Urteilskopf

121 III 145

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. April 1995 i.S. S. R. und A. R. gegen Regierungsrat des Kantons Bern (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 146

BGE 121 III 145 S. 146

A.- S. R., geb. 1982, und A. R., geb. 1988, sind Kinder aus verschiedenen Verbindungen ihrer Mutter, C. R.. Während die Tochter, S. R., einer früheren Ehe ihrer Mutter entstammt, ist A. R. Sohn von K. S.. C. R. und K. S. leben seit 1985 in Lebensgemeinschaft. Beide Kinder wachsen in dieser Gemeinschaft auf. K. S. ist immer noch mit U. Sch. verheiratet. Aus dieser Ehe entspross eine Tochter namens F., geb. 1984, welche sich bei ihrer Mutter aufhält. Die Familien R./S. und S.-Sch. leben nahe beieinander und pflegen enge familiäre Beziehungen zueinander.
C. R. ersuchte nach der Geburt des Sohnes A. R. um Änderung seines Familiennamens R. in denjenigen des Vaters S. Dieses Begehren wurde jedoch mit Verfügung der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern vom 4. August 1989 abgewiesen. Diese Direktion wies auch eine Einsprache von C. R. gegen den Entscheid kostenfällig ab.
B.- Mit Eingabe vom 26. Januar 1993 liessen S. R. und A. R., vertreten durch ihre Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt, bei der Polizei- und Militärdirektion das Gesuch stellen, es sei ihnen zu gestatten, den Familiennamen S. zu tragen. Die Direktion und sodann, auf Beschwerde hin, der Regierungsrat des Kantons Bern wiesen beide Gesuche kostenfällig ab.
C.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates vom 2. November 1994 haben S. R. und A. R. beim Bundesgericht unter anderem Berufung eingereicht. Damit stellen sie den Antrag, es sei ihnen zu gestatten, den Namen S. zu führen. Der Regierungsrat des Kantons Bern lässt Abweisung dieses Rechtsmittels beantragen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Nach Art. 30 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 30 - 1 Die Regierung des Wohnsitzkantons kann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn achtenswerte Gründe vorliegen.46
1    Die Regierung des Wohnsitzkantons kann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn achtenswerte Gründe vorliegen.46
2    ...47
3    Wer durch Namensänderung verletzt wird, kann sie binnen Jahresfrist, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat, gerichtlich anfechten.
ZGB kann die Regierung des Wohnsitzkantons einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn wichtige Gründe vorliegen.
BGE 121 III 145 S. 147

Bezüglich der Änderung des Familiennamens unmündiger Kinder hat das Bundesgericht sowohl unter dem alten, nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür überprüfbaren Recht, als auch unter der revidierten Gesetzesbestimmung, deren Verletzung nunmehr mit Berufung gerügt werden kann, eine relativ grosszügige Praxis zur Auslegung des wichtigen Grundes entwickelt. So hat es insbesondere eine Namensänderung gestattet, wenn das Kind bei einer Person mit anderem Namen aufwächst, die faktisch die Elternstelle versieht, die Übereinstimmung des Namens nicht oder nicht ohne weiteres durch Standesänderung herbeigeführt werden kann und die Namensänderung tatsächlich im Interesse dieses Kindes liegt. In diesem Sinne wurde eine Änderung des Namens regelmässig insbesondere für Kinder bewilligt, welche nach der Scheidung ihrer Eltern mit der Mutter zusammenleben, die ihren früheren Namen wieder angenommen hat (BGE 109 II 177 E. 3 und 4 S. 179; BGE 110 II 433). Einer Namensänderung ist sodann in der Regel auch zugestimmt worden, wenn die Kinder mit Mutter und Stiefvater zusammenleben (BGE 99 Ia 561); in bezug auf diesen Fall hat das Bundesgericht indes - wenn auch in einem unveröffentlichten Entscheid - hervorgehoben, allein im allgemeinen Hinweis des Kindes, es entspreche seinem Wohl, in Namenseinheit mit seiner Mutter und dem Stiefvater zu leben, sei kein wichtiger Grund für die Änderung des Familiennamens zu erblicken (nicht veröffentlichter Entscheid i.S. M. vom 12. August 1993, E. 2c). Bis in die neuere Zeit hinein wurden überdies auch Änderungen des Namens gestattet für Kinder, die zusammen mit ihrer Mutter und deren Konkubinatspartner wohnen, sofern dieser der leibliche Vater der Kinder ist und das Konkubinatsverhältnis dauerhaft und stabil erscheint. Dabei liess sich das Bundesgericht vom Gedanken leiten, dass einem Kind nicht miteinander verheirateter Eltern gesellschaftliche Nachteile erwachsen, wenn aufgrund seines Namens seine aussereheliche Geburt erkennbar werde (BGE 105 II 241, 247; BGE 107 II 289, BGE 119 II 307 E. 3c S. 309 mit Hinweisen). Dem Kind wurde daher regelmässig ein legitimes Interesse daran zugestanden, seinen Namen mit demjenigen seiner sozialen Familie in Einklang zu bringen (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts i.S. J. & T./T. vom 8. November 1990, E. 3c). In einem weiteren Entscheid hat das Bundesgericht schliesslich präzisiert, wichtige Gründe für eine Namensänderung eines ausserehelichen Kindes lägen nicht vor, wenn seine nicht verheirateten Eltern nicht zusammenleben (BGE 117 II 6).
BGE 121 III 145 S. 148

b) Die grosszügige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Namensänderungspraxis im Konkubinat lebender Kinder ist von der Lehre teils begrüsst (BERNARD SCHNEIDER, Situation juridique des enfants de concubins, in: Zeitschrift für Vormundschaftswesen (ZVW) 36/1981, S. 131/132 und Anm. 23), grösstenteils aber kritisiert worden (GUINAND, L'évolution de la jurisprudence en matière de changement de nom, in: Zeitschrift für Zivilstandswesen (ZZW) 48/1980, S. 358-361; LIVER, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1979, in: ZBJV 117/1981, S. 67; DENISE MANGOLD, Familiennamensänderungen im Kanton Basel-Stadt unter Berücksichtigung von Fällen aus dem Bereiche des IPR, Diss. Basel 1981, S. 116; ANDREAS BRAUCHLI, Das Kindeswohl als Maxime des Rechts, Diss. ZH 1982, S. 89 ff.; STETTLER, Le nom, le droit de cité et le domicile de l'enfant à la suite de diverses réformes législatives, in: ZVW 42/1987, S. 85 f., HEGNAUER, N. 88 f. zu Art. 270; GEISER, Die neuere Namensänderungspraxis des schweizerischen Bundesgerichts, in: ZZW 61/1993, S. 379 und 382). c) Mit Blick auf die zahlreichen Eineltern- oder Konkubinatsfamilien und die damit bzw. mit der Revision des Kindesrechts erfolgte gesellschaftliche Änderung in der Beurteilung ausserehelicher Kindesverhältnisse lässt sich nicht mehr damit argumentieren, die Übernahme des väterlichen Namens vermöge generell den sozialen Nachteilen zu begegnen, welche diese Kinder wegen des Namensunterschieds in Kauf zu nehmen hätten. Solche Nachteile müssten zudem ernsthafter Natur sein. Zudem lässt sich mit der Übernahme des väterlichen Namens durch das Kind die angestrebte Einheit des Familiennamens ohne Standesänderung ohnehin nicht erreichen. Angesichts des bereits seit einigen Jahren in der sozialen Umwelt eingetretenen Sinneswandels lässt sich somit allein in der Tatsache des stabilen Konkubinatsverhältnisses zwischen der Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt und dem Konkubinatspartner als leiblichem Vater des in ihrer Hausgemeinschaft lebenden Kindes nicht mehr ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 30 - 1 Die Regierung des Wohnsitzkantons kann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn achtenswerte Gründe vorliegen.46
1    Die Regierung des Wohnsitzkantons kann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn achtenswerte Gründe vorliegen.46
2    ...47
3    Wer durch Namensänderung verletzt wird, kann sie binnen Jahresfrist, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat, gerichtlich anfechten.
ZGB erblicken. Vielmehr muss vom Kind verlangt werden, dass es in seinem Gesuch konkret aufzeigt, inwiefern ihm durch die von Gesetzes wegen vorgesehene Führung des Namens seiner Mutter (Art. 270 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 270 - 1 Sind die Eltern miteinander verheiratet und tragen sie verschiedene Namen, so erhält das Kind denjenigen ihrer Ledignamen, den sie bei der Eheschliessung zum Namen ihrer gemeinsamen Kinder bestimmt haben.
1    Sind die Eltern miteinander verheiratet und tragen sie verschiedene Namen, so erhält das Kind denjenigen ihrer Ledignamen, den sie bei der Eheschliessung zum Namen ihrer gemeinsamen Kinder bestimmt haben.
2    Die Eltern können innerhalb eines Jahres seit der Geburt des ersten Kindes gemeinsam verlangen, dass das Kind den Ledignamen des andern Elternteils trägt.
3    Tragen die Eltern einen gemeinsamen Familiennamen, so erhält das Kind diesen Namen.
ZGB) ernsthafte soziale Nachteile erwachsen, welche als wichtige Gründe für eine Namensänderung in Betracht gezogen werden können.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 121 III 145
Date : 05. April 1995
Published : 31. Dezember 1995
Source : Bundesgericht
Status : 121 III 145
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Namensänderung bei einem Kind nicht verheirateter Eltern (Art. 30 Abs. 1 ZGB; Art. 270 Abs. 2 ZGB). Angesichts des in den
Classification : Änderung der Rechtsprechung


Legislation register
ZGB: 30  270
BGE-register
105-II-241 • 107-II-289 • 109-II-177 • 110-II-433 • 117-II-6 • 119-II-307 • 121-III-145 • 99-IA-561
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
mother • federal court • surname • cantonal council • father • important reason • life • adult • parental authority • concubinage • nato • family • meadow • marriage • position • decision • common household • basel-stadt • child • request to an authority • remedies • court and administration exercise • revision • 1995 • bastard • best interest of the child • statement of affairs • tailor • legislature • director
... Don't show all