114 IV 103
31. Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 129
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 129 - Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- Eine Handlung ist dann im Sinne von Art. 129
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 129 - Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Regeste (fr):
- Art. 129 CP. Mise en danger de la vie d'autrui ayant entraîné la mort. Absence de scrupule.
- Un acte est commis sans scrupule au sens de l'art. 129 CP lorsque, compte tenu des moyens utilisés, des mobiles de l'auteur et des autres circonstances, parmi lesquelles figure également l'état de l'auteur, il apparaît comme contraire aux principes généralement admis des bonnes moeurs et de la morale. Il est sans importance que l'auteur ait eu conscience de l'atteinte portée par son comportement aux valeurs éthiques ou qu'il ait eu la possibilité de se conformer à celles-ci; il suffit qu'il ait connu les circonstances à cause desquelles son comportement apparaît comme dénué de scrupule au regard des principes généraux de la morale et des bonnes moeurs.
Regesto (it):
- Art. 129 CP. Esposizione a pericolo della vita altrui, che ha cagionato la morte. Assenza di scrupoli.
- Un atto è commesso senza scrupoli ai sensi dell'art. 129 CP ove, tenuto conto dei mezzi utilizzati, dei motivi dell'agente e delle altre circostanze, tra cui figura pure lo stato dell'agente, esso appare contrario ai principi generalmente ammessi dei buoni costumi e della morale. È irrilevante se l'agente sia stato consapevole del carattere eticamente riprovevole del suo comportamento o se abbia avuto la possibilità di agire conformemente a tale consapevolezza; è sufficiente che egli abbia conosciuto le circostanze a causa delle quali il suo comportamento appare privo di scrupoli alla stregua dei principi generali dei buoni costumi e della morale.
Sachverhalt ab Seite 104
BGE 114 IV 103 S. 104
A.- Am 1. April 1985 übernahmen X. und seine Ehefrau die Führung des Hotels A. in B. In der Folge wurde vereinbart, dass die Ehefrau das Hotel alleine weiterführen und X. in Biel am 4. November 1985 eine neue Stelle antreten sollte. In der zweiten Oktoberhälfte fuhr X. daher fast täglich von B. nach Biel, um verschiedene Vorbereitungen am neuen Arbeitsort zu treffen. Am 30. Oktober 1985 musste er in Bern einen Arzt aufsuchen, der einen physischen Erschöpfungszustand feststellte. Am 1. November 1985 kehrte X. um ca. 19.30 Uhr von Biel nach B. zurück, wo er zusammen mit seiner Frau das Nachtessen einnahm. Dabei trank er Bier und Rosé, seine Frau Rosé. Während des Essens kam es zwischen den Eheleuten zu Meinungsverschiedenheiten wegen des Autos, das jeder am nächsten Tag für sich verwenden wollte. Zu einem eigentlichen Streit soll es aber nicht gekommen sein. Zwischen 21.30 Uhr und 22.00 Uhr ging X. allein in die Direktionswohnung, um zu schlafen. Seine Frau unterhielt sich noch an der Bar mit Angestellten und begab sich um ca. 23.30 Uhr in die Wohnung. Ungefähr zehn Minuten später
BGE 114 IV 103 S. 105
hörten verschiedene Angestellte des Hotels aus der Wohnung Lärm sowie einen Wortwechsel zwischen den Eheleuten. Kurz darauf ertönte ein Schuss. X. sagte aus, er sei von seiner Frau unmittelbar vor dem Tatgeschehen mit lauten Vorwürfen betreffend anonyme, angeblich von einer gewissen Z. stammende Telefonanrufe aus dem Schlaf gerissen worden. Da seine Frau mit diesen Vorwürfen trotz mehrmaliger Aufforderung nicht habe aufhören wollen, habe er - um sie zu beeindrucken und zur Ruhe zu bringen - nach dem Revolver im Nachttisch gegriffen, der dort aufbewahrt worden sei, damit sich seine Ehefrau in seiner Abwesenheit nötigenfalls hätte schützen können; im Hotel A. sei nämlich zwischen 1978 und 1984 rund 12mal eingebrochen worden. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung habe er sich mit dem Revolver in der gesenkten rechten Hand seiner Frau genähert und sie in den Polsterstuhl gestossen. Im anschliessenden Handgemenge habe er von seiner Gattin mit dem rechten Fuss einen Stoss in die Höhe des Beckens erhalten und sei deshalb nach vorne gestrauchelt. Dabei müsse er mit dem Finger an den Abzug des Revolvers geraten sein, der, was er in seinem halbschlafähnlichen Zustand nicht realisiert habe, bereits gespannt gewesen sei. Durch den dadurch ausgelösten Schuss wurde seine Frau am Kopf tödlich getroffen.
B.- Die Staatsanwaltschaft stellte vor dem Kantonsgericht den Antrag, X. sei wegen Totschlags mit zwei Jahren Gefängnis zu bestrafen. X. beantragte seine Verurteilung zu einer bedingten dreimonatigen Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung. Mit Entscheid vom 15. Juli/20. August 1987 sprach das Kantonsgericht Obwalden X. der Gefährdung des Lebens mit Todesfolge (Art. 129 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 129 - Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
C.- Die Staatsanwaltschaft Obwalden führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, das Obergericht habe die Gewissenlosigkeit im Sinne von Art. 129
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BGE 114 IV 103 S. 106
X. beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
D.- Die Obergerichtskommission des Kantons Obwalden wies am 1. Juli 1988 die von der Staatsanwaltschaft gegen den Entscheid des Obergerichts erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 129 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 129 - Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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BGE 114 IV 103 S. 107
bewusst", und muss es daher "als gewissenlos bezeichnet werden, dass er davor nicht zurückgeschreckt ist". b) Der Beschwerdegegner befand sich im Zeitpunkt der Tat schon seit einigen Tagen in einer Stresssituation; am 30. Oktober 1985 hatte ein Arzt in Bern einen physischen Erschöpfungszustand festgestellt. Der Beschwerdegegner war kurz vor der Tat von seiner Ehefrau mit Vorwürfen betreffend anonyme Anrufe aus dem Schlaf gerissen worden und befand sich im Moment der Auseinandersetzung in einem "halbschlafähnlichen Zustand". Er stand zudem unter dem Einfluss von Alkohol (1,23 Gew.-%o) und von Medikamenten (Halcion und Lexotanil). Das Obergericht billigte dem Beschwerdegegner unter Berücksichtigung dieser Umstände entgegen den Annahmen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht nur eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit "in mittlerem Grade", sondern eine "erhebliche" Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zu. Es vertrat entgegen den Andeutungen in der Beschwerde nicht die Auffassung, dass jede rechtlich erhebliche Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zwangsläufig die Gewissenlosigkeit im Sinne von Art. 129
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BGE 114 IV 103 S. 108
Verschuldens berührende Verminderung der Zurechnungsfähigkeit als solche die Tatbestandsmässigkeit des Verhaltens nicht auszuschliessen vermag; es kann aber ein "faktischer" Zusammenhang in dem Sinne vorliegen, als dieselben zur Tatsituation gehörenden Tatsachen sowohl zur Zubilligung verminderter Zurechnungsfähigkeit als auch zur Verneinung der Gewissenlosigkeit führen können.
2. a) Das Merkmal der Gewissenlosigkeit soll den Anwendungsbereich von Art. 129
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b) Der Beschwerdegegner nahm die geladene Schusswaffe zur Hand, um damit seine Gattin, die ihn mit Vorwürfen betreffend anonyme Anrufe überhäufte, zu beeindrucken und auf diese Weise zur Ruhe zu bringen. Es ist an sich einfühlbar, dass der Beschwerdegegner, der unter dem Einfluss von Alkohol und Medikamenten stand, aus dem Schlaf gerissen worden war und sich schon seit einigen Tagen in einer Stresssituation befand, sich diese Vorwürfe seiner Ehefrau zu nächtlicher Stunde nicht anhören wollte; das Tatmotiv ist insoweit nicht sittlich zu missbilligen, allerdings auch nicht achtenswert. Das Tatmittel, die Behändigung einer geladenen Schusswaffe, mit welcher sich der physisch und psychisch
BGE 114 IV 103 S. 109
angeschlagene Beschwerdegegner in ein Handgemenge mit seiner Gattin einliess, ist aber gemessen an den allgemeinen Grundsätzen von Sitte und Moral derart krass sittenwidrig, dass das Verhalten des Beschwerdegegners auch unter Berücksichtigung des in der konkreten Tatsituation noch einfühlbaren Tatmotivs als gewissenlos im Sinne von Art. 129
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BGE 114 IV 103 S. 110
Gefahrenpotential seines Revolvers und damit die Folge des Umstandes, dass er sich mit einer Waffe in ein Handgemenge einliess, zu erkennen", betrifft nicht die Gewissenlosigkeit, sondern die Frage, ob der Beschwerdegegner die im angefochtenen Entscheid bejahte unmittelbare Lebensgefahr im Sinne von Art. 129
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