118 Ia 241
34. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Juli 1992 i.S. M. gegen M.-G. und Bezirksgerichtsausschuss X. (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Einer kantonalen gerichtlichen Behörde ist überspitzter Formalismus vorzuwerfen, wenn sie eine Beschwerde, die rechtzeitig bei ihrem Vizepräsidenten eingereicht worden ist, als verspätet betrachtet, weil sie nicht mehr innert Frist an die zuständige Behörde weitergeleitet werden konnte.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst., formalisme excessif, inobservation du délai de recours.
- Une autorité judiciaire cantonale commet un formalisme excessif lorsqu'elle tient pour tardif un recours, déposé en temps utile auprès de son vice-président, parce qu'il n'a plus pu être transmis dans le délai à l'autorité compétente.
Regesto (it):
- Art. 4 Cost., formalismo eccessivo, inosservanza di un termine di ricorso.
- A un'autorità cantonale può essere rimproverato un formalismo eccessivo, qualora consideri tardivo un ricorso, che è stato inoltrato tempestivamente presso il suo vicepresidente, perché non ha potuto essere trasmesso entro il termine all'autorità competente.
Sachverhalt ab Seite 241
BGE 118 Ia 241 S. 241
A.- Am 29. April 1991 erliess der Präsident des Bezirksgerichts X. gestützt auf das Gesuch von Beatrice M.-G. um Erlass vorsorglicher Massnahmen im Sinne von Art. 145
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 118 Ia 241 S. 242
Fr. 1'000.-- bis Fr. 1'200.-- monatlich mit der Begründung, er sei überschuldet und folglich zu Mehrleistungen nicht in der Lage. Der Präsident des Bezirksgerichts X. wies das Abänderungsgesuch von Franco M. mit Verfügung vom 10. September 1991 ab. Diese Verfügung blieb unangefochten. Am 1. Oktober 1991 ersuchte Beatrice M.-G. das Bezirksgerichtspräsidium X., den Arbeitgeber ihres Ehemannes anzuweisen, von dessen Lohn Fr. 2'000.-- abzuziehen und ihr direkt zu überweisen. Diesem Gesuch wurde mit Verfügung vom 11. Oktober 1991 entsprochen.
B.- Mit Schreiben vom 31. Oktober 1991 beantragte Franco M. dem Bezirksgerichtspräsidium, die Abänderungsverfügung vom 11. Oktober 1991 aufzuheben und die Anweisung an seinen Arbeitgeber auf maximal Fr. 1'660.-- pro Monat zu beschränken. Er verwies darauf, dass er die Beschwerdefrist gemäss Art. 237
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 237 Zwischenentscheid - 1 Das Gericht kann einen Zwischenentscheid treffen, wenn durch abweichende oberinstanzliche Beurteilung sofort ein Endentscheid herbeigeführt und so ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand gespart werden kann. |
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1 | Das Gericht kann einen Zwischenentscheid treffen, wenn durch abweichende oberinstanzliche Beurteilung sofort ein Endentscheid herbeigeführt und so ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand gespart werden kann. |
2 | Der Zwischenentscheid ist selbstständig anzufechten; eine spätere Anfechtung zusammen mit dem Endentscheid ist ausgeschlossen. |
C.- Franco M. legt beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, der Entscheid des Bezirksgerichtsausschusses X. vom 31. Januar 1992 sei aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin und der Vizepräsident des Bezirksgerichtsausschusses X. schliessen auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. b) Der Bezirksgerichtsausschuss hat geprüft, ob der Bezirksgerichtsvizepräsident, der unbestrittenermassen sachlich unzuständig war, verpflichtet gewesen wäre, die Streitsache an die zuständige Stelle, d.h. den Bezirksgerichtsausschuss weiterzuleiten. Er hat festgehalten, dass das kantonale Recht keine ausdrückliche Regelung zur Weiterleitungspflicht enthalte, ausgenommen Art. 22 Abs. 3, 79 und
BGE 118 Ia 241 S. 243
93 ZPO, die in eng umrissenem Rahmen die Weiterleitung bei sachlicher Unzuständigkeit des angerufenen Richters vorsähen. Die kantonale Praxis habe aber eine solche Weiterleitungspflicht im Zivilprozess bezüglich Rechtsmitteleingaben bejaht, die fälschlicherweise bei einer unzuständigen Behörde eingereicht worden seien. Der Bezirksgerichtsausschuss verweist auch auf die neuere Bundesgesetzgebung, die vorsehe, Eingaben und Rechtsmittel, welche innert Frist bei einer unzuständigen Behörde eingereicht werden, als rechtzeitig anzusehen und von Amtes wegen an die zuständige Behörde weiterzuleiten.
Dieser bis zum 15. Februar 1992 nur in den Art. 107 Abs. 2
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 237 Zwischenentscheid - 1 Das Gericht kann einen Zwischenentscheid treffen, wenn durch abweichende oberinstanzliche Beurteilung sofort ein Endentscheid herbeigeführt und so ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand gespart werden kann. |
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1 | Das Gericht kann einen Zwischenentscheid treffen, wenn durch abweichende oberinstanzliche Beurteilung sofort ein Endentscheid herbeigeführt und so ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand gespart werden kann. |
2 | Der Zwischenentscheid ist selbstständig anzufechten; eine spätere Anfechtung zusammen mit dem Endentscheid ist ausgeschlossen. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 21 - 1 Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tage der Frist der Behörde eingereicht oder zu deren Handen der schweizerischen Post54 oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden. |
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1 | Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tage der Frist der Behörde eingereicht oder zu deren Handen der schweizerischen Post54 oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden. |
1bis | Schriftliche Eingaben an das Eidgenössische Institut für geistiges Eigentum55 können nicht gültig bei einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung vorgenommen werden.56 |
2 | Gelangt die Partei rechtzeitig an eine unzuständige Behörde, so gilt die Frist als gewahrt. |
3 | Die Frist für die Zahlung eines Vorschusses ist gewahrt, wenn der Betrag rechtzeitig zu Gunsten der Behörde der Schweizerischen Post übergeben oder einem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet worden ist.57 |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 8 - 1 Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde. |
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1 | Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde. |
2 | Erachtet die Behörde ihre Zuständigkeit als zweifelhaft, so pflegt sie darüber ohne Verzug einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 8 - 1 Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde. |
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1 | Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde. |
2 | Erachtet die Behörde ihre Zuständigkeit als zweifelhaft, so pflegt sie darüber ohne Verzug einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 8 - 1 Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde. |
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1 | Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde. |
2 | Erachtet die Behörde ihre Zuständigkeit als zweifelhaft, so pflegt sie darüber ohne Verzug einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt. |
BGE 118 Ia 241 S. 244
seit langem im Bereich der Rechtsmittelfristen vorherrschenden Gedanken, dass nämlich der Rechtsuchende nicht ohne Not um die Beurteilung seines Rechtsbegehrens durch die zuständige Instanz gebracht werden soll (BGE 103 Ia 55 mit Hinweis). Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der sich auf die gesamte Rechtsordnung bezieht und jedenfalls dort, wo keine klare anderslautende Gesetzgebung besteht, auch in den Kantonen zu gelten hat.
4. Wird dieser Rechtsgrundsatz auf den vorliegenden Sachverhalt angewendet, so zeigt sich, dass dem Bezirksgerichtsausschuss ein überspitzter Formalismus vorzuwerfen ist. Der Beschwerdeführer weist mit Recht darauf hin, dass die Beschwerde beim Vizepräsidenten desselben Gerichts eingereicht worden ist, dessen Ausschuss für deren Behandlung zuständig war. Die Beschwerde musste demnach nicht einmal - weder mit der Post noch auf anderem Wege - weitergeleitet werden. Wenn unter diesen Voraussetzungen angenommen wird, die Frist sei nicht gewahrt, weil der Bezirksgerichtsvizepräsident nicht in der Lage gewesen sei, die Eingabe innert der Rechtsmittelfrist der zuständigen Amtsstelle zu übermitteln, so ist darin ein Verstoss gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |