118 II 176
36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. April 1992 i.S. Xaver Wiederkehr AG gegen Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft (Berufung)
Regeste (de):
- Haftpflicht-Versicherungsvertrag. Begriff des Sachschadens.
- Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die Haftung für Sachschäden in einer Haftpflichtversicherung bedeutet nicht, dass der Versicherer nur bis zum Ersatzwert der beschädigten oder zerstörten Sache einzustehen habe. Versichert ist vielmehr der ganze Vermögensschaden, der dem Versicherten aus seiner Haftung für den Sachschaden eines Dritten entstanden ist.
- Ein Sachschaden liegt auch vor, wenn Klärschlamm so verunreinigt worden ist, dass seine landwirtschaftliche Verwendung nicht mehr möglich ist und er aufwendig vernichtet werden muss.
Regeste (fr):
- Contrat d'assurance-responsabilité civile. Notion du dommage matériel.
- La limitation de la couverture d'assurance à la responsabilité pour dommages matériels dans une assurance-responsabilité civile ne signifie pas que l'assureur ne doit répondre que jusqu'à concurrence de la valeur de remplacement de la chose endommagée ou détruite. Au contraire, est assuré tout le dommage pécuniaire qui résulte de la responsabilité de l'assuré pour le dommage matériel causé à un tiers.
- Il y a également dommage matériel, lorsque de la boue dépurante a été polluée, de sorte qu'elle n'est plus utilisable dans l'agriculture et qu'elle doit être détruite à grands frais.
Regesto (it):
- Contratto d'assicurazione contro la responsabilità civile. Nozione di danno materiale.
- La limitazione della copertura assicurativa alla responsabilità per danni materiali in un'assicurazione contro la responsabilità civile, non significa che l'assicuratore debba rispondere solo fino al valore di sostituzione della cosa danneggiata o distrutta. Assicurato è invece l'intero danno patrimoniale, che è sorto all'assicurato dalla sua responsabilità per il danno materiale derivato a un terzo.
- Vi è pure un danno materiale quando del fango proveniente da un'impianto di depurazione sia stato così inquinato da non poter più essere utilizzato nell'agricoltura, ma dev'essere distrutto in modo dispendioso.
Sachverhalt ab Seite 177
BGE 118 II 176 S. 177
A.- Die Xaver Wiederkehr AG betreibt in Waltenschwil ein Shredder- und Scherwerk. Das Werkareal liegt in einer Senke. Das Regenwasser und die betrieblichen Abwässer werden in zwei Rückhaltebecken mit eingebauten Schlammsammlern geleitet und von dort in das höher gelegene Kanalisationsnetz des Abwasserverbandes Wohlen-Villmergen-Waltenschwil gepumpt. Auf dem gesamten Werkareal der Xaver Wiederkehr AG fällt Metallstaub an, der jeweils über die betriebseigenen Abwasserleitungen in die Rückhaltebecken geschwemmt wird. Vom Sommer 1987 bis im Herbst 1988 gelangte schwermetallhaltiges Abwasser aus dem Werkareal in die Kanalisation. Dabei wurde der ganze Kanalisationsstrang zwischen dem Betrieb der Xaver Wiederkehr AG und der Abwasserreinigungsanlage (ARA) verschmutzt. Zudem wurde der Klärschlamm im Faulturm der ARA verunreinigt, so dass er nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden konnte. Die Reinigung der rund 6 km langen Kanalisationsleitung und die Verbrennung des mit Schwermetallen durchsetzten Klärschlamms verursachten Kosten von insgesamt Fr. 513'211.40. Die Xaver Wiederkehr AG wurde mit einem Teilbetrag von Fr. 466'797.55 belastet. Davon entfielen auf die Reinigung der Kanalisation Fr. 346'514.55 und auf die Entsorgung des Klärschlamms Fr. 120'283.--.
B.- Die Xaver Wiederkehr AG ist gegen die Folgen ihrer betrieblichen Haftpflicht bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft versichert. Nachdem die Versicherungsgesellschaft
BGE 118 II 176 S. 178
die Vergütung des von der Xaver Wiederkehr AG für das Schadensereignis bezahlten Betrages verweigert hatte, klagte diese gegen die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft beim Handelsgericht des Kantons Aargau auf Bezahlung von Fr. 466'797.55 nebst Zins. Mit Entscheid vom 24. September 1991 hat das Handelsgericht die Klage abgewiesen.
C.- Die Xaver Wiederkehr AG gelangt mit Berufung gegen dieses Urteil an das Bundesgericht. Sie verlangt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Verpflichtung der Beklagten, ihr Fr. 466'797.55 nebst Zins zu bezahlen. Die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft stellt den Antrag, die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Handelsgericht hat sich zur Berufung nicht vernehmen lassen. Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die Sache, soweit es um die Kosten für die Entsorgung des Klärschlammes geht, an die Vorinstanz zur Abklärung der weiteren, im kantonalen Verfahren erhobenen Einwände und zu neuer Entscheidung zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4. Das Handelsgericht hat eine Haftung der Beklagten für die Kosten abgelehnt, die infolge der Beseitigung des verunreinigten Klärschlamms entstanden sind, weil es sich dabei nicht um einen unmittelbaren Sachschaden gehandelt habe. Als solcher könne nämlich nur der Wiederbeschaffungswert einer beschädigten oder zerstörten Sache angesehen werden. Bei den hier streitigen Beseitigungskosten handle es sich hingegen um mittelbaren Schaden, der vom Sachschadensbegriff nicht mehr erfasst werde.
a) Der vorliegende Rechtsstreit bezieht sich auf einen Versicherungsvertrag betreffend die Betriebshaftpflicht der Klägerin. Die Haftpflichtversicherung stellt den wichtigsten Anwendungsfall der Vermögensversicherung dar. Sie gehört somit weder zur Personen- noch zur Sachversicherung (KOENIG, Der Versicherungsvertrag, SPR, Bd. VII/2, Basel 1979, S. 608 ff.), wohl aber nach der Einteilung des Versicherungsvertragsgesetzes zur Schadensversicherung als Gegensatz zur Personenversicherung. Der Versicherer hat einen Schaden zu ersetzen, der beim Versicherten als reiner Vermögensschaden (Vermehrung der Passiven) eingetreten ist. Vorliegend macht die Beklagte allerdings geltend, sie hafte nur für den Vermögensschaden
BGE 118 II 176 S. 179
des Versicherten, der aufgrund von Personen- oder Sachschäden bei Dritten entstanden sei. Demgegenüber bestehe aufgrund des Versicherungsvertrages keine Leistungspflicht, wenn der Versicherte wegen eines reinen Vermögensschadens des Dritten belangt worden sei. Die Klägerin hält hingegen den Versicherungsschutz auch für reine Vermögensschäden als gegeben, wenn diese durch Abwässer verursacht worden sind. Wie es sich damit verhält, muss nur geprüft werden, falls sich erweisen sollte, dass die Klägerin tatsächlich aus reinem Vermögensschaden belangt worden ist. b) Sachschaden entsteht infolge Zerstörung, Beschädigung oder Verlusts einer Sache (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, Zürich 1975, S. 61; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, Bern 1982, S. 48, Rz. 20; BREHM, Berner Kommentar, N 77 zu Art. 41
![](media/link.gif)
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
|
1 | Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
2 | Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. |
![](media/link.gif)
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
|
1 | Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
2 | Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. |
BGE 118 II 176 S. 180
dem vom Handelsgericht zitierten Werk von MAURER entnehmen. An der angegebenen Stelle führt dieser Autor nur aus, die in Art. 63
![](media/link.gif)
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
|
1 | Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
2 | Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. |
c) Die Verschmutzung des Klärschlamms stellt die Beschädigung einer Sache dar. Der Schlamm wurde in seiner Zusammensetzung so verändert, dass er nicht mehr in der Weise verwendet werden konnte, wie dies ohne eine solche Einwirkung möglich gewesen wäre. Er war infolge dieser Veränderung nicht mehr landwirtschaftlich zu gebrauchen, sondern musste aufwendig verbrannt werden. Die Kosten für die Beseitigung stellen damit eine kausale Folge der Sachbeschädigung dar. Zudem kann auch an der Adäquanz nicht gezweifelt werden. Ohne Bedeutung muss schliesslich bleiben, ob es sich um mittelbaren oder unmittelbaren Schaden handelt. Dem Versicherungsvertrag ist nichts zu entnehmen, das den Schluss zuliesse, es sei nur die Haftung für unmittelbaren Schaden gedeckt. Grundsätzlich wird im schweizerischen Haftpflichtrecht aber nicht nur für den unmittelbaren, sondern auch für den mittelbaren Schaden gehaftet, sofern dieser noch als adäquat kausale Folge des schädigenden Ereignisses erscheint (VON TUHR/PETER, OR AT, Zürich 1974, S. 88; OFTINGER, S. 255).