119 IV 255
48. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. November 1993 i.S. S. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 31 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. 2 Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.103 2bis Der Bundesrat kann folgenden Personengruppen das Fahren unter Alkoholeinfluss verbieten: a Personen, die den konzessionierten oder den grenzüberschreitenden Personenverkehr auf der Strasse durchführen (Art. 8 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 2009104 sowie Art. 3 Abs. 1 des BG vom 20. März 2009105 über die Zulassung als Strassentransportunternehmen); b Personen, die berufsmässig Personentransporte oder mit schweren Motorwagen Gütertransporte durchführen oder die gefährliche Güter transportieren; c Fahrlehrern; d Inhabern des Lernfahrausweises; e Personen, die Lernfahrten begleiten; f Inhabern des Führerausweises auf Probe.106 2ter Der Bundesrat legt fest, ab welcher Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration Fahren unter Alkoholeinfluss vorliegt.107 3 Der Führer hat dafür zu sorgen, dass er weder durch die Ladung noch auf andere Weise behindert wird. Mitfahrende dürfen ihn nicht behindern oder stören. SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. 2 War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 19 - 1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar.
1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. 2 War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe. 3 Es können indessen Massnahmen nach den Artikeln 59-61, 63, 64, 67, 67b und 67e getroffen werden.15 4 Konnte der Täter die Schuldunfähigkeit oder die Verminderung der Schuldfähigkeit vermeiden und dabei die in diesem Zustand begangene Tat voraussehen, so sind die Absätze 1-3 nicht anwendbar. - Das Ergebnis eines Atemalkoholmessgeräts kann erheblich vom Resultat einer Blutprobe abweichen; Gründe (E. 2a). Dass Abweichungen vorkommen können und genossener Alkohol eine gewisse Zeit braucht, um vom Blut aufgenommen zu werden, gehört zum Allgemeinwissen (E. 2b). Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung, weil der Fahrzeuglenker aufgrund des Testergebnisses, des Allgemeinwissens und der persönlichen Verhältnisse seine Angetrunkenheit hätte erkennen und entsprechend handeln können (E. 2c).
Regeste (fr):
- Art. 31 al. 2 LCR, art. 18 al. 3 et art. 19 CP; conduite en état d'ébriété par négligence, portée d'un test de l'haleine privé.
- Les indications fournies par un éthylomètre peuvent différer passablement de celles données par une prise de sang; motifs (consid. 2a). Chacun sait que de tels écarts peuvent exister et qu'un certain temps est nécessaire pour que l'alcool consommé passe dans le sang (consid. 2b). Une violation du devoir de prudence a été admise, s'agissant d'un conducteur qui aurait dû se rendre compte de son ivresse sur la base d'un test, de l'expérience générale ainsi que de ses conditions personnelles et qui aurait par conséquent pu adapter son comportement à cette situation (consid. 2c).
Regesto (it):
- Art. 31 cpv. 2 LCS, art. 18 cpv. 3 e art. 19 CP; guida in stato di ebrietà colposa, portata di un'analisi dell'alito privata.
- Le indicazioni fornite da un etilometro possono differire considerevolmente da quelle risultanti da un'analisi del sangue; motivi (consid. 2a). È notorio che tali differenze possono esistere e che occorre un certo tempo sino a che l'alcol consumato passi nel sangue (consid. 2b). Ammissione di una violazione dell'obbligo di prudenza, poiché il conducente avrebbe dovuto rendersi conto della sua ebrietà in base al risultato dell'analisi dell'alito, dell'esperienza generale come pure delle circostanze personali, e avrebbe pertanto dovuto adeguare il suo comportamento a tale situazione (consid. 2c).
Sachverhalt ab Seite 256
BGE 119 IV 255 S. 256
A.- S. trank nach eigenen Angaben am 24. August 1991 zum Nachtessen zwischen 19.00 und 20.00 Uhr etwa 5 dl Oeil-de-Perdrix und um 23.00 bis 23.20 Uhr zwei Fläschchen Spezialbier zu je 33 cl. Gegen 23.45 Uhr machte er mit seinem privaten Alcometer Lyon S-D2 zwei Atemtests, die Werte von 0,55 und 0,5 Promille ergaben. Hierauf fuhr er mit seinem Personenwagen von Bern stadtauswärts. Da er bei sternenklarer Nacht die Nebellichter eingeschaltet hatte, fiel er einer Polizeipatrouille auf. Sie hielt ihn an und stellte bei ihm Alkoholmundgeruch fest. Ein Blastest um 0.10 Uhr fiel mit 0,75 Promille positiv aus und die Blutprobe um 0.50 Uhr ergab einen Minimalwert von 1,01 Gewichtspromille. Am 20. Juni 1988 war S. wegen vorsätzlichen Führens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand zu einer zwölftägigen Gefängnisstrafe, bedingt auf zwei Jahre, und Fr. 2'500.-- Busse verurteilt worden.
B.- Wegen des Vorfalls vom 24./25. August 1991 sprach das Obergericht des Kantons Bern S. am 15. Dezember 1992 schuldig des fahrlässigen Führens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand und auferlegte ihm eine bedingte Gefängnisstrafe von fünfzehn Tagen und eine Busse von Fr. 10'000.--.
C.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung, eventuell zur Herabsetzung des Strafmasses an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe sich trotz seiner Erfahrung auf dem Gebiet des Fahrens in angetrunkenem Zustand nur auf sein Atemprüfgerät (welches immerhin einen Wert von 0,5 Promille angezeigt habe) verlassen und nicht in seine Überlegungen einbezogen, dass dieses Gerät keine genauen Befunde liefere, und er habe sich nicht auf seine subjektiven Empfindungen verlassen dürfen. Dadurch, dass er eben nicht überlegt und gehandelt habe, wie es der Situation entsprochen hätte, habe er den Tatbestand unbewusst fahrlässig erfüllt. Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der Prüfung der Frage, ob er seinen Irrtum in bezug auf die Angetrunkenheit hätte vermeiden können, sei die Vorinstanz auf wesentliche Punkte nicht eingegangen. Die Problematik der Resorptionsphase stelle medizinisches
BGE 119 IV 255 S. 257
und rechtliches Wissen dar, das bei ihm als Laien nicht vorausgesetzt werden könne. Nach dem Vorfall im Jahre 1988 habe er sich einen Alcometer angeschafft, um sich nicht mehr auf sein subjektives Gefühl verlassen zu müssen. Man habe ihm erklärt, wie dieses Gerät zu handhaben und dass es 100%ig sicher sei, und er lasse es jährlich von der Polizei auf Funktionsfähigkeit und Genauigkeit überprüfen. Unter diesen Umständen sei eine Fahrlässigkeit zu verneinen.
2. Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt und hätte er den Irrtum bei pflichtgemässer Sorgfalt vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Verübung der Tat mit Strafe bedroht ist (Art. 19
![](media/link.gif)
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 19 - 1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. |
|
1 | War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. |
2 | War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe. |
3 | Es können indessen Massnahmen nach den Artikeln 59-61, 63, 64, 67, 67b und 67e getroffen werden.15 |
4 | Konnte der Täter die Schuldunfähigkeit oder die Verminderung der Schuldfähigkeit vermeiden und dabei die in diesem Zustand begangene Tat voraussehen, so sind die Absätze 1-3 nicht anwendbar. |
![](media/link.gif)
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
|
1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
BGE 119 IV 255 S. 258
Phase), die Körpertemperatur sowie Alter, Geschlecht und Konstitution des Probanden. Alle Faktoren zusammen können dazu führen, dass das Ergebnis des Alcotests bis zu etwa 20% über oder unter der mittels Blutprobe festgestellten BAK liegt. Auch für eine Rückrechnung anhand des Resultats eines Atemtests stehen keine gesicherten Erkenntnisse zur Verfügung (THOMAS SIGRIST, Blutalkoholbestimmung und Atemalkoholtest: Stand der Technik und der Diskussion, Referat gehalten an der Tagung "Rechtsmedizinische Aspekte der Rechtspflege" des schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen vom 22. Juni 1993 in Luzern, S. 10 f.; erscheint demnächst in der AJP). Um die Atemalkoholanalyse forensisch als beweissicher erachten zu können, wird die Festlegung eines eigenen Grenzwertes für die AAK verlangt, was z.B. in Frankreich und Österreich mit 0,4 mg/l und in den Niederlanden mit 0,22 mg/l bereits Tatsache ist (vgl. RENÉ SCHAFFHAUSER, Anlassfreie Atemalkoholkontrolle: rechtsvergleichende und rechtspolitische Fragen, AJP 2/1993 S. 801 und 804 f.). b) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die modernen Atemtestgeräte zwar die AAK genau messen, das nach einer Umrechnung als BAK ausgedrückte Ergebnis eines Alcotests aus den dargelegten Gründen jedoch deutlich von der mittels Blutprobe festgestellten BAK abweichen kann. Wie die Vorinstanz und der Generalprokurator zutreffend ausführen, ist davon auszugehen, dass die Ungenauigkeit der Blastestresultate allgemein bekannt ist, da ja sonst eine anschliessende Blutprobe überflüssig wäre. Dabei muss der durchschnittliche Fahrzeuglenker das genaue Ausmass der möglichen Abweichungen nicht kennen; von Bedeutung ist vielmehr das Wissen darum, dass der Wert des Blastests von der tatsächlichen BAK abweichen kann. Ein Fahrzeuglenker, der alkoholische Getränke zu sich nimmt, hat zu bedenken, dass der genossene Alkohol nicht unverzüglich ins Blut übergeht, sondern dass mit einer längstmöglichen Resorptionszeit von zwei Stunden zu rechnen ist (Weisungen betreffend die Feststellung der Angetrunkenheit des EJPD vom 12. November 1986, Beilage der schweizerischen Gesellschaft für gerichtliche Medizin, Blutalkohol: Richtlinien zur medizinischen Interpretation, Ziff. 2.1.2.). Auch hier muss ein Fahrzeuglenker nicht die genaue Zeitspanne der längstmöglichen Resorptionszeit kennen. Zum Allgemeinwissen gehört jedoch, dass genossener Alkohol eine gewisse Zeit braucht, um vom Blut aufgenommen zu werden und sich nur relativ langsam abbaut.
BGE 119 IV 255 S. 259
c) Der Beschwerdeführer ist als langjähriger Restaurateur von Berufs wegen mit dem Umgang und der Wirkung von Alkohol vertraut. Das soeben umschriebene Allgemeinwissen kann bei ihm als bekannt vorausgesetzt werden. Entgegen seiner Auffassung ist es dabei nicht von Belang, dass er juristisch und medizinisch kein Detailwissen besitzt. Entscheidend ist vielmehr, ob er aufgrund des erwähnten Allgemeinwissens und allfälliger persönlicher Umstände hätte bedenken müssen, möglicherweise angetrunken zu sein. Nach eigenen Aussagen trank der Beschwerdeführer am fraglichen Abend zwischen 19.00 und 20.00 Uhr ca. 5 dl Oeil-de-Perdrix. Anschliessend liess er sich im Auto nach Bern führen, weil er zu Recht annahm, er könnte angetrunken sein. Als er um 23.00 Uhr zwei Spezialbier trank, musste er davon ausgehen, dass sein Körper den Alkohol des Roséweins noch nicht vollständig ausgeschieden hatte. Da er die zwei Bier in zwanzig Minuten und damit in kurzer Zeit zu sich nahm, hätte er sich erst recht Gedanken darüber machen müssen, ob der genossene Alkohol in der relativ kurzen Zeit bis zum Atemtest (23.45 Uhr) bereits vollständig ins Blut übergegangen sein konnte. Unter diesen Umständen hätte er das Ergebnis der Atemprobe zumindest anzweifeln müssen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Angetrunkenheit in jedem Fall als erwiesen gilt, wenn der Fahrzeugführer eine BAK von 0,8 oder mehr Gewichtspromille aufweist oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen BAK führt (Art. 2 Abs. 2
![](media/link.gif)
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV) VRV Art. 2 Zustand des Führers - (Art. 31 Abs. 2 und 55 Abs. 7 Bst. a SVG)15 |
|
1 | Wer wegen Übermüdung, Einwirkung von Alkohol, Arznei- oder Betäubungsmitteln oder aus einem anderen Grund nicht fahrfähig ist, darf kein Fahrzeug führen.16 |
2 | Fahrunfähigkeit gilt als erwiesen, wenn im Blut des Fahrzeuglenkers nachgewiesen wird: |
a | Tetrahydrocannabinol (Cannabis); |
b | freies Morphin (Heroin/Morphin); |
c | Kokain; |
d | Amphetamin (Amphetamin); |
e | Methamphetamin; |
f | MDEA (Methylendioxyethylamphetamin); oder |
g | MDMA (Methylendioxymethamphetamin).17 |
2bis | Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) erlässt nach Rücksprache mit Fachexperten Weisungen über den Nachweis der Substanzen nach Absatz 2.18 |
2ter | Für Personen, die nachweisen können, dass sie eine oder mehrere der in Absatz 2 aufgeführten Substanzen gemäss ärztlicher Verschreibung einnehmen, gilt Fahrunfähigkeit nicht bereits beim Nachweis einer Substanz nach Absatz 2 als erwiesen.19 |
3 | Niemand darf ein Fahrzeug einem Führer überlassen, der nicht fahrfähig ist. |
4 | ...20 |
5 | ...21 |