Urteilskopf

117 IV 437

75. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Dezember 1991 i.S. H. gegen Generalprokurator des Kantons Bern, Einwohnergemeinde der Stadt Bern und Groupe Sangliers (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 438

BGE 117 IV 437 S. 438

In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1986 sägte H. gemeinsam mit einer weiteren Person in Reconvilier einen Fahnenmast um und nahm die daran gehisste Bernerflagge mit. Die Flagge verbrannte er später. In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 1986 zerstörte eine Täterschaft von mindestens vier Personen die "Justitia" auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Bern. H. wird vorgeworfen, einer der Täter zu sein. Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte H. am 2. Juli 1990 wegen einfacher und qualifizierter Sachbeschädigung zu 22 Monaten Zuchthaus sowie zur Bezahlung von Fr. 199'963.-- zuzüglich Zins von 5% seit 13. Oktober 1986 an die Einwohnergemeinde Bern. H. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Der Generalprokurator des Kantons Bern und die Einwohnergemeinde der Stadt Bern beantragen Abweisung der Beschwerde. Der Groupe Sangliers hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 28
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 28 - 1 Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist, unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen, der Autor allein strafbar.
1    Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist, unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen, der Autor allein strafbar.
2    Kann der Autor nicht ermittelt oder in der Schweiz nicht vor Gericht gestellt werden, so ist der verantwortliche Redaktor nach Artikel 322bis strafbar. Fehlt ein verantwortlicher Redaktor, so ist jene Person nach Artikel 322bis strafbar, die für die Veröffentlichung verantwortlich ist.
3    Hat die Veröffentlichung ohne Wissen oder gegen den Willen des Autors stattgefunden, so ist der Redaktor oder, wenn ein solcher fehlt, die für die Veröffentlichung verantwortliche Person als Täter strafbar.
4    Die wahrheitsgetreue Berichterstattung über öffentliche Verhandlungen und amtliche Mitteilungen einer Behörde ist straflos.
StGB. Das Recht zum Strafantrag sei persönlich und unübertragbar. Sei der Verletzte eine juristische Person, so sei die interne Organisation massgeblich für die Strafantragsberechtigung. Die Vorinstanz verletze Art. 28
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 28 - 1 Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist, unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen, der Autor allein strafbar.
1    Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist, unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen, der Autor allein strafbar.
2    Kann der Autor nicht ermittelt oder in der Schweiz nicht vor Gericht gestellt werden, so ist der verantwortliche Redaktor nach Artikel 322bis strafbar. Fehlt ein verantwortlicher Redaktor, so ist jene Person nach Artikel 322bis strafbar, die für die Veröffentlichung verantwortlich ist.
3    Hat die Veröffentlichung ohne Wissen oder gegen den Willen des Autors stattgefunden, so ist der Redaktor oder, wenn ein solcher fehlt, die für die Veröffentlichung verantwortliche Person als Täter strafbar.
4    Die wahrheitsgetreue Berichterstattung über öffentliche Verhandlungen und amtliche Mitteilungen einer Behörde ist straflos.
StGB, wenn sie annehme, es spiele keine Rolle, ob der Verletzte ein Verein oder eine einfache Gesellschaft sei. Denn entgegen der Auffassung der Vorinstanz hänge gerade davon ab, wer gültig Antrag stellen könne.
b) Einfache Sachbeschädigung gemäss Art. 145 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB wird nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist nach einer Auffassung nur der Eigentümer der beschädigten Sache, da
BGE 117 IV 437 S. 439

Art. 145 ausschliesslich das Eigentum schütze und nur der Eigentümer als der Träger des unmittelbar geschützten Rechtsgutes anzusehen sei (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 3. Aufl., S. 222 f. N 13; REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl., S. 113). Das Bundesgericht hat angenommen, antragsberechtigt sei überdies der Mieter respektive jeder Berechtigte, der die Sache nicht mehr gebrauchen kann (BGE 74 IV 6; zustimmend SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, N 555; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, Art. 145 N 3a; NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 166; SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Art. 145 N 34). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn der Eigentümer ist häufig durch die Sachbeschädigung nicht oder weniger betroffen, wenn ihm der Sachwert gegebenenfalls von einer Versicherung ersetzt wird und wenn er selbst am unmittelbaren Gebrauchswert kein Interesse hat. Demgegenüber können der Mieter und andere Berechtigte unmittelbar auf den Gebrauchswert der Sache angewiesen und deshalb von deren Ausfall stärker betroffen sein, als wenn sie nur den entsprechenden Sachwert verloren hätten (SCHUBARTH, a.a.O.). Überdies entspricht es den Reformbestrebungen, Sachbeschädigung und damit eine entsprechende Antragsberechtigung schon dann anzunehmen, wenn an der Sache ein fremdes Gebrauchs- oder Nutzungsrecht besteht (vgl. Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuches vom 24. April 1991, BBl 1991 II 1013 sowie Art. 144 Abs. 1 des Entwurfes, a.a.O. 1122). c) Der Groupe Sangliers war nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
BStP) Inhaber der Verfügungsgewalt über Fahnenmast und Flagge. Damit war er Berechtigter im oben umschriebenen Sinne und deshalb strafantragsberechtigt. Ob er ein Verein oder eine einfache Gesellschaft sei, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht offenlassen. Aufgrund der obergerichtlichen Annahme war V. Präsident des Groupe Sangliers. Als Vereinspräsident stand ihm die Vertretungsmacht und damit das Strafantragsrecht zu, da weder ein entgegenstehender Handelsregistereintrag noch eine derartige individuelle Mitteilung aktenkundig ist (RIEMER, Berner Kommentar, N 67 ff. zu Art. 69
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 69 - 1 Der Vorstand hat das Recht und die Pflicht, nach den Befugnissen, die die Statuten ihm einräumen, die Angelegenheiten des Vereins zu besorgen und den Verein zu vertreten.
1    Der Vorstand hat das Recht und die Pflicht, nach den Befugnissen, die die Statuten ihm einräumen, die Angelegenheiten des Vereins zu besorgen und den Verein zu vertreten.
2    Vereine, die zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet sind, müssen durch eine Person vertreten werden können, die Wohnsitz in der Schweiz hat. Diese Person muss Zugang zum Mitgliederverzeichnis haben.91
ZGB). Als einfacher Gesellschafter konnte er als Verletzter Strafantrag stellen (REHBERG, Der Strafantrag, ZStR 85/1969 S. 259). Der Hinweis des Beschwerdeführers auf BGE 99 IV 1 geht an der Sache vorbei, weil dort die Strafantragsberechtigung eines Handlungsbevollmächtigten eines kaufmännischen
BGE 117 IV 437 S. 440

Unternehmens in einer Ehrverletzungssache und somit ein nicht vergleichbarer Fall zu beurteilen war. Deshalb bedurfte es vorliegend auch keiner nachträglichen Bestätigung des Strafantrags durch den Groupe Sangliers.
2. Die einfache Sachbeschädigung gemäss Art. 145 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB ist mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder Busse bedroht, qualifizierte Sachbeschädigung gemäss Abs. 2 demgegenüber mit Zuchthaus von einem bis zu fünf Jahren. Die Qualifikation ist gegeben, wenn der Täter aus gemeiner Gesinnung einen grossen Schaden verursacht hat. a) Das Tatbestandsmerkmal des grossen Schadens ist vorliegend unstrittig erfüllt. Die Vorinstanz geht von einem Schaden von rund Fr. 200'000.-- aus; auch der Beschwerdeführer anerkennt einen Schaden von mindestens Fr. 82'000.--. Die Qualifikation ist somit in objektiver Hinsicht zu bejahen. b) aa) Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gemeinen Gesinnung ist der Rechtsfolge Rechnung zu tragen (BGE 106 IV 25), weshalb das Merkmal eng auszulegen ist (BGE 104 IV 247). Das Bundesgericht hat gerade in seiner jüngeren Rechtsprechung betont, dass Qualifikationen restriktiv auszulegen sind, wenn sie zu einer erhöhten Mindeststrafe führen (BGE 116 IV 316 E. aa, 329 E. 3a, 337 E. 3b; BGE 117 IV 22; vgl. auch BGE 117 IV 161 E. a). Dabei ist zu beachten, dass vorliegend für den Grundtatbestand nur Gefängnis bis zu drei Jahren ausgesprochen werden kann; die Qualifikation ist also schärfer als etwa diejenige des gewerbsmässigen Betrugs. Die Rechtsprechung hat eine gemeine Gesinnung verneint bei der Zerstörung einer Radaranlage zur Verhinderung von Bestrafung und Führerausweisentzug (BGE 106 IV 24), dagegen bejaht bei terroristischen Anschlägen (BGE 104 IV 238; kritisch dazu STRATENWERTH, a.a.O., S. 223 N 15). In BGE 104 IV 248 wurde die gemeine Gesinnung angenommen mit der Begründung, der Täter habe die unkontrollierbare und unberechenbare Wirkung der Sprengstoffexplosion gekannt und daher einen sehr grossen Schaden und die Gefahr für Leib und Leben unbeteiligter arg- und wehrloser Menschen in Kauf genommen. Er habe sich bei diesem heimtückischen und hinterhältigen Vorgehen gegen die abgelehnte Gesellschaft offenkundig letztlich von Hass- und Rachegefühlen leiten lassen. Diese seien nach den Umständen nicht entschuldbar gewesen und daher besonders verwerflich oder gemein im Sinne des Gesetzes. Die Gefühle hätten nicht bloss der momentanen
BGE 117 IV 437 S. 441

Stimmungslage, sondern einer dauernden Einstellung entsprochen, welche die Täter immer wieder zu neuen Attentaten getrieben habe. bb) Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, bei der Zerstörung der "Justitia" handle es sich um einen skrupellosen Vandalenakt. Zwar wurden dabei - im Gegensatz zum Geschehen in BGE 104 IV 238 - keine unbeteiligten Personen gefährdet. Art. 145
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB zählt aber zu den strafbaren Handlungen gegen das Vermögen. Deshalb kann das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gesinnung nicht allein mit dem Argument verneint werden, Menschen seien nicht in Gefahr gewesen. Vorliegend ist von Bedeutung, dass es sich beim Gerechtigkeitsbrunnen von Bern nicht bloss um ein Denkmal mit grossem symbolischem Wert, sondern auch um ein einmaliges, historisch äusserst wertvolles Kunstwerk handelt. Wer aber ohne Rücksicht auf kulturelle Werte und die Wertschätzung in der Bevölkerung gezielt ein derartiges Kunstwerk zerstört, der handelt aus gemeiner Gesinnung im Sinne von Art. 145 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB. Deshalb verletzt die vorinstanzliche Annahme der qualifizierten Sachbeschädigung Bundesrecht nicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich insoweit als unbegründet.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 117 IV 437
Date : 20. Dezember 1991
Published : 31. Dezember 1992
Source : Bundesgericht
Status : 117 IV 437
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 28 und 145 Abs. 1 und 2 StGB; Sachbeschädigung, Strafantrag. Das Recht, Strafantrag zu stellen, steht neben dem Eigentümer


Legislation register
BStP: 277bis
StGB: 2  28  145
ZGB: 69
BGE-register
104-IV-238 • 106-IV-24 • 116-IV-312 • 117-IV-159 • 117-IV-20 • 117-IV-437 • 74-IV-6 • 99-IV-1
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BBl
1991/II/1013