119 II 141
30. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. April 1993 i.S. D. gegen W. und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Überprüfung von Kündigungsanfechtungen durch den nach Art. 274g
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 274g
- Die Behörde, welche für die Ausweisung nach ausserordentlicher Kündigung auch zur Beurteilung eines Kündigungsschutzbegehrens zuständig ist, hat die Streitsache mit voller Kognition zu prüfen und sie unbesehen ihrer Liquidität an die Hand zu nehmen (Präzisierung der Rechtsprechung).
Regeste (fr):
- Examen de la validité du congé par le juge compétent en matière d'expulsion selon l'art. 274g CO.
- L'autorité compétente pour statuer, en matière d'expulsion, sur un congé extraordinaire et pour l'examen d'une requête en matière de protection contre les congés doit examiner le litige avec une cognition entière et sans égard au fait que les preuves fondant le droit d'une partie peuvent être immédiatement fournies et qu'à première vue la partie adverse n'a rien de pertinent à opposer ("Liquidität") (précision de la jurisprudence).
Regesto (it):
- Esame della validità della disdetta da parte del giudice competente per lo sfratto giusta l'art. 274g CO.
- L'autorità competente a statuire su uno sfratto susseguente ad una disdetta straordinaria e a giudicare un'istanza in materia di protezione della locazione deve vagliare la lite nel merito con piena cognizione, indipendentemente dal fondamento o meno delle contestazioni e adduzioni della parte avversa (precisazione della giurisprudenza).
Sachverhalt ab Seite 142
BGE 119 II 141 S. 142
A.- W. ist als Mitglied einer betreuten Wohngruppe Mieterin eines unmöblierten Zimmers in einer Wohnung der Liegenschaft S. in Zürich. Am 26. Februar 1992 kündigte D. das Untermietverhältnis vorzeitig auf den 31. März 1992.
B.- Am 1. April 1992 ersuchte D. bei der Einzelrichterin im summarischen Verfahren des Bezirks Zürich um sofortige Ausweisung von W. aus dem von ihr bewohnten Zimmer. Da W. bereits am 24. März 1992 vor der Schlichtungsbehörde des Bezirks Zürich ein Kündigungsschutzverfahren eingeleitet hatte, überwies die Schlichtungsbehörde das Verfahren am 7. April 1992 in Anwendung von Art. 274g Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 274g |
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C.- Das Bundesgericht heisst die von D. eingelegte staatsrechtliche Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt, und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4. Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht verletze die bundesrechtliche Verfahrensordnung von Art. 274g
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BGE 119 II 141 S. 143
der Streitsache schütze. Dem Ausweisungsrichter sei es von Bundesrechts wegen verwehrt, die Ausweisung wegen Kündigungsanfechtung für illiquid zu erklären. Es liege damit formelle Rechtsverweigerung vor. Soweit das Nichteintreten mit kantonalem Recht begründet werde, liege zudem eine Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nach Art. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 274g |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 257d - 1 Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage. |
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1 | Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage. |
2 | Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 257f - 1 Der Mieter muss die Sache sorgfältig gebrauchen. |
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1 | Der Mieter muss die Sache sorgfältig gebrauchen. |
2 | Der Mieter einer unbeweglichen Sache muss auf Hausbewohner und Nachbarn Rücksicht nehmen. |
3 | Verletzt der Mieter trotz schriftlicher Mahnung des Vermieters seine Pflicht zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme weiter, so dass dem Vermieter oder den Hausbewohnern die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen. |
4 | Der Vermieter von Wohn- oder Geschäftsräumen kann jedoch fristlos kündigen, wenn der Mieter vorsätzlich der Sache schweren Schaden zufügt. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 257f - 1 Der Mieter muss die Sache sorgfältig gebrauchen. |
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1 | Der Mieter muss die Sache sorgfältig gebrauchen. |
2 | Der Mieter einer unbeweglichen Sache muss auf Hausbewohner und Nachbarn Rücksicht nehmen. |
3 | Verletzt der Mieter trotz schriftlicher Mahnung des Vermieters seine Pflicht zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme weiter, so dass dem Vermieter oder den Hausbewohnern die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen. |
4 | Der Vermieter von Wohn- oder Geschäftsräumen kann jedoch fristlos kündigen, wenn der Mieter vorsätzlich der Sache schweren Schaden zufügt. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 266g - 1 Aus wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, können die Parteien das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen. |
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1 | Aus wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, können die Parteien das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen. |
2 | Der Richter bestimmt die vermögensrechtlichen Folgen der vorzeitigen Kündigung unter Würdigung aller Umstände. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 266h - 1 Fällt der Mieter nach Übernahme der Sache in Konkurs, so kann der Vermieter für künftige Mietzinse Sicherheit verlangen. Er muss dafür dem Mieter und der Konkursverwaltung schriftlich eine angemessene Frist setzen. |
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1 | Fällt der Mieter nach Übernahme der Sache in Konkurs, so kann der Vermieter für künftige Mietzinse Sicherheit verlangen. Er muss dafür dem Mieter und der Konkursverwaltung schriftlich eine angemessene Frist setzen. |
2 | Erhält der Vermieter innert dieser Frist keine Sicherheit, so kann er fristlos kündigen. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 266g - 1 Aus wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, können die Parteien das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen. |
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1 | Aus wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, können die Parteien das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen. |
2 | Der Richter bestimmt die vermögensrechtlichen Folgen der vorzeitigen Kündigung unter Würdigung aller Umstände. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 274g |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 274g |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 274g |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 274g |
BGE 119 II 141 S. 144
der tatsächlichen wie rechtlichen Grundlagen voraussetzt (BGE 118 II 306 E. a, BGE 117 II 558 E. d mit Hinweisen). In der Literatur ist unbestritten, dass der Ausweisungsrichter sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht die Gültigkeit der angefochtenen Kündigung zu überprüfen hat (etwa ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, S. 112 f.; LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1992, S. 391 Ziff. 32.8.3). Uneinigkeit herrscht indessen über den Umfang der Überprüfungspflicht. VOGEL (Der Mietrechtsprozess, recht 1993, S. 32) scheint der zitierten Rechtsprechung zuzustimmen; soweit innerhalb des summarischen Ausweisungsverfahrens mit voller Kognition über Anfechtungs- und Erstreckungsbegehren entschieden werde, handle es sich allerdings nicht mehr um ein summarisches Verfahren im eigentlichen Sinn, sondern nur um ein dem Namen nach summarisches verfahren oder ein unechtes Summarverfahren. Nach LACHAT/STOLL (a.a.O., S. 43 f. Ziff. 5.4.1.3 i.V.m. S. 391 Ziff. 32.8.3) hat der Ausweisungsrichter auch vorfrageweise über zivilrechtliche Fragen zu entscheiden (Art. 274f Abs. 2
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BGE 119 II 141 S. 145
den Vermieter auf den ordentlichen Ausweisungsprozess verweisen dürfe, da es dem Vermieter offenstehe, das Verfahren nach § 222 Ziff. 2 ZPO/ZH einzuleiten oder direkt das Ausweisungsbegehren beim ordentlichen Richter zu stellen. KOLLER (a.a.O., S. 1587) will denn auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nur auf Fälle der ausserordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs des Mieters angewendet wissen. ROLAND GMÜR (Kündigungsschutz - Prozessuales rund um den "Entscheid" der Schlichtungsbehörde, mp 1990, S. 121 ff., 135) schliesslich zeigt die beiden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten (umfassende Prüfung durch den Ausweisungsrichter oder Überweisung ins ordentliche Verfahren) auf, ohne sich jedoch für eine Variante zu entscheiden. b) Das Bundesrecht schreibt die beförderliche Behandlung von Kündigungsanfechtungen nach Art. 274g
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BGE 119 II 141 S. 146
liquider Sachlage auf das Begehren einzutreten, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse umfassend zu prüfen, zivilrechtliche Vorfragen abzuklären sowie die zur Klärung der Sachlage erforderlichen Beweise abzunehmen. Geht dem Ausweisungsentscheid bzw. dem Entscheid über die Gültigkeit der ausserordentlichen Kündigung eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage voraus, besteht für eine Verkürzung der Mieterrechte keine Gefahr. Das Verfahren ist diesfalls ein eigentliches Erkenntnis- und kein reines Vollstreckungsverfahren, da Gegenstand der Entscheidung der materielle Bestand des geltend gemachten Anspruchs und nicht alleine seine Vollstreckbarkeit ist (BGE 103 II 251 E. a mit Hinweisen). c) Das Zürcher Befehlsverfahren verlangt nach dem Wortlaut von § 222 Ziff. 2 ZPO/ZH klares Recht bei nicht streitigen oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen. Diese Voraussetzungen sind nach dem Gesagten im Ausweisungsverfahren bei ausserordentlichen Kündigungen jedoch von Bundesrechts wegen zu mildern und dem Verfahren von Art. 274g
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BGE 119 II 141 S. 147
dem Bundesrecht gibt. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Die übrigen, in diesem Zusammenhang vorgebrachten Rügen des Beschwerdeführers zu den Erwägungen 4b und c des angefochtenen Entscheids werden damit gegenstandslos.