115 Ib 378
51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. August 1989 i.S. B. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 1 und 12 Ziff. 2 lit. a EAÜ; Auslieferung zur Vollstreckung einer Strafe, deren Vollzug im ersuchenden Staat bedingt aufgeschoben wurde.
- Grundlage der Auslieferung kann auch ein Haftbefehl bilden, der zur Sicherung der Strafvollstreckung im Hinblick auf den allfälligen Widerruf des im ausländischen Urteil zur Bewährung ausgesetzten Vollzugs der Strafe erlassen worden ist. In einem solchen Fall wird die Auslieferung mit Bezug auf die vorläufige Festnahme des Verfolgten zum Vollzug dieses Haftbefehls unbedingt bewilligt, hinsichtlich der Vollstreckung der Strafe dagegen nur unter der Suspensivbedingung des Widerrufs des im ausländischen Urteil bedingt aufgeschobenen Strafvollzugs (E. 3a/bb).
Regeste (fr):
- Art. 1 et 12 ch. 2 let. a CEextr; extradition pour l'application d'une peine dont l'exécution, dans l'Etat requérant, a été ajournée conditionnellement.
- L'extradition peut aussi être accordée sur la base d'un mandat d'arrêt destiné à assurer l'exécution éventuelle d'une peine, au cas où l'ajournement de cette sanction pendant un délai d'épreuve, ordonné par le jugement étranger, serait révoqué. En pareille situation, pour la détention préventive de la personne poursuivie en exécution de ce mandat d'arrêt, l'extradition est accordée sans condition. En revanche, pour l'exécution de la peine, elle est accordée sous la condition suspensive que l'ajournement soit révoqué (consid. 3a/bb).
Regesto (it):
- Art. 1 e 12 n. 2 lett. a CEEstr; estradizione per l'esecuzione di una pena sospesa condizionalmente nello Stato richiedente.
- L'estradizione può essere accordata anche in base ad un ordine di arresto destinato ad assicurare l'esecuzione di una pena in caso di revoca della sua sospensione condizionale ordinata nella sentenza straniera. In tale fattispecie, l'estradizione è accordata senza condizioni per quanto concerne l'esecuzione di tale ordine di arresto; invece, per quanto concerne l'esecuzione della pena, essa è accordata solo a condizione che la sospensione della stessa sia effettivamente revocata (consid. 3a/bb).
Sachverhalt ab Seite 378
BGE 115 Ib 378 S. 378
Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) bewilligte die Auslieferung des B. an die Bundesrepublik Deutschland (BRD) zur Vollstreckung
BGE 115 Ib 378 S. 379
der restlichen Freiheitsstrafe von 346 Tagen gemäss Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31. Mai 1985 sowie zur Verfolgung wegen der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Alfeld (Leine) vom 19. Dezember 1988 zur Last gelegten Straftaten. B. erhob gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintreten kann. Es bewilligt die Auslieferung unbedingt mit Bezug auf die vorläufige Festnahme des B. zur Vollstreckung des Haftbefehls des Amtsgerichts Alfeld (Leine) vom 5. September 1986 (der zur Sicherung des Vollzuges der Reststrafe gemäss Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31. Mai 1985 erlassen wurde) sowie zur Verfolgung des B. wegen der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Alfeld (Leine) vom 19. Dezember 1988 zur Last gelegten Straftaten. Hinsichtlich der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe gemäss Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim wird die Auslieferung unter der Suspensivbedingung des Widerrufs des in diesem Urteil zur Bewährung ausgesetzten Strafvollzuges bewilligt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Mit dem angefochtenen Entscheid bewilligte das BAP die Auslieferung des Beschwerdeführers an die BRD zur Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe von 346 Tagen gemäss Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31. Mai 1985 sowie zur Verfolgung der dem Beschwerdeführer im Haftbefehl des Amtsgerichtes Alfeld (Leine) vom 19. Dezember 1988 zur Last gelegten Straftaten. a) Gegen die Bewilligung der Auslieferung des Beschwerdeführers zur Vollstreckung der Reststrafe wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in erster Linie eingewendet, der bedingte Strafvollzug gemäss Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31. Mai 1985 sei nicht widerrufen worden, weshalb die Voraussetzungen für die Auslieferung nicht gegeben seien. Das Auslieferungsersuchen laute ausdrücklich auf "Sicherung der Vollstreckung der aus dem Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31.5.1985 noch zu verbüssenden Freiheitsstrafe von 346 Tagen". Die Auslieferung könne gemäss Art. 32
SR 351.1 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) - Rechtshilfegesetz IRSG Art. 32 Ausländer - Ausländer können einem anderen Staat wegen Handlungen, die er ahnden kann, zur Strafverfolgung oder zum Vollzug einer freiheitsbeschränkenden Sanktion übergeben werden, wenn dieser Staat um Auslieferung ersucht oder auf Ersuchen der Schweiz die Strafverfolgung oder die Vollstreckung des Strafentscheides übernimmt. |
BGE 115 Ib 378 S. 380
sei indessen keine Rede, so dass schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes die Auslieferung nicht zulässig sei. Nachdem bisher kein Widerruf des bedingten Strafvollzuges erfolgt sei, bestehe keine Grundlage zur Sicherung der Vollstreckung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 346 Tagen. aa) Die Schweiz und die BRD sind aufgrund von Art. 1 EAÜ verpflichtet, nach den Vorschriften des Europäischen Auslieferungsübereinkommens einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe gesucht werden. Gemäss Art. 2 Ziff. 1 EAÜ wird wegen Handlungen ausgeliefert, die sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach demjenigen des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind. Ist im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates eine Verurteilung zu einer Strafe erfolgt, so muss deren Mass mindestens vier Monate betragen. Einem Auslieferungsersuchen sind nach Art. 12 Ziff. 2 lit. a EAÜ beizufügen: Die "Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift eines vollstreckbaren verurteilenden Erkenntnisses, eines Haftbefehls oder jeder anderen, nach den Formvorschriften des ersuchenden Staates ausgestellten Urkunde mit gleicher Rechtswirkung". bb) Die BRD verlangt in ihrem Ersuchen vom 3. Januar 1989 die Auslieferung des Beschwerdeführers "zur Vollstreckung des Haftbefehls des Amtsgerichts Alfeld (Leine) vom 5.9.1986", welcher "der Sicherung der Vollstreckung der aus dem Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31.5.1985 noch zu verbüssenden Freiheitsstrafe von 346 Tagen dient". In diesem dem Ersuchen beigefügten Haftbefehl wird ausgeführt, der Beschwerdeführer sei durch rechtskräftiges Urteil des Schöffengerichtes Hildesheim vom 31. Mai 1985 wegen fortgesetzten Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Die Vollstreckung der Strafe sei zur Bewährung ausgesetzt worden. Das Amtsgericht Hildesheim habe mit Beschluss vom 31.5.1985 die Bewährungszeit auf 5 Jahre festgesetzt; sie habe am 31.5.85 begonnen. Der Widerruf der Aussetzung komme in Betracht, weil der Verurteilte untergetaucht sei und den Kontakt mit seinem Bewährungshelfer abgebrochen habe. B. solle auch bereits neue Straftaten begangen haben. Am 9. Juni 1986 solle er in Holzminden einen Personenkraftwagen gemietet und diesen unterschlagen, und am 27. Juli 1986 in der Sportpension "Tyrol" in Kirchberg (Österreich) bei einem Einbruch
BGE 115 Ib 378 S. 381
1000 Schilling erbeutet haben. Es bestehe "der Haftgrund der Flucht und der Gefahr erheblich neuer Straftaten". Andere Massnahmen würden nicht ausreichen, um sich der Person des Verurteilten zu versichern. Die Handlungen, derentwegen der Beschwerdeführer vom Schöffengericht Hildesheim verurteilt wurde (fortgesetzter Betrug), sind auch nach schweizerischem Recht mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmass von mehr als einem Jahr bedroht (Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207 |
BGE 115 Ib 378 S. 382
das Verfahren in der BRD betreffend Widerruf des bedingten Strafvollzuges "andere schwere Mängel" im Sinne von Art. 2 lit. d
SR 351.1 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) - Rechtshilfegesetz IRSG Art. 2 - Einem Ersuchen um Zusammenarbeit in Strafsachen wird nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland: |
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a | den in der Europäischen Konvention vom 4. November 195013 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 196614 über bürgerliche und politische Rechte festgelegten Verfahrensgrundsätzen nicht entspricht; |
b | durchgeführt wird, um eine Person wegen ihrer politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zu verfolgen oder zu bestrafen; |
c | dazu führen könnte, die Lage des Verfolgten aus einem unter Buchstabe b angeführten Grunde zu erschweren; oder |
d | andere schwere Mängel aufweist. |