120 IV 1
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Februar 1994 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen gegen W. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37
1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 2 Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. 3 Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. - Auch eine Strafe von mehr als 18 Monaten (hier: zweieinhalb Jahre Gefängnis wegen qualifizierter Vergewaltigung) kann zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschoben werden. Die ambulante Therapie geht vor, wenn eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet und diese durch den Vollzug der Freiheitsstrafe klarerweise erheblich beeinträchtigt würden. Je länger die Freiheitsstrafe, deren Aufschub zur Diskussion steht, desto ausgeprägter die Abnormität, die geheilt werden soll.
Regeste (fr):
- Art. 43 ch. 2 al. 2 CP; suspension de l'exécution de la peine pour permettre un traitement ambulatoire.
- Même une peine privative de liberté de plus de 18 mois (en l'espèce de deux ans et demi d'emprisonnement pour viol qualifié) peut être suspendue pour permettre un traitement ambulatoire. Les soins ambulatoires doivent prévaloir lorsqu'un traitement immédiat offre de bonnes chances de resocialisation et que celle-ci serait à l'évidence compromise gravement par l'exécution de la peine privative de liberté. Plus la peine privative de liberté est de longue durée, plus importante doit être l'anomalie qu'il faut soigner.
Regesto (it):
- Art. 43 n. 2 cpv. 2 CP; sospensione dell'esecuzione della pena per permettere un trattamento ambulatorio.
- Anche una pena privativa della libertà personale di più di 18 mesi (nella fattispecie: die due anni e mezzo di detenzione per violenza carnale aggravata) può essere sospesa per permettere un trattamento ambulatorio. Il trattamento ambulatorio deve prevalere laddove una terapia immediata offra buone probabilità di reinserimento sociale e quest'ultimo sia manifestamente compromesso in ampia misura in caso di esecuzione della pena privativa della libertà. Quanto maggiore sia la durata della pena privativa della libertà la cui esecuzione sia eventualmente da sospendere, tanto maggiore dev'essere l'anomalia da curare.
Sachverhalt ab Seite 2
BGE 120 IV 1 S. 2
Als W. am Abend des 7. Februar 1990 an der Wohnungstür von Frau A. klingelte und wegen eines angeblichen Autounfalls zu telefonieren wünschte, liess diese den ihr unbekannten, bleichen und aufgeregten Mann in die Wohnung treten und bot ihm in der Küche zur Beruhigung einen Kaffee an. W. ging wiederholt in die Wohnstube, um zu telefonieren. Weil ihm dies angeblich infolge Betriebsstörungen nicht gelang, kniete sich Frau A. zum Apparat und nahm prüfend den Telefonhörer zur Hand. Da ergriff W. die Frau überraschend von hinten und hielt ihr eine (nicht geladene) Pistole an den Kopf. Er klemmte ihren Kopf zwischen seine Knie, stopfte ihr mehrmals ein Tuch in den Mund, um sie am Schreien zu hindern ("dann würgte er mir wieder das Tuch rein, ich bin fast erstickt"), riss ihr die Kleider vom Leib, betastete ihre Vagina und setzte sich "verkehrt" auf sie. Er benützte zudem eine Rasierklinge, fuhr damit über ihren Körper hin und her und rasierte ihr die Schamhaare; er versetzte sie in Angst, geschnitten zu werden. Er legte sich auch auf sie, doch ohne vollständige Erektion. Nach Wahrnehmung von Frau A. dauerte der Überfall zwischen 20 Minuten und einer halben Stunde. Sie wehrte sich durchgängig, schrie, biss, versuchte ihn zu treten und hämmerte mit den Händen auf den Boden. Als schliesslich ein Nachbar in die Wohnung trat, suchte W. fortzuspringen, wurde jedoch von jenem bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten. Das Bezirksgericht St. Gallen verurteilte am 11. April 1991 W. wegen versuchter qualifizierter Notzucht nach Art. 187 Abs. 2 aStGB sowie Widerhandlung gegen die Waffenverordnung zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus und zur Bezahlung von Fr. 10'000.-- Genugtuung. Es verpflichtete ihn, die ambulante psychiatrische Behandlung fortzusetzen, solange die Ärztin dies für nötig erachtet. Den Vollzug der Strafe schob es nicht auf. Auf Berufung von W. verurteilte ihn das Kantonsgericht St. Gallen am 25. Mai 1993 wegen versuchter qualifizierter Vergewaltigung gemäss Art. 190 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 190 - 1 Wer gegen den Willen einer Person den Beischlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt oder zu diesem Zweck einen Schockzustand einer Person ausnützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. |
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1 | Wer gegen den Willen einer Person den Beischlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt oder zu diesem Zweck einen Schockzustand einer Person ausnützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. |
2 | Wer eine Person zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer beischlafsähnlichen Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. |
3 | Handelt der Täter nach Absatz 2 grausam, verwendet er eine gefährliche Waffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. |
BGE 120 IV 1 S. 3
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. In der Hauptsache rügt die Beschwerdeführerin den Aufschub der Freiheitsstrafe zwecks ambulanter Behandlung. Ein Strafaufschub zugunsten einer ambulanten Massnahme sei bereits dann generell nicht mehr zulässig, wenn die Strafe mehr als 18 Monate betrage. Dann gehe der Strafanspruch des Staates vor und dürfe nicht durch die Anordnung einer ambulanten Massnahme vereitelt werden. Die Vergeltungsbedürfnisse hätten bei hohen Strafen in jedem Fall Vorrang vor der Spezialprävention. Eher sei auf die Behandlung zu verzichten.
a) Erfordert der Geisteszustand des Täters ärztliche Behandlung oder besondere Pflege und ist anzunehmen, dadurch lasse sich die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten verhindern oder vermindern, so kann der Richter gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
BGE 120 IV 1 S. 4
Angesichts einer schweren geistigen Abnormität kann somit eine längere Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschoben werden. Dabei ist ein Widerstreit zwischen Spezial- und Generalprävention möglich, weil ihre Zielsetzungen nach unterschiedlichen Sanktionen rufen können (Behandlung ausserhalb des Strafvollzugs bzw. Vollzug der Freiheitsstrafe). Ebenso kann der Gesichtspunkt der Spezialprävention mit dem Aspekt der rechtsgleichen Behandlung in Konflikt treten. Die Lösung lässt sich somit nicht einfach aufgrund der einen oder andern Zielsetzung finden. Die Strafzwecke stehen sich denn auch nicht unvereinbar gegenüber. Sie bilden vielmehr ein komplexes Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, wobei je nach Sachzusammenhang das eine oder das andere Kriterium stärker hervortritt (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, S. 44 N. 28). Spezial- und Generalprävention sind gegeneinander abzuwägen und in eine Rangfolge zu bringen. Dabei gerät die Spezialprävention in zweifacher Hinsicht in den Vordergrund. Zum einen dient das Strafrecht in erster Linie nicht der Vergeltung, sondern der Verbrechensverhütung. Dies bringt der Gesetzgeber nicht nur mit der Bezeichnung der Resozialisierung als Ziel des Strafvollzuges (Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 44 - 1 Schiebt das Gericht den Vollzug einer Strafe ganz oder teilweise auf, so bestimmt es dem Verurteilten eine Probezeit von zwei bis fünf Jahren. |
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1 | Schiebt das Gericht den Vollzug einer Strafe ganz oder teilweise auf, so bestimmt es dem Verurteilten eine Probezeit von zwei bis fünf Jahren. |
2 | Für die Dauer der Probezeit kann das Gericht Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen. |
3 | Das Gericht erklärt dem Verurteilten die Bedeutung und die Folgen der bedingten und der teilbedingten Strafe. |
4 | Die Probezeit beginnt mit Eröffnung des Urteils, das vollstreckbar wird.39 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
BGE 120 IV 1 S. 5
konkreten Umstände, insbesondere von Notwendigkeit und Chancen einer Behandlung im Vergleich zu den Auswirkungen des Strafvollzuges sowie des Erfordernisses, Straftaten zu ahnden. Doch selbst wenn er zum Ergebnis gelangt, eine Behandlung sei ohne Beeinträchtigung der Erfolgsaussichten vollzugsbegleitend nicht durchführbar, verlangt Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
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1 | Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
2 | Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen. |
3 | Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar. |