entspreche, zur Sicherstellung der Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache erforderlich sei und gegebenenfalls angesichts der Parteiinteressen gerechtfertigt erscheine. Die Anordnung einer vorläufigen Leistung könne jedoch ihrem Wesen nach die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Ausserdem könnten die Zuständigkeitsvorschriften des Übereinkommens umgangen
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werden, wenn dem Antragsteller das Recht eingeräumt würde, die vorläufige Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung beim Gericht seines Wohnsitzes zu erwirken und die Anordnung sodann im Staat des Antragsgegners anerkennen und vollstrecken zu lassen. Deshalb stelle die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung nur dann eine einstweilige Massnahme im Sinne von Art. 24 des Übereinkommens dar, wenn die Rückzahlung des zugesprochenen Betrags an den Antragsgegner in dem Fall, dass der Antragsteller nicht in der Hauptsache obsiege, gewährleistet sei und wenn die beantragte Massnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betreffe, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten (a.a.O., E. 45-47, S. 7136 f.). Im Lichte der Rechtsprechung des EuGH und der Lehre ist davon auszugehen, dass von einem anderen als dem in der Hauptsache zuständigen Gericht vorsorglich angeordnete Leistungsmassnahmen unter dem Blickwinkel von Art. 24
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BGE 125 III 451 S. 458
hat (vgl. ZEILER, a.a.O. Einstweiliger Rechtsschutz, S. 236 ff.). Ausserdem ist im Hinblick darauf, dass Leistungsverfügungen zu einer vorgezogenen Anspruchserfüllung führen, zu verlangen, dass die Massnahmen zumindest insoweit einstweiligen Charakter behalten, als für den Fall des Unterliegens des Antragstellers im Hauptverfahren die Schadloshaltung des Antragsgegners gewährleistet ist. Das Gericht hat deshalb die Anordnung der Massnahmen von entsprechenden Sicherheitsleistungen des Antragstellers abhängig zu machen (vgl. EuGH, Urteil "van Uden", a.a.O., E. 38 und 41, S. 7134 f.). Die genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Der Instruktionsrichter des Handelsgerichts hat die Beschwerdegegnerin im Hinblick auf allfällige Schäden der Beschwerdeführerin aus den vorsorglich angeordneten Lieferungen zu Sicherheitsleistungen im Umfang von insgesamt 2,5 Mio. Franken verhalten. Dass damit eine entsprechende Schadloshaltung für den Fall, dass die Beschwerdegegnerin im Hauptprozess vor den englischen Gerichten unterliegen sollte, nicht gewährleistet wäre, behauptet die Beschwerdeführerin nicht; sie bezeichnet in ihrer Beschwerde vielmehr bloss die zusätzliche Sicherheitsleistung von Fr. 50'000.-- als zu niedrig, welche der Instruktionsrichter des Handelsgerichts der Beschwerdegegnerin im Zusammenhang mit dem an die Beschwerdeführerin gerichteten Verbot der Belieferung Dritter auferlegt hat (dazu E. 5d hienach). Weiter ist aufgrund der - insoweit unbeanstandet gebliebenen - Feststellungen des Instruktionsrichters des Handelsgerichts davon auszugehen, dass angesichts der gesamten Umstände eine vorsorgliche Anordnung vertragsgemässer Belieferung vor den englischen Gerichten nicht rechtzeitig hätte erlangt werden können. Die im angefochtenen Entscheid angeordnete Leistungsmassnahme erweist sich deshalb im Hinblick auf einen effektiven Rechtsschutz als unerlässlich. Es liegt auf der Hand, dass die Beschwerdegegnerin auf die Lieferungen der Beschwerdeführerin angewiesen ist, um sich ihre Stellung als Vertreiberin von deren Produkten auf dem schweizerischen Markt erhalten zu können. In diesem Sinne dient die vom Instruktionsrichter des Handelsgerichts getroffene Leistungsmassnahme durchaus der einstweiligen Erhaltung einer Sachlage. Nur durch die vorläufige Belieferung der Beschwerdegegnerin lässt sich verhindern, dass die vertraglichen Lieferungsansprüche, die Gegenstand des vor den englischen Gerichten zu führenden Hauptverfahrens bilden, ihren praktischen Wert verlieren, bevor ein vollstreckbares Haupturteil
BGE 125 III 451 S. 459
vorliegt. Von einer Verletzung von Art. 24
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BGE 125 III 451 S. 460
deren vorläufige Erfüllung für die berechtigte Person eine Lebensnotwendigkeit darstellt (vgl. Art. 281 Abs. 1
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 329 - 1 Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist. |
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1 | Der Anspruch auf Unterstützung ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen und geht auf die Leistung, die zum Lebensunterhalt des Bedürftigen erforderlich und den Verhältnissen des Pflichtigen angemessen ist. |
1bis | Kein Anspruch auf Unterstützung kann geltend gemacht werden, wenn die Notlage auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht.477 |
2 | Erscheint die Heranziehung eines Pflichtigen wegen besonderer Umstände als unbillig, so kann das Gericht die Unterstützungspflicht ermässigen oder aufheben.478 |
3 | Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen finden entsprechende Anwendung.479 |