114 II 361
68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. September 1988 i.S. M. gegen Einwohnergemeinde Oberburg (Berufung)
Regeste (de):
- Art. 14
und 15 Abs. 1
BMM. Anpassung des Mietzinses an das orts- oder quartierübliche Niveau.
- 1. Ermittlung des orts- oder quartierüblichen Mietzinses. Grundsätze (E. 3). Deren Anwendung auf den konkreten Fall (E. 4).
- 2. Verhältnis von Art. 14
zu Art. 15 Abs. 1
BMM. Umstände, die einen orts- oder quartierüblichen Mietzins - entgegen der Vermutung - als missbräuchlich erscheinen lassen (E. 5).
Regeste (fr):
- Art. 14 et 15 al. 1 AMSL. Adaptation des loyers au niveau usuel dans la localité ou le quartier.
- 1. Recherche du loyer usuel dans la localité ou dans le quartier. Principes (consid. 3). Application au cas concret (consid. 4).
- 2. Relation entre l'art. 14 et l'art. 15 al. 1 AMSL. Circonstances faisant apparaître le loyer usuel dans la localité ou dans le quartier comme abusif à l'encontre de la présomption légale (consid. 5).
Regesto (it):
- Art. 14 e 15 DAL. Adeguamento delle pigioni al livello usuale nella località o nel quartiere.
- 1. Determinazione della pigione usuale nella località o nel quartiere. Principi (consid. 3). Applicazione nella fattispecie (consid. 4).
- 2. Relazione tra l'art. 14 e l'art. 15 cpv. 1 DAL. Circostanze che fanno apparire la pigione usuale nella località o nel quartiere come abusiva malgrado la presunzione contraria (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 361
BGE 114 II 361 S. 361
A.- Seit 1976 ist M. Mieter einer zum Finanzvermögen der Gemeinde gehörenden Wohnung in Oberburg. Mit Schreiben vom 17. Januar 1986 kündigte die Vermieterin dem Mieter folgende gestaffelte Mietzinserhöhung an: Der bisherige Nettomietzins von monatlich Fr. 308.-- sollte ab dem 1. Mai 1986 Fr. 392.--, ab dem 1. November 1986 Fr. 476.-- sowie ab dem 1. Mai 1987 Fr. 560.-- betragen. Gegen diese Ankündigung erhob der Mieter Einsprache beim Mietamt Oberburg. Die Schlichtungsverhandlung vom 7. April 1986 blieb ohne Erfolg.
B.- In der Folge ersuchte die Gemeinde Oberburg den zuständigen Gerichtspräsidenten um gerichtliche Feststellung, dass die geltend gemachte Mietzinserhöhung zulässig sei. Der Mieter widersetzte
BGE 114 II 361 S. 362
sich dem Gesuch, soweit der von ihm zu leistende Mietzins Fr. 392.-- übersteige, zudem wandte er sich gegen die Erhöhung der Garagenmiete von Fr. 45.-- auf Fr. 50.-- monatlich. Mit Entscheid vom 8. Oktober 1987 stellte der Gerichtspräsident von Burgdorf im Verfahren nach Art. 28
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C.- Mit Berufung beantragt M. dem Bundesgericht festzustellen, "dass die Mietzinserhöhung vom 17. Januar 1986 missbräuchlich ist, soweit diese ab dem 1. Mai 1986 einen Mietzins von Fr. 392.-- übersteigt" (Ziff. 1) sowie "dass es sich beim Mietobjekt um eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung handelt" (Ziff. 2). Eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Gemeinderat Oberburg trägt auf Abweisung der Berufung an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Das Gebäude, in dem sich die Wohnung des Gesuchsgegners befindet, ist gemäss den Feststellungen der Vorinstanz 175-200 Jahre alt. Bis vor ungefähr 20 Jahren diente es als Schulhaus. Im dritten Stock der Liegenschaft ist eine Abwartswohnung eingebaut. In den unteren Etagen sind eine Brockenstube, ein Kindergarten und ein Theoriesaal mit angegliederter Küche. Die Wohnung ist alt, hat keine ideale Raumaufteilung und ist schlecht isoliert; auffallend ist ausserdem eine starke Neigung des Fussbodens im Wohnzimmer. Die Wohnung, insbesondere Küche und Bad, ist 1976 modernisiert worden.
3. Die angefochtene Mietzinserhöhung wird einzig mit der Anpassung an die ortsüblichen Mietzinse vergleichbarer Wohnungen begründet. Gemäss Art. 15 Abs. 1 lit. a
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überprüfbare Rechtsfrage. Die kantonale Instanz hat deshalb genau anzugeben, welche Elemente sie verglichen hat. Sie muss konkrete Vergleiche anstellen und sich mit den im zitierten Artikel und durch die Praxis festgelegten Kriterien auseinandersetzen. Dabei sind die bei den Vergleichsobjekten verlangten Mietzinse auch auf deren neuere Entwicklung hin zu überprüfen. In der Regel genügt es nicht, wenn nur eine vergleichbare Liegenschaft vorhanden ist. Der Rückgriff auf Statistiken ist nur zulässig, wenn zuverlässiges und nach Lage, Ausstattung, Zustand und Bauperiode der Mietsache genügend differenzierendes Zahlenmaterial vorgelegt werden kann. Die Beweislast trägt der Vermieter. Der verlangte Vergleich kann nicht durch ein Gutachten über den Ertragswert des Grundstückes ersetzt werden. Sind vergleichbare Räume weder im Quartier noch in der Ortschaft vorhanden, scheinen gewisse Entscheide die Anwendbarkeit dieser Bestimmung zu verneinen (so die Zusammenfassung der Rechtsprechung durch EGLI in: ZBJV 124/1988 S. 56 mit Hinweisen auf die einschlägigen Bundesgerichtsentscheide).
4. Der Appellationshof stellt in seinem Entscheid fest, es sei nicht möglich gewesen, zum Vergleich geeignete Objekte und deren Mietzinse zu eruieren, weil die Wohnung des Gesuchsgegners von der Lage, Anordnung der Räume und Ausstattung her in der Gemeinde Oberburg offenbar einmalig sei. In der Folge stellt er aber trotzdem auf ein Gutachten ab, das unter anderem die Wohnung des Gesuchsgegners mit fünf in der Gemeinde Oberburg gelegenen 4-Zimmer-Wohnungen vergleicht. a) Gegen dieses Vorgehen wendet der Gesuchsgegner in der Berufung vorab ein, bei der von ihm benutzten Wohnung handle es sich lediglich um eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung, wie das im Mietvertrag vom 25. August 1976 ausdrücklich festgehalten sei. Ohne dass in der Zwischenzeit bauliche Veränderungen vorgenommen worden seien, sei die gleiche Wohnung im Formular für die Mitteilung der Mietzinserhöhung vom 17. Januar 1986 als 4-Zimmer-Wohnung bezeichnet worden. Das gehe nicht an, da einer der Räume den Mindestmassen der kantonalen Baugesetzgebung nicht entspreche. Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, unter Vorbehalt der Berichtigung von offensichtlich auf Versehen beruhenden Feststellungen, gebunden (Art. 63 Abs. 2
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verbindliche Feststellung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das fragliche vierte Zimmer den Vorschriften des geltenden Baupolizeirechts für Neubauten entspricht, sondern allein darauf, ob es Wohnzwecken dient. Zudem ist dem Bundesgericht die Überprüfung der Anwendung des kantonalen Rechts im Berufungsverfahren ohnehin entzogen (Art. 43 Abs. 1
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nicht ideal aufgeteilten Wohnung, deren Fussboden z.T. stark geneigt ist" eine "neuzeitlich eingerichtete und bis auf die Raumhöhe den heutigen Anforderungen entsprechende" Wohnung gegenüber. Dabei liegt der Mietzins noch knapp unter dem neu für die Wohnung im alten Schulhaus geforderten. Auf die andern massgebenden Vergleichselemente geht die Vorinstanz nicht ein. Die Feststellungen der Vorinstanz bezüglich der zum Vergleich gestellten Wohnungen lassen die Überprüfung der Rechtsfrage nicht zu, ob der geforderte Mietzins im Sinne des BMM vergleichbar sei oder nicht. Die Sache wäre deshalb an den Appellationshof zurückzuweisen, damit er den Sachverhalt bundesrechtskonform ergänze. Darauf kann indessen verzichtet werden, wenn sich aus andern Überlegungen ergeben sollte, dass der von der Gesuchstellerin geforderte Mietzins zu einem übersetzten Ertrag führt, selbst wenn er den orts- und quartierüblichen Rahmen nicht übersteigen würde (vgl. dazu insb. E. 5).
c) Die Schwierigkeiten, aufgrund von Vergleichsobjekten zuverlässig einen orts- oder quartierüblichen Mietzins zu bestimmen, haben den Gerichtspräsidenten veranlasst, hilfsweise das Gutachten über den Mietwert der fraglichen Wohnung beizuziehen. Der Experte hat sich dabei vom Zeitbauwert des Gebäudes leiten lassen und davon für Alter, Zustand, Lage des Gebäudes und Disposition der Räume 30% in Abzug gebracht; aufgerechnet hat er hingegen einen Landanteil. Dieses Vorgehen verbietet schon der klare Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 lit. a
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5. Ergibt der Vergleich mit andern Mietobjekten, dass der vom Vermieter geforderte erhöhte Mietzins im orts- und quartierüblichen Rahmen liegt, ist nach der Praxis des Bundesgerichts weiter zu entscheiden, ob gewichtige Indizien dafür bestehen, dass die angekündigte Mietzinserhöhung der Vermieterin einen übersetzten
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Ertrag im Sinne von Art. 14
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mit der seitherigen Kosten- und Preisentwicklung verglichen (EGLI, a.a.O. S. 60, mit Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung). b) Die angekündigte Mietzinserhöhung beträgt Fr. 252.-- pro Monat. Im Vergleich zum bisherigen Mietzins von Fr. 308.-- bedeutet das eine Erhöhung um rund 80%. Laut einer Feststellung der Vorinstanz erfolgte die letzte Anpassung des Mietzinses am 1. Mai 1981, während der Gesuchsgegner sowohl eine Erhöhung auf den 1. Mai 1981, wie eine weitere auf den 1. Mai 1982 erwähnt. Der Mieter darf mangels eines Vorbehaltes der Vermieterin nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass der Mietpreis im Zeitpunkt der letzten Erhöhung deren Kosten gedeckt und ihr einen angemessenen Ertrag verschafft hat, was von der Vermieterin, die sich nur auf Art. 15 Abs. 1 lit. a
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