Urteilskopf

120 V 121

16. Urteil vom 14. April 1994 i.S. Christlich-Soziale der Schweiz (CSS) gegen Z. und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
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Sachverhalt ab Seite 121

BGE 120 V 121 S. 121

A.- Z. (geb. 1953) ist seit 1978 Mitglied der Christlich-Sozialen der Schweiz (nachfolgend: CSS oder Kasse) und bei dieser u. a. der Krankenpflege-, der Spitalzusatz- und der kombinierten Spitalversicherung (halbprivate Abteilung) angeschlossen. Nachdem sich der Versicherte am 3. Februar 1992 im Universitätsspital Zürich einer Lebertransplantation unterziehen musste, verfügte die CSS am 12. Oktober 1992, dass dafür kein Anspruch auf Versicherungsleistungen
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bestehe. Zur Begründung führte sie sinngemäss an, dass im betreffenden Spital während des Jahres 1991 lediglich sechs derartige Eingriffe durchgeführt worden seien, womit es an der für die Anerkennung als Pflichtleistung vorausgesetzten Mindestmenge fehle.
B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 27. April 1993 gut, indem es die CSS in grundsätzlicher Hinsicht verpflichtete, im Zusammenhang mit der am 3. Februar 1992 durchgeführten Lebertransplantation die versicherten Leistungen zu erbringen. Soweit indes mit der Beschwerde zugleich die Zusprechung eines bezifferten Betrages beantragt worden war, trat das Gericht mangels Anfechtungsobjekts nicht darauf ein.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die CSS die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides. Z. schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Stellungnahme verzichtet. Auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsentscheides und der Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. a) Die Leistungen der Krankenpflegeversicherung haben nach Art. 12 Abs. 2 KUVG u. a. die ärztliche Behandlung zu umfassen. Die zur gesetzlichen Pflichtleistung gehörende ärztliche Behandlung umfasst gemäss Art. 21 Abs. 1 Vo III über die Krankenversicherung die vom Arzt vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten diagnostischen und therapeutischen Massnahmen. Ferner schreibt die zitierte Verordnungsbestimmung in der seit dem 1. Januar 1986 geltenden Fassung vor, dass diese Massnahmen zweckmässig und wirtschaftlich sein sollen. Diese Grundsätze gelten sowohl bei ambulanter Behandlung als auch bei Behandlung in einer Heilanstalt (BGE 118 V 109 Erw. 2 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung gilt eine Behandlungsmethode dann als wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Entscheidend sind dabei das Ergebnis der Erfahrungen und der Erfolg einer bestimmten Therapie (BGE 119 V 28 Erw. 3a mit Hinweisen).
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Ist umstritten, ob eine diagnostische oder therapeutische Massnahme wissenschaftlich, zweckmässig und wirtschaftlich ist, so entscheidet das Eidg. Departement des Innern (EDI) nach Anhören der Eidg. Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung, ob die Massnahme als Pflichtleistung von den Krankenkassen übernommen werden muss (Art. 12 Abs. 5 KUVG in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 Vo III). Die Meinungsäusserungen dieser Kommission sind für den Richter grundsätzlich nicht verbindlich. Wenn es allerdings darum geht, einen Sachverhalt zu würdigen, der ausschliesslich medizinische Überlegungen beschlägt, so ist der Richter im allgemeinen nicht in der Lage zu beurteilen, ob die Schlussfolgerungen der Fachleute stichhaltig sind. Er muss sich deshalb deren Meinung anschliessen, sofern sie nicht unhaltbar scheint (BGE 119 V 31 Erw. 4b mit Hinweisen). b) Am 31. August 1989 unterstellte die Eidg. Fachkommission die Lebertransplantation ebenso wie die Herztransplantation den Pflichtleistungen der anerkannten Krankenkassen, erstere jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie in einem Zentrum durchgeführt wird, das über die nötige Infrastruktur und Erfahrung verfügt (Mindesthäufigkeit: 10-15 Lebertransplantationen pro Jahr). Für die Lungentransplantation, die kombinierte Herz-Lungen-Transplantation und die Transplantation der Bauchspeicheldrüse wurde der Pflichtleistungscharakter verneint (RKUV 1990 S. 35 f.). Dieser Beschluss wurde am 23. Dezember 1992, mithin nach Erlass der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Verfügung, auf den 1. Januar 1993 in den Anhang der Verordnung 9 des EDI über die Leistungspflicht der anerkannten Krankenkassen für bestimmte diagnostische und therapeutische Massnahmen (Ziff. 1.2 "Transplantationschirurgie") aufgenommen (AS 1993 I S. 351 ff.).
2. Nach dem Gesagten steht ausser Frage, dass die Lebertransplantation als wissenschaftliche Heilmethode anerkannt ist. Mit Recht wird denn auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts Gegenteiliges behauptet, weshalb sich weitere Ausführungen hiezu erübrigen. Streitig und zu prüfen ist indes, wie es sich mit den Vorbehalten gemäss dem - nunmehr vom EDI in den Anhang der Verordnung 9 überführten - Beschluss der Eidg. Fachkommission vom 31. August 1989 verhält, wonach die Lebertransplantation - um als Pflichtleistung anerkannt zu werden - in einem Zentrum durchgeführt werden muss, das über die nötige Infrastruktur und Erfahrung verfügt. Dabei geht es namentlich darum, ob sich die von der beschwerdeführenden Kasse vertretene Auffassung halten lässt, wonach diese
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qualitative Voraussetzung ausschliesslich nach der Zahl der durchgeführten Eingriffe zu beurteilen, mithin die verlangte Mindesthäufigkeit von jährlich 10-15 Lebertransplantationen gleichsam als Leistungsvoraussetzung zu werten ist.
3. Ausgehend von einem Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts, wonach die relative Seltenheit von Herztransplantationen in der Schweiz nicht als taugliches Kriterium gelten kann, um diese wissenschaftlich anerkannte Operation von den Pflichtleistungen auszuschliessen (BGE 114 V 258, 264 Erw. 4c/aa), ist die Vorinstanz zur Auffassung gelangt, dass das Unterschreiten einer bestimmten jährlichen Mindestzahl in einer die erforderliche Infrastruktur und Erfahrung aufweisenden Klinik kein Grund darstelle, um die Leistungspflicht der Krankenkasse zu verneinen. Dass das Universitätsspital Zürich nicht nur über die nötigen Einrichtungen, sondern auch über beträchtliche Erfahrungen auf dem fraglichen Gebiet verfüge, werde nicht bestritten, und es sei nicht einsehbar, weshalb die erworbenen Fertigkeiten nicht mehr vorhanden sein sollten, wenn das von der Eidg. Fachkommission festgelegte Minimum an Operationen in einem bestimmten Jahr (mangels Nachfrage oder Angebotes an Spenderlebern) nicht mehr erreicht werde.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dagegen im wesentlichen eingewendet, dass sich die Lebertransplantation als besonders schwieriger Eingriff nicht einfach mit Herz- oder anderen Organverpflanzungen vergleichen lasse. Die beteiligten Ärzte müssten über hinreichende Erfahrung verfügen, weshalb eine minimale Anzahl von Transplantationen unerlässlich sei. Da im Universitätsspital Zürich 1991 (und 1992) lediglich sechs solche Eingriffe durchgeführt worden seien, erfordere es einen viel grösseren Aufwand, um den Erfolg zu gewährleisten, was der gebotenen Wirtschaftlichkeit zuwiderlaufe.

4. a) Den Akten lässt sich entnehmen, dass im Universitätsspital Zürich bis Ende 1992 insgesamt 41 Lebertransplantationen durchgeführt worden waren, mithin etwas weniger als am HCUG Genf (46), indes bedeutend mehr als am Berner Inselspital (25) und am CHUV Lausanne (11). Ferner geht aus mehreren beigezogenen Rundschreiben (Nrn. 28/1991, 20/1992 und 17/1993) des Konkordates der Schweizerischen Krankenkassen hervor, dass es im Universitätsspital Zürich zwischen Januar 1989 und 1990 zu genau zehn Lebertransplantationen kam, 1990 zu acht und im Folgejahr sowie 1992 noch zu sechs derartigen Eingriffen, womit die im betreffenden Spital durchgeführten Lebertransplantationen zwar ab 1. Februar 1990, jedoch nicht
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mehr ab 1. Januar 1992 als Pflichtleistungen anerkannt waren (für die Situation nach Verfügungserlass vgl. sodann das KSK-Rundschreiben Nr. 6/1994, wonach Lebertransplantationen am Universitätsspital Zürich ab dem 1. Dezember 1993 wiederum als Pflichtleistungen gelten). Einem Bericht des Schweizerischen Instituts für Gesundheits- und Krankenhauswesen (SKI) vom März 1989 kann endlich entnommen werden, dass sich die "realisierbare Transplantationshäufigkeit" wegen des begrenzten Spenderangebotes für die ganze Schweiz auf jährlich 30 bis maximal 70 Eingriffe beläuft. b) Aufgrund des Beschlusses der Eidg. Fachkommission, die Lebertransplantation unter bestimmten Voraussetzungen als Pflichtleistung anzuerkennen, steht fest, dass die Wirtschaftlichkeit solcher Eingriffe nicht generell - unter Berufung auf die dadurch bedingten hohen Kosten - verneint wird. Dies zu Recht, müssen doch die Krankenkassen auch kostspielige Massnahmen übernehmen, wenn entweder überhaupt keine andere oder jedenfalls keine kostengünstigere Methode zur Verfügung steht und die Massnahme sich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit noch rechtfertigen lässt (BGE 114 V 160 Erw. 4b in fine, 168 Erw. 4 und 265 Erw. 4c/cc, je mit Hinweisen). Das Bestreben der Eidg. Fachkommission und des verordnungsgebenden Departements scheint vielmehr dahin zu gehen, derart anspruchsvolle, jedoch eher seltene Eingriffe nur durch wenige, entsprechend eingerichtete Leistungszentren ausführen zu lassen, die sich personell und instrumentell jederzeit in der Lage sehen, den verlangten qualitativen Anforderungen zu genügen. Eine solche Konzentration wirkt sich auf die Erfahrung der beteiligten Zentren zweifellos förderlich aus. Darüber hinaus mag sie aus gesundheits- und spitalpolitischer Sicht insofern als sinnvoll erscheinen, als Operationen der hier in Frage stehenden Art nebst besonders geschulten Fachkräften ein hohes Mass an technischem Aufwand voraussetzen, mithin nach einer Infrastruktur verlangen, die nicht allenthalben verfügbar sein kann. So gesehen besteht mit der verlangten Mindesthäufigkeit von jährlich 10 bis 15 Lebertransplantationen und der damit bezweckten Konzentration durchaus ein gewisser Bezug zum krankenversicherungsrechtlichen Gebot der wirtschaftlichen Behandlungsweise (Art. 23 KUVG). c) Es besteht kein Anlass, die für die Anerkennung der Lebertransplantation als Pflichtleistung verlangte qualitative Voraussetzung (Durchführung in einem Zentrum mit der nötigen Infrastruktur und Erfahrung) in Zweifel zu
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ziehen, und zwar selbst dann nicht, wenn die Stellungnahme der Eidg. Fachkommission in dieser Hinsicht nicht auf streng medizinischen Überlegungen beruhen mag (vgl. BGE 119 V 31 Erw. 4b mit Hinweisen). Anders verhält es sich freilich mit der von der beschwerdeführenden Kasse - anscheinend im Verein mit dem Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen (vgl. die erwähnten KSK-Rundschreiben) - vertretenen Lesart des fraglichen Fachkommissionsbeschlusses, wonach es an der erforderlichen Infrastruktur und Erfahrung eines Zentrums stets dann gebrechen soll, wenn darin pro Jahr nicht mindestens 10 bis 15 Lebertransplantationen ausgeführt werden. Denn ob die genannte qualitative Voraussetzung erfüllt ist, kann - wie die Vorinstanz treffend ausgeführt hat - nicht entscheidend von der Anzahl der durchgeführten Eingriffe abhängig gemacht werden, wobei sich gerade auch die Anknüpfung an die Verhältnisse im Vorjahr als fragwürdig erweist. Eine solche Auslegung lässt sich weder mit dem zuvor angesprochenen Wirtschaftlichkeitsgebot noch mit Zweckmässigkeitsüberlegungen anderer Art rechtfertigen. Sie erscheint jedenfalls dann als unhaltbar und geradezu willkürlich, wenn eine Klinik - wie im vorliegenden Fall das Universitätsspital Zürich - der verlangten Anzahl während einer gewissen Zeit sogar genügt hatte. Unter diesen Umständen kann es namentlich aus Sicht der für die soziale Krankenversicherung wesentlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und Gegenseitigkeit (BGE 115 V 393 Erw. 4b, 113 V 298 Erw. 2 mit weiteren Hinweisen; vgl. ferner MAURER, Bundessozialversicherungsrecht, 1993, § 12 B I 1c, S. 254) nicht angehen, dass später ausgeführte Lebertransplantationen - ohne dass sich hinsichtlich Infrastruktur oder personeller Besetzung des betroffenen Zentrums irgendwelche wesentlichen Änderungen ergeben hätten - einzig deshalb nicht mehr als Pflichtleistungen anerkannt werden, weil die erforderliche Mindestzahl im Jahr zuvor unerreicht geblieben war. Davon abgesehen geht mit festen numerischen Grenzen der hier in Frage stehenden Art zwangsläufig die Gefahr des Missbrauchs einher - zumal dann, wenn damit ein sich auf das Ansehen der Klinik auswirkendes Qualitätsurteil verbunden wird -, weshalb sich das Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen offenbar auch veranlasst sieht, die medizinische Indikation der vorgenommenen Eingriffe jeweilen durch eine vertrauensärztliche Delegation zu überprüfen.
5. Nach dem Gesagten und nachdem weder dargetan noch ersichtlich ist, dass das Universitätsspital Zürich den verlangten qualitativen
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Anforderungen im hier fraglichen Zeitraum konkret nicht genügt hätte, hält der angefochtene Gerichtsentscheid stand.
6. Soweit im Rahmen der Beschwerdeantwort das bereits im vorinstanzlichen Verfahren gestellte (bezifferte) Leistungsbegehren erneuert wird, kann darauf nicht eingetreten werden, nachdem das Institut der Anschlussbeschwerde dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren fremd ist (BGE 114 V 245 Erw. 4 mit Hinweisen) und eine spezialgesetzliche Ausnahme für den Bereich der Krankenversicherung nicht besteht. Insofern wäre der Beschwerdegegner gehalten gewesen, den vorinstanzlichen Nichteintretensentscheid seinerseits mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 120 V 121
Datum : 14. April 1994
Publiziert : 31. Dezember 1994
Quelle : Bundesgericht
Status : 120 V 121
Sachgebiet : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Gegenstand : Art. 12 Abs. 2 KUVG, Art. 21 Abs. 1 Vo III. Pflichtleistungscharakter in bezug auf eine im Universitätsspital Zürich durchgeführte


Gesetzesregister
KUVG: 12  23
BGE Register
113-V-296 • 114-V-153 • 114-V-239 • 114-V-258 • 115-V-388 • 118-V-107 • 119-V-26 • 120-V-121
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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