Urteilskopf

119 II 319

62. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1993 i.S. Z. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 320

BGE 119 II 319 S. 320

Z. hielt sich zwischen August 1989 und 13. Mai 1993 mehrmals in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik (nachfolgend KPK) auf. Seit 14. Mai 1993 befindet sie sich erneut in der KPK, diesmal in Form der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Am 21. Juni 1993 ersuchte Z. die Leitung der KPK um Entlassung. Dieses Gesuch wurde mit Verfügung vom 23. Juni 1993 abgewiesen. Desgleichen wies die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 15. Juli 1993 die Klage von Z. ab. Mit Berufung vom 10. August 1993 verlangt Z., das Urteil der Verwaltungsrekurskommission sei aufzuheben und sie sei unverzüglich auf freien Fuss zu setzen. Eventuell sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung an die Verwaltungsrekurskommission zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

2. Art. 397e ZGB überlässt grundsätzlich das Verfahren dem kantonalen Recht; jedoch hat der Gesetzgeber in den Ziffern 1 bis 5 dieser Bestimmung festgelegt, inwiefern bestimmte Verfahrensvorschriften des Bundesrechts allgemein gelten sollen. In Ziffer 5 dieser Bestimmung wird vorgeschrieben, dass bei psychisch Kranken nur unter Beizug von Sachverständigen über die Anordnung oder Weiterführung einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung entschieden werden darf. Streitig ist vorliegend, was unter dem Begriff des Sachverständigen zu verstehen ist. a) Eine Antwort darauf erteilt weder das Gesetz noch die Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (fürsorgerische Freiheitsentziehung) vom 17. August 1977. Diese letztere sagt nur, aber immerhin, dass als Sachverständige "wohl nur Ärzte bzw. Psychiater" in Frage kommen (BBl 1977
BGE 119 II 319 S. 321

III 35). In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird festgehalten, dass als Sachverständiger eine Person mit psychiatrischen Sachkenntnissen zu verstehen sei (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts i.S. D. vom 27. September 1983, E. 2) bzw. dass einzig ein objektives Gutachten eines fachkundigen neutralen Arztes zu verlangen sei (BGE 118 II 249 E. 2a), der ein ausgewiesener Fachmann zu sein hat (E. 2c). In der nicht sehr zahlreichen Literatur zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung findet sich ebenfalls kaum etwas, das weiterführen würde (vgl. GOTTLIEB JBERG, Aus der Praxis zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung, in SJZ 79/1983, S. 293 ff., insbesondere 294 Anm. 7; EDWIN BIGGER, Fürsorgerische Freiheitsentziehung und strafrechtliche Massnahme bei Suchtkranken aus rechtlicher Sicht, in ZVW 47/1992, S. 48 f.; BEATRICE MAZENAUER, Psychischkrank und ausgeliefert?, Bern 1985, S. 92). Konkreter äussern sich einzig SCHNYDER/MURER (3. A., N. 101 zu Art. 374
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
ZGB), die dafürhalten, dass infolge der Dringlichkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung der Ausschluss nichtpsychiatrisch geschulter Ärzte zum vornherein unzweckmässig wäre. b) Im vorliegenden Fall steht fest, dass der begutachtende Sachverständige Arzt für allgemeine Medizin ist. Die Berufungsklägerin vertritt den Standpunkt, dass das nicht genüge; es könne von Art. 397e Ziff. 5 ZGB nur ein Spezialarzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH gemeint sein. Denn der Gutachter sollte mindestens über den gleichen Wissensstand verfügen wie die Klinikärzte. Der Auffassung der Berufungsklägerin kann in dieser Absolutheit nicht gefolgt werden. Gerade einem Allgemeinpraktiker kann nicht zum vornherein jedes psychiatrische Spezialwissen und vor allem auch die hier besonders geforderte kritische Objektivität gegenüber den Klinikärzten und den Psychiatern abgesprochen werden. Das gilt insbesondere für einen allgemeinpraktizierenden Arzt, der - wie vorliegend - wegen seiner Tätigkeit als Fachrichter der Verwaltungsrekurskommission, die sich mit fürsorgerischer Freiheitsentziehung zu befassen hat, über eine gewisse auch fachliche Erfahrung bezüglich des Umgangs mit psychisch Kranken und deren Beurteilung verfügen muss. Gründe, die Zweifel daran zu wecken vermöchten, bringt die Berufungsklägerin keine vor. Demgegenüber lassen das Befragungsprotokoll und das Gutachten darauf schliessen, dass der Gutachter durchaus als sachkundiger Arzt betrachtet werden darf, der in der Lage ist, objektiv beurteilen zu können, ob eine Person psychisch krank ist und wie sich die Krankheit bei ihr bemerkbar macht. Die Verwaltungsrekurskommission hält dazu fest, der begutachtende
BGE 119 II 319 S. 322

Fachrichter, ein allgemeinpraktizierender Arzt, sei ein von der Klinik unabhängiger Sachverständiger, der sich für spezifisch psychiatrische Fragen auch auf die Angaben der in der Klinik arbeitenden Fachpsychiater stützen könne. Dem muss aus sachlichen Gründen wie auch aus solchen der Praktikabilität zwar nicht unbedingt generell, aber unter den hier gegebenen Umständen gefolgt werden. Die Auffassung der Verwaltungsrekurskommission widerspricht jedenfalls nicht der - vorne zitierten - Rechtsprechung zu Art. 397e Ziff. 5 ZGB. Damit werden aber die Anforderungen, welche die über die fürsorgerische Freiheitsentziehung und deren Weiterführung entscheidenden Gerichte an die Fachkunde der Gutachter zu stellen haben, keineswegs gering eingestuft; es bedeutet vielmehr, dass ernsthaft geprüft werden muss, wer je nach den konkreten Umständen als geeigneter Fachmann oder als Fachfrau mit den erforderlichen Fachkenntnissen als Sachverständiger im Sinne des Art. 397e Ziff. 5 ZGB bestimmt werden kann. Dabei kann sich insbesondere ergeben, dass der Fachrichter, der üblicherweise die Begutachtung vornimmt, nicht über das nötige Spezialwissen verfügt und mithin ein gerichtsexterner Facharzt oder eine Fachärztin beigezogen werden muss (vgl. SCHNYDER/MURER, die unter N. 101 f. zu Art. 374
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
ZGB in Fällen von Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche die Begutachtung durch einen "psychiatrisch geschulten Arzt" vorschlagen, bei offensichtlicher Geisteskrankheit und -schwäche jedoch die Begutachtung durch einen "gewöhnlichen Arzt" genügen lassen wollen). Dass dies vorliegend zutrifft, wird indessen nicht konkret behauptet.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 119 II 319
Datum : 18. Oktober 1993
Publiziert : 31. Dezember 1993
Quelle : Bundesgericht
Status : 119 II 319
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Fürsorgerische Freiheitsentziehung; Begriff des Sachverständigen. Der Sachverständige im Sinne von Art. 397e Ziff. 5 ZGB


Gesetzesregister
ZGB: 374 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
397e
BGE Register
118-II-249 • 119-II-319
Stichwortregister
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SJZ
79/1983 S.293