Urteilskopf

117 IV 484

85. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1991 i.S. Eidgenössische Zollverwaltung gegen O. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 484

BGE 117 IV 484 S. 484

A.- Mit Strafbescheid vom 14. Juni 1988 verurteilte die eidgenössische Oberzolldirektion O. wegen Bannbruchs im Sinne von Art. 76 Ziff. 1 und Art. 77 des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925 zu einer Busse von Fr. 3'125.--, woran sie nach Einsprache des O. mit Strafverfügung vom 4. April 1989 festhielt.
B.- O. verlangte am 13. April 1989 die gerichtliche Beurteilung der Strafsache, worauf die Oberzolldirektion mit Überweisung vom 8. Januar 1990 die Akten der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen zuhanden des zuständigen Strafgerichtes übermittelte.
BGE 117 IV 484 S. 485

Mit Urteil vom 4. Mai/22. August 1990 sprach die Gerichtskommission Unterrheintal O. vom Vorwurf des Bannbruchs frei.
C.- Die eidgenössische Oberzolldirektion erhob dagegen Berufung. Mit Urteil vom 23. Januar 1991 trat das Kantonsgericht St. Gallen auf die Berufung nicht ein, da die Oberzolldirektion nicht berufungslegitimiert sei.
D.- Gegen diesen Entscheid erhebt die Oberzolldirektion eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
E.- O. beantragt, auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten, eventualiter sie abzuweisen.
F.- Die schweizerische Bundesanwaltschaft, vom Instruktionsrichter zu einer Stellungnahme eingeladen, äusserte sich mit Eingabe vom 14. Juni 1991.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. a) Das Kantonsgericht begründet seine Auffassung im wesentlichen wie folgt: In bezug auf die Legitimation im kantonalen Rechtsmittelverfahren verweise Art. 80 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR auf das kantonale Recht. Nach Art. 80 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR sei überdies der Bundesanwalt legitimiert; die beteiligte Verwaltung werde als Rechtsmittelklägerin nicht genannt. Nach Art. 74
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR seien Parteien im gerichtlichen Verfahren der Beschuldigte, der öffentliche Ankläger gemäss kantonalem Recht, der Bundesanwalt und die beteiligte Verwaltung. Die Oberzolldirektion leite ihre Rechtsmittellegitimation im kantonalen Verfahren aus der ihr in Art. 74
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR eingeräumten Parteistellung ab. Gemäss st. gallischem Strafprozessrecht seien zur Berufung legitimiert grundsätzlich nur der Staatsanwalt und der Angeschuldigte; der Geschädigte sei dazu befugt, soweit ihm Verfahrenskosten auferlegt worden seien. Auch aus Art. 80 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
bzw. Art. 74
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR lasse sich keine Rechtsmittellegitimation der Beschwerdeführerin herleiten. Art. 80 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR sehe vor, dass auch der Bundesanwalt die kantonalen Rechtsmittel einlegen könne. Damit werde eine Befugnis wiederholt, die bereits in Art. 15
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
BStP festgehalten sei. Aus Art. 80 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR ergebe sich keine Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung. Das Bundesgericht habe diese Legitimation aus Art. 74 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR hergeleitet und damit den Schluss gezogen, diese Befugnis sei ein aus der Parteistellung fliessendes

BGE 117 IV 484 S. 486

Recht. Parteibegriff und die damit verbundenen Rechte seien aber im schweizerischen Strafprozessrecht nicht einheitlich bestimmt. Die Zuerkennung der Parteistellung sei keineswegs gleichbedeutend mit der Verleihung der Rechtsmittellegitimation. Die Rechte der beteiligten Verwaltung aufgrund der ihr in Art. 74
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR eingeräumten Parteistellung würden in den Art. 75 ff
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 75 - 1 Das Gericht gibt den Parteien vom Eingang der Akten Kenntnis. Es prüft, ob ein rechtzeitig eingereichtes Begehren um gerichtliche Beurteilung vorliegt.
1    Das Gericht gibt den Parteien vom Eingang der Akten Kenntnis. Es prüft, ob ein rechtzeitig eingereichtes Begehren um gerichtliche Beurteilung vorliegt.
2    Das Gericht kann von sich aus oder auf Antrag einer Partei die Akten vor der Hauptverhandlung ergänzen oder ergänzen lassen.
3    Die Parteien sind rechtzeitig von der Hauptverhandlung zu benachrichtigen.
4    Die Vertreter der Staatsanwaltschaft des Bundes und der Verwaltung müssen nicht persönlich erscheinen.68
5    Der Beschuldigte kann auf sein Ersuchen vom Erscheinen befreit werden.
. VStrR konkretisiert. Es handle sich dabei um bestimmte Informations- und Mitwirkungsrechte, nicht jedoch um die Legitimation zur Rechtsmittelergreifung. Der vom Bundesgericht in BGE 105 IV 287 gezogene Schluss, ohne einen klaren Ausschluss der Rechtsmittellegitimation im Gesetz sei diese zu bejahen, widerspreche dem Verständnis der Parteistellung im Strafprozess. Dasselbe ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte; in den parlamentarischen Beratungen sei eine Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung sogar ausdrücklich verneint worden. Die eingeschränkte Parteistellung der Verwaltung im gerichtlichen Verfahren ergebe sich auch aus Art. 78
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 78 - 1 Die Verwaltung kann die Straf- oder Einziehungsverfügung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft des Bundes zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz nicht eröffnet ist.69
1    Die Verwaltung kann die Straf- oder Einziehungsverfügung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft des Bundes zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz nicht eröffnet ist.69
2    Bis zu diesem Zeitpunkte kann auch der Beschuldigte das Begehren um gerichtliche Beurteilung zurückziehen.
3    In diesen Fällen wird das gerichtliche Verfahren eingestellt.
4    Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Partei, die den Rückzug erklärt.
VStrR, wonach der Rückzug einer Strafverfügung nur mit Zustimmung des Bundesanwaltes möglich sei. Zusätzlich weist die Vorinstanz darauf hin, dass ohnehin schon auf seiten der Strafverfolgungsbehörden zwei Stellen, nämlich die kantonale Staatsanwaltschaft und die Bundesanwaltschaft, rechtsmittelberechtigt seien. Es bestehe deshalb kein Bedürfnis für die Legitimation auch der beteiligten Verwaltung. Überdies würde eine solche auf seiten des Bundes zu unterschiedlichen Rechtsmittelfristen führen. In BGE 114 IV 179 habe das Bundesgericht die Rechtsmittellegitimation bejaht, ohne sich mit der Kritik an seiner Rechtsprechung näher auseinanderzusetzen.
b) Die Beschwerdeführerin verweist auf die mit BGE 105 IV 287 E. 3 begründete Praxis, wonach sich aus der Parteistellung gemäss Art. 74 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR auch die Legitimation der beteiligten Verwaltung zur selbständigen Ergreifung von Rechtsmitteln gegen kantonale Gerichtsurteile ableite. Dementsprechend habe das Bundesgericht auch die Befugnis zur Ergreifung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde der beteiligten Verwaltung zuerkannt. Die Vorinstanz setze sich also bewusst in Widerspruch zu einer jahrelangen konstanten Praxis des Bundesgerichtes und wolle offenbar deren Änderung erwirken. Das erstaune umso mehr, als vor den Schranken die Rechtsmittelbefugnis der Verwaltung von keiner Seite bestritten worden sei. Gegen eine Praxisänderung sprächen nicht nur der Gesetzeswortlaut, sondern auch sachliche Gründe. Sofern die Anwesenheit des kantonalen Staatsanwaltes in
BGE 117 IV 484 S. 487

der kantonalen Strafprozessordnung nicht zwingend vorgeschrieben sei, was in den wenigsten Kantonen der Fall sei, trete dieser, wie übrigens auch der Bundesanwalt, in Verwaltungsstrafsachen vor den kantonalen Gerichten in aller Regel nicht auf. Komme die beteiligte Verwaltung in einem bestimmten Falle zum Schluss, dass gegen ein kantonales Gerichtsurteil ein Rechtsmittel ergriffen werden müsse, hätte sie daher zunächst der kantonalen Staatsanwaltschaft und/oder der Bundesanwaltschaft detaillierte Aktenkenntnis zu verschaffen; denn die Bundesanwaltschaft kenne den Fall noch nicht und die Staatsanwaltschaft habe die Akten vorher lediglich zur Weiterleitung an das erstinstanzlich zuständige Strafgericht in Händen gehabt. Ausserdem müsste die Verwaltung den genannten Behörden im Hinblick auf das zu ergreifende Rechtsmittel ihre spezifische Fachkunde im Bereich des Nebenstrafrechts vermitteln. Diese besondere Fachkunde stelle ja einen der wichtigsten Gründe dar, wegen welcher der Gesetzgeber die Verfolgung und Beurteilung bestimmter Widerhandlungen des Nebenstrafrechts, darunter auch der Zollwiderhandlungen, der zuständigen Bundesverwaltungsbehörde übertragen habe. Die erwähnten Instruktionsmassnahmen wären für alle Beteiligten mit erheblichen zusätzlichen Umtrieben verbunden und gerade in komplexen Fällen innerhalb der zumeist sehr kurzen Rechtsmittelfristen oft gar nicht durchführbar. Die Praxis des Bundesgerichtes entspreche somit auch dem Gebot der Zweckmässigkeit. c) Der Beschwerdegegner stellt zunächst die Legitimation der Beschwerdeführerin zur Nichtigkeitsbeschwerde in Frage und beantragt Abweisung im wesentlichen mit den Gründen der Vorinstanz. Er führt aus, der Beschwerdeführerin gehe es ganz konkret "um die Durchsetzung ihrer Macht und Ansicht". Gerade ein solches Verhalten rufe nach einer Kontrolle auf der anklagenden Seite, wie sie mit der Beschwerdelegitimation des Bundesanwaltes gegeben sei. Damit bestehe Gewähr, dass nicht alle kleinen und kleinsten Strafbescheide rechthaberisch bis an das Bundesgericht weitergezogen würden.
d) Die Bundesanwaltschaft äussert sich wie folgt: Nach der ursprünglichen Konzeption sollte die Bundesanwaltschaft zentral für alle Bundesämter Rechtsmittel einlegen, um eine gewisse Einheitlichkeit zu gewährleisten. Auf Bundesebene sollte es Sache des Bundesanwaltes sein, ein Rechtsmittel zu ergreifen. Aufgrund der alten Praxis habe sich die beteiligte Verwaltung deshalb jeweils an die Bundesanwaltschaft gewandt, wenn nach ihrer Auffassung ein
BGE 117 IV 484 S. 488

kantonales Urteil angefochten werden sollte. Die Bundesanwaltschaft habe dann die Argumente der Bundesverwaltung zu prüfen und gegebenenfalls das Rechtsmittel frist- und formgerecht einzureichen gehabt. Das habe sich im Jahre 1979 aufgrund von BGE 105 IV 286 geändert, wonach die beteiligte Bundesverwaltung als Partei selbständig zur Beschwerde legitimiert sei. Kantonale Obergerichte seien dieser Auffassung hinsichtlich kantonaler Rechtsmittel gefolgt. Seither habe die Bundesanwaltschaft nicht mehr für alle Bundesämter zentral Rechtsmittel ergriffen; sie habe sich seither grundsätzlich auf die prozessuale Beratung der beteiligten Bundesverwaltung beschränkt, wenn diese das wünschte, was immer weniger der Fall gewesen sei. Aus der Sicht der Bundesanwaltschaft bestehe heute kein Bedürfnis, zur alten Praxis zurückzukehren. Zuzugeben sei allerdings, dass die bundesrechtliche Regelung unvollständig sei, weil sie die Bundesverwaltung nicht erwähne und Fragen offenlasse.
2. a) Das Bundesgericht hat sich in seiner publizierten Rechtsprechung bisher zweimal zur Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung geäussert, allerdings beide Male beschränkt auf die Frage der Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. In BGE 81 IV 207 E. 2 wurde für den Bereich des Bundesbeschlusses über Massnahmen zur Erhaltung der Uhrenindustrie vom 22. Juni 1951 die ausschliessliche Legitimation des Bundesanwaltes gemäss Art. 270 Abs. 6
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
BStP angenommen. Die Legitimation des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes, in dessen Auftrag die Uhrenkammer handelte, wurde verneint. Verneint wurde insbesondere ein praktisches Bedürfnis nach konkurrierender Beschwerdelegimitation zweier Bundesstellen. Wenn das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement finde, ein kantonaler Strafentscheid oder Einstellungsbeschluss sei mit Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten, könne es seine Auffassung dem Bundesanwalt unterbreiten, der hierauf nach eigenem Ermessen Beschwerde führen oder die Sache auf sich beruhen lassen könne. Zur Rechtslage aufgrund des am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht äusserte sich das Bundesgericht in BGE 105 IV 287 E. 3 und erkannte, die beteiligte Verwaltung sei selbständig zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert. Begründet wurde das vor allem damit, dass der beteiligten Verwaltung im gerichtlichen Verfahren gemäss Art. 74 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR Parteistellung zukomme. Aus anderen Bestimmungen des
BGE 117 IV 484 S. 489

Gesetzes lasse sich nicht schliessen, dass die beteiligte Verwaltung von der Beschwerdemöglichkeit ausgeschlossen und im Rechtsmittelverfahren durch den Bundesanwalt vertreten werden solle. Eine Beschränkung der Beschwerdelegitimation auf den Bundesanwalt hätte im Gesetz klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht werden müssen. Verneint wird auch, dass das Gesetz zur Vermeidung von Unzukömmlichkeiten, die sich aus der konkurrierenden Beschwerdelegitimation zweier Bundesstellen ergeben könnten, die Einlegung eines Rechtsmittels durch die Verwaltung an das Erfordernis der Zustimmung des Bundesanwaltes knüpfe.
Aus BGE 105 IV 287 kann höchstens indirekt der Schluss gezogen werden, dass der beteiligten Verwaltung von Bundesrechts wegen nicht nur Parteistellung, sondern auch die Legitimation zur Ergreifung kantonaler Rechtsmittel zustehe. Davon ist das Bundesgericht in der Folge ohne weitere Diskussion auch ausgegangen (vgl. BGE 114 IV 179 E. 2b). b) Aus der Entstehungsgeschichte, auf welche in BGE 105 IV 287 nicht eingegangen wird, ergibt sich folgendes: Die Vorschriften über das gerichtliche Verfahren (Art. 73 bis
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
83 VStrR, im Entwurf Art. 77 bis 87) sollten nichts grundsätzlich Neues bringen (Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht vom 21. April 1971, BBl 1971 I, S. 1014; Amtl.Bull. 1971 S 851, Votum Munz; Amtl.Bull. 1973 N 454 ff.). Im Nationalrat wurde vor allem die Frage aufgeworfen, ob es dem Angeschuldigten zumutbar sei, in einem Verfahren drei Instanzen gegenüberzustehen, nämlich dem öffentlichen Ankläger des Kantons, dem Bundesanwalt und der beteiligten Verwaltung. Verlangt wurde, dass diese nicht etwa kumulativ auftreten. Zur Frage der Parteistellung und der Rechtsmittellegitimation erklärte Bundesrat Furgler ausdrücklich: "Aber diese Parteistellung ist insofern eingeschränkt, als die Verwaltung nicht etwa selbständig Rechtsmittel einlegen kann. Diese sind auf seiten des Bundes dem Bundesanwalt vorbehalten. Ich darf auf Art. 84 Abs. 2 und Art. 87 Abs. 1 (gemeint des Entwurfs, jetzt Art. 80 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1) verweisen" (Amtl.Bull. 1973 N 488). Aus der Entstehungsgeschichte ist somit zu schliessen, dass man für die hier interessierende Frage mit dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht nichts Neues einführen, sondern die mit BGE 81 IV 207 begründete Rechtsprechung betreffend Rechtsmittellegitimation fortschreiben wollte. BGE 105 IV 287 steht somit im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte.

BGE 117 IV 484 S. 490

c) Auch das Schrifttum geht von der ausschliesslichen Beschwerdelegitimation des Bundesanwaltes aus (MARKUS PETER, Kriminalistik 1974 S. 511 und ZStrR 93/1977 S. 372; vgl. auch SCHWOB, Verwaltungsstrafrecht des Bundes, SJK 1290 S. 9 f.). d) Stellt man allein auf den Wortlaut der in Betracht kommenden Bestimmungen des VStrR ab, lässt sich die Frage nach der Beschwerdelegitimation nicht derart klar beantworten, wie das in BGE 105 IV 287 geschehen ist. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 74 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR nur umschrieben ist, welches die Parteien im gerichtlichen Verfahren sind. Es sind das neben dem Beschuldigten der öffentliche Ankläger gemäss kantonalem Recht, der Bundesanwalt und die beteiligte Verwaltung. Eine Aussage darüber, ob den Parteien auch die Rechtsmittellegitimation zusteht, ist damit nicht gemacht. Im Gegenteil ist aus Art. 74 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
VStrR zu schliessen, dass zwischen Parteirechten und Rechtsmitteln zu unterscheiden ist. Denn in dieser Bestimmung wird gesagt, dass dem von der Einziehung Betroffenen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zustünden wie einem Beschuldigten. Das ist ein Indiz dafür, dass auch nach der Konzeption des VStrR zwischen Parteirechten und Rechtsmittellegitimation zu unterscheiden ist. Art. 80 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR spricht von den kantonalen Rechtsmitteln. Danach sind die Rechtsmittel des kantonalen Rechts auch in Strafsachen zulässig, die dem kantonalen Gericht gemäss Art. 73
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 73 - 1 Ist die gerichtliche Beurteilung verlangt worden oder hält das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Massnahme oder einer Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis des Strafgesetzbuchs63 für gegeben, so überweist die beteiligte Verwaltung die Akten der kantonalen Staatsanwaltschaft zuhanden des zuständigen Strafgerichts.64 Solange über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht, die dem Strafverfahren zugrunde liegt, nicht rechtskräftig entschieden oder sie nicht durch vorbehaltlose Zahlung anerkannt ist, unterbleibt die Überweisung.
1    Ist die gerichtliche Beurteilung verlangt worden oder hält das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Massnahme oder einer Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis des Strafgesetzbuchs63 für gegeben, so überweist die beteiligte Verwaltung die Akten der kantonalen Staatsanwaltschaft zuhanden des zuständigen Strafgerichts.64 Solange über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht, die dem Strafverfahren zugrunde liegt, nicht rechtskräftig entschieden oder sie nicht durch vorbehaltlose Zahlung anerkannt ist, unterbleibt die Überweisung.
2    Die Überweisung gilt als Anklage. Sie hat den Sachverhalt und die anwendbaren Strafbestimmungen zu enthalten oder auf die Strafverfügung zu verweisen.
3    Eine Untersuchung gemäss StPO65 findet nicht statt; vorbehalten bleibt die Ergänzung der Akten gemäss Artikel 75 Absatz 2.66
VStrR zur Beurteilung überwiesen werden. In dieser Bestimmung wird also ausdrücklich auf das Rechtsmittelsystem des kantonalen Rechtes verwiesen, was bedeutet, dass der beteiligten Verwaltung im kantonalen Verfahren nur dann die Rechtsmittellegitimation zusteht, wenn das kantonale Recht das ausdrücklich vorsieht. Dasselbe ergibt sich aus Art. 80 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR. Wenn dort gesagt wird, die Rechtsmittel stünden auch dem Bundesanwalt zu, dann offenbar um sicherzustellen, dass dieser immer legitimiert ist, unabhängig von der Ausgestaltung der kantonalen Regelung. Hätte überdies der beteiligten Verwaltung die Legitimation zur Einreichung kantonaler Rechtsmittel von Bundesrechts wegen zugesprochen werden sollen, dann hätte in Art. 80 Abs. 2
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
VStrR diese neben dem Bundesanwalt ausdrücklich erwähnt werden müssen. Entsprechendes lässt sich aus Art. 83 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 83
VStrR betreffend Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht herleiten. Hier erfolgt der generelle Verweis auf Art. 269 bis
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 83
278 BStP. Gemäss Art. 270 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 83
Satz 1 BStP steht die Nichtigkeitsbeschwerde nur dem Angeklagten und dem öffentlichen Ankläger des Kantons zu,
BGE 117 IV 484 S. 491

zusätzlich dem Bundesanwalt unter den Voraussetzungen von Art. 270 Abs. 6
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
BStP. Der letzte Teilsatz von Art. 83 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 83
VStrR stellt klar, dass dem Bundesanwalt die Nichtigkeitsbeschwerde stets, also weitergehend als nach Art. 270 Abs. 6
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
BStP, zusteht. Auch hier hätte die Beschwerdelegitimation der beteiligten Verwaltung ausdrücklich in Art. 83
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 83
VStrR aufgenommen werden müssen. Ein weiteres Indiz gegen eine von Bundesrechts wegen gegebene selbständige Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung ergibt sich aus Art. 78 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 78 - 1 Die Verwaltung kann die Straf- oder Einziehungsverfügung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft des Bundes zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz nicht eröffnet ist.69
1    Die Verwaltung kann die Straf- oder Einziehungsverfügung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft des Bundes zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz nicht eröffnet ist.69
2    Bis zu diesem Zeitpunkte kann auch der Beschuldigte das Begehren um gerichtliche Beurteilung zurückziehen.
3    In diesen Fällen wird das gerichtliche Verfahren eingestellt.
4    Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Partei, die den Rückzug erklärt.
VStrR, wonach die Verwaltung eine Strafverfügung nur mit Zustimmung des Bundesanwaltes zurückziehen kann. Alle diese Bestimmungen deuten darauf hin, dass der beteiligten Verwaltung im gerichtlichen Verfahren zwar Parteistellung, nicht aber die Rechtsmittelbefugnis zukommt. e) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die mit BGE 105 IV 287 begründete Praxis sei auch sachgerecht, ist folgendes zu bemerken: Die selbständige Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung mag unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und der Arbeitsteilung für sie von Vorteil sein. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass eine Beschränkung der Rechtsmittellegitimation auf den Bundesanwalt, gegebenenfalls neben dem kantonalen Ankläger, auch sachgerecht sein kann, weil sie eine gewisse Kontrolle und Koordination der Rechtsmittel bewirkt. Wenn sich die Bundesanwaltschaft in dem BGE 105 IV 287 zugrundeliegenden Fall gegen die generelle Einräumung der Beschwerdelegitimation an die beteiligte Verwaltung gewandt hat und wenn sie in ihrer Stellungnahme im heutigen Verfahren durchblicken lässt, dass es auch Gründe für die Koordination der Rechtsmittelfälle bei der Bundesanwaltschaft gibt, so zeigt dies, dass es Sachgesichtspunkte für beide hier in Frage kommenden Lösungen gibt. Im übrigen ändern die von der Beschwerdeführerin angerufenen Gesichtspunkte nichts daran, dass gemäss ausdrücklicher Zusicherung in den parlamentarischen Beratungen der beteiligten Verwaltung keine Rechtsmittelbefugnis von Bundesrechts wegen zukommen sollte und dass das, wie dargelegt, auch im Gesetz seinen Ausdruck gefunden hat. f) Daraus, dass die beteiligte Verwaltung von Bundesrechts wegen im kantonalen Verfahren Parteistellung hat, lässt sich, wie die Vorinstanz zu Recht bemerkt, nichts für die Rechtsmittellegitimation herleiten. Denn die Prozessgesetze zählen in der Regel unabhängig davon, wem Parteistellung zukommt, erschöpfend
BGE 117 IV 484 S. 492

auf, wer rechtsmittellegitimiert ist (vgl. PIQUEREZ, Précis de Procédure pénale suisse, Lausanne 1987, N 2040 ff.). g) Somit ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte wie auch aus der Systematik des Gesetzes, dass der beteiligten Verwaltung im kantonalen Verfahren von Bundesrechts wegen keine Rechtsmittellegitimation zukommt. Ob Sachgesichtspunkte für eine abweichende Regelung sprechen, kann offenbleiben; gegebenenfalls hätte der Gesetzgeber eine andere Regelung zu treffen. Ebenso ergibt sich, dass die beteiligte Verwaltung nicht zur Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht legitimiert ist.
3. Fragen kann man sich einzig, ob die Beschwerdeführerin und die Bundesanwaltschaft auf die mit BGE 105 IV 287 begründete Praxis vertrauen durften, indem sie andernfalls das kantonale Rechtsmittel und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde durch die Bundesanwaltschaft hätten einreichen lassen. Diese Frage braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Denn sie berührt das Problem, ob die Bundesanwaltschaft gestützt auf die vom kantonalen Recht beherrschten Grundsätze über die Wiedereinsetzung nachträglich noch das kantonale Rechtsmittel einlegen kann. Dazu hat sich das Bundesgericht nicht zu äussern.
4. Nach dem Gesagten ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde mangels Legitimation der Beschwerdeführerin nicht einzutreten. Sie müsste im übrigen abgewiesen werden, da die Vorinstanz die Legitimation der Beschwerdeführerin zur Einreichung der kantonalen Berufung ohne Verletzung von Bundesrecht verneint hat.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 117 IV 484
Datum : 23. Dezember 1991
Publiziert : 31. Dezember 1992
Quelle : Bundesgericht
Status : 117 IV 484
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 73 ff. VStrR; Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung im gerichtlichen Verfahren in Bundesverwaltungsstrafsachen.
Einordnung : Änderung der Rechtsprechung


Gesetzesregister
BStP: 15  269bis  270
VStrR: 73 
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 73 - 1 Ist die gerichtliche Beurteilung verlangt worden oder hält das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Massnahme oder einer Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis des Strafgesetzbuchs63 für gegeben, so überweist die beteiligte Verwaltung die Akten der kantonalen Staatsanwaltschaft zuhanden des zuständigen Strafgerichts.64 Solange über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht, die dem Strafverfahren zugrunde liegt, nicht rechtskräftig entschieden oder sie nicht durch vorbehaltlose Zahlung anerkannt ist, unterbleibt die Überweisung.
1    Ist die gerichtliche Beurteilung verlangt worden oder hält das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Massnahme oder einer Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis des Strafgesetzbuchs63 für gegeben, so überweist die beteiligte Verwaltung die Akten der kantonalen Staatsanwaltschaft zuhanden des zuständigen Strafgerichts.64 Solange über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht, die dem Strafverfahren zugrunde liegt, nicht rechtskräftig entschieden oder sie nicht durch vorbehaltlose Zahlung anerkannt ist, unterbleibt die Überweisung.
2    Die Überweisung gilt als Anklage. Sie hat den Sachverhalt und die anwendbaren Strafbestimmungen zu enthalten oder auf die Strafverfügung zu verweisen.
3    Eine Untersuchung gemäss StPO65 findet nicht statt; vorbehalten bleibt die Ergänzung der Akten gemäss Artikel 75 Absatz 2.66
73bis  74 
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 74 - 1 Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
1    Parteien im gerichtlichen Verfahren sind der Beschuldigte, die Staatsanwaltschaft des betreffenden Kantons oder des Bundes und die beteiligte Verwaltung.67
2    Dem von der Einziehung Betroffenen stehen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zu wie einem Beschuldigten.
75 
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 75 - 1 Das Gericht gibt den Parteien vom Eingang der Akten Kenntnis. Es prüft, ob ein rechtzeitig eingereichtes Begehren um gerichtliche Beurteilung vorliegt.
1    Das Gericht gibt den Parteien vom Eingang der Akten Kenntnis. Es prüft, ob ein rechtzeitig eingereichtes Begehren um gerichtliche Beurteilung vorliegt.
2    Das Gericht kann von sich aus oder auf Antrag einer Partei die Akten vor der Hauptverhandlung ergänzen oder ergänzen lassen.
3    Die Parteien sind rechtzeitig von der Hauptverhandlung zu benachrichtigen.
4    Die Vertreter der Staatsanwaltschaft des Bundes und der Verwaltung müssen nicht persönlich erscheinen.68
5    Der Beschuldigte kann auf sein Ersuchen vom Erscheinen befreit werden.
78 
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 78 - 1 Die Verwaltung kann die Straf- oder Einziehungsverfügung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft des Bundes zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz nicht eröffnet ist.69
1    Die Verwaltung kann die Straf- oder Einziehungsverfügung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft des Bundes zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz nicht eröffnet ist.69
2    Bis zu diesem Zeitpunkte kann auch der Beschuldigte das Begehren um gerichtliche Beurteilung zurückziehen.
3    In diesen Fällen wird das gerichtliche Verfahren eingestellt.
4    Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Partei, die den Rückzug erklärt.
80 
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 80 - 1 Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
1    Gegen Entscheide der kantonalen Gerichte können die Rechtsmittel der StPO71 ergriffen werden.
2    Auch die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung können diese Rechtsmittel je selbstständig ergreifen.
83
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 83
BGE Register
105-IV-286 • 114-IV-178 • 117-IV-484 • 81-IV-204
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • legitimation • rechtsmittel • frage • kantonales rechtsmittel • beschwerdelegitimation • kantonales recht • vorinstanz • beschuldigter • kantonales verfahren • bundesgesetz über das verwaltungsstrafrecht • staatsanwalt • kantonsgericht • entscheid • stelle • indiz • strafgericht • nebenstrafrecht • strafsache • weiler
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BBl
1971/I/1014
ZStrR
1977 93 S.372