122 II 433
54. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. November 1996 i.S. B. gegen Regierungsrat des Kantons Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 10 Abs. 1 lit. a und Art. 11 Abs. 3 ANAG in Verbindung mit Art. 16 Abs. 3 ANAV; Art. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte
UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte
UNO-Pakt-II Art. 13 - Ein Ausländer, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, kann aus diesem nur auf Grund einer rechtmässig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden, und es ist ihm, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Gelegenheit zu geben, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde oder durch eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bestimmte Personen nachprüfen und sich dabei vertreten zu lassen.
- Voraussetzungen der Zulässigkeit der Ausweisung, insbesondere deren Verhältnismässigkeit, nach schweizerischem Recht (E. 2).
- Vereinbarkeit der auf das Landesrecht gestützten Ausweisung mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (E. 3).
Regeste (fr):
- Art. 10 al. 1 let. a et art. 11 al. 3 LSEE en relation avec l'art. 16 al. 3 RSEE; art. 3 et art. 8 CEDH ainsi que l'art. 12 et l'art. 13 Pacte ONU II; expulsion administrative d'un étranger né et élevé en Suisse (dit "étranger de la deuxième génération").
- Conditions auxquelles l'expulsion, en particulier sa proportionnalité, est admise selon le droit suisse (consid. 2).
- Compatibilité de l'expulsion fondée sur le droit interne avec les traités internationaux conclus par la Suisse (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 10 cpv. 1 lett. a e art. 11 cpv. 3 LDDS combinati con l'art. 16 cpv. 3 ODDS; art. 3 e art. 8 CEDU come anche art. 12 e art. 13 Patto ONU II; espulsione amministrativa di uno straniero nato e cresciuto in Svizzera (cosiddetto "straniero della seconda generazione").
- Condizioni alle quali è ammissibile un'espulsione; in particolare proporzionalità della stessa secondo il diritto svizzero (consid. 2).
- Compatibilità di un'espulsione fondata sul diritto interno con gli accordi internazionali conclusi dalla Svizzera (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 433
BGE 122 II 433 S. 433
Der italienische Staatsangehörige B. wurde am 8. Oktober 1967 in Luzern geboren, wo er bei seinen Eltern, beide ebenfalls italienische Staatsangehörige, aufwuchs. Der Vater kam 1952 im Alter von 22 Jahren in die Schweiz; die Mutter ist in Alpnach geboren und dort
BGE 122 II 433 S. 434
aufgewachsen. B. hat einen Zwillingsbruder und eine elf Jahre ältere Schwester. Beide Geschwister sind verheiratet und leben ebenfalls hier. Die schulische Förderung von B. fand im wesentlichen im Rahmen der Hilfsschule statt. Am 15. Oktober 1983 erlitt er bei einem Autounfall neben verschiedenen Frakturen und inneren Verletzungen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, wobei er während sechs Tagen bewusstlos war. Bei einem weiteren Unfall im April 1984 zog er sich erneut ein Schädeltrauma zu. B. musste ab 1982 als Jugendlicher mehrfach wegen verschiedener Delikte, namentlich Diebstahls (zum Teil in qualifizierter Form), Sachbeschädigung und Verstosses gegen das Strassenverkehrsgesetz bestraft werden. Am 1. Juli 1988 sprach das Kriminalgericht des Kantons Luzern B. schuldig des Mordes, des fortgesetzten vollendeten Mordversuchs, des gewerbsmässigen Diebstahls, des qualifizierten Raubes, der wiederholten Sachbeschädigung, der Drohung, des fortgesetzten Inumlaufsetzens falschen Geldes, der wiederholten Entwendung von Motorfahrzeugen zum Gebrauch, der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Widerhandlung gegen das Gewässerschutzgesetz und des wiederholten verbotenen Waffentragens. Unter Annahme einer in schwerem Grade verminderten Zurechnungsfähigkeit wurde er zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Obergericht des Kantons Luzern hob diese Strafe mit Urteil vom 30. März 1990 auf und ordnete an deren Stelle die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt gemäss Art. 100bis
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 13 - Ein Ausländer, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, kann aus diesem nur auf Grund einer rechtmässig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden, und es ist ihm, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Gelegenheit zu geben, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde oder durch eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bestimmte Personen nachprüfen und sich dabei vertreten zu lassen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
BGE 122 II 433 S. 435
Am 27. November 1995 verfügte die Fremdenpolizei des Kantons Luzern die Ausweisung von B. Der Regierungsrat des Kantons Luzern wies eine dagegen erhobene Beschwerde am 7. Mai 1996 ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 19. Juni 1996 an das Bundesgericht beantragt B., den angefochtenen Entscheid aufzuheben und von einer Ausweisung abzusehen. Der Regierungsrat des Kantons Luzern und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement schliessen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. a) Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG (SR 142.20) kann ein Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Die Ausweisung darf jedoch nur ausgesprochen werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG). Hierbei sind vor allem die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz und die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAV; SR 142.201). Die Frage, ob die Ausweisung im Sinne der Art. 11 Abs. 3 ANAG und Art. 16 Abs. 3 ANAV "angemessen", d.h. verhältnismässig sei, ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde frei überprüft werden kann (Art. 104 lit. a
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
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1 | Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
2 | Als zuständige Behörden nach den Artikeln 52, 53 und 54 bezeichnen die Kantone Organe der Strafrechtspflege. |
BGE 122 II 433 S. 436
ebenfalls Rechnung zu tragen (BGE 114 Ib 1 E. 3a; vgl. auch BGE 120 Ib 129 E. 5b; Urteil vom 13. Mai 1992 in ZBl 93/1992 S. 569 E. 2d; GIORGIO MALINVERNI, in Kommentar BV, Rz. 77 zu Art. 69ter
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
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1 | Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
2 | Als zuständige Behörden nach den Artikeln 52, 53 und 54 bezeichnen die Kantone Organe der Strafrechtspflege. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
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1 | Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
2 | Als zuständige Behörden nach den Artikeln 52, 53 und 54 bezeichnen die Kantone Organe der Strafrechtspflege. |
BGE 122 II 433 S. 437
gesamten Umstände des Einzelfalles (unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 9. Februar 1996 i.S. Mendes Da Rocha sowie vom 21. Oktober 1994 i.S. Timocin und Doymus). d) Der Beschwerdeführer wurde zuletzt vom Bezirksgericht Zürich mit einer Zuchthausstrafe von dreieinhalb Jahren bestraft, so dass der Ausweisungsgrund von Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG gegeben ist. Bei der Prüfung der Frage, ob die Ausweisung im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG und Art. 16 Abs. 3 ANAV verhältnismässig erscheint, ist vorab festzustellen, dass der Beschwerdeführer unter anderem wegen Delikten verurteilt werden musste, die als solche sehr schwer wiegen: Mord, Raub, Vergewaltigung und Körperverletzung. Das Mass der verhängten Freiheitsstrafen und die Art der Straftaten - insbesondere die Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers und die Rücksichtslosigkeit gegenüber der persönlichen (physischen, psychischen und sexuellen) Integrität anderer - lassen erkennen, dass das strafrechtliche Verschulden des Beschwerdeführers sehr schwer wiegt. Sodann hat der Beschwerdeführer mehrfach Straftaten begangen und sich auch durch frühere Bestrafungen, insbesondere nach der ersten schweren Verurteilung, nicht von weiteren Delikten abhalten lassen. So wurde er noch vor seiner Entlassung aus der Arbeitserziehungsanstalt erneut in schwerer Weise straffällig. Damit besteht ein erhebliches sicherheitspolizeiliches Interesse, den Beschwerdeführer aus der Schweiz zu entfernen und davon fernzuhalten. Sämtliche Familienangehörigen des Beschwerdeführers, zu denen er Beziehungen pflegt, leben in der Schweiz. Das gilt vorab für seine Eltern, die Geschwister und deren Familie, aber auch - mütterlicherseits - für die gesamte weitere Verwandtschaft, da ja bereits die Mutter in der Schweiz aufgewachsen ist. Die beiden Geschwister des Vaters wohnen zwar in Italien; zu ihnen bestehen aber keine Kontakte. Völlig abgebrochen ist die Beziehung zu Italien allerdings nicht. Nahe der Schweizergrenze haben die Eltern des Beschwerdeführers ein Haus, welches sie von Zeit zu Zeit aufsuchen. Insofern lassen sich die familiären Kontakte auch bei einer Ausweisung nach Italien aufrechterhalten. Zwar liegen bei dieser Sachlage nicht enge Beziehungen zu Italien vor; da der Beschwerdeführer aber in seiner frühen Kindheit vorwiegend italienisch gesprochen hat und sich die Lebensbedingungen, jedenfalls in Norditalien, nicht wesentlich von denjenigen in der Schweiz unterscheiden, würde er sich in diesem Land auch dann zurechtfinden können, wenn ihm ein soziales Beziehungsgefüge (zumindest vorerst) fehlte.
BGE 122 II 433 S. 438
Sodann haben die schweizerischen Strafvollzugsbehörden umfassende Bemühungen unternommen, um das Risiko eines Rückfalls des Beschwerdeführers zu vermindern. Soweit möglich, wurde anstelle oder ergänzend zu den Strafen auf Massnahmen zurückgegriffen. So konnte der Beschwerdeführer in der Arbeitserziehungsanstalt eine Berufsausbildung absolvieren. Während des Strafvollzugs befand er sich ferner in ambulanter psychiatrischer Behandlung. Insgesamt dreimal wurde der Beschwerdeführer psychiatrisch begutachtet: Der erste Experte diagnostizierte im wesentlichen eine schwere neurotische Fehlentwicklung und tiefgreifende Persönlichkeitsstörung, welche zusätzlich durch ein Schädel-Hirn-Trauma (verursacht durch Verkehrsunfälle) erschwert worden ist; im neuesten Gutachten wird der Beschwerdeführer als eine "psychisch erheblich mangelhaft entwickelte bzw. im psychischen Reifungsprozess erheblich retardierte, seelisch unreife sowie insbesondere narzisstisch gestörte Persönlichkeit" bezeichnet, wobei das Schädel-Hirn-Trauma ohne offensichtliche hirnorganische Schädigung eine deutliche psychische Reifungsverzögerung bewirkt habe. Der Therapiebericht des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes der Direktion der Justiz des Kantons Zürich schliesst trotz aller Resozialisierungsbemühungen ein gewisses Rückfallrisiko nicht aus; vor allem wird darauf hingewiesen, dass reale oder auch bloss vermeintliche Kränkungen, Ungerechtigkeiten, empfundener Mangel an Anerkennung und Wertschätzung deutliche Störungen der inneren Befindlichkeit des Beschwerdeführers auslösen können. Der Bericht erachtet unter anderem eine weitere ambulante psychiatrische Betreuung als angezeigt. Die Strafgerichte und Vollzugsbehörden haben den psychischen Zustand des Beschwerdeführers in jedem Verfahrensstadium gebührend berücksichtigt. Eine weitere Betreuung ist auch in Italien nicht ausgeschlossen. Weiter ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer wegen seines geistigen Zustandes von vorneherein nicht in der Lage wäre, auf eigenen Füssen zu stehen, bzw. deswegen solchermassen von seinen in der Schweiz lebenden Angehörigen abhängig wäre, dass er nachgerade darauf angewiesen wäre, bei ihnen oder in ihrer unmittelbaren Nähe zu weilen. Schliesslich wird der Beschwerdeführer seinen in der Arbeitserziehungsanstalt erlernten Beruf auch in Italien ausüben können. e) Bei dieser Sachlage verstösst der angefochtene Entscheid, den Beschwerdeführer auszuweisen, nicht gegen schweizerisches Gesetzesrecht; das gilt insbesondere auch bei Berücksichtigung des geistigen
BGE 122 II 433 S. 439
Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers und des Umtands, dass er hier geboren und aufgewachsen ist und womöglich die besseren Resozialisierungschancen hat. Das sicherheitspolizeiliche Interesse an seiner Entfernung und Fernhaltung überwiegt angesichts der sehr schweren Straffälligkeit und der Art der begangenen Delikte sein privates Interesse, in der Schweiz bleiben zu können. Diese Schlussfolgerung entspricht im übrigen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts in vergleichbaren Fällen (so die oben erwähnten unveröffentlichten Urteile vom 9. Februar 1996 i.S. Mendes Da Rocha sowie vom 21. Oktober 1994 i.S. Timocin und Doymus). Obwohl die Ausweisung des Beschwerdeführers allenfalls die Frage nach der - vom Bundesgericht nicht überprüfbaren (vgl. E. 2a) - Zweckmässigkeit im Sinne der Opportunität aufwirft, ändert das nichts daran, dass sie nicht unverhältnismässig ist und das geltende eidgenössische Gesetzesrecht nicht verletzt.
3. a) Zu prüfen bleibt, ob dieses auf das Landesrecht gestützte Ergebnis auch vor den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz standhält. Dabei sind Art. 8 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK; SR 0.101), eventuell in Verbindung mit Art. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 13 - Ein Ausländer, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, kann aus diesem nur auf Grund einer rechtmässig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden, und es ist ihm, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Gelegenheit zu geben, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde oder durch eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bestimmte Personen nachprüfen und sich dabei vertreten zu lassen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
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1 | Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
2 | Als zuständige Behörden nach den Artikeln 52, 53 und 54 bezeichnen die Kantone Organe der Strafrechtspflege. |
BGE 122 II 433 S. 440
mit der Frage der Zulässigkeit der Ausweisung von ausländischen Straftätern zu befassen, die im Aufenthaltsstaat aufgewachsen sind. Die beiden Instanzen beurteilten die ihnen unterbreiteten Fälle auf die Vereinbarkeit mit dem in Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
BGE 122 II 433 S. 441
Gerichtshof zu einer anderen Schlussfolgerung. In einem Urteil vom 24. April 1996 wurde die Ausweisung des im Alter von sieben Jahren nach Frankreich gekommenen Tunesiers Boughanemi, der verschiedentlich verurteilt werden musste, unter anderem zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Zuhälterei, als mit der Konvention vereinbar erachtet. Im jüngsten Urteil vom 27. August 1996 in Sachen C. gegen Belgien ging es schliesslich um einen Marokkaner, der im Alter von elf Jahren nach Belgien gelangt und dort insbesondere wegen Betäubungsmitteldelikten zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war; auch in diesem Fall erachtete der Europäische Gerichtshof eine Ausweisung als zulässig. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich somit zwar folgern, dass bei der Ausweisung von Ausländern, die im Aufenthaltsstaat aufgewachsen sind, eine gewisse Zurückhaltung angezeigt ist (vgl. dazu WILDHABER, a.a.O., Rz. 436 ff.), dass der Entscheid letztlich aber immer von der Würdigung der konkreten Umstände im Einzelfall abhängt, auch wenn diese einzelfallorientierte Beurteilung in Sondervoten einzelner Richter kritisiert worden ist (so insbesondere Richter Martens in den Fällen Beldjoudi und Boughanemi). Während die Mehrheit des Gerichtshofs sodann bisher ausschliesslich auf Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
bb) Die in den Sondervoten geäusserten Auffassungen blieben bis heute Minderheitsmeinungen; zudem gilt das Protokoll Nr. 4 -
BGE 122 II 433 S. 442
und damit dessen Art. 3 - für die Schweiz gerade nicht. Die Anforderungen an die Verhältnismässigkeitsprüfung, wie sie von der Gerichtsmehrheit regelmässig vorgenommen wurden, können auch bei der Anwendung des massgeblichen schweizerischen Landesrechts beachtet werden. Insbesondere lassen sich die wesentlichen Gesichtspunkte in die Interessenabwägung nach Art. 11 Abs. 3 ANAG in Verbindung mit Art. 16 Abs. 3 ANAV einbeziehen. Wie vor allem die jüngsten beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofes erkennen lassen, kann sich eine Ausweisung namentlich bei derart schwerwiegender Deliktstätigkeit wie im vorliegenden Fall als zulässig erweisen (vgl. dazu auch das Sondervotum des schweizerischen Richters Wildhaber im Fall Nasri). In den Fällen, welche der Gerichtshof gutgeheissen hat, lagen jeweils besondere Umstände (etwa Gehörlosigkeit, besondere Abhängigkeit von den Angehörigen, nahe Angehörige mit Bürgerrecht des Aufenthaltsstaates, keine Kenntnis der Sprache des Heimatlandes, wesentliche Unterschiede in den Lebensbedingungen zwischen Aufenthalts- und Heimatstaat usw.) vor (vgl. Sondervotum des Richters Wildhaber im Fall Nasri; FRANK SCHÜRMANN, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - Chronik der Rechtsprechung, in AJP 1996 S. 1178 [zum Urteil Nasri]; G. COHEN-JONATHAN, Respect for Private and Family Life, in: Macdonald/Matscher/ Petzold [Hrsg.], The European System for the Protection of Human Rights, Dordrecht etc., 1993, S. 438 f. [zum Urteil Moustaquim]). Vergleichbares ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, auch nicht mit Blick auf den geistigen Zustand des Beschwerdeführers. Die angefochtene Ausweisung beruht auf einer Interessenabwägung, die alle nach Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 1 Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte - Die Hohen Vertragsparteien sichern allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmten Rechte und Freiheiten zu. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
BGE 122 II 433 S. 443
"Niemand darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen."
Zu Art. 12 Abs. 1
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
BGE 122 II 433 S. 444
aus Madagaskar ausgeschafften Franzosen, der während knapp zwei Jahrzehnten dort gelebt hatte, immerhin lediglich unter dem Gesichtspunkt von Art. 13
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 13 - Ein Ausländer, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, kann aus diesem nur auf Grund einer rechtmässig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden, und es ist ihm, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Gelegenheit zu geben, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde oder durch eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bestimmte Personen nachprüfen und sich dabei vertreten zu lassen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |
BGE 122 II 433 S. 445
umfassend gewürdigt worden sind, insbesondere der schweren Straffälligkeit des Beschwerdeführers, ist die Ausweisung überdies nicht unsachlich oder unverhältnismässig bzw. ungerecht oder stossend. Die Ausweisung erweist sich damit nicht als im Sinne von Art. 12 Abs. 4
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 12 - (1) Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. |