116 II 215
40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Mai 1990 i.S. A. gegen E. AG (Berufung)
Regeste (de):
- Derogatorische Kraft des Bundesrechts; bundesrechtlicher Klageanspruch.
- 1. Die Missachtung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts ist in Angelegenheiten des Bundesprivatrechts mit Berufung oder zivilrechtlicher Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen (E. 2b).
- 2. Ein letztinstanzliches kantonales Urteil, mit welchem die hinreichende Substantiierung eines bundesrechtlichen Anspruchs verneint wird, stellt einen Endentscheid im Sinne von Art. 48
OG dar (E. 2b).
- 3. Auslegung zivilprozessualer Vorschriften (E. 3). Wann verletzt die Forderung eines bezifferten Klagebegehrens Bundesrecht? (E. 4a.)
Regeste (fr):
- Force dérogatoire du droit fédéral; prétention fondée sur le droit fédéral.
- 1. Le recours en réforme ou le recours en nullité est recevable pour violation de la force dérogatoire du droit fédéral dans des causes de droit privé fédéral (consid. 2b).
- 2. Un jugement cantonal de dernière instance niant la motivation suffisante d'une prétention fondée sur le droit fédéral constitue une décision finale au sens de l'art. 48 OJ (consid. 2b).
- 3. Interprétation de dispositions de procédure civile (consid. 3). Quand l'exigence d'une conclusion chiffrée viole-t-elle le droit fédéral? (consid. 4a.)
Regesto (it):
- Forza derogatoria del diritto federale; diritto d'agire fondato sul diritto federale.
- 1. Nelle cause di diritto privato federale la violazione della forza derogatoria del diritto federale va fatta valere mediante ricorso per riforma o ricorso per nullità (consid. 2b).
- 2. Una sentenza cantonale di ultima istanza con cui si nega che una pretesa fondata sul diritto federale sia sufficientemente specificata costituisce una decisione finale ai sensi dell'art. 48
OG (consid. 2b).
- 3. Interpretazione di disposizioni di procedura civile (consid. 3). Quando viola il diritto federale l'esigenza di una conclusione indicante in cifre l'importo dedotto in giudizio? (consid. 4a.)
Sachverhalt ab Seite 216
BGE 116 II 215 S. 216
A.- A. bemühte sich als Mäkler um die Veräusserung der N. AG in Gossau. Zu diesem Zwecke stand er u.a. in Verbindung mit der E. AG, welche in der Folge die N. AG ohne seine direkte Mitwirkung übernahm. Streitig ist der Provisionsanspruch des Mäklers.
B.- Mit Klage vom 15. Oktober 1987 unterbreitete A. dem Bezirksgericht Münchwilen folgendes Rechtsbegehren: "Die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger auf dem von ihr bekanntzugebenden Kaufpreis der Aktien der Firma N. AG, Gossau, (effektiv geleistete Zahlungen) die Provision von 2,5% zuzüglich Zins von 5% seit dem 19. August 1987 als schuldig anzuerkennen und zu bezahlen; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen."
Am 27. Oktober 1988/6. Januar 1989 wies das Bezirksgericht Münchwilen die Klage ab. Es liess die Frage offen, ob das gestellte Rechtsbegehren hinreichend bestimmt laute, hielt aber den Provisionsanspruch für unbewiesen. Im Berufungsverfahren trat das Obergericht des Kantons Thurgau am 11. Juli 1989 mangels bezifferten Leistungsbegehrens auf die Klage insgesamt nicht ein.
C.- A. führt gegen den Entscheid des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Zivilsachen. Mit dieser beantragt er die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz zu neuem Entscheid. Er rügt eine Anwendung kantonalen statt eidgenössischen Rechts (Art. 68 Abs. 1 lit. a
![](media/link.gif)
BGE 116 II 215 S. 217
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. a) Nach § 148 der auf das vorliegende Verfahren anwendbaren thurgauischen Zivilprozessordnung vom 29. April 1928 (aZPO) ist die Einlassung in den Rechtsstreit als vollendet zu betrachten, wenn der Kläger sein Rechtsbegehren eröffnet, der Beklagte darauf seine Erklärung abgegeben und der Friedensrichter den Ausgleichsversuch ohne Erfolg abgeschlossen hat. Eine spätere Änderung des eingangs gestellten Rechtsbegehrens ist nach der kantonalen Rechtsprechung unzulässig (BÖCKLI, N 1d zu § 148 aZPO TG; RBOG 1975 Nr. 15). Das Rechtsbegehren ist in die Weisung des Friedensrichters an das zuständige Gericht aufzunehmen (§ 149 Abs. 2 Ziff. 3 aZPO), wobei es nach der Rechtsprechung so zu formulieren ist, dass es bei gänzlicher Gutheissung der Klage ohne Ergänzung und Verdeutlichung zum Dispositiv des Urteils erhoben werden kann; bei Forderungsklagen wird demzufolge eine genaue Bezifferung des beanspruchten Betrages verlangt (BÖCKLI, N 4 zu § 149 aZPO; RBOG 1983 Nr. 17, 1984 Nr. 20 und 1987 Nr. 15). b) Der Beschwerdeführer rügt die Anwendung dieser Rechtsprechung auf sein Klagebegehren. Er macht geltend, die Vorinstanz vereitle die Durchsetzung des materiellen Bundesrechts und missachte dessen derogatorische Kraft, indem sie auf seine Klage aus Gründen des kantonalen Rechts nicht eintrete. Kantonales Recht stehe im Widerspruch zum Bundesrecht, wenn es eine unbezifferte Forderungsklage allgemein ausschliesse. Die Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts in Angelegenheiten des Bundeszivilrechts ist grundsätzlich mit Berufung oder zivilrechtlicher Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen (BGE 115 II 131 E. a mit Hinweisen, BGE 101 II 42 ff.; SALADIN, N 63 zu Art. 2
![](media/link.gif)
![](media/link.gif)
BGE 116 II 215 S. 218
letztinstanzliches Urteil, das die Frage, ob ein bundesrechtlicher Anspruch hinreichend substantiiert wurde, verneint, stellt einen Endentscheid dar, da der Anspruch in derselben Form nicht neu gestellt werden kann und der Kläger Anspruch darauf hat, zu wissen, ob das Bundesrecht den Kantonen gestattet, dem Begehren in dieser Form den Rechtsschutz zu versagen. Da die übrigen Berufungsvoraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, ist somit die Nichtigkeitsbeschwerde als Berufung entgegenzunehmen (BGE 110 II 56 E. 1).
3. Die Kompetenz der Kantone, ihre Gerichtsorganisation und das Prozessrecht zu ordnen, ergibt sich für das Zivilprozessrecht aus Art. 64 Abs. 3
![](media/link.gif)
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 64 Recherche - 1 La Confédération encourage la recherche scientifique et l'innovation.29 |
|
1 | La Confédération encourage la recherche scientifique et l'innovation.29 |
2 | Elle peut subordonner son soutien notamment à l'assurance de la qualité et à la mise en place de mesures de coordination.30 |
3 | Elle peut gérer, créer ou reprendre des centres de recherche. |
BGE 116 II 215 S. 219
die Verwirklichung des Bundesprivatrechts auf einfachstem Wege ermöglicht (GULDENER, Bundesprivatrecht und kantonales Zivilprozessrecht, ZSR n.F. 80/1961 II S. 1 ff., 23; VOYAME, Droit privé fédéral et procédure civile cantonale, ZSR n.F. 80/1961 II S. 67 ff., 99). Eine diesen Grundsätzen widersprechende Auslegung ist daher bundesrechtswidrig.
4. a) Eine Prozessvorschrift, wonach die Rechtsbegehren der Parteien klar und deutlich zu formulieren sind und hinreichend bestimmt lauten müssen, ist nicht zu beanstanden. Den Kantonen ist daher im Grundsatz auch nicht verwehrt, in Forderungsstreitigkeiten die Bezifferung des geforderten Betrages zu verlangen (GULDENER, Zivilprozessrecht, S. 193; GULDENER, ZSR n.F. 80/1961 II S. 59 f.). Der Grundsatz gilt indessen nicht schrankenlos. Das kantonale Recht hat unbezifferte Forderungsklagen einmal dort zuzulassen, wo das Bundesrecht sie ausdrücklich vorsieht (z.B. Art. 73 Abs. 2
![](media/link.gif)
SR 232.14 Loi fédérale du 25 juin 1954 sur les brevets d'invention (Loi sur les brevets, LBI) - Loi sur les brevets LBI Art. 73 - 1 Celui qui, soit intentionnellement, soit par négligence ou imprudence, commet l'un des actes mentionnés à l'art. 66 est tenu selon les dispositions du code des obligations172 de réparer le dommage causé. |
|
1 | Celui qui, soit intentionnellement, soit par négligence ou imprudence, commet l'un des actes mentionnés à l'art. 66 est tenu selon les dispositions du code des obligations172 de réparer le dommage causé. |
2 | ...173 |
3 | L'action en dommages-intérêts ne peut être intentée qu'une fois le brevet délivré; le défendeur peut cependant être tenu de réparer le dommage causé depuis le moment où il a eu connaissance du contenu de la demande de brevet, mais au plus tard à partir du jour de la publication de celle-ci.174 |
4 | ...175 |
![](media/link.gif)
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 42 - 1 La preuve du dommage incombe au demandeur. |
|
1 | La preuve du dommage incombe au demandeur. |
2 | Lorsque le montant exact du dommage ne peut être établi, le juge le détermine équitablement en considération du cours ordinaire des choses et des mesures prises par la partie lésée. |
3 | Les frais de traitement pour les animaux qui vivent en milieu domestique et ne sont pas gardés dans un but patrimonial ou de gain font l'objet d'un remboursement approprié, même s'ils sont supérieurs à la valeur de l'animal.25 |
BGE 116 II 215 S. 220
Abrechnungsverhältnissen verschaffen (GULDENER, Zivilprozessrecht, S. 194 Ziff. 7). Gleiches gilt für die sogenannte Stufenklage, in welcher ein Begehren um Rechnungslegung mit einer zunächst unbestimmten Forderungsklage auf Leistung des Geschuldeten verbunden wird. (GULDENER, Zivilprozessrecht, S. 167 Ziff. 3; VOGEL, a.a.O., S. 136 Rz. 6). Hauptanspruch ist hier die anbegehrte Leistung, Hilfsanspruch deren Bezifferung durch Rechnungslegung. Da es dem Kläger diesfalls in der Regel nicht möglich ist, seine Forderung ohne Erfüllung des Hilfsanspruchs inhaltsmässig genau zu bestimmen, ist die unbezifferte Forderungsklage zunächst zuzulassen und die Möglichkeit zu gewähren, die Bezifferung nach erfolgter Rechnungslegung oder nach Abschluss des Beweisverfahrens nachzuholen. In solchen Fällen vom Kläger die Bezifferung seiner Forderung bereits zu Beginn des Prozesses zu verlangen, hiesse die Durchsetzung des Bundesprivatrechts vereiteln und verstiesse damit gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts. Vom Kläger aber zu fordern, in einem ersten Prozess bloss auf Rechnungslegung zu klagen, um sich Klarheit über die Bezifferung des Hauptanspruchs zu verschaffen, und danach eine zweite (Leistungs)-Klage anzuheben, widerspräche den Anliegen der Prozessökonomie und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. b) Entsprechend verhält es sich vorliegend. Die Beklagte bestritt einen Provisionsanspruch des Klägers bereits dem Grundsatz nach und war demzufolge nicht bereit, die für dessen Bezifferung erforderlichen Angaben zu machen und Unterlagen vorzulegen. Eine annähernde Bezifferung seines Anspruchs hat der Kläger bereits vor dem Friedensrichter und in seiner Klageschrift vorgenommen, indem er seinen Provisionsanspruch auf ungefähr Fr. 200'000.-- veranschlagt hat. Er war daher vorerst mit einer unbezifferten Forderungsklage zuzulassen und zu ermächtigen, die genaue Bezifferung seines Anspruchs nach Abschluss des Beweisverfahrens nachzuholen.