114 IV 16
6. Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1988 i.S. R. gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Verletzung des Schriftgeheimnisses (Art. 179
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 179 - Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalte Kenntnis zu nehmen,
- Mit dem Vermerk "zu Händen ..." auf einer Briefadresse wird, soweit keine abweichenden Indizien vorliegen, nach der Verkehrsübung nicht zum Ausdruck gebracht, dass allein die genannte Person zum Öffnen des Briefes befugt sein soll, sondern dass nach der Meinung des Absenders diese Person innerhalb der angeschriebenen Institution zur Behandlung des Schreibens zuständig sei.
Regeste (fr):
- Violation des secrets privés (art. 179 CP).
- En l'absence d'indices contraires, la mention "à l'intention de ...", sur une adresse, n'a pas, selon l'usage des affaires, la signification que seule la personne désignée a le droit d'ouvrir le pli, mais seulement que, dans l'esprit de l'auteur de l'écrit, c'est cette personne qui, dans le cadre de l'institution destinataire, est compétente pour traiter l'affaire.
Regesto (it):
- Violazione di segreti privati (art. 179 CP).
- In assenza d'indizi contrari, la menzione "all'attenzione di ..." in un indirizzo apposto su di una busta non significa, nei rapporti d'affari correnti, che solo la persona indicata ha diritto di aprire il plico, bensì soltanto che, secondo il mittente, tale persona è, nel quadro dell'istituzione destinataria, competente a trattare l'oggetto della lettera.
Sachverhalt ab Seite 17
BGE 114 IV 16 S. 17
S. ist seit 1985 Präsident der reformierten Kirchenpflege X. Als die Sekretärin der Kirchgemeinde per Ende Februar 1987 kündigte, wies er das Postamt X. an, die die Kirchgemeinde und die Kirchenpflege betreffende Post nicht mehr in das Postfach im Kirchgemeindezentrum zu legen, sondern an seine Privatadresse weiterzuleiten. Er öffnete in der Folge drei ihm auf diese Weise zugekommene Briefe, nämlich die Schreiben der reformierten Kirchgemeinde Zofingen vom 20. März 1987, der Elektro-Berger AG vom 20. März 1987 und des 'Gmües-Chratte' vom 6. April 1987, die an das "Ref. Kirchgemeindezentrum, z.H. Frau R. ..." bzw. (das letztgenannte Schreiben) an die "Ref. Kirchgemeinde Frau R. ..." adressiert waren. Den Brief der Elektro-Berger AG, der einen Kostenvoranschlag für elektrische Installationen enthielt, leitete er an Frau N. weiter, die seines Erachtens als für das Bauwesen zuständiges Mitglied der Kirchenpflege für dessen Behandlung zuständig war. Die beiden andern Schreiben liess er Frau R. zukommen; diese war seit 1982 als Gemeindehelferin der Kirchgemeinde X. tätig und hatte im Januar 1987 ihre Stelle auf den 30. April 1987 gekündigt. Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau sprach S. am 14. Juni 1988 in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheides vom Vorwurf der Verletzung des Schriftgeheimnisses frei. Das Bundesgericht weist die von der Strafantragstellerin R. dagegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ab mit folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1. Gemäss Art. 179
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 179 - Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalte Kenntnis zu nehmen, |
BGE 114 IV 16 S. 18
Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (Abs. 1), und wer Tatsachen, deren Kenntnis er durch Öffnen einer nicht für ihn bestimmten verschlossenen Schrift oder Sendung erlangt hat, verbreitet oder ausnützt (Abs. 2). a) Die drei Schreiben waren nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht an die Beschwerdeführerin persönlich, sondern an das Kirchgemeindezentrum bzw. an die Kirchgemeinde X. gerichtet, wobei Frau R. von den Absendern als die zuständige Sachbearbeiterin betrachtet wurde. Das "Ref. Kirchgemeindezentrum" bzw. die "Ref. Kirchgemeinde" sind entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht blosse Zustellorte. Durch die Anschriften: an das "Kirchgemeindezentrum ... (X.) ..., z.H. Frau R. ..." bzw. an die "Kirchgemeinde ... (X.) ..., Frau R. ..." wird nach der Verkehrsübung nicht zum Ausdruck gebracht, dass allein Frau R. zum Öffnen der fraglichen Schreiben befugt sein soll, sondern vielmehr, dass nach Meinung der Absender Frau R. innerhalb der angeschriebenen Institution zur Behandlung der Schreiben zuständig sei. Anders verhielte es sich dann, wenn die Adressen den Vermerk "persönlich" enthalten hätten, sowie allenfalls dann, wenn die Briefe an "Frau R. ..., c/o Ref. Kirchgemeindezentrum" bzw. an "Frau R. ..., c/o Ref. Kirchgemeinde" adressiert gewesen wären. b) Der Beschwerdegegner öffnete die drei Briefe in seiner Eigenschaft als Präsident der reformierten Kirchenpflege X. Die Kirchenpflege ist gemäss den im angefochtenen Urteil erwähnten Richtlinien für den Dienst des Gemeindehelfers der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom 4. Februar 1981 die vorgesetzte Behörde des Gemeindehelfers; sie regelt unter anderem im Einvernehmen mit dem Gemeindehelfer dessen Pflichtenheft. Der Beschwerdegegner war als Präsident der Kirchenpflege nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz berechtigt, die fraglichen Briefe zu öffnen.
2. a) Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass ihre Aufgaben als Gemeindehelferin gemäss Pflichtenheft von der Überwachung von Reparaturarbeiten und der Führung der Veranstaltungskasse bis hin zur Mitarbeit im Pfarramt und zur persönlichen Betreuung von Kirchenmitgliedern reichten. Sie macht geltend, dass sich Kirchenmitglieder oft mit sehr persönlichen Anliegen und Problemen an sie wandten, dass sie in ihrer Funktion als Hilfsperson des Pfarrers dem Berufsgeheimnis gemäss Art. 321
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 321 - 1. Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht455 zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.456 |
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1 | Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht455 zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.456 |
2 | Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat. |
3 | Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Melde- und Mitwirkungsrechte, über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde.457 |
BGE 114 IV 16 S. 19
festgehalten wurde, und dass der Beschwerdegegner daher die fraglichen Briefe nicht habe öffnen dürfen. Ob der Beschwerdegegner auch insoweit der Vorgesetzte der Beschwerdeführerin war, als diese als Hilfsperson des Pfarrers im Sinne von Art. 321
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 321 - 1. Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht455 zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.456 |
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1 | Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht455 zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.456 |
2 | Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat. |
3 | Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Melde- und Mitwirkungsrechte, über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde.457 |
b) Dass die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. April 1987 an die reformierte Kirchenpflege X. unter Hinweis auf ihr Berufsgeheimnis gemäss Art. 321
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 321 - 1. Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht455 zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.456 |
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1 | Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht455 zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen, Osteopathen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.456 |
2 | Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat. |
3 | Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Melde- und Mitwirkungsrechte, über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde.457 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 179 - Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalte Kenntnis zu nehmen, |
3. Bei den fraglichen drei Briefen handelt es sich aus den genannten Gründen nicht um Schriften, die im Sinne von Art. 179 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 179 - Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalte Kenntnis zu nehmen, |
BGE 114 IV 16 S. 20
für elektrische Installationen enthielt, an die seines Erachtens dafür zuständige Frau N. weiterleitete, auch nicht den Tatbestand von Art. 179 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 179 - Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalte Kenntnis zu nehmen, |