Urteilskopf

117 IV 222

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Februar 1991 i.S. Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 222

BGE 117 IV 222 S. 222

A.- Am 25. August 1989 verurteilte die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich Y. unter anderem wegen Raubes zu 18 Monaten Zuchthaus. Gleichzeitig widerrief sie den Y. mit Urteilen des Bezirksgerichts Winterthur vom 6. November 1981 und 23. Juli 1984 gewährten bedingten Strafvollzug für Strafen von sieben Monaten beziehungsweise vierzehn Tagen Gefängnis.
B.- Mit Entscheid vom 10. Juli 1990 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine gegen dieses Urteil gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
C.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Y., den Widerrufsentscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 25. August 1989 aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Vernehmlassung.

BGE 117 IV 222 S. 223

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Europäischen Auslieferungs-Übereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAÜ; SR 0.353.1). b) Zum eidgenössischen Recht, dessen Verletzung gemäss Art. 269 Abs. 1
IR 0.353.1 Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957
EAUe Art. 14 Grundsatz der Spezialität - 1. Die ausgelieferte Person darf wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur in den folgenden Fällen festgenommen, verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder einer bessernden oder sichernden Massnahme14 in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden:
1    Die ausgelieferte Person darf wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur in den folgenden Fällen festgenommen, verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder einer bessernden oder sichernden Massnahme14 in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden:
a  wenn die Vertragspartei, die sie ausgeliefert hat, zustimmt. Zu diesem Zweck ist ein Ersuchen unter Beifügung der in Artikel 12 erwähnten Unterlagen und eines Protokolls einer Justizbehörde über die Erklärungen der ausgelieferten Person zu stellen. Die Zustimmung wird erteilt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, an sich nach diesem Übereinkommen der Verpflichtung zur Auslieferung unterliegt. Die Entscheidung wird so bald wie möglich und innerhalb von höchstens 90 Tagen nach Eingehen des Ersuchens um Zustimmung getroffen. Ist es der ersuchten Vertragspartei nicht möglich, die in diesem Absatz vorgesehene Frist einzuhalten, so unterrichtet sie die ersuchende Vertragspartei hiervon und gibt die Gründe für die Verzögerung und die Zeit an, die voraussichtlich benötigt wird, um die Entscheidung zu treffen;
b  wenn die ausgelieferte Person, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet der Vertragspartei, der sie ausgeliefert worden ist, innerhalb von 30 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist.
2    Die ersuchende Vertragspartei kann jedoch:
a  Ermittlungsmassnahmen treffen, die die persönliche Freiheit des Betroffenen nicht beschränken;
b  die erforderlichen Massnahmen einschliesslich der Durchführung eines Abwesenheitsverfahrens treffen, um nach ihren Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen;
c  die erforderlichen Massnahmen treffen, um den Betroffenen ausser Landes zu schaffen.
3    Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde oder jederzeit danach erklären, dass abweichend von Absatz 1 eine ersuchende Vertragspartei, die dieselbe Erklärung abgegeben hat, die persönliche Freiheit der ausgelieferten Person beschränken kann, wenn sie ein Ersuchen um Zustimmung nach Absatz 1 Buchstabe a gestellt hat, unter der Voraussetzung:
a  dass die ersuchende Vertragspartei entweder gleichzeitig mit dem in Absatz 1 Buchstabe a vorgesehenen Ersuchen um Zustimmung oder später den Zeitpunkt mitteilt, zu dem sie beabsichtigt, eine solche Beschränkung anzuwenden; und
b  dass die zuständige Behörde der ersuchten Vertragspartei das Eingehen dieser Mitteilung ausdrücklich bestätigt.
4    Wird die der ausgelieferten Person zur Last gelegte Handlung während des Verfahrens rechtlich anders gewürdigt, so darf sie nur insoweit verfolgt oder abgeurteilt werden, als die Tatbestandsmerkmale der rechtlich neu gewürdigten strafbaren Handlung die Auslieferung gestatten würden.
BStP mit Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden kann, zählen auch unmittelbar anwendbare rechtsetzende Staatsverträge, insbesondere über die Auslieferung (BGE 82 I 170 mit Hinweis); auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe sich im Zeitpunkt der Zulassung der Anklage in Spanien in Auslieferungshaft befunden. Nach dem Grundsatz der Spezialität (Art. 14 EAÜ) dürfe er zur Vollstreckung einer Strafe wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrundeliege, nur mit Zustimmung des Auslieferungsstaates in Haft gehalten werden. Eine solche Zustimmung sei weder im Rahmen des Auslieferungsverfahrens noch nachträglich eingeholt worden. Der Beschluss der Vorinstanz, die mit Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom 6. November 1981 und 23. Juli 1984 bedingt ausgesprochenen Strafen von sieben Monaten beziehungsweise vierzehn Tagen Gefängnis zu vollziehen, verletze daher Art. 14 Ziff. 1 lit. a EAÜ.
3. a) Nach dem Grundsatz der Spezialität, der das gesamte Auslieferungsrecht beherrscht und in Art. 14 EAÜ seinen Ausdruck gefunden hat, darf der Ausgelieferte wegen Taten, die er vor der Übergabe begangen hat und für welche die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, im ersuchenden Staat nicht verfolgt werden (BGE 110 Ib 188 E. 3b); entscheidend ist dabei, dass der ersuchte Staat diese Delikte nicht daraufhin prüfen konnte, ob sie von der Auslieferung absolut ausgeschlossen und ob sie beidseitig strafbar seien (vgl. SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 363). Die gesetzlichen - oder vertraglichen - Spezialitätsklauseln bestimmen einerseits den Umfang der Befugnisse des ersuchenden Staates und entbinden andererseits den ersuchten Staat von der Verantwortung für Massnahmen, die nicht seiner Kontrolle unterliegen und für die er daher mit der Auslieferung nicht einstehen will (VOGLER/WALTER/WILKITZKI, Kommentar zum IRG, § 11 N 3). Die Beschränkung der Befugnisse des ersuchenden Staates durch die Spezialität hindert diesen, andere vom ausgelieferten Verfolgten
BGE 117 IV 222 S. 224

vor der Auslieferung begangene Taten zu verfolgen oder zu bestrafen sowie dafür ausgesprochene Strafen zu vollstrecken, als diejenigen, welche von der Auslieferungsbewilligung erfasst sind (MARKEES, SJK 422, S. 30; SCHULTZ a.a.O., S. 364; VOGLER/WALTER/WILKITZKI, a.a.O., § 11 N 25). Der Vollstreckung gleichzusetzen ist der Widerruf einer bedingt ausgesprochenen Strafe (SCHWAIGHOFER, Auslieferung und Internationales Strafrecht, Eine systematische Darstellung des ARHG, Wien 1988, S. 185). b) Wie den Auslieferungsakten zu entnehmen ist, bewilligte der Spanische Ministerrat am 31. März 1989 für die im Haftbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 23. November 1988 aufgeführten Straftaten die Auslieferung, nachdem einige Formalitäten bereinigt worden waren. Im Haftbefehl wird die Zuführung (und Auslieferung) für den Widerruf der am 6. November 1981 und 23. Juli 1984 durch das Bezirksgericht Winterthur ausgefällten Strafen nicht erwähnt. Da Spanien damit der Vollstreckung der in den Jahren 1981 und 1984 bedingt ausgefällten Gefängnisstrafen nicht zugestimmt hat, verletzte die Vorinstanz mit ihrem Widerrufsbeschluss Art. 14 EAÜ. Ohne diese Zustimmung fehlt es an einer - von Amtes wegen zu prüfenden - Prozessvoraussetzung eidgenössischen Rechts (SCHULTZ, a.a.O., S. 369; SCHMID, Strafprozessrecht, N 533-537), weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben ist.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 117 IV 222
Datum : 27. Februar 1991
Publiziert : 31. Dezember 1992
Quelle : Bundesgericht
Status : 117 IV 222
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 14 Ziff. 1 lit. a EAUe (SR 0.353.1); Spezialitätsprinzip. Der Grundsatz der Spezialität steht dem Widerruf von bedingt


Gesetzesregister
BStP: 269
SR 0.353.1: 14
BGE Register
110-IB-187 • 117-IV-222 • 82-I-167
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ersuchender staat • monat • spanien • prozessvoraussetzung • ersuchter staat • haftbefehl • vorinstanz • tag • entscheid • sachverhalt • strafbare handlung • kantonsgericht • auslieferungshaft • spezialitätsprinzip • strafanstalt • bewilligung oder genehmigung • freiheitsstrafe • von amtes wegen • spanisch • anklage • verurteilter • kassationshof • raub • wille • internationales strafrecht • ministerrat • wiese • bedingter strafvollzug
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